Beiträge getaggt mit Geschichten

Von einem, der nicht fliegen will und einer, die ungefragt malt …

Ich konnte mich heute nicht beherrschen und habe auf Autoscheiben Bildchen gemalt. Ich sag’s Ihnen, der allererste richtige Schnee bei uns in diesem Winter macht was mit einem. Feinstes Zeug fieselte beständig vom Himmel und bildete perfekte Leinwände fürs Zeichnen mit den Fingern.

Schon im Begriff an einem Fahrzeug ein Herz auf dem Fenster der Beifahrerseite zu hinterlassen, kamen mir Dramen in den Sinn, die sich bei der Rückkehr abspielen könnten. Falls es sich um ein Pärchen handelte und einer der beiden misstrauisch-eifersüchtiger Natur wäre. Hinter einem Herz weiß Gott was vermutete …
Vielleicht hätte es das Ganze relativiert, wenn ich mehr als nur ein Auto mit Herzen verziert hätte. Ich habe mich letztendlich jedoch für lachende Schneemänner, schwankende Tannen, Sternschnuppen, stehende Hasen mit Möhre und springende Igel entschieden. Dass es an mehreren, in langer Reihe parkenden Autos geschah, lässt sich nur mit der endlosen Wartezeit vor der geschlossenen Bahnschranke entschuldigen.
Ehrlicherweise muss ich hinzufügen, ich bin dieser Schneemalsucht schon seit frühester Jugend verfallen. Einmal, da war ich allerdings schon erwachsen, hat sich unser Postbote hinterhältig von hinten angeschlichen und plötzlich laut: „Hab‘ ich Sie erwischt!“ gerufen. Er amüsierte sich natürlich köstlich über mein Zusammenzucken – hat mich aber nicht verpfiffen!

Was ich Ihnen eigentlich erzählen wollte, ursprünglich, ist etwas komplett anderes. Nur auch dies hier passt zu einer Erkenntnis, zu der ich gerade gelangte: Es ist momentan einfach entspannend, Assoziationen zuzulassen, alte Erinnerungen hervorzukramen und Minizeitreisen zu unternehmen.
Durch die persönlichen Einschränkungen, die die Coronazeit erfordert, sieht es mit Unternehmungen, positiv stimmenden Vorkommnissen und Erlebnissen aufbauender Art etwas mager aus. Nun wird häufig und mit Nachdruck gemahnt, unbedingt in der Gegenwart zu leben. Bloß nicht zu sehr mit der Zukunft und ganz speziell nicht mit der Vergangenheit (pfui, bäh) herumzutechtelmechteln.
Ich sehe allerdings einen großen Unterschied, ob man sich permanent im Spagat befindet oder sich einfach die Fähigkeit erhält, hüpfen zu können. Während der Spagat eine Extremhaltung darstellt – bildlich gesehen ist ein Bein in der Vergangenheit, das andere in der Zukunft, die Gegenwart wird kaum touchiert – gestattet mir das flexible Hüpfen ein Switchen, aber ebenso eine kurzzeitige Verbindung zwischen Altem und Neuem. Hüpfer lassen sich besser einer imaginären Entfernung anpassen und erlauben schnelle Richtungswechsel. Sie sind sehr viel flexibler als dauergestreckte, überdehnte Beine, bei denen es zweifelhaft bleibt, ob man sie je wieder unbeschadet zusammenbekommt.

Ich finde es einfach schön, wenn ein Moment-Hüpfer zum früheren Postboten ein lebendiges Gefühl zurückholt, ein Wiederaufgreifen des alten „Lasters“ Schneemalerei einen wohltuenden Effekt auf die Stimmung beschert. Und falls Sie jetzt nicht beschließen, ach, das reicht mir schon für heute, erzähle ich Ihnen noch von einer anderen Begebenheit. Einer recht kuriosen Sache …

Kürzlich rief ein Bekannter meines Mannes an. Wie gerade das folgende Gespräch entstand, weiß keiner, Anlass des Anrufes und Ursprungsthema waren meilenweit davon entfernt, doch plötzlich ging es um Schneefall, Ski fahren, führte irgendwann Richtung Eifel und nach einer weiteren kleinen Wendung erzählte der Bekannte, was er dort beim Besuch einer Greifvogelstation erlebte.
Sie befindet sich am südöstlichen Rand des Naturparks Eifel nahe des Ortes Hellenthal und der Oleftalsperre. Eifel verrät Ihnen schon, es ist hügelig in der Gegend. Ich war selbst noch nicht dort, doch so wie der Bekannte berichtete, befindet sich der Standort der Station in höherer Lage am Berg, während der Ort – wie es der Name verrät – im Tal liegt. 
In dieser Station lebt ein Andenkondor. Manche nennen diese Vogelart auch Andengeier, weil sie zu den Neuweltgeiern gehört. Große, schwarze Vögel mit enormer Flügelspannweite! Bis zu 15 kg schwer! Weiße Halskrause, darüber schaut ein kahler, rotbrauner Kopf hervor. Sie haben bestimmt schon Fotos von ihnen gesehen.
Der Kondor lebt dort seitdem er zweieinhalb Monate alt ist, ist mittlerweile über 15 Jahre alt (so genau konnte sich unser Anrufer nicht erinnern) und wurde von Hand aufgezogen. Das hat zum einen zur Folge, dass er überaus anhänglich ist, zum anderen aber auch, dass er absolut keine Lust auf Ausflüge hat. Fliegen lehnt er rundweg ab! Was hat man nicht schon alles versucht, ihn dazu zu bewegen! Es wurde ihm der Mauersims der Oleftalsperre als Absprungort schmackhaft gemacht, man kletterte mit ihm auf einen Turm, es gab sogar das Angebot, von einem Heißluftballon aus zu starten! Aber nein, der Geier wollte lieber weiter zu Fuß gehen.
                                                                                                

Heißluftballon in Regenbogenfarben (quergestreift), am Himmel von der Abendsonne angestrahlt


Als er geschlechtsreif wurde, kümmerte man sich um Gesellschaft für ihn. Nach längerer, intensiver Suche siedelte eine unternehmungsfreudige Kondordame aus Frankreich zu ihm über. Als Partnerin, aber auch in der Hoffnung dazugesellt, dass sie bei ihm die Lust aufs Fliegen endlich wecken könnte.
Über den Erfolg wusste der Bekannte leider nichts Genaues zu sagen, allerdings hat er etwas anderes direkt miterlebt.
Der Geier startet mittlerweile wohl gelegentlich bei gutem Wetter von der Station aus, nutzt die Thermik und segelt ein paar Runden über dem Tal. Er landet dann an einer bestimmten Stellen an einer Straße, die Ort und Station verbindet. Grund ist die dortige Würstchenbude, in deren Nähe er sich demonstrativ niederlässt. Inzwischen hat er spitz gekriegt, dass er etwas Essbares abstauben kann. Lassen Sie sich nicht weismachen, dass Geier nur Aasfresser im Sinne von in der Landschaft herumliegenden oder ihnen sonstwie dargebrachten Rohkadavern seien! Der Andenkondor aus der Eifel zumindest mag definitiv Bratwurst.

Und jetzt dürfen Sie raten, was danach passiert. Richtig. Er bleibt sitzen. Es kann ihn nichts, aber auch gar nichts dazu bewegen, selbst wieder den Berg hinaufzufliegen. Folglich kommt jemand von der Station mit einem Wagen von oben herunter und holt den Ausflügler heim. Entweder, wenn er oben vermisst wird, ansonsten, sobald jemand von unten anruft, dass der Geier wieder auf den Bus wartet.

Ich musste lachen, als ich von dem eigensinnigen Vogel erfuhr. Gleichzeitig ließ die Erwähnung des Heißluftballons eine andere Erinnerung aufblitzen.
2003 bin ich in einem Ballon über Hamburg gefahren. Es ging von der Stadt aus in südöstlicher Richtung über die Norderelbe (Richtung Bergedorf und Vierlande). Ein spannendes Erlebnis, besonders als ein Wassersportflugzeug relativ nah an uns herankam.

Luftaufnahme 2003 Hamburg - Über der Norderelbe, Blick flussabwärts. Rechts Hafen mit Landungsbrücken, links Musical-Zelt (gelb) "König der Löwen". 
Bild wurde vom Heißluftballon aufgenommen, ein Wassersportflugzeug fliegt nahe vorbei

Blick auf die Norderelbe (flussabwärts) 2003 – Der Hamburger Hafen, etwa mittig die Landungsbrücken, links (gelb) das Musical-Theater „König der Löwen“. Rechts unten beginnt die HafenCity, der Stadtteil, dessen Bau erst später startete.

Es lässt sich nicht verhindern, ich stelle mir gerade vor, der Andenkondor wäre mit an Bord unseres Ballons gewesen. Ich persönlich hätte den Geier mit Sicherheit über dem Hafen vorsichtig und unter gutem Zureden vom Korbrand geschubst. Er hätte im Flug mit seiner sagenhaften Spannweite von fast drei Metern garantiert viele Blicke auf sich gezogen, wäre ein paarmal um den bis dahin nur existierenden Unterbau (Kaispeicher) der späteren Elbphilharmonie gekreist, hätte auf diesen Runden jedoch vermutlich ziemlich schnell an den Landungsbrücken die Fischbrötchenbuden entdeckt. Und man ahnt, wie es ausgegangen wäre:
Abruptes Ende des Segelfluges, zielsichere Landung, um Fischbrötchen zu ergattern und daran anschließend gelangweiltes Warten, auf einem Poller sitzend. Bis endlich die Abholung eintrifft …



©by Michèle Legrand, Januar 2021

Michèle Legrand 
Autorin





 

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Lebenszeichen …

Am Sonnabend saß ein Straßenmusiker am Rande des Wochenmarkts lässig auf einer Treppenstufe, hielt seine Akustikgitarre im Arm und zupfte mit Gefühl „The Girl from Ipanema“. Er hatte kaum begonnen, da brach die bis dahin graue Wolkendecke auf und Sonnenschein ließ auf einmal Blumen, Gemüse und Obst an den Ständen der Marktbeschicker aufleuchten. Und einige Gesichter.

Sie kennen das Lied, oder? Sehr melodisch und harmonisch, sehr relaxt. Die englische Fassung ist bekannt und nicht schlecht, doch am besten hört man es entweder instrumental (in der Version mit Akustikgitarre) oder wenn mit Gesang, dann im Original. Die Weichheit der portugiesischen (bras.) Sprache schafft das Gefühl der Entspanntheit noch intensiver zu erzeugen. Und überträgt diese leichte Melancholie …
Di-da-da / da-di-da-da-da / da-di-da-da / da-di-da-da-da  …

Dieser spezielle Moment auf dem Markt entpuppte sich irgendwie als Impulsgeber. Er ließ mich das erste Mal seit Langem wieder an die Möglichkeit des Bloggens denken. Genauer gesagt daran, dass endlich das Quäntchen Ruhe auftauchen würde, das man einfach braucht, um sich mit Lust zum Schreiben hinzusetzen.

Da sitze ich nun. Und zaudere … Die Krux ist, wenn man Wochen, Monate nichts geschrieben hat, kreisen
die Gedanken vorrangig um den Anschluss an die entstandene Lücke. Was ist nicht alles geschehen … Chronologisch angehen? Bunt mischen oder thematisch strikt getrennt? Komplett nachholen vs. Teile auslassen. Die Frage ist ja, muss man denn eine Lücke unbedingt füllen …

Wissen Sie was?
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich Ihnen zunächst einfach ein Lebenszeichen schicke. Ihnen dabei, mit einem weiterhin dank der Melodie des Girls from Ipanema entspannten Grundgefühl erzähle, dass ich vorhabe, wieder etwas häufiger zu schreiben und mich sehr herzlich bei denen bedanke, die sich zwischendurch gemeldet und nach meinem und dem Befinden der Familie erkundigt haben. Alles soweit in Ordnung – bis auf die Tatsache, dass dieses Jahr hammerhart daherkommt und immer wieder extrem kräftezehrend ist.

Nach dem Tod des Stiefpapas gab es prinzipiell viel zu erledigen, und als sich nicht lang danach meine Mutter bei einem Sturz in der Wohnung das Handgelenk kompliziert brach, verbrachte ich den Großteil einer Nacht mit ihr in der Notaufnahme. Wegen diverser Risiken wurde nicht operiert, nur gerichtet, und meine Mutter wurde, mit Gips versehen, gegen 3 Uhr morgens entlassen. Litt unter Schwindel und Schmerzen, durfte nun bloß nichts falsch bewegen oder belasten – und ich hatte neben zwei hilfs-/pflegebedürftigen Familienangehörigen, vielen Terminen und Besorgungen, auf einmal auch zwei Haushalte und zwei Gärten, die auf mich warteten.

Der Sohn zog mit Familie um ins eigene Heim, die kleine Enkelin war in der Zeit des Renovierens und Packens häufiger hier, inklusive Übernachtung. Was einerseits wundervoll war, ich möchte diese Besuche auf keinen Fall missen, aber es lässt sich nicht leugnen, ein Kleinkind hält einen fix auf Trab und beschert reichlich kurze Nächte. Sei es, weil mitten in der Nacht plötzlich ein munteres, helles Stimmchen nach einem ruft oder – im günstigeren Fall – erst morgens um kurz vor sechs jemand neben dem Bett steht und wispert: „Oma, bist du wach?“

Die Auseinandersetzung mit gleich zwei Autoversicherungen zog sich von Anfang Mai bis Ende Oktober hin. Sechs Monate! Nach vier Monaten stand endlich das Auto repariert wieder zur Verfügung – allerdings mit zu-
nächst selbst beglichener, hoher Rechnung. Die Erstattung kam nun vor zwei Wochen … Ein unverschuldeter Autounfall, der aber aufgrund der bizarren Aussage des Unfallgegners strittig war (leider keine Zeugen, Polizei und Sachverständiger legten sich nicht fest) und deshalb mit einer 50:50 Regelung endete. Sehr bitter, auch
weil nun hochgestuft wurde …

Es gab und gibt zahlreiche Arzttermine bei meinen beiden Patienten und eine längere Zeit diverse Fahrten mit der Mama. Plötzlich standen ambulante OPs an, kritische Situationen entwickelten sich aus dem Nichts, schmerzvolle Zahnprobleme traten auch auf. Im letzten Monat dann erneut eine Beerdigung. Ich musste zu eigenen Untersuchungen, zudem schlauchten wiederkehrende Infekte. Es folgten zahlreiche Werkstatttermine, Handwerker kamen wegen der Dachrinne. Die Gartenarbeit rief, das ewige Laubrechen begann ebenfalls. Eine Zeit wurde überschattet durch ein mit einem Mal konfliktreiches Verhältnis, was sehr belastend war.
Seit einigen Wochen sind es jetzt die sich verschlechternden Werte beim Gemahl und die Unsicherheit über den Fortgang der Therapie. Innere Anspannung – wohl auch angesichts der Unberechenbarkeit. Es kann sich alles so schnell ändern. Von heute auf morgen.

Aber!

Jetzt kommt das große Aber. Es gibt stets auch Gutes!
Meine Tochter hat dieses Jahr geheiratet! Der Sport, den ich vor ziemlich genau einem Jahr begonnen habe, hat Positives bewirkt. Den besseren Abbau der erwähnten Anspannung zum Beispiel. Er hilft enorm dabei abzu-
schalten. Und, was mir sehr Auftrieb gibt, der aus heiterem Himmel entgleiste Blutdruck hat sich mit Hilfe des monatelangen Trainings wieder einfangen lassen. Ohne Medikamente.

Im Spätsommer gab es eine Phase, die bei meinem Mann gesundheitlich relativ stabil schien. So beschlossen wir mutig, eine Woche Ferien an der Nordsee zu wagen. Ein bisschen Vorplanung war natürlich nötig, die machte es aber möglich, dass er während des Aufenthalts als Gastpatient in Cuxhaven die dortige Dialyse-
station besuchen konnte. Für alles andere mussten wir einfach Daumen drücken, und davon ausgehen, dass
in den sieben Tagen keine Katastrophen passieren.

Eine Woche Nordsee hört sich für Gesunde nach keiner großen Sache an. Wenn man jedoch vor gut zwei Jahren beinahe nicht wieder aus dem Krankenhaus zurückkam und seitdem, weil das Ganze nicht heilbar ist, durchgehend in Behandlung und unter Beobachtung ist, dann sieht die Sache anders aus. Das erste Mal nicht nur für ein paar Stunden außer Haus zu sein, sondern für mehrere Tage wegzufahren, sich von seinen behan-
delnden Ärzten und schneller Hilfe zu entfernen, das ist ein eigenartiges Gefühl.
In dem Fall muss man sich erst wieder trauen. Als Patient, aber auch als Angehöriger. Anreise, Ortwechsel, andere Räumlichkeiten, Luftveränderung etc. sind mit einem Mal ein ziemliches Wagnis und Abenteuer. Doch es funktionierte, und es war schön dort. Ich werde sicher separat noch von Cuxhaven berichten.

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Cuxhaven (Nordsee) - Sonnenuntergang am Döser Strand - Blick auf die Insel Neuwerk am Horizont

Cuxhaven (Nordsee) – Sonnenuntergang am Döser Strand – Am Horizont die Insel Neuwerk

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Kürzlich waren wir sogar ein zweites Mal unterwegs. Diesmal für ein Wochenende in Stralsund. Mein Mann wollte gern an einer Jahreshauptversammlung teilnehmen. Sein Fachgebiet, seine langjährigen Bekannten und Hobbykollegen. Ich als Begleitung auf der Reise  – jedoch nicht bei der Zusammenkunft und somit mit einem Tag Freizeit und eigenem Programm vor Ort!
Sie glauben nicht, wie selten es geworden ist, dass man zum einen rauskommt und sich zum anderen als Angehöriger auch wirklich nicht zuständig und frei von Verantwortung fühlt. Sich für ein paar Stunden nach nichts richten muss, sich nicht den Gegebenheiten anpassen braucht. Es fällt fernab des sonstigen Auf-
enthaltsortes und des üblichen Ablaufs merklich leichter, vermutlich auch deshalb, weil das Unterbewusstsein dort automatisch von weniger Pflichten ausgeht und mit weniger Unterbrechungen rechnet.
Es ist rar geworden und diese Zeit für mich unschätzbar wertvoll! Ich habe sie genutzt, unheimlich genossen und würde Ihnen auch gern von dort später einmal einige Eindrücke zeigen.
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Blick vom Kirchturm in der Altstadt Richtung Knieperteich und Weiße Brücken

Stralsund von oben – Blick vom Kirchturm der Altstadt Richtung Knieperteich und Weiße Brücken

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Was ich heute vorwegnehmen und Ihnen nun zum Schluss erzählen werde, ist die Episode: Bahnfahrt nach Stralsund. Ich kann Ihnen sagen, wir haben ziemlich verblüfft geschaut!

Sie können sich denken, gerade als Reisender mit Einschränkungen durch gesundheitliche Probleme überlegt man sehr genau, wie man am bequemsten und sichersten ans Ziel und wieder heimkommt. Autofahrten sind dabei nicht unbedingt immer erste Wahl. Ratsam sind folglich Orte, die nicht zu weit entfernt liegen und welche mit der Bahn – möglichst direkt! – zu erreichen sind. Kein Umsteigen. Platzreservierung! Das ist bereits die halbe Miete.

Wir trafen letzten Monat zur Abreise ins Stralsund-Wochenende am Hamburger Hauptbahnhof ein, doch unser Zug erschien überhaupt nicht auf der Anzeigetafel. Die Nachfrage bei einem sehr brummigen, wortkargen Herrn an der Information ergab, der IC wurde erst in einer knappen Stunde erwartet. Er hatte Verspätung  „wegen Bauarbeiten auf der Strecke“.
Der Zug kommt aus dem Koblenzer Raum, fährt via Hamburg über Schwerin Richtung Stralsund und letztendlich nach Binz auf Rügen. Wenn ein IC also mit Verspätung in Hamburg eintrifft, rechnet man – korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege – damit, dass die Bauarbeiten auf dem zurückliegenden Teil der Strecke waren oder weiterhin dort stattfinden. (Behalten Sie das gern im Hinterkopf.) Die aufgedrückte Stunde Wartezeit wurde mit einem Besuch beim Bäcker und einem Pott Kaffee überbrückt. Es gibt Schlimmeres.

Für die Rückfahrt am Sonntag hatten wir eine Zugverbindung am frühen Mittag, kurz vor zwölf Uhr ab Stralsund, gebucht. Wir unkten im Hotel noch, vielleicht blüht uns wieder eine Verspätung – einfach so, auch ohne Bauarbeiten auf unserem Streckenteil. Die elektronische Anzeigetafel kurz darauf am Bahnhof schien es zu bestätigen. Wir suchten jedenfalls vergeblich nach der Nummer unseres ICs. Zum Glück ist der dortige Info-Schalter am Sonntag besetzt. Die sehr freundliche Dame vom Dienst schaute uns zerknirscht an:
„Nein, dieser Zug ist leider schon lange weg. Der fuhr heute bereits um 10.17 Uhr. Wegen Bauarbeiten auf der Strecke …“

Haben Sie so einen Fall schon einmal gehabt? Dass ein Zug in die andere Richtung vom Plan abwich und eineinhalb Stunden vorverlegt wurde? Auf die Idee bin ich überhaupt nicht gekommen!

Es wurde noch ein bisschen umständlich, denn von der Info ging es zum Service, da die Zugbindung aufgehoben werden musste. Wir wollten die Sitzplätze mit umbuchen, nur es fuhr kein weiterer IC in absehbarer Zeit. Die nächsten Möglichkeiten waren Fahrten mit der Regionalbahn, was prinzipiell kein Drama ist – solange man gesund ist. So bedeutete es umsteigen in Rostock, und es ließen sich keine Plätze reservieren. Mittlerweile hatte sich in Stralsund im Bahnhof eine Menschentraube gebildet. Alles Reisende, die ebenfalls nicht im Traum auf die Idee gekommen wären, dass die Abfahrt ihres gebuchten Zuges früher und ohne sie stattfinden würde.
In Rostock und an den darauffolgenden Haltepunkten entlang der Strecke nach Hamburg stießen immer wieder weitere Gestrandete hinzu. Kurz: Es wurde brechend voll!

Die Bahnangestellten in beiden Zügen wusste rein gar nichts von der Fahrplanänderung des ICs, waren völlig überrascht vom Andrang in der jeweiligen RB und verwiesen konsequent an die Service-Points in den größeren Bahnhöfen zur Lösung etwaiger Probleme oder Klärung von Ansprüchen. Und in lebhaften Diskussionen fielen solche Bemerkungen:
„Wir kriegen das hier doch gar nicht mit! Uns liegen keine Informationen darüber vor.“
Die Rede des Zugpersonals ging – an den Fahrgast gerichtet – weiter:
„Im Zeitalter des Internets können und müssen Sie sich als Bahnkunde doch selbst über Änderungen der Abfahrtszeiten informieren.“
Ist das nicht ein wenig merkwürdig? Da weiß bahnseitig sehr oft die linke Hand nicht, was die rechte tut, es gibt keine zentrale Info, die alle auf dem Laufenden hält, aber dem Reisenden wird zugetraut und zugemutet, dass er schlauer ist als das eigene Personal.
Ich bezweifle, dass die auffindbare Information für die Reisenden immer komplett und aktuell ist, aber ich lade mir jetzt zumindest die DB-App aufs Smartphone oder twittere den entsprechenden DB-Account im Zweifelsfall zusätzlich an. So etwas passiert mir jedenfalls nicht noch einmal.

An der eigenen Verspätung ist man – wer hätte es anders erwartet – selbst schuld, der Zug fuhr ja. Sogar eher. Also keine Entschädigung. Man kann sich allerdings die Sitzplatzreservierung anteilig erstatten lassen, weil sie auf dem Rückweg nicht in Anspruch genommen wurde. Doch dazu müsste man wieder zum Service-Point … Am Reisetag ging es nicht mehr. Fahre ich allerdings jetzt im Nachhinein separat hin, bleibt durch die dafür anfallenden Fahrtkosten nichts von der Erstattung übrig …

Nette Wiedersehen gab es dafür gratis! Die Hinfahrt von Hamburg bis Schwerin haben wir in Begleitung einer Herrentruppe verbracht. Wir hatten Plätze am Tisch und saßen mit sechs befreundeten Männern, die einmal im Jahr zusammen einen Wochenendausflug unternehmen. Jeder mit Smartphone ausgerüstet und gewiss nicht App-abstinent.
Nun, auf diesen Sechserclub trafen wir auf der Rückfahrt unvermittelt wieder. Wo? Genau, in der Regionalbahn! Dem Sammelbecken aller Liegengebliebenen. Gut, das hatten die so auch nicht vorgehabt, aber selbst sie waren uninformiert und von der viel früheren Abfahrt kalt erwischt worden.

Unter uns, ich vermute stark, dass der zeitlich vorgezogene IC an diesem Sonntagmorgen als Geisterzug durch die mecklenburg-vorpommersche Landschaft fuhr …

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Das war es für heute! Lesen wir uns demnächst wieder? Das Erscheinen weiterer Beiträge folgt momentan vielleicht noch einem ausgedünnten Blogsonderfahrplan (falls hier wieder einmal Hindernisse aufs Gleis geschmissen werden) – aber zu früh tauche ich garantiert nicht auf!

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©by Michèle Legrand, November 2019

Michèle Legrand, Blog ->Michèle. Gedanken(sprünge)

 

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„Büschen Wind“

Haben Sie das Weihnachtsfest gut verlebt? Ich hoffe, Sie hatten schöne Feiertage, solche entspannter Natur, so dass Ihnen Stress oder andere Unannehmlichkeiten weitestgehend erspart blieben.

Nachdem der Trubel vorbei und das Essen etwas gesackt ist, spräche doch nichts dagegen, sich hier erneut zusammenzufinden. Ich hätte Sie nach der vermehrten Sitzerei natürlich gern wieder zu einem Spaziergang abgeholt, doch glauben Sie mir, das Hamburger Wetter war bisher alles andere als empfehlenswert für einen Aufenthalt im Freien. Sturm, Regen und Hochwasser wurden uns um Weihnachten herum kredenzt.
Obwohl Hamburger – mit ihrem leichten Faible fürs Understatement – eher von einem büschen (bisschen) Wind und erhöhter Feuchtigkeit sprechen. Ich sage, es hat ordentlich gebrist, dazu gab es ausgiebig Sprühregen, am zweiten Feiertag abends örtlich obendrein Hagel, der Blitzeis auslöste. Nicht so fein. Genauso wenig wie umge-
stürzte Bäume und herumfliegende Gegenstände. Und dann die Elbe!
Dazu fällt mir gerade etwas ein …

Ein ehemaliger Kollege war Leiter der Speditionsabteilung meiner damaligen Firma. Er war einer dieser wetterfesten Althamburger. Jobbedingt musste er recht häufig vom Büro an der Außenalster hinüber in den Hafen zu Speditionen und anderen Betrieben, zu Lagerhallen und Schuppen oder, wenn wir Ware erwarteten bzw. verluden, auch direkt bis an die Pier zu den Containerschiffen. Ein alter Fuchs wie er war natürlich mit den Gezeiten vertraut und wusste, was Sturm an der Elbe, einem mit der rauen Nordsee verbundenen Fluss, bedeutet. So einem war klar, dass man bei Hochwasser fix aufpassen musste, wo im Hafenareal noch ein Durchkommen war und vor allem, wo man bei angesetzten Terminen vor Ort zwischenzeitlich sein Auto ab-
stellen konnte und wo tunlichst nicht.
Wer nicht gerade ein Amphibienfahrzeug besitzt, hat nämlich sonst ganz schnell das Nachsehen.

Es ging auch alles gut bis zu dem Tag, an dem er nach einem Vertragsabschluss zum Feiern mit Geschäfts-
partnern am Hafenrand, unten in Altona an der Fischauktionshalle, unterwegs war und seinen ziemlich neuen BMW dort parkte. Völlig sorglos, da sich kaum ein Lüftchen regte, geschweige denn eine Sturmflutwarnung verbreitet worden wäre.
Man feierte bei einem Essen auf Partnerseite die zu erwartenden großen Ladungsmengen bzw. auf unserer Seite vorteilhafte Sonderkonditionen für alle Frachtraten, zog spätabends zu Fuß weiter, versackte in einer Kneipe auf St. Pauli und becherte ganz erheblich – wie das seinerzeit branchenüblich war. Der Morgen dämmerte bereits, als der Kollege sich von einem Taxi nach Hause chauffieren ließ. Vernünftig nach all dem Alkoholkonsum, und das eigene Auto lässt sich schließlich auch im Tagesverlauf noch einsammeln.

Nicht so reaktionsschnell wie sonst, fiel ihm im angeduselten Zustand überhaupt nicht auf, dass über Nacht ein frisches Windchen aufgekommen war. Eines, das der Sturmflutwarndienst des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie so nicht auf dem Schirm gehabt hatte. Später hieß es, man hätte es schwächer und wesentlich weiter nordöstlich vorbeiziehend erwartet. Dieses „büschen Wind“ erreichte jedoch selbst in Stadtnähe in Böen Orkanstärke, was wiederum zur Folge hatte, dass das auflaufende Hochwasser mit Macht hereingedrückt wurde und in Altona an der Fischauktionshalle Land unter herrschte. Die Elbe trat im Schwall über die Kaimauer, noch bevor überhaupt der Höchststand der Flut erreicht worden war.

Es ist jedes Mal aufs Neue erstaunlich, wie sich Wasser seinen Weg sucht, wie schnell es sich durchfrisst, ausbreitet und dabei der Wasserspiegel innerhalb weniger Minuten massiv steigt …
Für die Fischauktionshalle selbst ist das Hochwasser kein Drama. Dort ist es bereits eingeplant. Man öffnet sogar die Tore, damit das Wasser gut wieder ablaufen kann. Aber für alles drum herum bedeutet es heute genauso wie früher: Was nicht niet- und nagelfest ist, wird getunkt, getränkt und mitgeschleift, und nicht rechtzeitig entfernte Autos in Kainähe gehen nach kurzer Zeit auf leichte Tauchstation. Heute wie damals.

Wie es mit dem Kollegen weiterging? Am nächsten Morgen vermissten die Mitarbeiter der Speditionsabteilung zunächst ihren Chef, nahmen angesichts des Vertragsabschlusses und des intensiven „Anstoßens“ jedoch an, er wäre verkatert und käme deshalb etwas später. Mittags hielt ein weißer R4 vor der Firma. Sein Sohn lieferte ihn am Büro ab.
Es stellte sich heraus, dass der Nachtschwärmer daheim im Halbschlaf das Heulen des Windes und das Rütteln an den Fenstern mitbekommen und kurz darauf im Radio von der Sturmflut bzw. der Situation im Hafen gehört hatte. In böser Vorahnung war er mit seinem Sohn als Chauffeur zur Fischauktionshalle geeilt. Wasser stand dort nicht. Nicht mehr. So schnell wie es aufläuft, läuft es häufig auch wieder ab. Allerdings stand dort auch kein Auto mehr. Kostenpflichtig abtransportiert, wie er kurz darauf von der Polizei erfuhr. Es hatte nachts eigenmächtig seine Position verändert und gefährdete den Verkehr. Die Spuren am Auto zeigten, dass das Wasser bis mindestens Oberkante Radkasten gestanden hatte und teilweise hineingelaufen war – an Stellen, die besser kein Wasser abbekommen hätten.
Inzwischen befand sich der BMW erneut auf einem Abschleppwagen und auf dem Weg zu einer Werkstatt. Die Laune seines Besitzers fiel eine ganze Weile entsprechend grottig aus. Die Stimmung besserte sich erst, als das Auto aus der Reparatur zurückkam, wieder einsatzfähig war und langsam Gras über die Sache wuchs.
Nur von Zeit zu Zeit, wenn der Abteilungschef wieder zu Terminen Richtung Hafen aufbrach, konnte es sich mancher nicht verkneifen, mit unschuldigem Blick und den Worten „Büschen windig, oder?“ alte Wunden wieder aufzureißen.

Sturmflut in Hamburg. Überflutete Bereiche im Hafengebiet. Verschwundene Straßen, einsam aus dem Wasser ragende Laternenpfähle oder die Oberkanten von Sitzbanklehnen als einzige noch herausragende Teile und sichtbare Beweise ihrer Existenz. Umgekippte Mülltonnen, herumfliegende Gegenstände, im Wasser treibende Teile. Sprühregen, den der Wind waagerecht heranpeitschen lässt. Sie haben vielleicht entsprechende Aufnahmen gesehen. Alles büschen feucht …

Im Moment wird gerade wieder diskutiert, ob zu spät vor dem Hochwasser am zweiten Feiertag gewarnt wurde, denn die Sturmflutwarnung kam erst in der Nacht, als die meisten bereits schliefen, also nichts mehr hätten in Sicherheit bringen oder eventuell zusätzlich hätten schützen können. Auf der anderen Seite kam es selbst für Spätheimkehrer nicht mehr rechtzeitig genug; sie wurden von der Heftigkeit der Sturmflut und den überfluteten Straßen größtenteils überrascht.
Zum Zeitpunkt der Nachricht und Warnung war der Höchststand jedenfalls schon fast erreicht, und der Fischmarkt optisch bereits ein Swimmingpool.

Es ist offenbar gar nicht so leicht, den richtigen Zeitpunkt für die Verbreitung einer Warnmeldung zu finden. Vor einiger Zeit wurde massiv und mit überreichlichem Vorlauf vor einer erwarteten, schweren Sturmflut gewarnt, nur trat sie später in dieser Form nicht ein. Die angekündigten Pegelstände wurden bei weitem nicht erreicht. Schon wurde gemeckert. Was die Aufregung und unnütze Panikmacherei solle.
Zu Weihnachten hingegen hatte man stürmische Winde an der Küste erwähnt und auf dadurch etwas höher ausfallendes Hochwasser hingewiesen. Nun entpuppte sich das „büschen Wind“ als mächtiger als vermutet. Sie werden es ahnen – nun wird gemosert, dass „nie“ jemand was sagt.
Und die Fachleute selbst äußern dazu, sie wollten vermeiden, zu oft und zu früh zu warnen, weil sie dadurch im Fall der Fälle keiner mehr ernst nehmen würde …
Stimmt alles, doch lieber einmal zu oft oder letztendlich unnötig gewarnt, als gar nicht und es passiert durch Unwissenheit ein Unglück. Oder wie sehen Sie die Sache?

Bei Sturm und Regen war mir nicht so sehr danach ins Hochwassergebiet zu marschieren, nur um Fotos mitzubringen. Ich habe in meinem Archiv gekramt und zeige Ihnen stattdessen, wie es an der Fischauktionshalle aussieht, wenn es trocken und sturmfrei ist. Die 120 Jahre alte Halle ist nämlich ein sehr schöner Bau, der nach der Restaurierung 1984 zu Recht unter Denkmalschutz gestellt wurde.
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Hamburg - Altona - Fischauktionshalle in der Abenddämmerung

Hamburg – Altona – Fischauktionshalle in der Abenddämmerung

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Haben Sie gesehen? Draußen vor der Halle macht gerade eine Gruppe von weißbemützten Köchen Pause, bevor die Verköstigung der Gäste drinnen weitergeht …
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Hamburg - Altona - Fischauktionshalle mit Stil an der Großen Elbstraße (Details Ziegelwand und Wandlampen)

Hamburg – Altona – Fischauktionshalle mit Stil an der Großen Elbstraße

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Hamburg - Altona - Fischauktionshalle (Detail Fenster Eingang)

Hamburg – Altona – Fischauktionshalle

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Hamburg - Altona - Fischauktionshalle - Auch von innen interessant anzusehen ...

Hamburg – Altona – Fischauktionshalle – Auch von innen interessant anzusehen …

Sie können auf den nächsten Aufnahmen erkennen, wo Autos üblicherweise geparkt werden. Hinter der Fischauktionshalle verläuft die Große Elbstraße …
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Hamburg - Altona - Große Elbstraße (Im Hintergrund die Fischauktionshalle)

Hamburg – Altona – Große Elbstraße (Im Hintergrund die Fischauktionshalle)

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… und etwas weiter rechts (Foto unten), von der Halle aus gesehen, findet am Sonntag in der Früh stets der traditionelle Altonaer Fischmarkt statt.
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Hamburg - Elbe - Anleger Altona (Fischmarkt) mit Fischauktionshalle

Hamburg – Elbe – Anleger Altona (Fischmarkt) mit Fischauktionshalle

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All diese Bereiche stehen bei Sturmflut komplett unter Wasser …

Der erwähnte Kollege hat natürlich nie wieder dort unten geparkt. Einmal Überflutung, nasser BMW und Reparaturkosten haben ihm gereicht. Geben auch Sie acht, wo Sie ihre Habseligkeiten abstellen, falls Sie einmal in Hamburg an der Elbe unterwegs sind und so ein büschen Wind weht. Auch am Elbstrand!
So wie die Flut an der Nordsee nach der Ebbe enorm schnell große und eben noch trockene Wattbereiche wieder für sich einnimmt, so macht sich hier der Fluss notfalls breit und erobert sich das Land dazu. Wasser
ist unberechenbar …

Ich schaue gerade aus dem Fenster … Ich möchte nicht euphorisch wirken, schon gar nicht zu früh, doch es scheint tatsächlich so, als würde sich das Wetter endlich bessern. Ein Spaziergang rückt somit in greifbare Nähe. Sie werden schon sehen, das wird hier alles penibel nachgeholt …

Haben Sie jedoch erst einmal eine schöne Zeit zwischen den Jahren und kommen Sie gut in das neue Jahr hinein. Wäre es nicht traumhaft, wenn 2017 positiver und friedlicher ausfallen würde als 2016?
Ach, kommen Sie, träumen und hoffen darf man doch …

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© by Michèle Legrand, Dezember 2016
Michèle Legrand ©Foto Andreas Grav (Ausschnitt)

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Freddy mit der Mütze …

Ich weiß, ich fragte mich, ob er wohl immer noch das sehr volle, dunkle Haar hätte … Nur Freddy Quinn
trug eine dieser schwarzen, grobgestrickten, zipfellosen Wollmützen. Tief in die Stirn gezogen und bis
über eventuell vorhandene Koteletten. Kein Wunder, das Wetter präsentierte sich äußerst grottig;
kühl, nass und trüb.
Der Dunst hing tief über der Außenalster, doch wir saßen unverdrossen auf einer der Bänke am Ufer.
Er hatte die Hände in den Taschen seines Mantels vergraben, die Beine weit von sich gestreckt, dabei
die Füße überkreuzt und erzählte schmunzelnd von einer Ruderregatta.
Ein Kind in bunten Gummistiefeln rannte auf dem angrenzenden Spazierweg durch eine Pfütze.
Immer wieder. Hin und her. Hin und her …
Aus einem der nahen Bäume drang der Lärm gleich mehrerer echauffierter Krähen und unterbrach Freddys Erzählfluss. Sein Blick ging hoch ins Geäst. Als er die Radaubrüder entdeckt hatte, krächzte er zurück, als spräche er ihre Sprache. Er kehrte wieder zu seinen Regattaerinnerungen zurück, während ich auf der gro-
ßen Wiese rechts das Dromedar wahrnahm, das feuchtes Gras kaute. Unentwegt.
Wir starrten uns ein Weilchen an, bis … Moment!

Ein Dromedar? Frei? In Hamburg …? Und wieso Freddy Quinn … mit mir …?
Mir kam das mehr als verdächtig vor. Aus gutem Grund!

Sie ahnen es vermutlich – alles nur geträumt. Mir selbst wird das meist in eben solchem Moment klar, in
dem sich komplett Unlogisches hineinmogelt. Mitten im Schlaf kommt die Erkenntnis! Nicht real! Traum!
Die Reaktion lässt nicht lange auf sich warten.
Ist der Traum absurd und völlig überflüssig, unterbreche ich das Geschehen, wofür oftmals nicht einmal komplettes Aufwachen nötig ist. Während des Schlafens verblasst das Bild oder die Handlung endet einfach. Schlagartig. Auch das kommt vor.
Sind die im Schlaf hochkommenden Bilder jedoch spannend und höchst willkommen, tauchen Personen in diesem nächtlichen Film auf, an denen mir liegt, die ich unbedingt sehen und hören möchte – im realen Leben sind sie womöglich bereits verstorben – und wird mir in dem Fall bewusst, dass nur ein Traum läuft (Klaus lebt doch gar nicht mehr …?), liegt mir unheimlich viel daran, dass er jetzt bloß nicht endet!
Nein! Nicht aufwachen! Lass die Bilder nicht verschwinden …
Nun ja, in dieser Hinsicht ist wohl kräftiges Üben angesagt, denn die Handlung zuverlässig fortlaufen zu lassen gelingt mir nicht, es lässt sich zumindest nicht lange durchhalten. Irgendwie scheint gerade dieser sehnliche Wunsch, die Dringlichkeit dahinter, den Plan regelrecht zu durchkreuzen.

Speziell diese sehr merkwürdigen Dinge – warum träumt der Mensch bloß derartige Ungereimtheiten?
Von Plätzen, an denen er nicht war, Menschen, die er gar nicht kennt …? Lassen Sie es uns nicht wissen-
schaftlich zu erklären versuchen oder professionelle Traumdeutung heranziehen – lassen Sie uns einfach nur herumunken und spekulieren.
Erinnern Sie sich noch an etwas, was ich Ihnen in ganz frühen Zeiten dieses Blogs anvertraut habe? Ich nahm damals an (ebenso munter-spekulativ gemeint), dass Träume offensichtlich hin und wieder schwer fehlgeleitet werden. Das bedeutet, Sie bekommen höchstwahrscheinlich gelegentlich Träume eingespeist, die eigentlich für jemand anderen gedacht sind. Genauso umgekehrt. Jemand erhält die für Sie gedachte Story.
Das Durcheinander bei den Inhalten und entsprechend mangelndes Verständnis können Sie sich vorstellen.

Einmal hatte ich nächtens das Vergnügen, in einer Oase zu sitzen. Dort war kein Dromedar, allerdings traf ich in der Wüste auf meine ehemalige Französischlehrerin, die ernst und mit Hingabe auf einer großen Harfe spielte. Wer sie kennt bzw. kannte, weiß, wie unwahrscheinlich dieses Szenario ist! Erklär mir einer so etwas …
Hatte ich die neun Ameisenhaufen am Strand schon erwähnt? In dem Traum spielten auch Richard von Weizsäcker und ein schwarzes Taxi eine wichtige Rolle. Oder die Sache mit dem russischen Briefträger und seiner Trillerpfeife?
War das etwa einer Ihrer Träume? Geklaut und zu mir umgeleitet? Können Sie vielleicht etwas damit anfangen?

Was halten Sie von dem Vorschlag, dass Sie mir einfach erzählen, was Ihnen traumbezogen bisher fehlt oder was nicht mehr vorkommt, schlicht abhanden gekommen zu sein scheint. Wenn ich merke, dass so etwas irrtümlich bei mir landet, dirigiere ich es selbstverständlich sofort zu Ihnen um.

Mehr wollte ich Ihnen gar nicht erzählen, ich habe noch zu tun.
Halt! Gerade fällt mir noch etwas ein!
Die merkwürdigen Träume haben hin und wieder so ihre kleinen Auswirkungen auf das nachfolgende Verhalten im Wachzustand. Seit dem Freddy-Traum gestern ertappe ich mich z. B. dabei, dass ich ständig „Hundert Mann und ein Befehl“ singe. Das legt sich hoffentlich in ein oder zwei Tagen wieder.
Mittlerweile habe ich sogar herausgefunden, wann und wodurch diese sonderbaren Träume ausgelöst werden. Es hat nichts mit gerade vorher Erlebtem zu tun.
Es passiert zuverlässig, wenn es mir im Schlafzimmer im Laufe der Nacht zu kalt wird, ich deshalb gegen Morgen doch den Thermostat der Heizung aufdrehe, das Frösteln nachlässt und ich zu dieser Zeit noch einmal einschlafe. Das ist der Startschuss für reichlich phantasievolle bis wirre Träume!
In meinen Augen ist die Ursache ein kräftig losbollernder Heizkörper, der während des Morgenschlafs für mollige Temperaturen sorgt. Und nur morgens funktioniert es!
Dadurch, dass Sie nach einem dieser Träume tageszeitbedingt meist endgültig aufwachen, bleibt der Inhalt sogar noch ein Weilchen im Gedächtnis haften, was ja sonst nicht immer der Fall ist.
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Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende! Und träumen Sie etwas Nettes!

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© by Michèle Legrand, Oktober 2016
Michèle Legrand

 

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Der Verband …

Sind Sie eigentlich mehr ein mitfühlender Mensch oder eher der etwas schadenfrohe Typ?
Tatsächlich? Immer lieb und verständnisvoll?
Wie sieht es aus mit gelegentlich nur schwer unterdrücktem Grinsen?
So ein klein wenig? Nein? Nie …?
Falls Sie sich und Ihr Verhalten nicht genau einschätzen können und Unsicherheit bezüglich des Typs
herrscht, dürfen Sie Ihre spontane Reaktion auf eine Begebenheit gleich hier testen.

Sie saßen gestern mit mir in der U-Bahn. Eine jüngere Mutter neben mir auf der Zweiersitzbank,
gegenüber auf den beiden Plätzen hatten die Tochter und der Vater des Kindes Platz genommen.

„Kann ich mal die Tüte haben?“, fragte die ca. Sechsjährige.
„Welche denn?“, wollte meine Sitznachbarin wissen.
Die, wo die Pferde drin sind“, sagte die Kleine.
Ihre Mutter suchte in den diversen Taschen, nahm schließlich aus einem der Beutel eine noch original
verpackte Bettwäschegarnitur und reichte sie hinüber. Leuchtende Augen! Pferdebettwäsche! Der Traum
vieler weiblicher Wesen – zumindest in einem bestimmten Alter. Sie strich liebevoll mit den Fingern über
die durchsichtige Plastikfolie und schmachtete den darunter zu sehenden Pferdekopf an. Rundlich und freundlich wirkte er. Ein sehr sanfter Blick gehörte dazu. Die wuschelige Mähne hing in langen Fransen bis
über die dunklen Kulleraugen. Ein Pferdefan findet das ja ungemein attraktiv.
„Mama, kann ich das aufmachen?“
„Warte doch bis wir zu Hause sind, Jasmin.“
„Och, nöö … Kann ich nicht ein bisschen …? Ich will nur das Pferd fühlen.“
Das Pferd? Nun, ein Pferd auf Stoff schien auf jeden Fall „echter“ und somit fühlbarer zu sein als eines unter Plastikfolie.
„Also gut“, gab ihre Mutter nach, „du kannst zum Reingreifen die Packung oben öffnen. Siehst du, hier …
Aber nichts rausziehen!“

„Okay.“
Das Kind war beschäftigt, die Eltern bald in eine rege Unterhaltung verwickelt. Die Packung hatte oben als Verschluss eine überlappende und an der Packungsrückseite anhaftende Plastiklasche, die zusätzlich über die gesamte Breite noch mit einem Tesafilmstreifen gesichert war. Die Kleine hielt das nicht auf. Sie pulte geduldig den Anfang des Streifens los und zog ihn danach komplett ab, ohne dass sich das Ding verzwirbelte oder an ihr haften blieb. Sie nahm rechtzeitig die zweite Hand zur Hilfe und hielt den Streifen nun – straff gespannt – links und rechts jeweils an den Enden fest.
„Mama …?“
Loswerden wollte sie den Klebestreifen natürlich schon irgendwie. So konnte sie ihr Pferd nämlich nicht befühlen. Mama war jedoch in ihr eigenes Gespräch vertieft und bekam nichts mit. Hörte der Vater vielleicht besser?
„Papa, du …?“
Der war offensichtlich ebenso gefangen von der gemeinsamen Unterhaltung mit seiner Frau.
„Papa …, soll ich dir einen Verband machen?“
Es schien sich mehr um einen Automatismus zu handeln, dass sein Kopf sich bewegte und er zustimmend nickte. Seine Tochter wickelte daraufhin das klebrige Ding mit Geschick und Hingabe rund um seinen Arm, irgendwo auf halber Höhe zwischen Ellenbogen und der Armbanduhr. Der neue Verband lag eng an. Sie
drückte den Streifen ringsherum noch zusätzlich ein bisschen fest. Bildschön war es geworden …
„Mama, Papa, guckt mal …!“
„Toll, Jasmin“, erwiderte Mama. Nur schaute sie zu diesem Zeitpunkt gar nicht bewusst hin.

Die Kleine widmete sich nun zufrieden dem Pferd auf dem Stoff und wieherte ab und zu fröhlich vor sich hin.
Drei Stationen später ging es für die Familie ans Aussteigen.
„Jasmin, gibst du mir bitte die Bettwäsche wieder. Ich muss sie jetzt wegstecken.“
Beim Versuch, die Verpackung zu verschließen, fluppte die Lasche prompt wieder hoch.
„War da nicht noch etwas zum Zukleben?“, erkundigte sich Jasmins Mama.
„Das hat Papa doch jetzt als Verband!“, meinte Töchterlein daraufhin sehr stolz.
Zwei Elternaugenpaare richteten sich auf besagten Verband.

Und dann hätten Sie das Entsetzen sehen sollen, als der Vater bemerkte, dass sein stark behaarter Unterarm äußerst sorgsam umklebt worden war! Offenbar kamen alte Erinnerungen an schmerzvolle Pflasterent-
fernungen oder eventuell sogar an tatsächlich erlittene Enthaarungsdramen unvermittelt wieder hoch …
Er fluchte los, bekam sich wieder unter Kontrolle und zupfte schließlich äußerst zaghaft an einem Ende des Klebestreifens. Ihm fehlte der Mut, diese Fummelaktion fortzusetzen – ganz zu schweigen vom Mumm, den Streifen einfach beherzt herunterzureißen!
Jasmin verstand die ganze Aufregung natürlich überhaupt nicht, die Mutter wiederum verkniff sich krampfhaft ein Lachen. Sie kämpfte vorbildlich um ihre Beherrschung, was ihr auch auf bewundernswerte Weise bereits nach Sekunden gelang.  Sie schaffte es daraufhin sogar, ihren Mann mit der Aussicht auf ein daheim durch vorheriges Einweichen schmerzfreies Abnehmen seines Verbandes“ zu beruhigen.
Ja, ja, die kleine Dramen des Alltags …

Wie fiel denn nun Ihre spontane Reaktion aus? Kam Mitleid mit dem Manne auf? Nein, oder? Mitleid bringt auch nichts. Aber vielleicht ein Quäntchen Mitgefühl? Und trotzdem dieser Anflug eines leichten Grinsens? Nebst einer Prise Erleichterung, dass es jemand anderen traf? Na, nun rücken Sie schon damit heraus …

Was der Test bei mir ergab? In dieser Situation zumindest war ich eindeutig ein Mischtyp …

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© by Michèle Legrand, August 2016
Michèle Legrand - Michèle. Gedanken(sprünge) @wordpress.com

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Griseldis

Sie sind flexibel, oder? Für große Touren, neue Fotos oder auch Recherche war die letzte Woche nicht gemacht. Ja, ja, die Zeit. Ewig das Dilemma mit ihrer häufig knappen Verfügbarkeit.
Ich hätte allerdings heute alternativ Griseldis für Sie.

Bus, U-Bahn, Zug. Grundsätzlich bin ich für Lesestoff zur Überbrückung der Fahrzeit überaus empfänglich, doch hin und wieder verleiten reizvolle Gespräche der anderen Fahrgäste zum Aufhorchen. Dann bleibt das Buch in der Tasche, bestenfalls zücke ich irgendwann kurz meinen Notizblock und hinterlasse eine Handvoll Stenokürzel. Als Gedankenstütze, weil mir klar ist, irgendwann erzähle ich Ihnen sicherlich davon.

Letzten Monat während einer U-Bahn-Fahrt geschah es. Ausgesprochen ins Detail gehen die vorhandenen Notizen nicht, und so muss ich diesmal recht frei erzählen, mir ist nicht mehr jede Einzelheit des Dialogs im Gedächtnis.
An dem Tag saßen mit mir im Waggon in Blicknähe bzw. Hörweite eine kleine, alte Dame und eine junge, schwangere Frau. Wenn es nicht so blöd klingen würde, hätte ich fast gesagt, sie befanden sich eine Armlänge entfernt, doch diesen Begriff vermeide ich seit einiger Zeit wie die Pest …

Die werdende Mutter strich sich mit der Hand sanft über den schon deutlich gerundeten Bauch. Plötzlich zuckte sie heftig zusammen und verzog ihr Gesicht:
„Autsch! Jetzt geht das wieder los!“
Sie massierte seitlich eine Stelle unterhalb des Rippenbogens, im Bereich zwischen Niere und Milz.
„Tritt sie wieder?“, fragte die grauhaarige Dame an ihrer Seite.
„Und wie!“, stöhnte die junge Frau, „wüsste ich nicht, dass es ein Mädchen wird, würde ich sagen, ich brüte einen Fußballer aus.“ Sie behielt ihre Hand vorsorglich weiterhin an der bewussten Stelle. „Obwohl – Mädchen spielen ja auch …“
„Na, bald hast du es geschafft. Dann ist wieder mehr Platz im Bauch.“
„Hoffentlich kommt sie pünktlich und nicht erst nach dem Termin!“ Eine kleine Pause entstand. „Ach, Oma, Mama meint ja, so pflegeleicht wie im Bauch wird’s mit dem Baby nie wieder.“
Die Oma nickte. „Stimmt. Es wird auch nie wieder so leise.“
„Du machst mir ja echt Mut!“, erwiderte ihre Enkelin.
„Sag mal, habt ihr euch denn nun schon für einen Namen entschieden?“
„Gerrit findet Josie schön. Ich aber nicht so.“
„Und was ist dein Favorit, Kind?“
„Ich würde sie Stine nennen.“
Stine?“
„Ja, Oma, gefällt es dir nicht?“
„Doch …, schon … So rundherum begeistert wirkte sie nicht.
„Jetzt sag nicht, du würdest Josie nehmen!“
„Na ja, ob jetzt Stine oder Josie …, ach, ihr müsst selbst wissen, welcher Name zu eurer Tochter passt.“
„Das sieht man vielleicht erst, wenn sie da ist, Oma, oder?“
„Könnte sein, ich stelle mir jedenfalls ein hellblondes Kind mit dem Namen Carmen eigenartig vor. Ist aber nur meine Meinung! Ein Gefühl! Carmen verbinde ich mit Flamenco, Spanien, dunkleren Typen.“
„Sie soll ja nicht Carmen heißen.“
„Das weiß ich doch, Liebes, es war doch nur ein Beispiel!“
Eine Minute herrschte Schweigen, dann hakte die Enkelin nach:
„Welchen Namen würdest du denn vorschlagen?“
„Ich?
„Ja, du.“
„Griseldis.“
„Griseldis? Oma! Das ist so was von alt und unmodern!“
Stine nicht?“
„Stine heißt man heute doch auch! Wo hast du denn den Namen Griseldis überhaupt her?“
Die alte Dame stockte einen kurzen Moment, doch dann verriet sie:
„Ach, so hieß die Heldin eines Romans, den ich in jungen Jahren gelesen habe.“
„Und was hat die Heldin gemacht?“, erkundigte sich die Schwangere, „Kissen bestickt?“
Die Großmutter lachte herzerfrischend auf.
„Ja, das auch! Nein, ich weiß es gar nicht mehr so ganz genau, ich meine, sie war in einem hochherrschaftlichen Haus als Gouvernante eines kleinen Mädchens angestellt. Griseldis – bildhübsch, intelligent, adlig, aber total verarmt. Sie musste also arbeiten. Und damit das alles nicht so tutig rüberkam, gab es noch etwas Krimihandlung dazu.
Die junge, rechtschaffene Gouvernante verliebt sich in den attraktiven, aber traurigen Schlossherrn. Der steht dummerweise unter Mordverdacht. Der Graf soll seine Frau umgebracht haben. Weil man ihm das allerdings nicht beweisen kann, ist er weiterhin frei! Aber diese Schmach! Du verstehst? Zweifel, Ungewissheit! Schwere Schuld! Aber seine? Dem Glück sind jedenfalls viele Steine in den Weg gelegt.
Obendrein gab es eine weitere Verwandte, die schwer hinter ihm her war, nur die war natürlich die Ultraböse. Sie war eine Gefahr für alle, doch ehe die das mal gemerkt haben! Das dauerte eine Weile! Die kleine Tochter des Witwers mag natürlich nur die nette Griseldis und nicht diese gern auch schleimende Hexe, die um die Gunst ihres Vaters buhlt. Die Zuneigung der Kleinen zu ihrer jungen Betreuerin schürt bei der Rivalin zusätzlich Hass und steigert die Eifersucht.
Zu guter Letzt findet Griseldis heraus, dass die andere Frau und nicht etwa der edle Graf für den Tod der ersten Gräfin zuständig war. Selbstverständlich gerät sie durch ihre Nachforschungen noch einmal in allerhöchste Not! Im letzten Moment wird sie gerettet! Ende gut, alles gut.
Frag mich nicht, was mit der Bösen passierte. Knast, Selbstmord, Exil … Ich habe keine Ahnung mehr!“

Die Enkelin hatte sehr gefesselt gelauscht. Doch dann brach es aus ihr heraus:
„Oma! Eine adlige Gouvernante! Gou-ver-nan-te! Auch die sind ausgestorben!“
„Ja, und?
„Ich meine ja nur. Also ein Baby von heute, mit dem Hang zum Fußball und dann …Griseldis? Ich weiß nicht. Wenn ich den Namen höre, stelle ich mir jetzt automatisch immer die zarte, verarmte Gouvernante vor.“
„Ich finde den Namen sehr schön. Fand ich schon immer. Und so heißt nicht jeder.“, beharrte die alte Dame.
„Oma, wenn dir der Name schon damals so gefiel, warum hast du denn dann Mama nicht Griseldis genannt?“
„Ach, Kind, du weißt, dein Opa ist ein sehr durchsetzungsfreudiger Mensch …“
„Er mochte ihn also nicht?“
„Nicht genug. Und wir haben uns ja auf einen anderen einigen können – nach einigem Hin und Her.“ Sie schaute der jungen Frau auf einmal betont harmlos ins Gesicht und säuselte: „Na ja, ich hatte ja immer die Hoffnung, dass wenigstens mal meine Enkelin …“
„Hör auf, Oma! Du kriegst mich nicht weich.“
Und von da an wurde um das heikle Thema Namensgebung ein großer Bogen gemacht …

Nun bin ich gespannt, ob ich die Damen vielleicht einmal wiedertreffe, wenn der Nachwuchs auf der Welt ist. Dann hake ich nach und frage, wie das Baby heißt.
(„Sie heißt Griseldis? – Bitte? – Sogar mehrere Namen? Nein, tatsächlich? Und welche …?
Ah, Griseldis Josie Stine …“)

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Haben Sie ein sonniges Wochenende! Bis demnächst!
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© by Michèle Legrand, März 2016
Michèle Legrand - freie Autorin - Michèle. Gedanken(sprünge) @wordpress.com

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Jules Pedo, mein neuer Begleiter

Seit einigen Tagen begleitet mich Jules. Ständig! Normalerweise bin ich kein Freund von oberanhänglichen, ununterbrochen Anwesenden. Einen Dauermitläufer? Einen hartnäckigen Schatten? Bloß nicht! „Le Pedo“ stellt die Ausnahme dar. Tja, nun klebt er förmlich an mir – mal schauen, wie wir langfristig miteinander klarkommen.
Warum ich ihn freiwillig akzeptiere, ihn mir sogar gewünscht habe? Das werde ich Ihnen gerne verraten. Es hat ein wenig mit eigener Überlistung zu tun.

Man redet sich sehr häufig etwas schön. Das Verhalten, Pflichten, Aufgaben und Tätigkeiten zum Beispiel. Kennen Sie, oder? Hausarbeit erledigen, Steuererklärung machen, Diät durchziehen, Rauchen aufgeben, Sport treiben, auf Alkohol verzichten, mehr Obst und Gemüse essen … „Ach, geht schon.“ – „Ist doch … toll!“ – „Der/die hat’s auch geschafft.“ – „Wird schon nicht so lange dauern.“ – „Und es ist ja so gesund!“

Das Ulkige ist, es ist dennoch relativ selten das anstehende Ungeliebte, das auf diese Art erträglicher werden soll und damit leichter zu wuppen wäre. Nein, man schönt häufig eher das bisherige, das etwas unzulängliche eigene Verhalten. Auf diese Art verbessert sich sofort – zumindest verbal und gefühlt – sowohl die aktuelle Situation als auch jegliches Tun, das anstelle des doch wohl besser angepeilten Erforderlichen weiterhin erfolgt!
Psychologie vermutlich. So herum wirkt es gefälliger, harmloser. Anders, als würden Sie protestieren und gegen im Grunde Gutes (nur eben Ihnen etwas Abforderndes) aufmucken und es lautstark miesmachen.
Das funktioniert nicht sonderlich gut, weil es von der Logik her nicht zusammenpasst. Auf etwas, das in aller Augen erstrebenswert scheint, dürfen Sie einfach nicht herumknüppeln. Es löst augenblicklich Proteste und Diskussionen aus.

Mit dem Schönreden nur des Gegenwärtigen, aber nicht des Zukünftigen, nähern sich gutes und schlechtes Tun oder vorteilhaftes und unvorteilhaftes Verhalten in der Wahrnehmung einfach ein wenig an. Schlecht mutiert zu halb gut, gut hingegen verliert Punkte und ist nur noch mittel berauschend.
Das eine Verhalten wirkt nun nicht mehr wie Unvernunft, Unterlassung oder gar Blödheit, sondern es bekommt den Charakter einer akzeptablen kleinen Schwäche, die ohnehin (so gibt man es vor) nur temporär auftritt.
Und das andere, das eigentlich erstrebenswerte Handeln? Geht es völlig unter?
Nein, die Dringlichkeit wird vorerst zurückgestuft. Es hat absolut keine Priorität. Mit anderen Worten: Die eigene Schwachheit wird toleriert, doch durch ein bisschen Dekoration kaschiert. Durch das Schönreden.
Sich zu bessern wird selbstverständlich nicht komplett in Frage gestellt, aber der Mensch muss ja jetzt nicht mit Siebenmeilenstiefeln darauf zustürmen. Sonst soll man doch auch immer noch einmal eine Nacht darüber schlafen … (Schon wieder Ausreden. Die nächste Schönrederei.)

Wie Schönreden konkret vonstatten geht, macht das Beispiel Stubenhockerdasein respektive Bewegungs- muffeligkeit deutlich. Ich gestehe, davon war ich zuletzt betroffen. Nehmen Sie bitte folgende Beschreibung nicht komplett wörtlich, es geht mir mehr um das Prinzip. Ich überziehe bewusst, damit die Masche besser hervortritt.
Schauen Sie, ehrlich und ohne Verschönerung hieße es: „Ich bewege mich zu wenig. Jedenfalls im Winterhalbjahr. Das ist ungesund. Ich bin zu lang drinnen. Ich sitze durch die Arbeit zu lang am Laptop und brauche Ausgleich. Ich muss hinausgehen! Häufiger und länger!“
Das ist klar und nicht misszudeuten. Doch was läuft ab?

Couchhockerei und fehlende Bewegung an frischer Luft werden zunächst mit dem Hinweis auf ungünstige Jahreszeit, denkbar schlechtes Wetter, Ausrutschrisiko und frühe Dunkelheit erklärt, dann folgt die Erwähnung der wirklich dummen, dummen Erkältungsgefahr, im nächsten Schritt wird Zeitmangel beklagt und überhaupt das ganze Ausmaß des aktuellen Bewegungsmangels drastisch verharmlost. Die beschwichtigende Ergänzung lautet, dass sich das ja alles sowieso demnächst wieder ändert. Zum Besseren wendet. Wenn es erst einmal Frühling ist, d. h. natürlich nur, wenn es dann auch wärmer wird. Und trocken müsste es sein. Aber dann. Sobald …
Egal, jedenfalls demnächst. Demnächst?
„Morgen ist der Tag, an dem die meisten Diäten beginnen“. Sie kennen den weisen Spruch? Sie können ihn getrost ebenso auf den Vorsatz sich mehr zu bewegen anwenden. Der Mensch ist Meister im Herausschieben von ihm unangenehmen, lästigen, ihn anstrengenden Dingen. Einmal eingefahrene, bequeme Gewohnheiten gibt er nur ganz schlecht wieder auf. Dazu muss – je nach Naturell – erhebliches Geschütz aufgefahren werden!

Doch kehren wir einen kleinen Schritt zurück. Der Punkt zur Umstellungsbereitschaft ist noch nicht erreicht, der Änderungswille nicht ausgeprägt genug. Das bisherige Arrangement, Taktik, Verschleierung und auch die Rechtfertigung, funktionieren schließlich eine Weile relativ gut. Und wenn die mehrfach heruntergeleierten Phrasen tatsächlich eines Tages weder auf andere noch auf einen selbst mehr überzeugend wirken, setzt der Mensch, das schwache, aber findige Wesen, halt eins drauf. Variiert seine Begründungen, baut phantasievoll aus. Bastelt keine Standard- sondern Luxusausreden.
Aufpassen muss man eigentlich nur, dass gemachte Aussagen vage bleiben. Warum? Sie wollen doch wohl nicht festgenagelt werden! Bloß keine verbindlichen Zusagen! Keine Zahlen, keine Daten!
Gummibandangaben. Dehnbar …
Eine richtiggehende Untermauerungs- und Verteidigungsstrategie kommt dann zur Anwendung, wenn Sie – sofern Sie ein Bewegungsmuffel sind – von Zeit zu Zeit mitleidheischend einwerfen, dass Sie heute doch gerade so viel zu tun hatten und immer etwas dazwischen kam. Das enthebt Sie jeder Schuld und Eigenverantwortung. Sonst hätten Sie selbstverständlich schon längst begonnen …!
Sie können auch beleidigte Leberwurst spielen, sobald Sie jemand auf das Thema Bewegung anspricht und mindestens ebenso eingeschnappt betonen, Sie hätten heute die Treppe genommen. Die Treppe!
Oder Sie humpeln demonstrativ ein paar Schritte und verleihen Ihrem Gesicht eine schmerzverzerrte Note. (Mit dem Knie können Sie jetzt echt nicht …)

Meinen Sie, ich hätte das volle Programm durchgezogen, um mich vor Bewegung zu drücken? Nein, denn dreiviertel dieses ganzen Theaters wäre mir viel zu blöd und zu peinlich. Aber mir ist das alles schon oft begegnet, und so befürchtete ich einfach, es käme vielleicht irgendwann auch bei mir dazu.
Vielleicht würde ich auch so abgebrüht! Im Erfinden, im Vermeiden.
Es muss nicht so passieren, es ist typabhängig. Doch selbst wenn man die einzige Person ist, der man etwas vorspielt – das geht alles nur eine Weile. Sie kennen sich ja und riechen den Braten. Es geht genau so lange, bis der Punkt erreicht ist, an dem Ihre Unzufriedenheit mit sich selbst über ein erträgliches Maß hinauswächst. Irgendwann kommt der Moment, da gehen Sie sich selbst so massiv auf den Zeiger, dass Sie Ihre Ausreden nicht mehr ertragen können. Inzwischen – meist zeitgleich – fühlen Sie sich durch den Bewegungsmangel wirklich unwohl. Die Konsequenzen machen Sie mürbe. Konditionsdefizite, schnelleres Frieren, höhere Tendenz zu Kopfschmerzen, schrumpfende Muskeln, schlaffere Glieder, schwere Beine, schlechterer Schlaf, gesunkener Antrieb. Das einzige, was langsam aber sicher wächst, ist das Gewicht. Sitzpölsterchern. Speckröllchenansatz.
Schluss! Ende! Aus!
Mehr Bewegung!
Selbstverständlich sind am Anfang immer die besten Vorsätze da. Nach der Überwindung gilt es allerdings, die Motivation aufrecht zu erhalten, den nötigen Durchhaltewillen zu zeigen! Das Bewegungsprogramm klaut Ihnen Zeit. Täglich ein bestimmtes Pensum zu absolvieren, gestaltet sich schwieriger als gedacht. Was die Leistung angeht, verschätzen Sie sich großzügig. Klar, zu Ihren Gunsten.
Unversehens schleicht sich das Schönreden wieder ein. Sie haben noch gar nicht viel gemacht, meinen aber, dass es heute „doch mal reicht“.  Am nächsten Tag gehen Sie unbekümmert vom abgesackten Bewegungslevel des Vortages aus, so dass der Einsatz kontinuierlich wieder abnimmt. Am darauffolgenden Tag fällt der Entschluss, alles auf das Wochenende zu verschieben, aber da stehen – leider, leider, kann man echt nichts machen  – auf einmal andere Sachen an. Der Elan verfliegt, der Effekt ist gleich Null.

Wenn ich wieder einen Blick zurück auf meine Ausgangslage werfe, so stellte ich fest, dass ich irgendwie keinen vertrauenswürdigen Überblick über das Ausmaß der zustande gekommenen täglichen Bewegung hatte, aber es mir immer schien, als wäre es zu wenig an körperlicher Betätigung.
Gleichzeitig habe ich mich damit beruhigt, dass im Sommer wieder die Gartenarbeit wartet, momentan mein Stepptanz (nur an einem Abend pro Woche) etwas dazu beitragen würde und zusätzlich doch immer einiges an Fußwegen zusammenkäme. Aber in einem ausreichenden Maße?
Wer sollte darüber neutral urteilen, und wer würde antreiben, wenn es zu wenig war?

Das war und ist doch generell der große Haken an der ganzen Sache!
Man braucht feste Vorgaben und eine Kontrolle, aber auch einen Anreiz und eine Art Belohnung! So wie ein Fixtermin (eine ablaufende Frist) oft hilfreich ist, dass Artikel, Angebotserstellungen oder sonst etwas endlich vollendet werden, so wie einzuhaltende Werte und anstehende Labortests beim Arzt einen Patienten dazu veranlassen, sich gesünder und bewusster zu ernähren.

Und hier kommt Jules Pedo ins Spiel!
Er übernimmt die Funktion, die früher das schlechte Gewissen in der Lenor-Werbung hatte. Er ist diese geisterhafte Erscheinung, die sich immer von der Seite heranschleicht. Jules spricht zwar nicht, scheint jedoch permanent über die Schulter zu blicken. Es ist ein kleines, am Körper getragenes Gerät, das kontrolliert. Es zählt sämtliche Schritte, die ich am Tag mache. (Mir ist so ein separater Minizähler lieber als eine Handy-App, bei der ich womöglich online persönliche Werte eingeben muss.)
Jules ist unbestechlich und das, was er im Display anzeigt, gibt Aufschluss darüber, ob mein heutiges Pensum, mein Soll, erfüllt ist oder nicht. Keine Diskussion, keine Ausreden.
Es reicht nicht immer! Mehrmals musste ich dafür am Abend noch zusätzlich durchs Haus hechten, Treppen auf- und absteigen oder auf meinem Stepper trainieren.
Es gibt andererseits ebenso kleine Glücksmomente! Gelegentlich erscheint plötzlich eine unerwartet hohe Zahl. Da Jules sich nicht zu meinen Gunsten verzählt, muss es stimmen. Dann waren Aufwand und Anstrengung zuvor völlig unbemerkt geblieben, was natürlich klasse ist.
Mir macht die Bewegung so definitiv mehr Spaß, es geht mir bereits jetzt schon besser, und es spornt natürlich an, seinen Bestwert immer mal wieder ein bisschen zu steigern. Ich werde also meine Erkundungstouren fortsetzen, ihn mit Vorliebe dort anstecken, denn dabei hat mein „pedomètre“ ordentlich zu tun! Wenn Sie irgendwann einmal eine ominöse fünfstellige Zahl am Ende eines Blogtexts finden, dann könnte es sich um das Schrittergebnis der vorangegangenen Tour handeln.

Ich habe gerade einen Seitenblick auf Jules geworfen. Mir fehlen heute nur noch 200 Schritte. Das ist ein Klacks. Die spaziere ich nebenher beim Geschirr abtrocknen, oder ich übe Steppschritte während des Zähneputzens.

Aber wissen Sie, so schön diese Kontrollanzeige für Schritte ist, über eines bin ich erleichtert: Ich bin sehr froh, dass Jules lediglich die Bewegung über die Schrittanzahl erfasst und nicht synchron permanent auch noch Kalorien zählt. Gestern erhielt ich zum Kaffee netterweise völlig unaufgefordert Gratisproben dreier Eissorten. Saisonale Spezialitäten. Rhabarberquark mit Waldfrüchten, Mokka-Feige und Mandel-Zimt! Sehr lecker!
Was hätte es mich genervt, wenn so ein Toni Controletti mir dann durch in den Mund Zählerei den Genuss vermiest hätte!

Eisproben bei Giovanni L. - Spezialitäten der Saison

Ich wünsche Ihnen einen schönen und sonnigen Sonntag!

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© by Michèle Legrand, Februar 2016
Michèle Legrand - freie Autorin - ©Fotograf Andreas Grav

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Neid, reife Mütter, Heino, Lärmschutz und die #53

Es führt kein Weg daran vorbei, ich muss Ihnen diese Woche das kredenzen, was sich nebenher ergeben hat. Dazu, Größeres zu unternehmen, bin ich nämlich gar nicht gekommen. Tragisch würde ich diesen Umstand jetzt nicht nennen. Plaudern wir heute eben lediglich kurz, und Sie haben auf diese Art endlich einmal mehr Zeit vom Sonntag übrig als sonst nach der Bloglektüre.
Der Titel enthält übrigens so ziemlich sämtliche Ingredienzien des heutigen Eintrags, die Sie beim Lesen – falls der kleine Kontrollfreak in Ihnen durchkommt – checken und abhaken dürfen.

Verraten Sie es mir auf keinen – hören Sie, keinen! – Fall, falls bei Ihnen schon wieder oder immer noch die Sonne scheint und der Himmel vor Blau nur so strotzt! Das ist alles sehr schön für Sie, aber bei mir kommt so langsam Neid auf. Ich laufe schon grünlich an. Was auch durch Moosansatz verursacht sein könnte.
Feuchtigkeit aus allen Richtungen. Der Norden ist dermaßen gebeutelt!
Seit gefühlt ewigen Zeiten wird es im Grunde maximal an einem Tag der Woche für zwei, drei Stunden etwas heller, ansonsten herrscht absolutes Einheitsgrau. Gestern gab es zur Krönung stundenlang Regen und heftige Windböen gratis dazu.
Der Gedanke an Umzug oder Auswanderung liegt mir inzwischen gar nicht mehr fern, was allerdings absolut dagegen spricht, ist die Tatsache, dass meine echt sympathische Familie samt meiner fast noch nagelneuen, äußerst umwerfenden Enkelin hier wunderbar nah wohnt. Das zählt dann doch vier- bis neunfach in der Wertung und entschädigt für Tiefs en masse, die vom Atlantik kommend mal wieder Hamburg anpeilen.

In der vergangenen Woche hatte ich die Kleine bei mir, war mit ihr in ihrem fahrbaren Untersatz draußen unterwegs und dabei auch kurz im Einkaufszentrum.
Zweifeln Sie auch hin und wieder ein wenig an der Sehkraft bzw. der Wahrnehmung Ihrer Mitmenschen? Ich hatte diesmal diesen Moment, als ich hörte, wie eine ältere Dame mit kritischem Blick auf mich und das Baby missbilligend zu ihrer Freundin oder vielleicht auch Schwester sprach:
„Der Anteil der (hier folgte eine kleine Pause zum Anlauf nehmen) … reifen Mütter hat wirklich ganz schön zugenommen!“
Da beide weiter herüberstarrten, überlegte ich kurz, ob ich sagen sollte, dass ich mindestens noch die Niederkunft dreier weiterer Kinder plante, aber ich entschied mich letztendlich dagegen. Ich wippte die Enkelin, die sich mittlerweile auf meinem Arm befand und sagte stattdessen lächelnd zu ihr gewandt und betont langsam
„So, Mademoiselle. Wir beide – OMA (überdeutlich) und Milou – gehen jetzt nach Hause. Die Mama wartet bestimmt schon auf dich.“
Wie heißt es so schön? Ruhe im Karton. Fortan herrschte Funkstille.

An einem anderen Tag stand ich bei Karstadt an der Kasse an. Ebenso ein junger Mann mit seiner Freundin, der aus der Karnevalsecke hochbeglückt mit einer blonden Heino-Perücke nebst schwarzer Brille herbeistolziert kam und diese nun bezahlen wollte. Er hielt die recht gelb ausfallende Haarpracht schon einmal provisorisch an den Kopf, alberte herum und rief dabei mehrfach:
„Hossa! Hossa!“
Gelegentlich kommt auch in mir der Klugscheißer hoch und so fragte ich ihn beiläufig:
„War das nicht Rex Gildo mit dem Hossa?“
„Wer is’n das?“, wollte er wissen.
(In dem Moment kam ich mir doch sehr alt vor.)
„Ist der wenigstens auch blond?“, erkundigte er sich noch hoffnungsfroh.
„Nein, er hatte dunkelbraune Haare. Teint stark gebräunt, keine Brille …“
„Schiet …!“

Lassen Sie mich kurz nachdenken. War sonst noch etwas …?
Stimmt! Am Donnerstag klingelte es an der Haustür. Vor mir standen zwei Herren. Sie trugen rote Warnwesten mit der Aufschrift „Lärmschutz“.  Seitdem sie dort waren, überlege ich doch wieder die Sache mit der Auswanderung. Nein, wirklich!
Ich wohne nahe der Bahnlinie nach Lübeck, die man auszubauen plant. Ein weiteres Gleis für die S-Bahn soll hinzukommen.
Nicht nur, dass seit gut zwei Jahren und noch für zwei weitere Jahre Baulärm durch umfangreiche Umbauten an einem nahe gelegenen Bahnübergang (Aufhebung durch zukünftige Untertunnelung) sowie zusätzlicher Verkehr durch deshalb in meine Straße umgeleitete Fahrzeuge zur Tagesordnung gehören und mir irgendwann mit dem neuen Gleis auch noch ein Extrabahnhof fast vor der Haustür droht – nein, jetzt kündigten die beiden Besucher für Mitte Februar obendrein Baumfällarbeiten an.
Ich weiß nicht, ob ich eher heulen oder mich stattdessen freuen sollte. Eine große Anzahl Bäume, die zu nah entlang der Gleise wächst, muss weichen, weil dort eine Lärmschutzwand errichtet wird, eine etwas über drei Meter hohe Barriere.
Die Bäume, auf die man jetzt noch blicken kann und die im Sommer eine grüne Wand bilden, die selbst eine Lärmschutzfunktion übernehmen, für bessere Luft sorgen und vielen Tiere bisher ein Heim bieten oder zumindest eine Nahrungsquelle darstellen, sie hingegen sind ausgewachsen, um die 20 bis 25 m groß, breit, imposant, schön …
Ich tendiere doch zum Heulen. Für sie wird nie Ersatz kommen.

Diese Fällaktion steht fest, was alle weiteren Planungen angeht, so sage ich: Gemach, gemach !
Das gesamte Projekt des Streckenausbaus Richtung Bad Oldesloe, um den es letzendlich geht, ist immerhin eine erhebliche Geldangelegenheit – und jede Hinauszögerung … Ich meine, billiger wird es schließlich nicht mit der Zeit.

Auch die Aufgabe des Bahnübergangs bei mir – ich habe hier noch einen fast direkt vor der Tür – ist schon ein alter Bart. Seit ewigen Zeiten geplant, bisher aber nie realisiert!
Ich entsinne mich, als ich im Jahre 1986 herzog, stand ich eines Mittags mit einem sehr alten Mann und Ureinwohner dieser Gegend vor der geschlossenen Schranke. Gerade kurz zuvor hatte ich in der Zeitung einen Bericht über eine „demnächst“ geplante Aufhebung der Schranken zugunsten einer Unterführung gelesen.
Er schmunzelte damals weise und verriet mir, dass schon der Kaiser diese Pläne gehabt hätte und dass ganz sicher noch Jahrzehnte bis dahin vergehen würden. Er musste es wissen, er stammte schließlich aus Kaiserzeiten. Das Gespräch wiederum ist im Sommer 30 Jahre her. Die Schranken gibt es immer noch.
Daher – ruhig Blut.
Wissen Sie, was ich egenartig finde? Hier bereits eine Lärmschutzwand entlang der Schienen zu setzen, obwohl man doch offenbar vorhat, genau an dieser Stelle in absehbarer Zeit ein weiteres Gleis zu verlegen …

Da ich mich jetzt von dem bevorstehenden ätzenden Kahlschlag ablenken möchte, werde ich mich an die #53 von Leon Collins machen. Die #53 ist eine spezielle Stepptanzübung. Macht bewegliche Füße – und ist gleichzeitig eine nette Choreographie, die sich zu ganz unterschiedlichen Musiktiteln und somit in unterschiedlichem Tempo ausführen lässt. Ich versichere Ihnen, die dafür erforderliche Konzentration lässt einfach keinen Platz für Gedanken an Kettensägen und kippende Baumriesen.

Die Fußarbeit können Sie zum Beispiel in diesem Video sehen. Und ja, ich finde Anzug oder lange Hose à la Fred Astaire oder Gene Kelly auch weitaus attraktiver  … ^^

Ich bin also jetzt metallbeschlagen am klackern und verabschiede mich daher.

Ihnen wünsche ich einen schönen Sonntag!

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©by Michèle Legrand, Januar 2016
Michèle Legrand (WordPress) - freie Autorin

 

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Relaxmodus, Radbruch und ein Chamäleon

Viel habe ich mir für heute nicht vorgenommen. Ich bin nämlich im Entspannungsmodus. Relaxen nach den
Feiertagen. Wenigstens ein Weilchen.
Sie auch? Oder arbeiten Sie bereits wieder?
So schön Weihnachten ist, es ist etwas anstrengend. Ich spreche von davor und danach. In jener längeren Vorbereitungsphase und komischerweise hinterher, sobald alle gegangen sind und das Abschlaffen einsetzt.
Mir geht es jedenfalls so.
Der Mensch tickt schon eigenartig. Alles verläuft schön und harmonisch an sämtlichen Festtagen inklusive der diesjährigen Extraverlängerung durch das Wochenende – trotzdem ist danach die Luft raus. Kurzzeitig.

Es mag daran liegen, dass ich definitiv mehr Merkmale des Typs introvertiert als solche der Gattung extrovertiert aufweise. Das bedeutet, mir ist es zwar möglich, chamäleongleich über gewisse Zeit eine nahezu preisverdächtige Anpassung an beinahe jegliche Situation und das entsprechende Umfeld zu vollbringen, alle Aktivitäten über einen überschaubaren Zeitraum je nach Zu- oder Abneigung auch richtig genießen bzw. zumindest ertragen zu können, doch dieses Anpassen und der Umgang mit vielen Menschen gleichzeitig, beides kostet Kraft, zapft ordentlich den internen Akku an und fordert seinen Tribut.
Wohlgemerkt, verursacht wird es nicht durch das passive Beobachten von Menschenmassen oder deren bloßes Vorhandensein, sondern tritt ein, sobald der direkte Kontakt inbegriffen ist. Das auf viele eingehen, mit allen interagieren.
Ein extrovertierter Mensch läuft bei solchen Anlässen und mitten im Gewühl zu seiner Höchstform auf und lädt dabei seine Energiereserven sogar noch auf! Er hält am Ende eines Veranstaltungsmarathons eigentlich schon Ausschau nach der nächsten großen Sache. Beneidenswert – was diese Power angeht!
Ansonsten muss ich nicht unbedingt tauschen.

Es kann – rein von der Logik her – gar nicht anders sein.
Wenn Sie mehr der Zuhörer sind, haben Sie eine Menge an Input zu verarbeiten, rufen bereits früher Gespeichertes dazu ab, damit Sie gezielt auf etwas eingehen oder zu etwas beitragen können und somit mit dem Gegenüber ein möglichst intensives, tiefergehendes Gespräch führen können. Das mit den stundenlangen, eher an der Oberfläche bleibenden und sich nicht groß unterscheidenden Gesprächsfetzen, ausgetauscht mit einer Unmenge von Personen, ist nicht so Ihr Ding. Vielleicht mögen Sie es auch insgesamt leiser.
Andere hingegen lieben genau das Gegenteil. Sie blühen im großen Kreis auf und sind die Sprecher. Es sprudelt nur so aus ihnen heraus. Gern auch lauter.

Introvertiert ist womöglich gar nicht immer und automatisch extrem nach innen gewandt, nimmt jedoch verstärkt auf (und zwar mit allen Sinnen) und muss somit reichlich verdauen.
Introvertiert löst seltener aus, sondern reagiert.
Introvertiert schweigt meist beim Denken.
Extrovertiert lässt hingegen zunächst (manchmal auch generell) Inhalt seines Speichers frei und ist entlastet. So wie ich es erlebt habe, besitzen extrovertierte Menschen hin und wieder sogar die Angewohnheit, „sprechzudenken“. Jede einzelne Überlegung wird laut ausgesprochen.
Extrovertiert übernimmt den aktiven Part. Hat dadurch oft auch das Drehbuch in der Hand und weiß, wie es weitergeht. Was denjenigen sicher entspannt.
Extrovertiert inhaliert Aufmerksamkeit und Beifall in tiefen Lungenzügen. Das wirkt wie der Anschluss an die Steckdose! Eine Person dieses Typs kann bei einer derartigen Wirkweise natürlich lange durchhalten.
Extrovertiert heißt nicht automatisch Rampensau oder stets narzisstisch veranlagt. Menschen dieses Typs kommen oft sehr gut in Gruppen und Teams klar!
Schon interessant …
Mich beeindruckt stets am meisten, aus welch unterschiedlichen Quellen Introvertierte und Extrovertierte Ihre Energie schöpfen.

Ich fühle mich grundsätzlich wohl, so wie es ist. Ich leide partout nicht, vermisse nichts, sondern genieße tatsächlich das Wirken im Hintergrund, auch das Alleinsein und die an rege Betriebsamkeit anschließende Ruhe, die einem Extrovertierten schon wieder kolossal auf die Nerven geht.
Ich brauche diese Ruhephase allerdings auch.

Nein, so wie es ist, ist alles gut. Es ist sogar bestens, solange nicht permanent Chamäleonfähigkeiten nötig sind und solange nach Unruhe Ruhe und nach Lärm Stille folgt.

Die kleine Lady, meine Enkelin, war dieses Jahr beim Weihnachten feiern neu mit von der Partie. Premiere!
Ich habe keine Ahnung, in welche Richtung sie sich entwickeln wird. Extrovertiert, introvertiert, irgendetwas in der Mitte … Wer weiß das schon nach sieben Wochen mitmischen auf dieser Welt.
Ich weiß, dass sie bisher vom Arm aus lieber konzentriert zur Gardinenstange an die Zimmerdecke schaut, als zum beleuchteten Tannenbaum vor ihrer Nase. Sagt das etwas aus? Tendenz introvertiert?
Zeigt die Vorliebe für eine unspektakuläre Zimmerdecke eine Sehnsucht nach einem ruhigeren Plätzchen.
Kein Verlangen nach Glitzerwelt?
Wenn sie lächelt, schmelzen Sie. Ratzfatz. Da geht nämlich die Sonne auf. Sie können gar nicht länger ernst oder grummelig schauen. Absolut keine Chance. Ein erstes Zeichen für eine gewisse Extraversion?
So ein Anlächeln ist doch eindeutig kontaktfreudig, aktiv, zieht  Aufmerksamkeit auf die eigene Person …

Papperlapapp! Spekulation! An den Haaren herbeigezogen!
Das lässt alles keine Rückschlüsse bezüglich der weiteren Entwicklung zu. Es ist viel zu früh für irgendeine verlässliche Aussage. Ich beobachte es weiter, und wir sprechen uns in ein paar Jahren wieder zu diesem Thema. Oder sie schreibt Ihnen später dazu in ihrem eigenen Blog, so um das Jahr 2035.

Beim Gedanken an die ganz junge Generation fällt mir der Vater mit dem Kleinkind ein, den ich unterwegs gesehen habe. Ein Stofftier war dabei, das der Steppke unter seinen Arm geklemmt hatte. Eines von diesen in natura einige Meter aufragenden Steppenbewohnern auf dünnen, hohen Beinen. Die mit dem ewig langen Hals und der blauen Zunge. Bei seinem tierischen Gefährten schlackerten allerdings die Beine wie Sülze, und der Hals kippte ziemlich lasch zur Seite. Ich horchte auf, als der Name des Stofffreundes fiel:
„Pass auf, dass die Beine von Schlaraffe nicht in der Rolltreppe einklemmen!“, sagte sein Vater.
Schlaraffe! Sehr passend. (Falls Sie jetzt immer noch nicht wissen, von welchem Tier die Rede ist, kann ich Ihnen auch nicht helfen …)

Apropos schlaff. Sie kennen die hier gelegentlich auftauchenden Gedankensprünge. Das Wort schlaff löst gerade einen neuen Hüpfer aus.

Lüneburg - "Am Sande" am Abend

Lüneburg – „Am Sande“ am Abend

Etwas schlaff fühlte ich mich kürzlich in Lüneburg und zwar nach einem Aufenthalt mit ausgedehntem Spaziergang. Der Abend nahte, ich freute mich auf daheim und genoss ermattet das Sinken in die Sitzpolster des Zuges, der mich von Lüneburg zurück nach Hamburg bringen sollte. Die Reise sollte noch ein bisschen dauern, denn das Fahrtempo ging hin und wieder herunter, und der Zug hielt sogar einige Zeit auf der Strecke.
Grund dafür ist meist, dass der Metronom, der hier verkehrt, schnellere Züge der DB (z. B. den ICE) vorbeilassen muss. Aufgrund der Gleissituation können ICE und Metronom nicht immer parallel und zeitgleich fahren. Einer muss zwangsläufig ausweichen.

Lüneburg - "Am Sande" mit Gebäude der Landeszeitung

Lüneburg – „Am Sande“

 

Kaum wieder angefahren, ruckelte es fünf Minuten später erneut, die Geschwindigkeit wurde abrupt gedrosselt, und beim Hochsehen fiel mein Blick auf das schmale Display am Wagenende. Hier werden Informationen jeglicher Art einblendet.

Radbruch

Ach, herrje! Deshalb wurde abgebremst? Ein technischer Ausfall? Musste das gerade jetzt sein? Ewiger Aufenthalt im Waggon, keine Aussicht auf baldiges Eintreffen im Hamburger Hauptbahnhof? Reparatur oder Abschleppmanöver? Wenn das nicht ging, blühte vielleicht sogar ein Aussteigen auf freier Strecke?

Radbruch im Metronom? (Display zeigt dieses Wort)

Radbruch im Metronom?

Ich hatte noch gar nicht zu Ende gestöhnt, da folgte eine freundlich klingende Durchsage:
„Verehrte Fahrgäste, wir erreichen in Kürze Radbruch. Nächster Halt in Radbruch.“

Jetzt mal ehrlich! Wer denkt sich denn solche Ortsnamen aus!
Fand sich nichts Aparteres und vor allem etwas weniger Verwirrendes? Ich fürchte, wenn man hier nichts unternimmt und gegensteuert, gibt es demnächst Orte, die Motorschaden, Reifenpanne oder Druckluftverlust heißen. (Alles Nachbarorte des Dorfes Schrottplatz …)

Verwunderung und leichtes inneres Aufmucken hielten jedoch nicht lange an. Die Erleichterung überwog, dass es keine Materialermüdung an den Rädern war und die Fahrt weiterging. Ausgedehnter als die Hinfahrt war sie trotzdem.
Es gibt zwei zeitlich unterschiedliche Touren des Metronoms. Die Strecke bleibt dieselbe, aber die Zahl der Stopps variiert. Bei der Hinfahrt hatte ich die Kurzvariante, den Sprinter, erwischt und die flotte Durchfahrt durch Radbruch überhaupt nicht registriert. Nun hielt der Zug an jeder Milchkanne. So lernt man auch seine Umgebung kennen.
Und glauben Sie mir, einen unschlagbaren Vorteil hat ein verquerer Name! Während alle anderen Haltepunkte schon wieder namentlich aus meinem Gedächtnis gelöscht sind, haftet Radbruch bis in alle Ewigkeit.

Und vielleicht auch die Erinnerung an eine Frau! Die mysteriöse, weißhaarige Dame, die mehrmals durch den Zugwagen strich. Von der äußeren Erscheinung her jemand, der gut den Namen Ruth tragen könnte. Sie beklagte die verbrauchte Luft und konnte sich irgendwie nicht entscheiden, wo sie sich endgültig niederlassen sollte. Sie hoffte vermutlich, irgendwo ein Quäntchen mehr Sauerstoff zu erhaschen. Immer wieder tauchte sie merkwürdigerweise wie ein Gespenst aus dem Nichts auf, stand mit einem Mal direkt neben mir und war genauso urplötzlich wieder spurlos verschwunden. Magie? Gerade eben war sie doch noch hier … Wo …?
Ruth Copperfield.

Frisch ist’s geworden! Der Dezemberfrühling scheint zu Ende zu gehen. Frost kündigt sich an. Ich muss mir meine Strickjacke holen und überhaupt, Sie haben doch sicher auch noch etwas anderes vor.
Treffen wir uns im nächsten Jahr wieder. Es ist nicht mehr lang hin.
Ein bisschen bleibe ich noch in dem Relaxmodus, der fühlt sich gut an …

Ich wünsche Ihnen allen einen recht schönen Übergang in das schon vor der Tür stehende neue Jahr!
Alles erdenklich Gute für 2016! Bleiben Sie gesund und weiterhin positiv gestimmt!
Und schauen Sie gern wieder vorbei.

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© by Michèle Legrand, Dezember 2015
Andreas Grav (Ausschnitt)

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Alle Jahre wieder: Volle Läden, Engel, kleine Frust- und Hustenanfälle

Lüneburg - Weihnachtsmarkt an der St. Johanniskirche - Weihnachtsbeleuchtung und Sterne in den Bäumen
Huch, was machen Sie denn hier? Gehen Sie gar nicht unter in Weihnachtsvorbereitungen?
Schon fertig mit allem?
Auch den obligaten Besorgungen?
Haben Sie berücksichtigt, dass Sie in diesem Jahr mehr auf einen Schlag einkaufen müssen?
Die Feiertage gehen diesmal nahtlos in das Wochenende über! Nicht, dass Sie verhungern …
Das war ein Witz!

Die Wahrscheinlichkeit, gerade an Weihnachten zu verhungern, ist relativ gering. Jedenfalls aus solchen Gründen wie verfehlter Nachschubplanung. Mit den im Haus vorhandenen Reserven könnten die meisten Menschen locker bis ins Neue Jahr kommen. Mindestens! Manche müssten vermutlich erst kurz vor Ostern wieder einen Fuß vor die Tür setzen, so viel lang Haltbares in Dosen und Tüten ist vorhanden oder wohnt z. B. in Form von Tiefkühlkostreserven mit unter einem Dach.
Nein, nein, Ihr Körper zuckt nur kurz sollten die Mahlzeiten karger werden, macht sich dann jedoch entschlossen an die entstandenen Weihnachtspölsterchen und sonstige Fettdepots oder knabbert ein paar feiertäglich träge Muskel an. Mehr passiert nicht. Doch wem sage ich das!
Die Läden sind trotz allem bumsvoll, wie immer. Es scheint ein tief sitzender und unumstößlicher Glaube zu sein, dass nach Weihnachten keine neue Ware kommt.
N i e   w i e d e r !

Oder liegt es doch nicht daran? Ist es ein Einkaufsrausch? Ein weihnachtliches Ausnahmeverhalten? Eine besondere Form von Blackout? Ein ungutes Gefühl?
Mir hat einmal jemand milde entrüstet erläutert, selbstverständlich wüsste er, dass Ware nachkäme, er wüsste nur nicht, wie verfressen sein Besuch an den Feiertagen sei! Es wäre ihm höchst peinlich, würden ausgerechnet dann – womöglich mittendrin – die Vorräte ausgehen. Oder er hätte nichts, falls jemandem das Geplante so gar nicht zusagte oder er es nicht vertragen könnte.
Man müsste generell so vieles bedenken und vielseitig auftischen. Vom erwarteten Besuch sei einer Vegetarier, der andere sogar Veganer. Einer würde Tierisches zwar theoretisch essen (da weder das eine noch das andere), nur der würde Fisch einfach hassen und ein weiterer bekäme Tomate in keiner Form herunter. Dazu gesellten sich diese Laktoseunverträglichkeit und die Sache mit dem überhöhten Cholesterinwert. Also besseres Öl besorgen, akzeptablen Milchersatz, ein weiteres Gemüsegericht auf den Plan …

Der Großeinkauf ist daher womöglich eine reine Vorsichtsmaßnahme. Vorbeugung vor gerümpften Nasen und Absicherung gegen gefräßige Geschwader inklusive; des Weiteren eine Maßnahme gegen zusätzliche Unwägbarkeiten wie Rezepte, die nicht verlässlich preisgeben, für wie viele Personen die genannten Mengen tatsächlich reichen werden.
Dessert für acht Personen. Und dann ist das fertige Zeugs beim Einfüllen bereits beim dritten, spätestens vierten Portionsschälchen alle!
Wussten Sie, dass inzwischen ganz viele Leute probekochen? Das heißt, die Menschheit muss von allem doppelt einkaufen. Und schon viel eher. Oder zweimal.
Angesichts dessen ist es vielleicht doch kein so großes Wunder, dass alle etwas panisch zulangen beim Einkauf.

Wie schaut es – sagen wir um den 27. Dezember herum – aus?
Welch Überraschung!
Man hätte von den Vorräten mehrmals Weihnachten feiern können, muss weiterhin zulangen, damit bloß nichts verkommt, nimmt zu und schwört, es nie wieder zu tun. Dieses übertriebene Hamstern vor den Feiertagen.
Der Vorsatz hat Gültigkeit bis kurz vor Weihnachten 2016.

Weihnachtsmann im Schlitten - Dekoration

Anstrengend ist das alles. Ich habe mir daher heute nach dem Bad im Gewühl eine Pause und einen Milchkaffee im Stammeiscafé gegönnt.
Da tritt ein jüngerer Mann an den Nachbartisch zu zwei ihm bekannten Mädels seines Alters und berichtet beim Hinplumpsen auf die Sitzbank:
„Erschütternd, ich passe in keine Hose!“
Der Mann hat Normalgewicht und Standardgröße, doch offenbar zwickt’s bei jedem Modell an irgendeiner Stelle. Einer Menge Frauen wohlbekannte delikate Partien wie Oberschenkel oder Po scheinen auch bei ihm Anlass zu Frust zu geben. Es spannt.
„Bin echt frustriert. Ich war jetzt fast überall!“
„Iss erstmal ein Eis mit uns“, lockt ihn die eine am Tisch.
„Irgendwie ist mir der Appetit vergangen.“ Kurze Pause. „So’ne Kacke! Jetzt mag ich nicht mal mehr Eis!“, konstatiert er finster.
Die weiblichen Wesen tauschen mitleidige Blicke. Offenbar ist er sonst ein Eisfreak.

Weihnachtsmänner als Deko für draußen (angemalte Holzfiguren)Es hat also nichts gepasst. Während Frauen in dieser Situation häufig auf mindestens mittlerer Stufe deprimiert langfristig mit dem Gewicht und der Figur allgemein hadern, vermuten, nie wieder passende Hosen (oder überhaupt etwas!) zu finden und in dem Zusammenhang an ewige Askese – zumindest Eisaskese – denken, läuft der Gedankengang eines Mannes gelegentlich in eine andere Richtung.
„Scheiß Schnitte bei den Sachen, echt! Und überhaupt! Nächstes Mal gehe ich erst Eis essen und mache mich dann auf die Suche nach einer Hose.“
Damit ist das Thema für ihn abgehakt. Er bestellt zwar nur Espresso, aber fünf Minuten später vertilgt er bereits wieder vergnügt die reichlichen Reste aus den Eisbechern der Damen.

Männliche Wesen, Kleidung, Shoppen – es gibt doch immer wieder aufschlussreiche Szenen.
Auf dem Rückweg durchquere ich die Wäscheabteilung von Karstadt und bleibe kurz an einem Drehständer stehen. Neben mir beguckt ein Knirps Dessous. Sein Vater wartet ein paar Schritte weiter auf seine Frau, die in der Umkleidekabine etwas anprobiert.
Der Vierjährige beguckt sich eine Vielzahl an Büstenhaltern in ziemlich großen Größen und löchert seinen Vater mit Fragen, warum man „so Riesendinger“ braucht. Und weshalb seine Mama ganz andere (kleinere) hat, und ob das alles richtig und nötig ist. Er macht sich Gedanken, ob die Farbe eine Rolle spielt.
„Guck mal, der ist rot. Und wenn der rot ist, dann ist der immer ganz groß, oder?“
„Nein, die Größe kann man nicht an der Farbe sehen.“
„Schade. … Oh, guck mal, Papa, der ist kaputt!“
„Kaputt? Wieso?“
Das Modell ist trägerlos, was einiges Erstaunen hervorruft.
„Fällt dann nichts runter?“
Papa hat es nicht ganz leicht. Kaum damit durch, kommt nämlich diese wichtige Frage:
„Wie macht man das auf und zu?“
Sein Vater schlägt sich weiterhin heldenhaft. Doch während er noch versucht, qualifiziert Auskunft zu geben, hat der Kleine urplötzlich jegliches BH-Interesse verloren.
„Und wo gibt das hier die Sachen für Jungs?“
Man sieht, schon in dem Alter kann Damenbekleidung oder Shoppen für und mit Frauen ein männliches Wesen nicht wirklich lange bei der Stange halten. Vier, maximal fünf Minuten.
Es muss doch irgendwie genetisch bedingt sein.

Zuletzt, schon beim Verlassen des Zentrums, verschluckte sich eine Frau an der Ampel wartend – und im lebhaften Gespräch mit ihrem Partner – am reichlichen Puderzucker auf ihrem frischen Schmalzgebäck. Inhalierte den feinen Staub. Hustete, prustete und das Weiß stob vor ihr explosionsartig auseinander. Es hinterließ beachtlich viele Sprenkel auf seiner dunklen Jacke. Überall. Von Oben bis unten.
Sie lachte hustend  und nach Luft japsend, er grummelte und wischte. Ein weiterer Wartender mutmaßte grinsend:
„Ausschlag? Schuppen …? SCHNEE?“

Wenn schon Advent inmitten grüner Landschaft, Glühwein bei Frühlingstemperaturen und ein Weihnachtsfest ohne Weiß von oben, so immerhin ein klitzekleines Gefühl von Winter und Flocken hervorgerufen durch Puderzuckergestöber!Drei weiß gekleidete Engel an der Information eines Einkaufzentrums

War sonst noch etwas? Die Engel habe ich vergessen! Die standen heute zu dritt an der Information des Einkaufszentrums. Echte. Ja! Anfangs dachte ich das. Beinahe hätten sie mich überzeugt in den langen, weißen Gewändern, mit ihren weißen Flügeln und ihrem hübschen blonden Haar!
Aber nein, dann mussten sie fragen! Welcher echte Engel muss schon an der Information nachfragen! Echte Engel wissen alles so …
Fliegen konnten sie offenbar auch nicht.
Aber richtig gut Weihnachtslieder singen. Und sehr hübsch aussehen.

So langsam muss ich mich auch wieder in die Vorbereitungen stürzen. Aber nett, dass Sie bei der Pause mit dabei waren.
Ich wünsche Ihnen allen ein frohes, gesundes Weihnachtsfest und recht stimmungsvolle, harmonische Tage zusammen mit Ihren Lieben!

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© by Michèle Legrand, Dezember 2015
Michèle Legrand - ©Andreas Grav

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