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Am Tag, als das Meer verschwand …
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Allgemein, Foto, Geschichten / Menschliches Verhalten, Hamburg, Wandsbek (Lokales) am 03/08/2019
Dort, wo ich lebe, existiert ein sonderbarer Ort. Er ist eigenartig, jedoch im positiven Sinn. Besonders eben.
Die Stelle liegt nicht weit entfernt, ich komme jedes Mal ganz automatisch auf dem Weg zum Sport daran vorbei. Eine Art Glückstreffer, denn es motiviert zusätzlich, dorthin aufzubrechen.
Kurz vor meinem Ziel biege ich in eine relativ schmale Nebenstraße ein, und dann passiert etwas Merkwürdiges: Von jetzt auf gleich übermannt mich das Gefühl, am Meer zu sein. Direkt am Strand!
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Würde ich Ihnen allerdings Aufnahmen der unmittelbaren Umgebung zeigen, könnten Sie sich vermutlich überhaupt nicht vorstellen, was zu diesem Eindruck führt. Ich selbst könnte es nicht!
Eine kurze Überlegung: Wenn Sie beschreiben sollten, was für Sie gedanklich mit „Meer“ einhergeht, welche Eindrücke Sie damit verbinden – wäre es vorrangig oder gar ausschließlich etwas, was Sie sehen können?
Ich bin mir ziemlich sicher, es tauchten auch Begriffe wie Wind, Rufe von Seevögeln, das Knattern und Flattern von Fahnen oder Segeln etc. auf – also Umstände bzw. Zustände, die durch Fühlen, Hören, vielleicht auch mittels Riechen erfasst werden.
Mein Fitnessstudio liegt in dieser Straße, die bis vor etwa drei Jahren noch durch ein älteres Gewerbegebiet mit vielen Kleinbetrieben führte. Dies ist mittlerweile abgerissen, nun entsteht hier ein Wohnviertel mit mehrge-
schossigen Häusern. Auf der einen Seite, dort, wo auch das Studio ebenerdig einzog, befindet sich entlang der Straße und weiter in die Tiefe gebaut ein erster Neubaukomplex mit bereits bezogenen Wohnungen, auf der gegenüberliegenden Seite wartet eine seit dem Abriss brachliegende Fläche darauf, dass es ihr an den Kragen geht. Dahinter wiederum ragen riesige Baukräne auf, zwischen denen bereits die Rohbauten des nächsten Bauabschnitts täglich ein Stück wachsen.
Bisher findet sich noch kein ausgesprochener Auslöser für Strandgefühle, oder …?
Nicht zu erkennen ist allerdings, dass außerhalb dieses Areals, nämlich hinter den fertiggestellten Neubauten – und zwar parallel dazu und nur einen Straßenzug weiter – der Mühlenteich liegt. Ein von einem Park eingerahmtes, größeres Gewässer, auf dem Wasservögel anzutreffen sind. Unter anderem wird er regelmäßig von Möwen besucht, und genau diese lieben ganz offensichtlich dieses von Baustellen eingerahmte Brachgelände.
Aus Sicht der Vögel ist das gut nachvollziehbar. Zum einen gibt es direkt daran angrenzend noch einen Flachdachbau aus dem Gebäudealtbestand mit ASIA-Lebensmittelmarkt und der gar nicht mal geringen Chance, Lebensmittelreste abzustauben. Nebenher lässt sich das Flachdach sogar als Brutplatz nutzen.
Zum anderen lockt auf dem leerstehenden, etwas sandigen Grundstück inzwischen durch Wildwuchs (Unkräuter, diverse Wildstauden) reges Insektentreiben, der Boden erwärmt sich schnell, ist aber dank des vorherrschenden Windes selten überhitzt. Es herrscht gute Sicht im Bodenbereich, allerdings hat eine Möwe dank hoher Ausguckmöglichkeiten (umstehende Neubauten und Kräne) dort ebenfalls einen exzellenten Über- und Weitblick. Die Thermik scheint genehm – ja, und das eigene Geschrei klingt hier besonders imposant und durchdringend!
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Auf der brachliegenden Fläche wachsen auch Kratzdisteln, die mit ihren lila Blüten, aber auch im verwelkt-verwuschelten Zustand sehr attraktiv wirken.
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Sobald ich den Beginn des Brachgeländes erreicht habe, verspüre ich immer den Drang, ab jetzt langsam mit geschlossenen Augen weiterzugehen. Es ist nicht viel los, der Zustand des Gehwegs ist mir mittlerweile wirklich vertraut. Insofern kann man es für einige Meter blind riskieren. Und es ist es wert! Denn es erhöht die Wirkung des Kommenden …
Die lokalen Umstände bringen es mit sich, dass sich Windschneisen entwickelt haben. Die Kombination aus längerer Häuserfront und Freifläche, der Wechsel zwischen einzelner höherer Bebauung und Baulücken, beides löst immer wieder verlässlich mittlere Turbulenzen aus.
Mit anderen Worten, es pustet, und wenn Sie dort entlanggehen, werden Sie garantiert von einer Windböe erfasst, während Ihnen gleichzeitig die Sonne auf die Haut brennt. Auf dem Gehweg, überhaupt in dieser Straße, gibt es keinen Schatten. Bäume wurden hier noch nicht wieder gepflanzt, das passiert – wenn überhaupt – wohl erst, wenn auch das Brachgelände verschwunden und bebaut ist und irgendwann sämtliche Arbeiten abgeschlossen sind.
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Sie brauchen keine zwei Sekunden zu warten, dann ertönt Möwengeschrei. Manchmal sind es die lang-
gezogenen Rufe eines einzelnen Vogels, der über einem seine Kreise zieht, manchmal diskutieren mehrere lautstark. Dann verteidigt eine Möwe mit Nachdruck ihren Lieblingsplatz auf dem Flachdach, das zweite Tier kreischt irgendwo empört vom Baukran herunter. Die jeweiligen Aufenthaltsorte lassen sich meist auch ohne Hinsehen ganz gut orten.
Wind, Sonne, Möwen … Das Gefühl, sich am Meer zu befinden stellt sich prompt ein. Zuverlässig.
Mittlerweile ist auch das Fitnessstudio erreicht. Auf dem Vorplatz steht ein Werbebanner, festgemacht an
einer leicht flexiblen Metallstange, die senkrecht ausgerichtet ist und in einem Standfuß steckt. Der vertikal gespannte, hauchdünne Textilstreifen mit Aufdruck hat Flatterspielraum und knattert heftig im Wind.
Wie oft kam es mir in dem Moment vor, als befände ich mich auf einer jener Strandpromenaden an der Küste, die von hohen Masten mit wehenden, bunten Fahnen flankiert werden. Das Knattern des Werbebanners erinnerte an in unmittelbarer Nähe über den Wattboden bretternde Strandsegler, wenn es windstiller war und das Flattern entspannter ausfiel, sah man stattdessen vor dem inneren Auge Kite-Surfer vorbeigleiten.
Speziell wenn mehrere Möwen am Himmel flogen und intensiv krakeelten, fühlte ich mich hinübergebeamt auf eine der langen Seebrücken, die in manchen Ostsee-Seebädern zu finden sind. So hört es sich an, wenn man über die Holzplanken Richtung Meer hinausspaziert, die gefiederten Schreihälse entweder auf Brückenpfeilern oder Laternenpfählen oder fliegend in entsprechender Höhe schräg über sich …
Ich liebe dieses Gefühl von Meer und Strand in der Nähe sehr.
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Stellen Sie sich vor, mir kamen die Möwen nun tatsächlich noch näher! An heißen Tagen steht – zumindest während der Anwesenheit der Sporttrainer – häufig die Eingangstür zum Studio weit auf, damit ein bisschen Luftzirkulation herrscht. In der vorletzten Woche erhielten wir völlig überraschend Besuch von einer erwachsenen Silbermöwe.
Das Tier war klammheimlich hineinmarschiert, hatte sich neben einer Trainierenden an deren Übungsstation aufgebaut und fand offenbar alles hochinteressant. Sie ließ sich nur mit Geduld und unter erheblichem Protest wieder hinauskomplimentieren.
Der nächste Zwischenfall ereignete sich vor ein paar Tagen. Diesmal hüpfte eine sehr junge Möwe herein. Erheblich auffälliger, da mit einigem Getöse. Sie krächzte heiser, und als sie merkte, sie findet nicht wieder hinaus, flatterte sie hektisch. Schimpfte dabei wie ein Rohrspatz.
In einem solchen Fall ist das Verhalten von Möwen nicht wesentlich anders als das von Bienen und anderen Fluginsekten, die in die Wohnung geraten sind. Sie fliegen immer wieder gegen die Scheibe und nehmen ein eingeklapptes Fenster (Spalt) daneben oder auch geöffnete Türen kaum wahr.
Genau so schien die Möwe in ihrer Aufregung keinen Blick für Fluchtalternativen zu haben, geschweige denn, sich daran zu erinnern, an welcher Stelle sie eingetreten war. Sie hatte eines der bis zum Boden reichenden Fenster auserwählt, hüpfte davor auf und ab und pochte wie ein Specht aufgebracht mit dem Schnabel ans Glas. Da musste man doch irgendwie rauskommen …
Es war absehbar, dass sie es nicht allein hinausschafften würde. So habe ich mir ein Handtuch genommen und sie entlang der Scheibe langsam in eine Ecke dirigiert. Sie stutzte, als es nicht weiterging, und in diesem Moment, in dem sie mit ihren noch gar nicht komplett ausgebildeten Flügeln einmal nicht so wild zappelte, legte ich ihr das Tuch übers Gefieder und griff vorsichtig mit beiden Händen zu.
Sie hat es mit sich machen lassen, blieb auch weitehin ruhig. Als ich sie vor mir auf Brusthöhe hielt, schaute sie mich nur sehr forschend an.
Machen Sie das eigentlich auch, dass Sie bei derartigen Aktionen (Rettung, Verarztung, Medikamente verabreichen etc.) zur Beruhigung mit gedämpfter Stimme einlullend etwas erzählen? Ich glaube, ich sagte so etwas wie: „Ja, Kleine, alles gut …. Ich weiß, die Mama sieht anders aus …“
Gemeinsam marschierten wir hinüber zum Brachgelände, wo es wesentlich erträglicher war, als auf den heißen Platten vor dem Studio.
Sie wirkte unschlüssig, nachdem ich sie abgesetzt und das Handtuch entfernt hatte. Krächzte und rief. Ich hoffe, die Eltern kümmern sich noch ein bisschen um ihr Jungtier, das aber generell einen fitten und kräftigen Eindruck machte.
Ich setzte mein Training fort. Als ich danach das Studio verließ, war sie verschwunden.
Ein wenig wunderte ich mich, was die Möwen auf einmal anlockte, denn hohe Außentemperaturen bzw. offenstehende Türen hatten wir auch schon davor gehabt. Zuhause fiel mir plötzlich das aufblasbare Planschbecken ein, das seit Kurzem im Studio an einem Fenster in Eingangsnähe steht. Ein pinkfarbener Mini-Swimming-Pool in Flamingoform. Haben sich die Möwen von dem Plastikvogel täuschen und anziehen lassen?
Beim nächsten Training habe ich jedoch festgestellt, das Bassin steht so, dass von draußen nur minimal etwas vom unteren Rand erkennbar ist. Dort, wo die Flamingo-Attrappe aufragt, verhindert eine Milchglasscheibe den Einblick ins Studio.
Tja, nun … Wir werden wohl ohnehin keine weiteren Besuche beim Training erwarten können. Als ich diese Woche in die Straße einbog, gab es kein Möwengeschrei mehr. Der Tag, an dem das Meer verschwand, war gekommen.
Die Baufahrzeuge sind angerückt, und mit ihrer Ankunft hat das letzte Stündlein des Brachgeländes geschlagen.
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Das letzte Stück Baugrund wird vorbereitet …. Oberirdisch war bereits geräumt, nun sind alte Fundamente und Mauerreste dran …)
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Die Möwen haben Reißaus genommen …
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… und ich werde meine kleinen Aufenthalte am Meer vermissen.
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©by Michèle Legrand, August 2019
„Das liegt an den Pferden …“
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Artikel, Foto, Hamburg, Wandsbek (Lokales) am 25/01/2017
Kürzlich kullerten mir ein paar weiße Zuchtpilze vor die Füße. Sie und ein Verteilerkasten sind die Auslöser für den Beitrag, der heute auf Sie zukommt.
Verwundert? Nun, dieser Blog trägt nicht grundlos die Bezeichnung Gedankensprünge als Teil seines Namens. Die gibt es hier halt. Ein Erlebnis, die vor einem ablaufenden Bilder, ein auftauchendes Geräusch, ein Duft … So etwas ruft sehr häufig Assoziationen hervor und lenkt Gedanken im Nu um. In eine gänzlich neue Richtung. Bei mir ist es jedenfalls so. Sie führt ein solcher Gedankensprung heute in meine Wohngegend und nebenbei zeitlich zurück.
Wieso mir die Pilze überhaupt …? Das auslösende Moment gehört gar nicht zum Endthema, doch wenn Sie wollen, erzähle ich Ihnen gern davon gleich mit.
Ich fuhr eine Rolltreppe hinauf. Direkt vor mir stand eine Frau mit einem proppevollen Einkaufsbeutel. Oben angekommen, erfolgte der obligatorische Schritt auf festen Boden – und da blieb sie stehen. Mitten im Auslauf! Dort, wo es noch zu eng ist, um auszuweichen und seitlich an ihr vorbeizuhuschen. Hinter mir folgten weitere Leute, eine Rolltreppe stoppt prinzipiell nicht, und so stieß ich von hinten an sie an. Es ließ sich absolut nicht verhindern.
Sie reagierte entrüstet. Verblüfft hielt ich mich zunächst zurück, denn – wäre ich an ihrer Stelle gewesen – ich hätte mich wohl eher entschuldigt. Sie begann erstaunlicherweise, sich lautstark zu beschweren und erklärte, dass alle Auflaufenden (ich, aber auch die danach Kommenden) besser hätten aufpassen müssen. Das wäre
so wie beim Autofahren: der, der auffährt, hätte Schuld.
Dem Herrn, der auf der Treppe direkt hinter mir gestanden hatte und der genauso in die Bredouille geraten war (er klebte nun noch halb an mir), platzte fast der Kragen, als er das vernahm. „Wir hätten alle stürzen können!“, war noch das Mildeste, was er von sich gab. Danach wurde es inhaltlich etwas ausfallend, was natürlich in keiner Form zu einem gütlichen oder halbwegs einvernehmlichen Ende führte.
Ich stand dazwischen und kam nicht weg. Natürlich ärgerte es mich auch! Was hatte das mit Aufpassen zu tun! Es gab doch keinerlei Anzeichen für einen kommenden Blitzstopp! Und wohin hätte man ausweichen sollen?
Überhaupt dieser Vergleich mit dem Straßenverkehr … Was wäre denn eine in etwa vergleichbare Situation? Vielleicht ein in einem engen, einspurigen Tunnel unvermittelt bremsender Autofahrer, der den Motor von jetzt auf gleich abschaltet und sein Fahrzeug grundlos stehen lässt? Wobei sich dort wenigstens nicht noch die Fahrbahn hinter ihm wie ein Transportband weiterbewegen würde.
Ich wandte mich ihr zu:
„Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen? Wir werden die Fahrt wiederholen. Es scheint, Sie können sich nicht vorstellen, dass Ihr Hintermann keine Chance hat, einen solchen Aufprall zu vermeiden. Also probieren wir es aus. Diesmal fahre ich vor Ihnen, Sie stellen sich hinter mich. Oben werde ich mich genauso verhalten wie Sie vorhin. Und Sie haben jetzt sogar noch den Riesenvorteil, dass Sie wissen, was kommt. Wir werden sehen, wie Sie die Lage meistern.“
Oooh! Das war gar nicht ihr Ding. Sie bezeichnete es als „bekloppte“ Idee und weigerte sich vehement. Vor lauter Empörung geriet der Einkaufsbeutel ins Schwanken, die obenauf liegende Papiertüte vom Gemüse-
händler fiel heraus, riss, und eine Ladung weißer Kullerpilze verteilte sich auf dem Boden. Vor meinen Füßen …
Ansonsten hat sich der kleine Menschenauflauf danach auseinanderdividiert. Es hatte keiner mehr Lust auf den Zirkus. Einsammeln musste sie ihre Pilze alleine.
Direkt nach diesem Theater stieß ich auf dem Heimweg auf besagten Verteilerkasten, der seit Kurzem über-
haupt nicht mehr grau und trostlos aussieht, sondern sehr positiv auffällt, nachdem er farblich gestaltet wurde. Es ist nicht der erste Stromkasten, der in meinem Bezirk (Wandsbek) durch das kunstvolle Bemalen und Aufsprühen von farbigen Motiven eine solche Schönheitskur erfährt – und wieder ist es ein Werk von Vincent Schulze!
Können Sie sich noch dunkel entsinnen? Bereits vor fünf Jahren (2012) habe ich den Hamburger Künstler
ein erstes Mal im Blog erwähnt. Inzwischen hat er in vielen Stadtteilen seine Spuren hinterlassen. Außer in Wandsbek wird man u. a. in Eimsbüttel, Curslack, Neugraben, Lohbrügge sowie Niendorf oder auch an der Alster fündig. Seine Werke entstehen jedoch nicht nur draußen, als Kunst im öffentlichen Raum (Fassaden, Verteilerkästen etc.) für alle sichtbar, sondern natürlich vermehrt auch als Innengestaltung in Wohn- und
Nutzräumen (z. B. Badgestaltung) oder nicht allgemein zugänglich als Wandmalerei auf Privatgrund (Innenhöfe). Auftraggeber sind sowohl Privatpersonen als auch Vereine sowie Firmen unterschiedlichster Branchen, die ihren Traum vom geschäftsbezogenen Motiv oder von Skylines, Dünenlandschaften, Tieren, Gebäuden etc. verwirklicht haben möchten.
Was mir – abgesehen von seiner Arbeit ganz generell – besonders gefällt, ist, dass die Außenmotive in der Mehrheit der Fälle einen unmittelbaren, meist geschichtlichen, Bezug zur Umgebung haben.
Der recht breite Verteilerkasten, um den es zunächst geht, steht auf dem Wandsbeker Marktplatz. Er besitzt auf Vorder- und Rückseite unterschiedliche Motive.
Die der Straße abgewandte Ansicht verschafft einen Eindruck davon, wie der Marktplatz im Jahre 1866 ausgesehen hat. Zu der Zeit gab es dort tatsächlich noch eine Art Wald.
Erkennen Sie die Freifläche rechts neben der Kirche? 22 Jahre später (1888) startete dort der Bau des Matthias-Claudius-Gymnasiums, das es heute noch gibt, wenngleich auch die Schäden am ursprünglichen Gebäude im Krieg enorm waren und es inzwischen einige Neu- und Erweiterungsbauten gibt.
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Hamburg – Wandsbeker Marktplatz – Verteilerkasten mit alter Ansicht (Blick stadtauswärts) – Gestaltung: Vincent Schulze,, HH
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Auf dem zur Straßenseite ausgerichteten Bild, ist als größter Bau das Karstadt-Haus zu erkennen und zwar um das Jahr 1900 herum. (Für Nichthamburger zur Information. Karstadt gibt es bis heute dort, eines der wenigen Gebäude, die sogar den Krieg überstanden haben.) Wer ein bisschen in diese Zeit zurückgeht, findet heraus, dass es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht Rudolph Karstadt, dem bekannten Begründer der Dynastie, gehörte, sondern seinem Bruder Ernst, der es ihm jedoch nicht lange danach verkaufte.
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Hamburg – Wandsbeker Marktplatz – Alte Ansicht der Wandbeker Marktstraße mit Karstadt-Haus – Gestaltung: Vincent Schulze, HH
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Auf zwei weiteren, nebeneinander stehenden, kleineren Kästen, die ebenfalls durch Vincent Schulze ein neues Gesicht erhielten, sind Matthias Claudius, der hier in Wandsbek lebte, sowie seine Frau Rebecca (Rebekka) porträtiert (Ecke Claudiusstraße/Schloßstraße).
Und noch ein sehr schöner und vom selben Künstler enorm aufgewerteter Verteilerkasten mit Wandsbek-Bezug hat seinen Platz Ecke Neumann-Reichardt-Straße/Schädlerstraße. Auf ihm ist das ehemalige Wandsbeker Schloss zu sehen, das einst nah des Wandsbeker Marktes stand. Leider existiert es nicht mehr. Dabei würde es sich sehr gut machen …
An seinem Platz entstand zunächst die Wandesburg, eine Wasserburg, die Heinrich Rantzau ab 1564 er-
bauen ließ. Nach diversen Eigentümerwechseln gelangte 200 Jahre später Heinrich Carl von Schimmelmann in ihren Besitz. Wir Wandsbeker (und noch ein paar andere, z. B. die Altonaer) gehörten früher lange zum Königreich von Dänemark. So erklärt sich die zunächst erstaunlich klingende Aussage, dass der neue Eigen-
türmer 1764 gleichzeitig Finanzminister von Dänemark war. So wie übrigens auch schon zuvor Rantzau die Funktion eines dänischen Statthalters ausübte.
Von Schimmelmann ließ die Burg bald danach abreißen, um auf ihr sein Wandsbeker Schloss (1772 bis 1778) zu errichten – inklusive eines Barockparks und eines Landschaftsgartens. Und natürlich entstanden Gebäude für die Bediensteten sowie Stallungen. Große Teile des heutigen Stadtteils Marienthal zählten früher zum Gebiet des ausgedehnten Guts.
Ungünstig war nur, dass bereits die Nachfahren Schimmelmanns im 19. Jahrhundert Geldprobleme hatten und das Anwesen verkaufen mussten. Ein Herr von Carstenn (tatsächlich mit Doppel-n) übernahm es, teilte flink das Land in Parzellen auf, verkaufte diese und ließ das schöne Schloss 1861 abreißen.
Achtzig oder knapp neunzig Jahre sind in meinen Augen keine sonderlich lange „Lebenszeit“ für ein Barockschloss.
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Vor zehn Jahren – bevor ein Neubauvorhaben mit umfangreichen Bodenbewegungen gestartet wurde – führte man vor Ort Ausgrabungen durch. Dabei wurden Ziegelmauerreste entdeckt, die auf Felssteinfundamenten errichtet waren. Außerdem kamen hölzerne Zu- und Abwasserleitungen zum Vorschein.
Auf alten Ansichten ist zu erkennen, dass einst zwei steinerne Löwen links und rechts der Auffahrt zum Schloss Wache hielten. Die Originale gibt es noch, sie stehen heute im WBZ (Zentrum für Wirtschaftsförderung, Bauen und Umwelt, Schlossgarten 9), also fast an ihrem ursprünglichen Platz, nur drinnen, damit der Sandstein nicht der Witterung ausgesetzt sind. Es sind Abgüsse der beiden Skulpturen, die seit 2004 den Wandsbeker Marktplatz bewachen.
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Und bis heute existieren zwei Exemplare der Sandsteinvasen, die ebenfalls die Außenanlage des Schlosses zierten …
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Dass mich die Malereien auf dem Verteilerkasten zu Vincent Schulze und dessen Wandsbek-Motive wiederum zum Thema Schloss führten, können Sie leicht nachvollziehen. Doch warum auch die Pilze?
Als ich vor recht langer Zeit hierher in eine Parallelstraße zum „Schloßgarten“, eben jener Straße zog, in der sich in früheren Zeiten das Schloss befand, hatte ich nur eine sehr vage Idee davon gehabt. Und die eher vom Bauwerk als von den Ausmaßen der Ländereien!
Während ich südwestlich vom ehemaligen Standort des Schlosses lebe, zogen sich die angelegten Gärten
mehr in östlicher Richtung, dort, wo heute die Überreste des alten Baumbestandes das Gehölz bilden.
Gab es auch eine Ausdehnung in die andere Richtung, mehr zu meiner Seite hin?
Als ich in den Anfangsjahren einmal im Garten werkelte, spazierte eines Spätsommernachmittags eine betagte Dame vorbei, die in der Nachbarschaft, nur ein paar Häuser weiter, wohnte. Wir kamen ins Gespräch, und ich verriet ihr, dass ich erstaunt darüber sei, schon das dritte Jahr in Folge haufenweise Champignons auf meinem Rasen zu entdecken. Echte Wiesenchampignons!
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Wiesenchampignon im Garten …
Sie schaute verschwörerisch drein und verkündete mir dann:
„Das liegt an den Pferden.“
„Ich habe keine Pferde.“
„Nein, die von früher …“
Ich verstand immer noch nicht, worauf sie hinaus wollte. So erklärte sie die Umstände etwas genauer:
„Schauen Sie, ich spreche von dem alten Schloss. Hier waren früher Pferdekoppeln, die Weiden der herrschaftlichen Pferde. Die haben damals natürlich überall ihre Pferdeäppel abgelegt. Den Mist aus den Ställen verteilte man in den Nutzgartenbereichen. Beste Voraussetzung dafür, dass auf dem Boden Champignons gedeihen. Selbst heute hat das Erdreich immer noch etwas davon in sich. Von diesem Pferdedung, meine ich. Ich habe auch Champignons im Garten!“
Ich weiß bis heute nicht, ob ich dem Glauben schenken soll oder nicht … Was meinen Sie?
Als nach dem Abriss des Wandsbeker Schlosses die Grundstücke verkauft wurden, also auch die Weide- und Anbauflächen, errichtete man dort nach und nach Villen und zog neue Straßen durch das Gebiet. Später, im Krieg, war diese Gegend u. a. während der Operation Gomorrha Ziel zahlreicher Bombenabwürfe. Ein ganz erheblicher Teil der Villen lag danach in Trümmern oder hatte den Feuersturm nicht überstanden.
Man ließ damals den Schutt an Ort und Stelle, verteilte ihn großflächig, planierte alles und baute so bald es ging direkt darauf neue Häuser. Aus eigener Erfahrung weiß ich, nur eine dünne Lage Erde bedeckt die Ziegelgeröllschicht von damals.
Schauen Sie einmal, was ich vor Jahren bei jedem Stück Garten, das ich neu anlegen und gestalten wollte, zuvor alles auszugraben hatte …
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Hamburg – Wandsbek/Marienthal – Schuttreste aus Kriegszeiten sind immer noch im Boden …
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Selbst wenn einige Stellen im Umkreis des Schlosses tatsächlich noch „original“ sein sollten, d. h. der Boden ohne Schuttschicht … Kann es sein, dass sich der damals reichlich ausgebrachte Pferdedung in Form von Weideäpfeln und Stallmist noch nach 100 bis 150 Jahren auf die Erdbeschaffenheit auswirkt? Sie eine champignontaugliche Zusammensetzung besitzt? Zumindest, wenn weitere Gegebenheiten ebenfalls passen, wie beispielsweise ein Stück vorhandene, natürliche Rasenfläche/Wiese, möglicherweise Gehölze als Anrainer, neutraler bis leicht basischer Untergrund, keine mineralischen Dünger, überhaupt wenig Nährstoffe bei gleichzeitig genügend hohem Stickstoffanteil. Ideal dazu wäre eindeutig halb verrottetes, fermentiertes Material (wie eben Pferdemist).
Vielleicht ist das, was mir die alte Dame erzählte, lediglich ein schönes Märchen. Allerdings mag ich solche Geschichten!
Wann immer bei mir Champignons vorwitzig aus der Erde oder zwischen Gräsern des Rasens hervorlugen,
sich strecken und ihre erstaunlich großen Hüte ausbreiten, denke ich automatisch an die Rösser des Herrn Schimmelmann, die womöglich ausgerechnet in meinem Garten den Drang verspürten, Äppeldung mit Langzeitwirkung zu hinterlassen.
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Schluss machen für heute? Ja, es ist schon wieder dunkel draußen. Nur noch ein kleiner Schlenker und gedanklicher Sprung zurück zur Wandmalerei und Verteilerkastengestaltung.
Wenn Sie neugierig geworden sind und Lust auf weitere Motive bekommen haben, dann finden Sie auf der Website des Künstlers Vincent Schulze im Blogbereich vielfältige und wirklich sehenswerte Fotobeispiele.
Hier geht’s zur Homepage, hier direkt zum Blog.
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Und nun ist endgültig Feierabend! Denn, um es mit den Worten von Matthias Claudius zu sagen, „Der Mond ist aufgegangen“.
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Hamburg – Wandsbek/Christuskirche – Zur Erinnerung an Matthias Claudius die Bronze „Der Mond ist aufgegangen“ von Waldemar Otto.
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Vielleicht schauen Sie gelegentlich wieder vorbei, es würde mich freuen. Bis demnächst!
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© by Michèle Legrand, Januar 2017
Dicke Wände, Schleimspuren und anderes …
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Artikel, Foto, Hamburg, Wandsbek (Lokales) am 13/12/2016
Mögen Sie ein Stück mitspazieren? Es geht um nichts … Spektakuläres. Frische Luft, ein bisschen schauen, dazu ein kleiner Plausch, der unterwegs das graue Wetter hier im Norden ignorieren hilft. Und ich bin gerade ziemlich froh, dass es mit dem Spazieren wieder funktioniert, denn neulich habe ich doch glatt getestet, ob
mein Knie oder die Straße härter ist, ob gedehnte Bänder im Fuß Schmerzen verursachen und ob eine Asphaltoberfläche Platz- und Schürfwunden über der Augenbraue verursacht. (Ja, tut sie.) Nun ist alles wie-
der picobello, also könnten wir von mir aus starten.
Der OSZE-Gipfel ist mittlerweile geschafft, insofern sind keine Streckenbehinderungen zu erwarten. Ich wohne
in Hamburg sowieso in einem anderen Bezirk, einem, der letzte Woche zumindest von Sperrungen nicht direkt betroffen war, doch die Helikopter hörte man auch hier ständig. Die kreisten pausenlos über der ganzen Stadt.
Am Mittwoch, bevor der Gipfel startete und die Politiker bereits eintrafen, näherte sich nachmittags eine Passagiermaschine auf einem völlig anderen Kurs als üblich, vollzog über unserem Haus in Schräglage
eine Kurve und flog in extremem Schneckentempo weiter Richtung Flughafen. Ich munkele gern herum,
dass Außenminister John Kerry gerade einflog und ihm auf diese Weise noch ein wenig Sightseeing von
oben beschert wurde.
„Yes, Mr. Kerry, bird’s eye view of the awesome city of Hamburg. Sir, wenn Sie jetzt nach unten schauen,
you can see the Eisbahn of the Wandsbeker Winterzauber. Yes, Winterzauber. No, keine Zauberei! It’s
a Christmas Market. And look here, more on the left, standing in front of the house! Die Frau an der Tür,
sie schaut gerade hoch! …This is Michèle, you know?“
„Oh, really? I see …Wait, the one blogging about the Olivenholz?“
Das ist ein Ding mit ’nem Pfiff, oder? Ich schreibe über Hamburger Weihnachtsmärkte und erwähne gewisse Olivenholzschalen etwas näher. Was macht Mr. Kerry? Rennt vom Hotel als erstes hinüber zum Jungfernstieg und kauft sich eine! Ich habe ja beim Blog einen Abonnenten mit dem Namen John … Wahrscheinlich liest
der Gipfelgast aus den USA mit.
Oh, warten Sie, dabei fällt mir gerade etwas anderes ein!
Passiert es Ihnen auch manchmal, dass etwas Sie abrupt an schon ewig aus den Augen verlorene Menschen aus Ihrem Bekannten- oder einstigem Kollegenkreis erinnert? Ich erlebe das hin und wieder.
Irgendjemand vor mir hat einen vertrauten Gang, nimmt eine Haltung ein, die mir bekannt vorkommt. Manch-
mal erklingt eine Stimme, die mich aufhorchen lässt. Ein Singsang, ein Dialekt … Oder ein Verhalten weckt Erinnerungen!
Mir fiel daher eben spontan ein ehemaliger Kollege ein, der immer wunderbar ernst bleiben konnte, selbst wenn er anderen den größten Blödsinn erzählte. Ihm bereitete es diebische Freude, sein Gegenüber auf die Schippe zu nehmen. Doch jedes Mal, bevor es wirklich brenzlig wurde, wurde fix ein entwaffnendes „Späßle g’macht“ hinterhergeschoben. Dabei blickte er dermaßen zerknirscht drein (so echt, wie er vorher ernst geschaut hatte), dass man ihm unmöglich lange böse sein konnte.
Sie wissen, an welcher Stelle die Erinnerung an ihn bei mir aufblitzte? Genau. Außenminister Kerry hat mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit nicht vorher bei mir im Blog gestöbert. Späßle g’macht.
Und sie blitzte ein weiteres Mal auf, als ich gestern einen Vater mit seiner noch kleinen Tochter im Eiscafé sah. Der war vom gleichen Schlag wie Gernot Küppers* damals. Die beiden, Vater und Tochter, haben Espresso für ihn und ein Kindereis für die Lütte bestellt. Schneckeneis. Das kennen Sie, oder? Auf einem Teller kriecht eine freundlich wirkende Schnecke entlang. Der Leib wird aus einer Kugel Erdbeereis geformt, Hals und Kopf sind aus Vanilleeis und dementsprechend hell. Die Augen entstehen durch Schokostückchen, die Fühler sind in den Eiskopf versenkte Kekssticks, das Haus wird durch eine runde, flache Waffel, die zusammen mit einer Fruchtgummischnecke (wie Lakritzschnecke, nur rot) hochkant im Erdbeereis klemmt, nachgebildet. Sieht verdammt schick aus.
Die Schnecke wird gebracht.
„Papa, was ist das da auf dem Teller?“
„Eine Schnecke, Häschen.“
„Nein, das andere.“
Die Schnecke kriecht durch Vanillesoße.
„Das ist Schneckenschleim.“
„Iiiiehh!“
Ein weiterer Fall von „Späßle g’macht“. Ebenfalls bierernst, bestenfalls in den Augen funkelte es etwas verdächtig. Es dauerte übrigens einige Zeit, die kleine Dame wieder vom Gegenteil zu überzeugen und
zum Essen zu bewegen.
Wir kommen völlig vom Thema ab, doch auch das erinnert mich in gewisser Weise an den Kollegen Küppers. Der steckte gelegentlich den Kopf durch die Tür in mein Büro und fragte vorsichtig: „Kleines Schwätzchen?“
Sie können sicher sein, dass er selten beim ursprünglichen Thema blieb und dass es „viele kleine Schwätzchen“ wurden, falls man ihn nicht diplomatisch wieder hinausbugsierte.
Schwätzchen? Sie … und ich? Ich frag nur … Ich möchte Ihnen doch noch von den dicken Wänden erzählen.
In Hamburg gibt es auch heutzutage noch viele Bunkerbauten aus Zeiten des Krieges. So um die 700 sollen es sein, heißt es, wobei einige mittlerweile komplett abgerissen bzw. abgetragen wurden und sich diese Gesamt-
zahl verteilt auf Hochbunker, Rundtürme, Flaktürme, Sonderbauten und einen großen Teil an unterirdischen Anlagen.
Rundtürme finden Sie z. B. noch am Baumwall oder Bahnhof Hasselbrook, an der Sternschanze oder auch dem Wiesendamm. Was am meisten, oft auch störend, ins Auge fällt, sind natürlich die großen, kantigen, grauen Stahlklötze, die Hochbunker.
Noch bis in die Zeit des Kalten Krieges hat man immer gedacht, man bräuchte sie vielleicht noch einmal als sichere Unterbringungsmöglichkeiten, als Schutzraum, für die Bevölkerung. Man hat sie erhalten, sich aber nicht sonderlich um sie gekümmert. Dann herrschte für ein Weilchen – politisch gesehen – Tauwetter, so dass sich aufgrund (vermeintlich) friedlicher Zukunftsaussichten Gedanken um eine anderweitige Nutzung gemacht wurde.
Sie haben überregional sicher verfolgen können, dass der große Bunker am Heiligengeistfeld (dort wo der Hamburger Dom stattfindet, Public Viewing während Fußball-WMs veranstaltet wird und sich ganz nah das Millerntorstadion (FC St. Pauli) befindet), umgestaltet werden soll. Auf ihm könnte ein großer Dachgarten entstehen (zugestimmt ist dem bereits), doch wie die Bunkerbegrünung etc. im Detail aussehen soll und am Ende realisiert wird, ist immer noch nicht abschließend geklärt. Ob es wirklich fünf zusätzliche Stockwerke sind, die genehmigt werden und wie so eine Baumanpflanzung in luftiger Höhe funktioniert und auf Dauer auch überlebt … Warten wir es einfach ab.
Dieser ehemalige Bunker (Flakturm) an der U-Bahn Feldstraße ist heute als Medienbunker bekannt, mit vielen Firmen, die sich mit Film, Musik oder Unterhaltung beschäftigen. Auch der Club Uebel & Gefährlich ist dort. Die Nutzung hier also: medienlastig.
Werden andere Bunker in heutiger Zeit ohne größere vorherige Umbauten genutzt, geschieht das ebenfalls häufig durch gewerbliche Mieter, und es wird durchaus von lärmintensiven Gewerbezweigen geschätzt, denn
der Schallschutz ist schließlich hervorragend.
Oder es sind Lagerräume eingerichtet. Hier im Stadtteil Eilbek in der Schellingstraße wird er im unteren Bereich so genutzt, oben wird gewohnt.
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Werden sie richtig verändert, sind natürlich der Nutzung, der inneren und sogar der äußeren Gestaltung keine Grenzen gesetzt. In Altona gehört ein Bunkergebäude zum Krankenhaus, die Außenhaut mit schönen Motiven verziert, auf dem Allendeplatz steht ein umgebauter Hochbunker, in dem ein Bereich der Universität eingezogen ist. Dem Gebäude sieht man seinen Ursprung gar nicht mehr an. Weiße Fassade, viele Fenster, gerundeter Eingangstorbogen.
In meinem Bezirk gibt es recht viele Hochbunker, die bis vor ein paar Jahren noch in einem ziemlich desolaten Zustand waren. Manchmal kaschiert die Natur ein wenig hässliche, beschädigte Betonfassaden. Hier in diesem Bunker in der Von-Hein-Straße, wurden (werden wahrscheinlich immer noch) Probenräume für Musiker/Bands vermietet. Von der Von-Hein-Straße aus wurden (werden) die insgesamt sieben Hamburger Musikbunker verwaltet.
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In Zeiten des erhöhten Wohnraumbedarfs bis hin zum akuten Wohnungsmangel, wird jedoch mehr und mehr der Komplettumbau der noch vorhandenen Hochbunker ins Auge gefasst, und so entsteht vielerorts neuer Wohnraum. Das ist jedes Mal ein sehr umfangreiches, mühevolles Projekt, denn das alte Bauwerk zeigt sich widerspenstig und steht zudem stets inmitten bewohnter Häuser.
Ein Umbau zieht sich locker über drei Jahre und mehr hin und ist in dieser Zeit auch nur dann erledigt, wenn wirklich den ganzen Tag über gearbeitet werden kann und darf. Denken Sie nur an den damit verbundenen Lärm! Pressluft-/Stemmhämmer kann man nicht oder kaum einsetzen, Sprengungen sind im Grunde ausge-
schlossen. Bevor die Nachbarschaft ausnahmslos reif fürs Krankenhaus oder die Insel ist, ist folglich gute Vorplanung der Arbeiten zwingend notwendig und die Lärmreduzierung oberstes Ziel.
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Wenn Sie den nachfolgenden ehemaligen Bunker in der Wielandstraße betrachten, ahnen Sie vermutlich gar nicht, welche Wände sich z. B. vor Umbaubeginn hier befunden haben. Man sah von außen nur einen zum Teil beschädigten, recht schäbig wirkenden, monströsen Block, der aus 30.000 Tonnen Stahlbeton bestand. Maße: 42 m lang, 17,5 m tief und 22 m hoch.
Haben Sie eine Vorstellung im Hinblick auf die Stärke von Bunkerwänden? Die Mauern dieses Gebäudes hatten ursprünglich eine Dicke von zweieinhalb Metern! Da hätte man Sie mit hochgestreckten Armen quer einmauern können. Selbst wenn in diese Wände großzügig verteilt Fenster eingebaut würden, käme das Licht von außen trotzdem kaum bis in den Wohnraum; es müsste ja zunächst durch eine Art lange Schachtöffnung dringen. Ein Großteil des Lichts würde dabei geschluckt …
Können unter solchen Umständen daraus jemals helle Wohnungen werden?
Wenn zudem keine leistungsstarken Hämmer eingesetzt werden und keine Explosionen zugemutet werden können, wie bekommt man dennoch einen Bunker – salopp gesagt – zerlegt und Betonmassen reduziert?
Man nimmt einen großen Bagger, setzt ihn mit einem Kran erst auf das, später ins Gebäude hinein und ar-
beitet sich Stockwerk für Stockwerk durch das Innere.
Hier, im Falle des Bunkers in der Wielandstraße, wurden auf diese Art fast zwei Drittel des Stahlbetons ab-
getragen. Nur noch 11.500 t sind übrig geblieben und dort, wo bereits zu Kriegszeiten durch einen Bomben-
einschlag Schäden entstanden waren, wird am Ende Fehlendes – zur vorhandenen Optik passend – wieder ergänzt.
Die Wandstärke hat sich jetzt enorm reduziert. Die Mauertiefe beträgt nur noch 1,10 m, und das hat im posi-
tiven Sinn zur Folge, dass nicht nur die verfügbare Innenraumfläche zunimmt, sondern nun endlich auch der zukünftige Lichteinfall stimmt. Ein einstiger Hochbunker wird auf diese Art zum Wohnhaus mit sieben Etagen und 32 neuen Wohnungen unterschiedlicher Größe und Raumanzahl. So langsam ist das Haus bezugsfertig (2017) – nach ungefähr drei Jahren des Umbaus.
In Erinnerung an den geschätzten Kollegen Küppers das folgende Foto mit dieser Bildbeschreibung:
„Nach Umbau inklusive einer hauseigenen Landebahn … “
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Ein anderes Projekt entsteht ebenfalls in Eilbek in der Börnestraße. Dort finden von einem ehemaligen Hochbunker außer der Sohlplatte lediglich die beiden Seitenwände weitere Verwendung. Hier werden es zukünftig 14 Wohnungen in sechs Etagen sein, und ganz oben entsteht ein Penthouse als Staffelgeschoss
mit Ausblick in alle Himmelsrichtungen.
Die ehemaligen Bunkerseitenwände werden nach Fertigstellung weiterhin nach Bunker aussehen. Sie sollen
nur gereinigt werden. Auch hier vergehen immerhin knapp zwei Jahre (plus fünf Monate für Abbrucharbeiten
im Vorfeld), bis aus dem ehemaligen Hochbunker ein Wohngebäude entstanden sein wird.
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So, Herrschaften. Feierabend? Feierabend. Heute haben Sie und ich uns passend zum grauen Wetter graue Bauten angesehen und wissen nun, wo es dickwandige Gebäude gibt. Für alle Fälle. Man weiß ja nie …
Sie wissen, wie Sie heimkommen? Fein. Dann lasse ich Sie nun alleine und verabschiede mich bis zum nächsten Mal. Ich denke, Mr. Kerry müsste mit seiner Olivenholzschüssel inzwischen auch wieder zurück sein.
Haben Sie weiterhin eine schöne Adventszeit! Eventuell lesen wir uns noch einmal vor Weihnachten.
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(*Name geändert)
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© by Michèle Legrand, Dezember 2016
Vergängliche Kunst …
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Allgemein, Artikel, Foto, Wandsbek (Lokales) am 22/05/2016
Mein heutiges Blogthema ist ein Spontanentschluss. Was den Anstoß dazu gab, werden Sie wahrscheinlich nicht auf Anhieb erraten, darum sag ich es Ihnen: Es war kunstvoll geformter Vogelschiss auf der Windschutzscheibe meines Autos.
Da ich draußen und vorzugsweise am Haus parke, steht das gute Stück meistens unter der großen, rotblättrigen Blutpflaume, die von allen Vögeln extrem gern beflogen und belagert wird. Und von der man offenbar freudvoll auf parkende Fahrzeuge herabpladdern lassen kann.
Diesmal verlief das ganze Zeugs direkt auf der Scheibe zur nicht unbekannten springenden Raubkatze.
Sie wissen schon, dieser Kühlerfigur des Jaguars. Die Umrisse stimmten, das Tier war lediglich etwas senkrechter gestellt als üblich. (Sonst hätte der Vogel ziemlich quer und eher aus dem Flug treffen müssen.)
Mein neu gestylter Scheibenjaguar hatte außerdem kleine, rundliche Kleckse vor seinem aufgerissenen
Maul. Leicht darüber positioniert. Es schien, als würde er munter Blasen herauspusten. Sehr schick.
Ich habe es trotzdem entfernt. Vergängliche Kunst, wenn Sie so wollen …
Seitdem geistert mir dieser Begriff im Kopf herum.
Man kann davon ausgehen, dass diese Windschutzscheibenhinterlassenschaften definitiv nicht als Meisterwerk geplant waren, so wie es sich oft auch in der freien Natur bei in unseren Augen kunstvollen Dingen um keine bewusst arrangierte oder gar vorausgeplante Kunst handelt. Nichtsdestotrotz schafft der Anblick einiger Sachen es locker, dass einem urplötzlich überwältigt der Atem stockt. Hat mich der guanohaltige Jaguar eher verblüfft als in Begeisterungsstürme ausbrechen lassen, so gestehe ich gerne, dass es Naturkunst gibt, die ich schlichtweg umwerfend finde.

Vergängliche Kunst Wald-Geißbart (Aruncus dioicus) – Feinste Pflanzenaustriebe …
Denken Sie nur an imposante, glitzernde Eiszapfen, die vom Dachrand herabhängen, an zarte Eisblumenbilder, die heute durch die Isolierverglasung nur noch selten an Fensterscheiben entstehen. Haben Sie blinkende Tautropfen im Gras am Morgen vor Ihrem inneren Auge? Kunstvoll verknüpfte Spinnenweben im Gegenlicht? Feinste Pflanzenaustriebe, bizarr geformte Samenkapseln, sich entrollender Farn, filigrane Reste vertrockneter Blüten? Herzförmige Kartoffeln oder Erdbeeren, zwei sich eng umschlingende Karotten, die faszinierende Gestalt von Ginkgo-Wurzeln?

Vergängliche Kunst …. Mohnkapseln nach dem Winter, s/w-Aufnahme
Und wie phantastisch sind Farbmeere! Ein riesiges Lavendelfeld, eine blühende Heidelandschaft … Oder Farbkombinationen! Ein gelbes Rapsfeld, dazu Feldmohn und Kornblumen am Feldrand. Ist nicht auch die Blattfärbung im Herbst gewaltig? Staunen auch Sie manchmal heimlich beim Betrachten von außergewöhnlichen Wolkenformationen, sehen auf einmal Figuren? Und dann wären da noch Spiegelungen im Wasser, gestochen scharf, so farbintensiv … Oben das Original, im Wasser die exakte Kopie gedreht. Aber was ist, wenn Sie sich umdrehen, den Rücken zukehren, die Beine auseinanderstellen, eine tiefe Rumpfbeuge machen und aus dieser Position zwischen Ihren Beinen hindurchschauen. Wo ist nun oben, wo unten? Was ist echt, was gespiegelt? (Nicht auf die sonstige Umgebung achten!)
Ach, und dann bin ich ja auch so jemand, der Gischt verzückt anstarrt, weil sich darin ein Regenbogen gebildet hat …
Alles vergänglich, und bei fast all diesen Dingen hat der Mensch seine Finger nicht im Spiel. Bestenfalls leisten Tiere Hilfe bei der Entstehung. Wissen Sie, was ich einmal entdeckt habe? Ein entweder von Raupen oder von Käfern zerfressenes Riesenblatt! Doch das war nicht einfach von den Krabbelkollegen bzw. dem Raupenvolk vom Rand her reizlos weggenagt, sondern war auf der ganzen Fläche regelmäßig ausgestanzt, so genial, dass man meinte, es wäre eine Stickmustervorlage für einen Untersetzer oder ein Tischset.

Vergängliche Kunst … Kartoffelrose im Winter mit Resten der Hagebutte
Wenn Sie jetzt die Natur einen Moment beiseite lassen und einmal den Menschen selbst betrachten, so stellen Sie fest, dass sich auch an ihm zuweilen vergängliche Kunst findet. Vergänglich nicht nur, weil der Mensch logischerweise altert, sondern weil einige Veränderungen bewusst nur für einen bestimmten Anlass oder auf Zeit gedacht sind. Sich gelegentlich auch einfach selbstständig bilden!
Interpretationsgeeignete Sommersprossengemälde, die durch unregelmäßig verteilte kleine Tuffs hervorgerufen werden! Farbmuster der Haut durch unterschiedliche Bräunung, Muster, die beispielsweise entstehen, sobald abweichende Trägerbreiten und -formen beim Sonnen immer andere Hautpartien abdecken oder freigeben bzw. stellenweise durchlässiges, grobmaschiges Gewebe für helle Hautareale, aber ebenso für rote Haut dazwischen sorgt.
Haarkunst! Es gibt phantasievolle Hochsteckfrisuren, kurzlebige Kreationen, besonders wenn diese Blüten im Haar beinhalten. Bärte malen zeitweise Formen und Muster ins Gesicht, mancher zwirbelt und wachst gelegentlich auch seine extralang gezüchteten Barthaare.
Ganz eindeutig Kunst (und im Vergleich zur Tätowierung ebenfalls vergänglich): Body Painting!
Was gibt es da nicht alles für sagenhafte Motive, die sogar in der Lage sind, unser Seh- und Erkennungsvermögen zu täuschen!
Sie haben gemerkt, so allmählich sind wir in einem Bereich angekommen, in dem es nicht mehr die Natur und dort vielleicht zusammentreffende Umstände sind, die etwas entstehen lassen, sondern nun betätigt sich der Mensch selbst künstlerisch und wird Schöpfer eines Werks. Auch da gibt es so viel, was nicht für die Ewigkeit gemacht ist!
Kennen Sie den Begriff Land Art?
Wenn vergängliche Kunst in und mit der Natur gestaltet wird, spricht man von Land Art. Aber verwenden Sie den Begriff nicht gegenüber einem Engländer, auch wenn es sich passend anhört. Der wird Sie fragend anschauen. Bei ihm nennt sich die Kunst anders, nämlich Earth Art.
Ob Land Art oder Earth Art, in beiden Fällen erschafft man etwas mit Materialien aus der Natur, etwas, von dem man weiß, dass es nur eine begrenzte Zeit überleben wird, bevor es durch Regen, Wind, Schnee, Frost, Sonne etc. irgendwann wieder zu Humus wird und letztendlich keine Spur des Kunstwerks übrigbleibt.
Kleine Arrangements und Bilder im Freien aus dicken Hölzern, dünnen Zweigen, Wurzelwerk, Gräsern, Beeren, Gewürzkörnern, Laub, Steinchen, Blüten etc. Wenn etwas miteinander verbunden wird, dann ebenfalls auf natürliche Weise. Kein industriell angefertigter Kleber, kein Zement, sondern biegsame Ruten, erstaunlich reißfeste Gräser und Stängel und spitze Stöckchen übernehmen die Aufgabe, Teile miteinander zu verknüpfen, zu verbinden oder Blätter zu befestigen. Oft geben auch von der Natur geformte Verwachsungen und Verdrehungen eines Astes oder einer Wurzel dem ganzen Werk den nötigen Halt.
Nicht direkt lupenreine Land Art, aber so etwas Ähnliches sind im Prinzip die folgenden Kreationen, die ich persönlich sehr faszinierend zu betrachten finde. Auch hier sind es stets Werke, bei denen von vornherein klar ist, dass begrenzt überlebende Kunst geschaffen wird – denn sagen Sie selbst: Schnee und Eis als Werkmaterial ist eindeutig vergänglich, oder?
Hier lebt die temporär existente Kunst in Form von Snow Art und Ice Art.
Haben Sie schon einmal von Simon Beck gehört, jenem Mann, der ungewöhnliche, richtig schwierige, geometrische Muster in ausgedehnte Schneelandschaften stapft? Nicht? Er geht auf die 60 zu, ist Brite, und da in seinem Heimatland nicht sicher ausreichend oft und viel frischer Schnee fällt, ist er extra für seine Schneekunst umgezogen. Nach Les Arcs, in ein französisches Skigebiet. Nun läuft er mit Schneeschuhen und Kompass riesige Flächen ab, und was dabei an Bildern herauskommt, ist unglaublich! Aber vielleicht haben Sie selbst ja auch schon Trittmuster fabriziert. Oder wenigstens im Schnee gelegen und mit den Armen einen Schneeengel gewischt…
Bei mir auf der Terrasse stapft im Winter immer eine Unmenge von Vögeln trotz Flugmöglichkeit zu Fuß Richtung Futterhäuschen und hinterlässt dabei grandiose Abdrücke im Schnee. Wild durcheinander, als hätten sie Baseball gespielt und sich alle dabei umgerannt, doch von den einzelnen Fuß- oder Krallenspuren her betrachtet wirkt wiederum alles hauchzart … Das ist wohl Bird Art.
Mir fallen noch Schneeskulpturen ein! Was wird da nicht alles kreiert! Doch kaum sind draußen um die Null Grad Celsius, schon zerfließt der Elch, schmilzt der Schneemann. Saisonende für das Schneehotel in Finnland; es schließt seine Pforten bis zum nächsten Jahr.
Ganz enorme Bewunderung hege ich für diese Säger und Meißler, die im Winter statt Holz und Stein glasklares Eis als Ausgangsmaterial zur Formung unglaublich fein gearbeiteter Eisfiguren und ganzer Eisszenen wählen! (Ice Carving, Schnitzen von Eisskulpturen.) Wenn Sie noch keine Originalkunstwerke besichtigen konnten, dann haben Sie aber doch bestimmt schon einmal den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier …“ gesehen. Darin schnitzt und raspelt Bill Murray gerade an einem Werk. Man bekommt automatisch Lust, es selbst auszuprobieren …
Vergessen darf man natürlich keineswegs, was sich alles mit oder im Sand anstellen lässt!
Zum Beispiel rechen Künstler mit ihren Laubharken Wahnsinnsmuster auf Sandplätzen und -wegen! In Japan
ist es der Splitt (Kies lässt sich nicht wirklich in Form harken), der kunstvoll in den Gärten gerecht wird, damit so entstandene wellenartige Muster an die Bewegung von Wasser erinnern.
Apropos Japan und japanischer Gärtner! Sie kennen die alte Krimireihe Columbo, oder?
Ich erinnere gerade eine Episode, in der ein Mord nur deshalb aufgeklärt werden konnte, weil eben ein ganz speziell geharktes Muster auf dem Weg zur Zeit der Tat entweder nicht mehr oder umgekehrt bereits dort gewesen war. Auf jeden Fall höchst verräterisch und für einen Columbo alias Peter Falk natürlich unübersehbar.
Sand Art. Auf Teneriffa kennt man gelegentlich kein Halten, was Sandgemälde angeht. Dort gibt es jedes Jahr den sogenannten Sandteppich, der ist mittlerweile richtig berühmt! Wenn Sie einmal Urlaub in La Orotava machen sollten, dann können Sie sich das riesige Kunstwerk (stets 900 qm Fläche!) gleich anschauen. Vorausgesetzt, Sie sind zur richtigen Zeit vor Ort.
Entlang vieler Küsten werden bei Ebbe im Watt oder sonst im leicht feuchten Sand am Wasserrand gern mit den Fingern, mit Schaufelstielen – oder eben auch dort wieder mit Hilfe von Harken – Gemälde erstellt. Wenn es der Strand hergibt, gesellen sich noch Muscheln und Tangreste zur Gestaltung hinzu. Schon wird es ein kleines Kunstwerk, ein Hingucker.
In Strandnähe erschaffen kreative, begabte und vor allem geduldige Menschen Sandburgen und -schlösser, die fast an Neuschwanstein oder das Wasserschloss Chenonceau erinnern. Andere sind Meister im Formen von menschenähnlichen Sandskulpturen, erschaffen Nachbildungen von Wahrzeichen oder sind die Gestalter ganzer Sandlandschaften. Heute sind es die Profis, die die Erlaubnis erhalten, dort zu bauen. Der Urlauber muss sich zurückhalten, zumindest was Fallgruben und gewaltige Abschottungswälle angeht. Weil es Überhand nahm, kamen irgendwann die Verbote …
Malereien am Wasser. Wie vergänglich, denn alles, was nicht im trockenen Strandbereich liegt, muss vollendet sein, bevor Gezeitenwechsel ist und hat oft eben nur so lange Bestand, bis die nächste Flut es fortspült …
Die Bauwerke und Skulpturen der Sandspezialisten sind durch kleine Tricks etwas stabiler, sind dadurch zumindest für die Dauer einer Ausstellung zu erhalten. Doch nicht allein die Sandbauten, selbst Skulpturen aus anderen Materialien – wie Treibgut – sind nicht für die Ewigkeit tauglich. Sie überleben die gegebenen Umstände nicht lang. Schluckt sie nicht die Flut, so setzen UV-Strahlung und Witterungseinflüsse Farben und Material enorm zu. Es modert, verblasst, bricht, rostet .. Vergängliche Kunst.
Seit einigen Jahren wird Sandmalerei noch auf eine ganz andere Art und Weise ausgeführt, und in dem Fall ist nicht das Endergebnis, sondern das kontinuierliche Beobachten, der Entwicklungsprozess, unheimlich interessant! Hier findet nämlich mehr ein Streuen und Wischen denn ein Malen statt. Die Künstler verwenden dazu unterschiedlich gefärbten Sand und verändern ihr Werk ständig. Laufend wird neu Sand hinzugefügt, vermischt, vermengt, neu arrangiert. Mit Staunen nimmt man als Zuschauer wahr, wie sich Bilder ändern, sich neue Motive wie von Zauberhand herausbilden, sich weiter entwickeln, um durch wieder anderes abgelöst zu werden. Eine ganze Geschichte entsteht auf diese Art.
Und am Ende wird alles verwischt … Vergängliche Kunst.
Was am Meer ein Opfer der Gezeiten wird, erlebt an Land oftmals sein letztes Stündlein, sobald Regen einsetzt. 3D-Kreidezeichnungen auf Asphalt, die einem vorgaukeln, man schaue in den Abgrund und stehe vor einem Wasserfall. So reizvoll, so plastisch, so vergänglich …
Apropos Kreidegemälde. Haben Sie das Geschehen vor wenigen Tagen mitbekommen, als eine Siebenjährige draußen mit Kreide malte und die Eltern daraufhin Schwierigkeiten mit dem Ordnungsamt bekamen? Ich schwitze jetzt noch nachträglich, denn offenbar haben wir vor vielen Jahren richtig Glück gehabt, dass kein Kontrolleur vorbeikam. Was haben meine Kinder (und die der Nachbarn) nicht alles auf den Asphalt des Wendeplatzes unserer Sackgasse gemalt: Läden, Gefängnisse, Krankenhäuser, Hubschrauberlandeplätze, Bushaltestellen, Schulen, Arztpraxen, Polizeistationen und selbstverständlich Straßen en masse nebst aller Verkehrsschilder …!
Wir haben geübt für das Leben da draußen! Das Verhalten im richtigen Stadtverkehr! Wie man heil zur Schule und zurück kommt! Jedes Mal hat bereits der nächste Regen die ganze Kreidewelt wieder beseitigt.
Es ist jedem klar, dass sich kein Erwachsener mit wasserfester Farbe selbst seine Privatparkplätze vor der Haustür einzeichnen darf, aber wenn ein Kind mit rosa und hellblauer Kreide ein oder zwei bestimmt nicht mit exakten Linien gezogene Rechtecke samt großem „P“ vor dem eigenen Haus malt, dann begreife ich wirklich nicht, warum dies ein Fall für das Ordnungsamt ist. Hätte nicht die Großmutter inzwischen zum Schlauch gegriffen und das Werk eliminiert, herrschte wahrscheinlich heute noch Zoff.
Es war vergängliche Kunst, verehrtes Ordnungsamt! Kinderkunst!
Zum Abschluss möchte ich Ihnen noch etwas zeigen, was ich bei mir in der Nähe entdeckt habe.
Weil es ebenfalls vergängliche Kunst ist.

Hamburg – Mühlenteich
Am Mühlenteich in Wandsbek gibt es seit einem Jahr eine Green-Gym-Gruppe. Das sind Hobbygärtner, die ehrenamtlich im öffentlichen Raum (Mühlenteichpark) arbeiten und dabei zusätzlich mit einem Trainer sportlich aktiv sind und gymnastische Übungen machen. Die hatten die Idee, aus Ton kleine Kunstwerke an den Bäumen im Park zu hinterlassen.

Hamburg – Vergängliche Kunst am Mühlenteich – Baumstammdekor aus Ton und Blüten …

Hamburg – Vergängliche Kunst am Mühlenteich – Baumstammdekor aus Ton …

Hamburg – Vergängliche Kunst am Mühlenteich – Baumstammdekor aus Ton

Hamburg – Vergängliche (Ton-)Kunst am Mühlenteich
Auch hier wird Nässe bzw. die Witterung allgemein dafür sorgen, dass bald nichts mehr davon zu sehen sein wird.
Vergänglich ist nicht allein Kunst, sondern ganz eindeutig auch Zeit. Schon wieder so spät!
Ganz schnell nur noch eines:
Wissen Sie, was man von vergänglicher Kunst annimmt?
Man sagt, es scheine so, als würde ihr empfundener Wert durch die begrenzte, zudem oftmals extrem kurze Lebensdauer noch gesteigert werden.
Ich würde sagen, da ist etwas dran. An dieser These. Das ist Psychologie. Was einem nicht sicher ist, was man nicht haben und halten kann, das scheint einem immer besonders begehrenswert.
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© by Michèle Legrand, Mai 2016
Die „Frühlingswiesn“ …
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Allgemein, Artikel, Foto, Hamburg, Wandsbek (Lokales) am 29/04/2016
Ich schneie heute bei Ihnen herein. Oder grauple kurz vorbei. So müsste es korrekterweise angesichts des gegenwärtig vorherrschenden Wetters heißen. April kann anscheinend nicht anders …
Haben Sie die Satellitenaufnahmen vor allem Mitte der Woche gesehen? Es balgten sich gleich mehrere Tiefs über dem Atlantik darum, wer als erstes westwärts voranstürmen durfte. Man wusste sofort, ganz gleich, wie das Scharmützel intern ausginge, wir würden auf jeden Fall ein Tief abkriegen.
Während in ganz Deutschland die Bevölkerung die bereits weit weggelegten Winterjacken wieder hervorholte, feiert mein Stadtteil sein Frühlingsfest. Wir Norddeutschen kennen da nichts!
Das Kinn trotzig vorgestreckt und frei nach der Devise: Jetzt erst recht! hat die „Wandsbeker Frühlingswiesn“ seit dem 22. April und noch bis zum 1. Mai unbeirrt ihre Pforten geöffnet.

Hamburg – „Wandsbeker Frühlingswiesn“ kurz vor der offziellen Eröffnung am 22. April 2016
Vor dem 22.4. herrschten zuletzt recht freundliche, frühlingshafte Temperaturen, der Himmel leuchtete blau. Selbst der Eröffnungstag konnte sich wettertechnisch noch sehen lassen. Bereits in der Nacht darauf wurde es allerdings richtig kalt und vor allem nass! Und das hielt und hält an. Echt schade, oder?
Das Komische ist, Sie können hier die Uhr danach stellen! Es verhält sich gefühlt bei allen derartigen Veranstaltungen mit Saisonbezug so.
Wenn in Wandsbek auf dem Wandsbeker Markplatz in der zweiten Junihälfte alljährlich für gut drei Wochen der Beach Club (Like Ice and Sunshine) residiert, ist garantiert kein Sommerwetter. Sobald die Eröffnung der Strandanlage naht, schleicht sich von hinten das erste Tiefdruckgebiet an und dominiert mit seinen Nachfolgern gleich die nächsten Wochen. Wasser ist dann leider nicht nur im extra aufgestellten Pool, sondern auch auf sämtlichen Stühlen, Tischen und den Sitzflächen der Strandkörbe. Der extra angefahrene Sand präsentiert sich klitschnass und klebt an allem. Jede Minute, in der ausnahmsweise und unvermutet irgendein vorwitziger Sonnenstrahl auftaucht, wird als absolute Rarität entsprechend bejubelt.
Legt ab Mitte November der jährliche Winterzauber mit Kunsteisbahn und Weihnachtsmarkthütten los, ist alles, nur nicht Winter. Mit etwas Glück rauscht ein Hochdruckgebiet von den Azoren herbei. Dann bleibt es zumindest trocken, doch Grogs reizen bei 15 °C nur mäßig. Bei leicht sinkenden Temperaturen am Abend schon eher; in gemütlicher, lockerer Runde bei netter Beleuchtung der Szenerie und Musik im Hintergrund, sieht man über den fehlenden Frost leichter hinweg. Doch meist bringen Islandtiefs und ihre Ausläufer bis nach Weihnachten Nässe mit sich. Auf der häufig verlassen wirkenden Eisbahn stehen die Regenpfützen, die Leihschlittschuhe hängen unbeachtet im Zelt an ihren Haken … Diese moderaten Temperaturen dauern an bis Anfang Januar und zwar genau bis zum Beginn des Abbaus des Winterzaubers. Danach wird’s gern knackig draußen, und die Sonne traut sich wieder häufiger hervor.
Es mutet schon sonderbar an, dass man zur Beach Club Saison fast lieber den Grog hätte und zum Winterzauber dafür die kühlen Cocktails.
Es gibt halt nie eine Garantie für probates Wetter, das zum geplanten Event passt. Umso schöner ist es, wenn ein Fest sich durch seine Planung und Ausführung als wetterunabhängig entpuppt.
Die jetzige „Frühlingswiesn“ stellt den brandneuen Ableger der im Herbst stattfindenden traditionellen „Wandsbeker Wiesn“ dar, und die wiederum ist seit zehn Jahren für viele Hamburger als Stätte des Oktoberfests mit ihrem Musikprogramm, der Maß Bier, den Haxn, Brezn und der Gaudi ein beliebter Anlaufpunkt. Mehr und mehr steigt dabei offenbar auch die Lust an der anlassgerechten Verkleidung.
Wie es im Herbst üblich ist, wurde auch für die Premiere der Frühlingswiesn das große Partyzelt aufgebaut. Genauer gesagt die vertraute weiße Riesenhalle mit ihrem Zeltcharakter. Wände und Dach bestehen aus stabilen, wetter- und windfesten Kunststoffelementen, ein extra eingezogener Holzboden schützt nach unten
vor Kälte und Feuchtigkeit, gleicht auch den abschüssigen Boden des Platzes aus. Im Innern eine Bühne
für die tägliche Livemusik am Abend, Bänke und Tischreihen für enorm viele Festgäste.
Insofern kann das Wetter sein wie es will, die Besucher sitzen warm und trocken. Nur speziell für die Frühjahrswiesn hat man sich in der Hoffnung auf Frühlingswetter und Sonne wirklich Mühe mit der Außengestaltung des Platzes gegeben, hat Extrahütten für die schnelle Verpflegung auch außerhalb der Partyzeiten im Zelt aufgebaut sowie zahlreiche Außenplätze an Biertischen eingerichtet. Blumenkübel, Girlanden, Durchgangsbögen und Sonnenschirme gesellten sich dazu, der Boden erhielt in diesen Bereichen eine dicke Schicht Rindenmulch und wirkt so sehr rustikal. Das Mulchmaterial war offenbar sehr frisch hergestellt, denn nach dem Ausbringen roch es auf dem Platz die ersten beiden Tage wie im Sägewerk.
Es sieht alles sehr nett hergerichtet aus, schade also, wenn durch ewige Graupelschauer und die herrschende Kälte diese extra geschaffenen Flächen kaum genutzt werden können.

Hamburg – Wandsbeker Frühlingswiesn vor der Eröffnung …
Positiv fällt diesmal die Gestaltung des Wegverlaufs von der Schlossstraße über den Platz hinüber zur Wandsbeker Marktstraße und zum EKZ Quarree auf!
Kein harter Zickzack-Kurs, dennoch eine direkte Passage ohne unnötige Umwege. Geschwungene Formen und endlich, endlich einmal wurden die beiden dort ständig aufgestellten Bronzefiguren „Ehrensprung“ und „Zeitungslesende am Strand“ von Bernd Stöcker nicht als lästiges Hindernis betrachtet und eingequetscht, sondern die Wege so gelegt, dass beide Werke in das Gesamtbild einbezogen wurden und nun zentrale Punkte und Anschauungsobjekte sind.
Ebenfalls positiv die Idee, der weißen Festhalle an der Stirnseite einen großzügigen transparenten Vorbau zu gönnen, der das Gefühl vermittelt im Freien zu sein und gerade bei diesem unvorteilhaften Wetter goldwert ist.

Hamburg – Die erste „Wandsbeker Frühlingswiesn“ (2016) – Bei schönerem Wetter wäre draußen eindeutig mehr Betrieb …
Haben Sie, die weiblichen Leser unter Ihnen, eigentlich ein Dirndl? Ich bin zwar eh ein bisschen zu spät dran mit der Information – die Anmeldefrist ist schon abgelaufen –, aber Sie hätten sich theoretisch bis zum 26. April 2016 zur Wahl der ersten Hamburger Maikönigin anmelden können. Sich bewerben können!
Geben Sie es ruhig zu, das war doch mit Sicherheit schon immer Ihr heimlicher Traum …
Ja? Nicht? Doch? Ach, schau an …
Erstaunlich wenige Bedingungen waren an die Teilnahme geknüpft. Mindestens 18 Jahre alt sollte die zukünftige Frühlingsbotschafterin sein – aber nach oben waren dem Alter keine Grenzen gesetzt. Aus Hamburg musste sie kommen. Ausstrahlung sollte sie haben. Und humorvoll sein! Stolz darauf, Wandsbek zu vertreten.
Das Tragen eines Dirndls auf dem u. a. erwünschten Ganzkörperbewerbungsfoto war keine Pflicht, hätte aber unter Umständen für Pluspunkte sorgen können. Denn getragen wird es letztendlich auf jeden Fall! Nicht nur von der späteren Maikönigin, sondern gleich von allen nach Einsendeschluss ermittelten zehn Finalistinnen.
Diese zehn Titelaspirantinnen stehen seit vorgestern (27.4.) fest und werden nun für die anstehende Wahl von der Trachtendiele Hamburg mit einem Dirndl ausgestattet. Alle sich anmeldenden Damen mussten sich von vornherein bereiterklären, sich im Fall ihrer Nominierung zwei bestimmte Abende vor der Wahl freizuhalten, um mit den anderen Kandidatinnen der Endrunde eine Choreographie einzuüben.
Choreographie? Ja, denn es wird anlässlich der Wahl zur Maikönigin am 30.4.2016 beim Tanz in den Mai im Festzelt auf der Frühlingswiesn auch eine Modenschau geben. Sie erinnern sich noch an die Berichte über den Nachwuchsmodel-Wettbewerb „Quarree Gesichter“ hier im Blog? Stylist und Modelcoach Alexander Strauß, der damals in allen drei Staffeln des Contests die Teilnehmer betreute, kümmert sich diesmal um die Titelanwärterinnen und bereitet mit ihnen etwas Spezielles vor. Am 30. April bei der Präsentation im Festzelt anwesende Gäste dürfen also gespannt sein.
Die Jury, die die künftige Maikönigin an diesem Tag aus den Top Ten ermittelt, wird sich aus Lokalprominenz zusammensetzen.
Nun, für Sie kommt eine Teilnahme am Wettbewerb nun nicht mehr in Betracht. Ich bin untröstlich, Sie müssen sich definitiv eine Alternative zum Amt der Maikönigin überlegen. Mal abwarten, ob es bei dem vorherrschenden Wetter eine Graupella, die Erste, oder mit etwas Glück Ihre Königliche Hoheit Solaria I. wird, denn wie es aussieht, bestehen berechtigte Hoffnungen auf Wetterbesserung. Ein wenig beständiger und milder soll es werden, mit einem Eckchen Himmelsblau von Zeit zu Zeit.
Wer in Hamburg oder der Nähe wohnt, hat weiterhin die Gelegenheit, die Frühlingswiesn zu besuchen und somit vielleicht sogar die Chance, auf einem der Außenplätze etwas Sonne abzubekommen. Vielleicht wird spätestens dann auch das Kinderkarussell reger genutzt. Am Mittwoch drehte dort ein einziges Kleinkind mitten im Regen seine Runden und sah dennoch dabei recht zufrieden aus.
Nach Tanz in den Mai und Wahl der Königin ist am Sonntag (1.5.) der allerletzte Tag der Frühlingswiesn. Es wird lausig Zeit für alle, die noch dabei sein möchten!
Ich selbst muss theoretisch gar nicht mehr hin. Wenn dort allabendlich Liveprogramm geboten wird, kommt die Musik, obwohl sie im Festzelt gespielt wird und die Entfernung zu mir obendrein ein paar Hundert Meter beträgt, jedes Mal bei mir daheim gut hörbar an. Inklusive der Jodler. Ich brauche dann nur noch eine Brezn dazu, das war’s.
Es sieht momentan etwas netter draußen aus, ich werde die Gelegenheit beim Schopfe packen und etwas an die Luft gehen. Mir fällt gerade ein, bevor ich mich verabschiede, wollte ich Ihnen noch ein anderes Foto zeigen!
Ich habe jetzt endlich einmal den Maulwurf bei der Arbeit entdeckt! Schauen Sie!
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© by Michèle Legrand, April 2016
Der Gloria-Rufer und andere Ereignisse …
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Allgemein, Artikel, Foto, Geschichten / Menschliches Verhalten, Wandsbek (Lokales) am 08/11/2015
Das interne Tauziehen um den Blogpost dieser Woche endete gestern mit einem Sieg für den Gloria-Rufer über den dritten Bodensee-Teil. Meersburg wäre es diesmal gewesen. Es kann rein gar nichts für seine Niederlage! Zeitaufwand und Ruheerfordernis beim Fertigstellen sind für einen See-Serienteil höher – und genau an der verfügbaren Zeit hapert es im Moment. So erwartet Sie stattdessen im Verlauf einer kleinen, entspannten Sonntagnachmittagskaffeeplauderei ein Einblick in Vorkommnisse der zurückliegenden Tage.
Wissen Sie, es gibt immer wieder einmal so gar nicht recht zusammenpassen wollende Dinge. Aktionen, Bilder, Eindrücke, die gefühlt in der präsentierten Kombination irgendwie misslungen wirken. Falsch erscheinen.
In anderen Momenten entstehen unter Menschen komische bis leicht bizarre Situationen. Auf ihre Art ebenfalls leicht daneben … Nur falsch erscheinen sie deshalb nicht automatisch.
Und es gibt selbstverständlich im Leben die ganz besonderen Augenblicke! Die wirken dann wiederum vollkommen und goldrichtig. Keine Spur von daneben …
Die letzte Woche hatte von allem etwas parat.
Sollen wir loslegen? Stichwort Handel und Weihnachten.
Verzichten wir einfach auf eine grundsätzliche Diskussion über den frühen Verkauf von Schokoweihnachts-männern, das Augustangebot an Lebkuchen, schmelzenden Dominosteinen und Konsorten, das enorm zeitige Dekorieren von Lichterketten, Weihnachtsgirlanden, Tannenbäumen etc. Das Ergebnis einer solchen Debatte ist nämlich sowieso von vornherein klar: Alle beklagen die Vorgehensweise des Handels, aber an dessen Verhalten ändert sich darum noch lange nichts.
Wo Profit lockt …
Sich nur aufzuregen bringt also nicht weiter. Der Ärger macht nur hässliche Falten. Ehrlicherweise müssten wir uns eingestehen, dass wir als Kunden nicht konsequent genug im eigenen Handeln sind. Wir ziehen nicht an einem Strang. Wir werden weich vorm Regal. Wir akzeptieren die Umstände zwar noch nicht, aber wir tolerieren sie. Wir meckern doch im Vergleich zu früheren Jahren mittlerweile bereits deutlich weniger, murren immer leiser, und irgendwann werden sie uns vermutlich komplett ruhig bekommen.
Die Gewöhnung macht’s. Steter Tropfen höhlt bekanntlich den Stein.
Ihre Urenkel werden später überhaupt nicht mehr nachvollziehen können, was Ihren Puls beim Thema Adventszeit und Septemberstollen einmal hat losrattern lassen.
Was mich allerdings erstaunt, ist, dass bisher kein Ende in Sicht scheint mit der immer weiteren Vorverlegung der früher auf die echten Adventswochen beschränkten Vorweihnachtszeit. Stattdessen wird Jahr um Jahr immer noch ein bisschen eher mit Lichtern, Folie, Glitzerzeugs und erschlagenden Mengen an Weihnachtsmännern und anderen Süßigkeiten die Lieblingssaison des Handels eingeläutet.
Glauben Sie mir, nur die Tatsache, dass inzwischen Halloween zum Glücksfall für die Wirtschaft geworden ist und bis zum Gehtnichtmehr als weitere Einnahmequelle ausgeschlachtet wird, beschert uns bis zum
1. November noch ein wenig Ruhe vor weihnachtlicher Dekoration. Dass liebreizende Engel, Weihnachtskugeln und Goldhaar mit Gerippen, fies grinsenden Kürbissen und Kunstblut nicht so harmonieren, ist wohl für hartgesottene Verkaufsstrategen eine bittere Erkenntnis.
Wenn ich von Dingen spreche, die für mich nicht zusammenpassen wollen, dann ist z. B. dieses Weihnachten
im Spätsommer gemeint. In meinem Stadtteil gibt es von jeher Weihnachtsbuden sowie eine besondere Beleuchtung entlang der Straße. Vor zehn Jahren entstand aus diversen ursprünglich an der Straße platzierten Buden ein richtiger, ein kompakter Weihnachtsmarkt an einem zentralen Platz.
Als man damals zunächst damit begann, klammheimlich an der weihnachtlichen Straßenbeleuchtung etwas zu verändern, gab es Proteste. Wegen des früheren Zeitpunkts, aber auch deshalb, weil es Verzicht bedeutete. Es war eine Abkehr von der Tradition! Es gab nämlich plötzlich keine herkömmliche Beleuchtung mit Stern- und Tannenzweigmotiv oder sonst einem weihnachtlichem Bezug, stattdessen bekamen sämtliche Straßenlampen große Acrylzylinder übergestülpt, in deren Säulen LED-Leuchten ein Licht in wechselnden Farben produzierten.
Was tat man, um die leidige Diskussion zu stoppen?
Man nannte es nicht mehr Weihnachtsbeleuchtung sondern Winterlicht.
Wen wundert es, im Laufe der Jahre setzte die Gewöhnung auch hier ein und ja, es sieht in der Dunkelheit attraktiv aus! Wesentlich schöner und freundlicher an einem kalten Abend als ohne bunte Beleuchtung!
Nur – es verströmt keine weihnachtliche Atmosphäre mehr.
Der Weihnachtsmarkt mit seinen durch viele Lämpchen beleuchteten Holzhütten und der (unechten) Eisbahn, ist am Abend stimmungsvoll, nur machte auch er eine seltsame Entwicklung durch.
Gab es in den Anfangszeiten noch diese besonderen Tage, Volkstrauertag und Totensonntag, jene Tage, die man abwartete, bevor buntes Licht, Trubel und das große Geschäft im Advent begann, erfolgte der Startschuss für diese Aktionen immer früher im November. Natürlich wurde Protest laut!
Kann man doch nicht machen! Geht gar nicht! Vorweihnachtszeit ist erst im Advent!
Was tat man, um diese neue Diskussion zu ersticken?
Sie ahnen es. Man nannte es eben nicht mehr Weihnachtsmarkt, sondern Winterzauber. Der darf nun ohne Skrupel eher beginnen. Man gibt sich auf Organisatorenseite nun jeden November der leisen Hoffnung hin, dass es winterlich wird …
Der diesjährige Winterzauber wurde am 6. November, am Freitagmittag, eröffnet. Keine Ahnung, warum am Mittag. Wesentlich mehr Atmosphäre würde am Abend bei Beleuchtung herrschen. Es hätten auch mehr Menschen Zeit und Gelegenheit teilzunehmen. Der Zulauf wäre entsprechend höher.
Wie auch immer, man kann sich nun stolz rühmen, den ersten Weihnachtsmarkt in ganz Hamburg zu haben, der in dieser Saison seine Tore öffnet. Moment! Weihnachtsmarkt?
Ertappt! Es ist doch nur pro forma ein Winterzauber! Reine Verschleierungstaktik.
Das Wetter fällt gerade wieder gnadenlos in den Rücken. Das Thermometer zeigte am Freitag +16 °C an. Ein milder, sehr feiner Sprühregen benetzte die Haare der Ice Girls. Die Cheerleader-Truppe der Freezers tanzte aus Anlass der Winterzauber-Eröffnung in ihren bauchfreien Trikots auf der Like-Ice-Fläche. Spätsommergefühle machten sich breit, und die wenigen Gäste, die dort außer geladener Presse (Fotografen) sowie prominenten und eher unbekannten Eröffnungsmitwirkenden erschienen waren, wären mit einem kühlen Cocktail anstelle des Glühweins vermutlich glücklicher gewesen. Bei Vogelgezwitscher zeigte sich der Herbst von seiner milden Seite.
Winterzauber! Pustekuchen! Tja, so läuft es halt, wenn man kurz nach dem Abbau des Oktoberfestzelts schon wieder die Weihnachtsbuden errichtet!
Nichtsdestotrotz ist die Existenz des Weihnachtsmarkts grundsätzlich absolut begrüßenswert, und natürlich ist es eine schöne Einrichtung für Wandsbek – sobald die richtige Zeit gekommen ist!
Worüber sprachen wir noch? Komische, bizarre Situationen erwähnte ich anfangs!
Ich empfand eine als solche.
Irgendwann in diesen Tagen befand ich mich auf einem belebten Gehweg in meinem Viertel. Lief dort nichtsahnend. Nach einer Weile hörte ich ein Stück weit hinter mir jemanden rufen.
„Gloria!“
Was macht man, wenn man einen fremden Namen hört? Richtig, gar nichts. Man geht weiter und achtet nicht näher darauf. Das Rufen wiederholte sich allerdings mehrfach.
„Gloria!“
Mensch, hoffentlich hat er sie bald eingeholt! Oder sie bemerkt ihn endlich und bleibt stehen!
So oder ähnlich ging es mir durch den Kopf. Die männliche Stimme klang inzwischen durchdringend laut und zunehmend ungeduldig. Es fiel mir schwer, das Gebrüll weiter zu ignorieren.
„Gloria! Jetzt warte doch mal!“
Die energische Stimme ertönte diesmal direkt hinter mir, und einen kleinen Moment später tippten mir zwei Finger auf die Schulter. Ich drehte mich erstaunt um.
Der Gloria-Rufer in den Vierzigern schaute verdutzt.
„Oh, du … Sie sind es ja gar nicht!“
„Nein.“
„Sie sehen aber von hinten wirklich genauso aus!“
„Aha …“
„Überhaupt sind Sie sich ähnlich. Sie sind verwandt, oder?“
„Nein, bin ich nicht.“
„Nicht? Sie kennen Gloria gar nicht?“
„Nein!“
„Ach, das ist aber schade!“
Ich war verblüfft über diese fast schon wehmütige Feststellung. So fragte ich zurück:
„Kennen Sie Jonas?“
„Welchen Jonas denn?“
(Ach, kannte er zwei?)
„Den anderen …“, erwiderte ich ernsthaft.
„Also ich kenne gar keinen Jonas …“, stammelte er.
Ich hatte den Mann heillos verwirrt. Mein Mitgefühl erwachte, ein minimal schlechtes Gewissen meldete sich kurz darauf. Außerdem musste ich lachen, was eine weiterhin ernste Miene und ein Fortsetzen der kleinen Veräppelei verhinderte.
„Schauen Sie, ich kenne keine Gloria, Sie keinen Jonas. Es schadet uns jetzt aber nicht so dermaßen, oder?“
Keine Antwort. Die Überlegung dazu war offenbar noch nicht abgeschlossen.
„Tja, ich muss weiter. Sie sehen übrigens ein bisschen aus wie Peter.“
„Peter?“
„Ja. Von hinten. Kennen Sie Peter nicht?“
Er begriff und grinste nun ebenfalls.
(Reitet Sie auch manchmal so ein kleines Teufelchen?)
Ich bin weitergegangen und musste spontan an eine andere Begebenheit denken. Damals hatte sich in einer Schlange ein etwas älterer Herr zu mir gesellt, der nicht aufschaute, mir dafür aber eine ganze Weile etwas erzählte, weil er dachte, er stünde neben seiner Frau. Ich ließ ihn gewähren. Seine Gemahlin befand sich inzwischen drei Leute weiter vorne, was mir klar wurde, als sie sich irgendwann suchend nach ihrem Angetrauten umdrehte. Sie entdeckte ihn, wirkte irritiert und unterzog mich anschließend mittels kritischem Blick einer sehr genauen Prüfung.
Ich zog leicht die Schultern hoch, was meine Unschuld und leichte Hilflosigkeit demonstrieren sollte.
„Bernd, mit wem unterhältst du dich denn …?“, schallte es pikiert hinüber.
Beim Klang ihrer Stimme schaute er endlich auf. Blickte zunächst sie an. Dann mich. Mit der Erkenntnis kam postwendend eine überaus frische Gesichtsfarbe …
Das soll Männern und selbst Frauen gar nicht so selten passieren, wenn sie pärchenweise unterwegs sind! Der eine schaut hier, der andere hält dort, einer läuft unbeirrt weiter, der andere jedoch bremst oder biegt ab und irgendwann läuft man einem Fremden nach oder steht unbemerkt neben einem neuen Partner und unterhält sich angelegentlich – zumindest, bis der Irrtum auffliegt.
Ich sag’s Ihnen: Sie können unterwegs echt was erleben!
Eines möchte ich Ihnen heute am Schluss gern noch in eigener Sache mitteilen. Am Montag habe ich nichts Verrücktes, nichts Bizarres, aber dafür etwas Unvergleichliches erlebt. An dem Tag kam meine kleine Enkelin zur Welt. Eine wundervolles Menschenkind …
Im Gegensatz zu Gloria kenne ich sie. Darüber hinaus ist sie tatsächlich mit mir verwandt! Vielleicht ist sie mir sogar in irgendeinem Punkt ähnlich?
Jetzt. Später. Innerlich? Äußerlich?
Also von hinten ganz bestimmt!
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© by Michèle Legrand, November 2015
He’s walking … Herr Individual geht / „wandsbek 1 – Kunst am Markt“
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Artikel, Foto, Hamburg, Wandsbek (Lokales) am 24/05/2015
Bei mir findet Kunst zurzeit quasi direkt vor der Haustür statt. Falls Sie eventuell schauen wollen? So via offener Bloghaustür …? Mögen Sie eigentlich Kunst?
Kommt drauf an, lautet vermutlich Ihre Antwort. Es hängt schon einmal davon ab, was überhaupt Kunst ist.
An der Definition haben sich bereits viele versucht und dabei häufig gehörig in die Wolle bekommen.
Wenn Sie mich fragen, wann etwas den Namen Kunst verdient oder was es für mich sei, ich würde es
so formulieren:
Für mich ist Kunst nicht unbedingt das, was Kritiker in den Himmel heben, als besonders wertvoll bezeichnen oder lediglich die sogenannte Fachwelt akzeptiert.
Auch nicht das, was eine Mehrheit als Kunst deklariert.
Noch nicht einmal automatisch all das, worin der Künstler selbst voll aufging und sein Herzblut ließ. Inbrunst hin oder her. Das kann vorkommen, dass sein Enthusiasmus auch mein Enthusiasmus ist – schön, wenn alles zusammentrifft – doch es ist absolut kein Muss für meine eigene Einschätzung von Kunst.
Als Kunst empfinde ich zum einen etwas, was von jemandem hergestellt wurde, der sein spezielles Handwerk bewundernswert beherrscht und auf diese Art ganz außerordentliche Dinge schafft, die oftmals auch noch durch die besondere Idee dahinter von allem Herkömmlichen abweichen. Es kommen also besondere Ausführung und Einmaligkeit hier zusammen.
Zum anderen reizt mich gelegentlich auch allein die Idee, die jemand hat und umsetzt. In dem Fall ist es nicht unbedingt seine Kunstfertigkeit und die damit verbundene herausragende Anfertigung eines Teils, sondern eine Absicht, ein genialer Einfall, vielleicht etwas, das durch gewagte Kombination oder enormen Kontrast, unter Umständen sogar durch grenzenlose Absurdität besticht. Eine Idee, deren Umsetzung gelungen ist und deren anschließende Wirkung vor allem völlig aus der Reihe tanzt.
Wirkliche Kunst ist es somit in meinen Augen stets dann, wenn der Schaffende es erreicht, mich mit seinem Werk zu fangen. Meine Aufmerksamkeit zu erregen, sie zu fesseln. Eine Reaktion hervorzurufen. Mich wie auch immer zu berühren. Vorzugsweise löst es eine positive Reaktion aus – doch auch Skepsis oder Distanz meinerseits zu einer Sache macht sie nicht weniger kunstvoll.
Menschen und Geschmäcker sind so verschieden, wie Kunstwerke es sind. Empfinden ist nun einmal unterschiedlich, Einschätzung variiert ebenfalls, ist subjektiv. Es bleibt einfach nicht aus, dass ein und derselbe Gegenstand vom einen gelobt, vom anderen eher ignoriert oder äußerst kritisch gesehen wird. Es ist nur sehr eigenartig, wenn jegliche Regung ausbleibt, überhaupt keine Reaktion erfolgt …
Vielleicht sollte man es daher so formulieren: Das Erschaffene muss nicht nur für sich allein als bloßes Kunstobjekt (Teil) überzeugen, sondern es ist auch stets eine Kunst für sich, eine damit verbundene Absicht wirklich zu vermitteln oder überhaupt Empfindungen herauszukitzeln …
Ich lasse mich gern auf Kunstwerke ein, stelle – so möchte ich es auch hier und für das heute Gezeigte betonen – nicht das Künstlerische (Erschaffung) selbst in Frage, behalte mir aber die Freiheit vor, etwas als auf mich wirkungslos zu bezeichnen.
Mein aktueller Anlass, hier heute im Blog Kunst in den Vordergrund zu rücken, ist das Pilotprojekt „wandsbek 1 – Kunst am Markt“ – gleich bei mir um die Ecke.
Mein Stadtteil (der Bezirk), eine Vereinigung von ansässigen Geschäftsleuten und weiteren Personen aus Kultur und Politik, Sponsoren und unterstützende Firmen, der Einstellungsraum e. V., die Kulturbehörde etc. – sie haben sich darum bemüht, dass Kunst im öffentlichen Raum nicht nur – wie sonst meist – im Zentrum zu finden ist, sondern ausnahmsweise im Bezirk und zwar in einem, der damit bisher nicht sonderlich viel am Hut hatte.
Mal ein Denkmal hier, eine Büste dort, weil gerade Jubiläumsjahr ist, aber keine umfangreicheren Projekte und Ausstellungen. Wie es so ist: Kunst scheitert häufig an den Kosten oder auch an mangelnder Unterstützung bei der Durchführung und Umsetzung.
Nun hat es im Zuge des Hamburger Architektursommers, der manches möglich macht und uns Hamburgern bereits den Steinbock auf dem Kopf des Bismarck-Denkmals bescherte (siehe dazu „Sofathemen“ hier im Blog), geklappt.
Vier Installationen können während der „wandsbek 1 – Kunst am Markt“, die seit dem 8. dieses Monats und noch bis zum 31. Mai 2015 läuft, bestaunt werden. Das freut mich als in diesem Bezirk lebenden Bürger natürlich, und sobald ich das erste Mal eine Andeutung davon hörte, war die Neugier geweckt.
Ließ sich mehr in Erfahrung bringen?
Klar, ein solches Kunstprojekt hat eine Absicht, ein Thema. Dieses verständlich zu formulieren, ist komischerweise auch nach mehrfachem Lesen der dazu aufgefundenen Details nicht gerade einfach. Es geht um Spuren der (Wandsbeker) Geschichte, um die Suche sowohl Fremder als auch Einheimischer nach sinnstiftenden Orten, um die Identifikation mit einem Ort, der sich verwandelte. Um die Neuentdeckung ebenfalls. Man will sich mit der „Tiefe, Weite und der Perspektive“ eines (im Krieg) verletzten Ortes auseinanderzusetzen.
Alles klar?
Ich selbst kann es nicht richtig greifen, habe Schwierigkeiten, Konkretes zu benennen und die Worte mit Leben zu füllen. Vielleicht können es die Werke der Künstler.
Es wird weiterhin erwähnt, dass Dinge, die im alltäglichen Ablauf kaum zu fassen sind, dennoch Seelen berühren. Ob sich das auf den allgemeinen Ist-Zustand ohne Kunstwerke bezieht oder ob die Installationen das Berühren der Seelen erreichen möchten – auch das ist nicht so eindeutig.
Im Vorfeld las ich in der Regionalzeitung, dass man durchaus damit rechnet, dass die Ausstellung – oder Teile davon – eine „Provokation“ darstellen. Provokation? Augenblicklich erschien mir wieder dieser Steinbock auf Bismarcks Haupt …
Gab es noch irgendeine Information?
Als die Aktion bereits gestartet war, entdeckte ich eine – wie ich finde – klarere Aussage: Man möchte die Kommunikation in Gang bringen. Es soll zum miteinander Reden anregen.
Nun habe ich mir bewusst ausreichend Zeit genommen und die Eindrücke seit Projektbeginn zwei Wochen sacken lassen. Habe die Installationen mehrfach betrachtet, auch das Umfeld.
Nicht alles schafft es, mich zu fesseln. Sie können gern selbst einmal prüfen, ob Sie die Installationen in irgendeiner Form „bewegen“.
1) Shining Void
Es gibt eine Baugrube der etwas anderen Art. Shining Void (Glänzende Leere), so lautet der offizielle Titel des Werks der renommierten Künstlerin Christine Biehler aus Frankfurt. Zwei Meter tief, drei mal drei Meter in den Ausmaßen. Sie ist komplett mit einer Schicht Silberchrom ausgekleidet. Es heißt, ein bestrahlter Spiegel (dargestellt durch die Chromschicht von einer Straßenlaterne beschienen) wirft seine Umwelt verzerrt zurück.
Nun, ich nehme die Auskleidung wahr, sehe die ebenfalls ummantelten, glänzenden Rohre und Leitungen – aber mir fehlt eindeutig die beschriebene Wirkung. Die des Spiegels (Spiegelung, Verzerrung) und die auf mich. Dass die Verchromung zudem den Aufbruch des Stadtteils symbolisieren, aber auch hinterfragen soll, ist gut zu wissen. Ebenso, dass die Wirkung des Edlen dieser Chromschicht einen Teil des neuen Wandsbeks widerspiegeln soll. Natürlich kann man es so beabsichtigen, kreieren, interpretieren und selbstverständlich, kunstvoll ist die Ausgestaltung allemal!
Nur allein – es löst nichts bei mir aus …
Die hier in Wandsbek gezeigten Installationen sollen von Passanten mehr oder weniger zufällig im Vorbeigehen entdeckt werden. Als etwas, was plötzlich von der Norm abweicht.
Bei dieser Baugrube muss man allerdings schon ziemlich hoffnungsfroh sein, dass sie jemand als außergewöhnlich wahrnimmt und als Besonderheit entdeckt. Zu gut ist sie als normale Baustelle getarnt. Rot-weiße Baustellenabsperrgitter unmittelbar am Grubenrand sichern das Loch, der Standort liegt leicht abseits der direkten Gehroute, es gibt auch nach dem Auffinden des Werks keinen Hinweis oder eine nähere Erklärung für Interessierte. Für sie bleibt es ein silbriges Loch, eine Edelbaustelle. Lediglich einige Meter weiter am Geländer zur U-Bahn, von kaum jemanden beachtet, hängt ein kleines Quadrat mit einem QR-Code zum Einscannen ins Smartphone.
Was hätte es wohl für eine Wirkung, wenn etwas auf dem Weg die Aufmerksamkeit weckte und einen zur Grube hinleiten würde? Ein Pfeil oder Fragezeichen auf dem Boden würde ausreichen.
Was, wenn das Gitter nicht rundherum gleich hoch wäre, etwas den Baustellencharakter verlöre, weniger bremste, mehr lockte?
Was, wenn die Absicht der Spiegelung vielleicht nicht nur beim Einschalten der Straßenbeleuchtung in kompletter Dunkelheit erreicht würde (wenn keiner mehr dort langkommt)?
Und wie würde sich das Erleben ändern, wenn jedem eine „Auflösung“ geboten würde, eine Erklärung , die dem Betrachter nach Entdeckung einen Aha-Effekt erlaubte …
2) 1A Wandsbek
Als zweite Installation befindet sich das Kunstwerk 1A Wandsbek von Sabine Mohr, einer Hamburger Künstlerin, etwas leichter auffindbar auf einem breiten, von ihr umgestalteten Stück Geh- und Fahrradweg an einer Straßeneinmündung. Sonst eher langweilig und starr wirkende graue Gehwegplatten erhielten ein neues Design. Eine Art versetzt platzierte Halbkreise in roter Farbe verändern die sonst herrschenden geraden Linien und rechten Winkel und schaffen lebhafte Wellenbewegungen.
Der Bezug zu Wandsbek?
„Wandsbek, nach dem Krieg in schlichter Bauweise aufgebaut, soll plötzlich durch so ein Kunstwerk interessant werden.“
3) Rad der Poesie
Eine weitere Installation, an der er selbst sogar persönlich mitwirkt, ist das Rad der Poesie des Hamburger Künstlers Johannes Lothar Schröder.
Er verleimt Manuskriptseiten zu einem zylindrischen Rad mit einem Durchmesser von 1,90 m. Mit diesem Rad rollt er über Plätze, Gehwege oder bei schlechtem Wetter auch im geschützten Einkaufszentrum. Er sammelt „Material“ in Form von Buchstaben und Wörtern, die sich idealerweise unter Mitwirkung vieler Menschen oder aber durch eher zufällige Umstände zu einem poetischem Text zusammenfügen. Das Rad wird nach und nach immer weiter beschriftet, jeden Tag wird aus- und vorgestellt und auch deklamiert.
4) Herr Individual geht …
Was mir am besten gefällt – ich vermute, weil einfach die Reaktionen der Menschen am vielfältigsten sind und der Effekt am reizvollsten – ist eine Installation des Berliners Christian Hasucha. Der Künstler schickt seinen Herrn Individual täglich einige Zeit auf einen Spaziergang. Die Besonderheit dabei: Herr Individual, ein echtes menschliches Wesen (Carsten Weber), befindet sich währenddessen auf einem 2,40 m hohen Betonsockel. Geschätzt knappe zwei Meter Länge hat dieser maximal und ist gerade breit genug, dass oben ein kurzes, mit einem Elektromotor betriebenes Laufband eingebaut werden konnte, um dem Spaziergänger ein Wandern auf der Stelle zu ermöglichen.
Ein ungewöhnlicher Anblick! Es wirkt besonders skurril, da sich der Standort dieses Sockels mitten in einer kleinen Rabatte zwischen zwei stark befahrenen Straßen befindet. Dort macht sonst keiner Spaziergänge – und ganz sicher nicht in luftiger Höhe und auf diese Weise!
Die Installation Herr Individual geht ist nicht neu. Seite 1987 lief (nicht immer derselbe Herr) in sieben Städten u. a. Berlin, Bochum, Bonn und Dublin! Dass jetzt hier Carsten Weber inzwischen bereits zum dritten Mal den Part des Herrn Individual übernimmt, hat er offensichtlich dem Fakt zu verdanken, dass er „so normal“ aussieht. Ein Auswahlkriterium für Christian Hasucha. Eigentlich ein krasser Widerspruch zur Individualität … – oder doch nicht?
Und die Absicht dieser Installation?
Vielleicht sagt ein Satz, der damals in Dublin fiel, etwas darüber aus:
„ …the work serves to defamiliarize the activity of urban walking and the space in which it is presented.”
Aha, sinngemäß geht es also darum zu verfremden. Sowohl die Aktivität des Spazierens als auch das Umfeld, in dem es stattfindet.
Wer die Menschen beobachtet, die an den diversen Straßenübergängen in Sockelnähe darauf warten, dass die Fußgängerampeln Grün zeigen und ihre Reaktionen mitbekommt, stellt schnell fest, dass es genau diese Installation ist, die tatsächlich Wildfremde dazu bringt, sich plötzlich miteinander zu unterhalten. Unter den vier Installationen ist sie zweifellos der Kommunikationsankurbler. Es ist inzwischen schon so weit, dass es denen, die öfter hier vorbeikommen, auffällt, wenn Herr Individual nicht läuft. Dann wird sich darüber unterhalten, wann er wohl wieder seinen Sockel erklimmt.
Es lässt sich nicht verhehlen, oft taucht natürlich auch diese Frage auf:
Und was soll das jetzt?
Die Sinnfrage sollte man bei Kunst nie stellen. Was sagt Herr Hasucha denn selbst dazu? Im regionalen Wochenblatt äußert er sich so:
„Auf jeden Fall sorgt das laufende Objekt für Irritationen im normalen Alltag. Es ist einfach schön, wenn es nicht für alles eine Erklärung hat.“
Was halten Sie denn von alledem? Was würden Sie sich aussuchen, wenn jemand für Sie ein Kunstwerk in Ihrer Nähe installieren wollte?
Gehwegverzierung, ein edles Loch, die Poesie auf dem Rad oder das raumsparende Wandern?
Schreiben Sie es mir gern, ich sehe dann, was sich machen lässt … ^^
Sollte jemand für ein zukünftiges Projekt wandsbek 2 – Kunst am Markt – von dem ich hoffe, dass es stattfindet! – partout griffige, auf Wandsbek bezogene Themen benötigen, hätte ich Vorschläge.
Es wäre z. B.:
… eine Zusammenkunft und ein gemeinsames Schaffen von Straßenmalkünstlern auf dem Wandsbeker Marktplatz am ZOB. Diese große, zusammenhängende Fläche – voll mit Motiven oder auch (3D-)Illusionen, die Wandsbek-Bezug haben!
… die kulissenartige Auferstehung des alten Wandsbeker Schlosses
… die Einrichtung eines Wandsbek-Kunst-Parcours
… die malerische Verschönerung der allmählich etwas angegriffen wirkenden Sitzbänke auf dem Marktplatz mit ungewöhnlichen Motiven und Farben! Eine Regenbogen-Sitzbankreihe, eine Reihe im Dominostein-Design, mit Klaviertasten oder gestreift in den Farben des Wandsbeker Wappens. Es entstünde in diesem Fall sogar ein dauerhafter Kunstgenuss! (Man sieht ja bereits jetzt bei wandsbek 1 – Kunst am Markt durch die Arbeit von Sabine Mohr, was aufgrund einer einzigen weiteren Farbe und eines Musters für eine veränderte Optik und Wirkung selbst auf simplen Gehwegplatten möglich ist.)
Wie auch immer – Hauptsache, Kunst im öffentlichen Raum findet überhaupt erneut ihren Platz. Talentierte Künstler mit Ideen, die ihre kreativen Projekte und Werke präsentieren möchten, gibt es mit Sicherheit genügend. Kunstgenießer auch.
Und wissen Sie, was wir jetzt machen? Eine kleine Kunstpause …
… die ich hiermit wieder beende, um Ihnen schöne Pfingsten zu wünschen!
Genießen Sie die freien Tage bei hoffentlich viel Sonnenschein!
Ente? Oder Huhn …? Auf jeden Fall Kamelien und Ohrringe.
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Artikel, Foto, Garten (und Natur allgemein), Wandsbek (Lokales) am 11/04/2015
Unterwegs in Eichtalpark und Botanischem Sondergarten Wandsbek.
Die Sonne! Jetzt hält einen nichts mehr drinnen, oder? Mittwoch am späten Nachmittag wurde es schön, nachdem die Sonne es endlich geschafft hatte, den hartnäckigen Hochnebel zu vertreiben. Also schnell die Jacke übergeworfen, das Fahrrad geschnappt, entlang der Wandse geradelt und Kurs eingeschlagen Richtung Eichtalpark sowie Botanischen Sondergarten Wandsbek.
Ist das schön, endlich wieder einmal Wärme auf der Haut zu spüren! An geschützten Plätzen lässt es sich bereits gut aushalten …
Wer radelt, macht auch Pausen. Kurze Unterbrechung am Wasser, um den Grund für das Spektakel bei den Enten zu erkunden.
„Hast du gesehen? Da ist eine! Und da auch …! Die kenne ich!“ Der Steppke auf seinem Minifahrrad, der eben neben mir am Geländer der kleinen Brücke über die Wandse gehalten hat, blubbert aufgeregt drauf los. Er erzählt fröhlich, dass er häufig hier vorbeikommt mit seinem Papa. (Der ist allerdings noch außer Sicht.) Das Endziel sei immer der große Spielplatz im Eichtalpark. Er kenne den Weg …
„Gestern habe ich eine ganz neue Ente gesehen“, erklärt er mir sehr ernst, gerade als sein etwas aus der Puste geratener Vater ihn endlich eingeholt hat. Den letzten Satz des Filius‘ hat er daher vernommen. Er fragt leicht belustigt:
„Was hast du gesehen? Eine ganz neue Ente? Tatsächlich?“
Es verblüfft mich ebenfalls, wie der Junge das Entenvolk hier wohl auseinanderhält und obendrein eine weitere Ente als neu hinzu gekommen erkennt. Ich hätte enorme Schwierigkeiten! Gerade heute! Neun Erpel (ein Original und acht Klone) belästigen eine einzelne Entendame, die empört reagiert und laut protestierend dem Pulk der Männer entflieht.
„Wie sah sie denn aus“, fragt sein Papa, „die von gestern?“
„Ganz schwarz und dann ein bisschen weiß und rot“, antwortet er nach kurzem Überlegen.
„War die genauso groß wie die anderen Enten? Oder vielleicht größer?“
„Nee, die war nicht größer, Papa. Ich glaube kleiner …“
„Wahrscheinlich war es ein Teichhuhn.“
„Papa! Nie! Also ein Huhn, das sieht echt total anders aus …!“
„Teichhühner sind keine Hühner, wie …“, beginnt sein Vater, kommt jedoch nicht weiter, denn Sohnemann kontert bereits:
„Ich weiß!“ Er runzelt die Stirn. „Ich sag ja auch, da war ´ne neue Ente, Papa! Kein Teichhuhn, eine Teichente!“
Sein Interesse an einer Fortsetzung der Diskussion ist gleich null. Leicht genervt setzt er hinzu:
„Papa, wir wollen jetzt zur Rutsche. Komm endlich …!“
Er hat seine Prioritäten, ich die meinen. Bei mir steht anstelle der Rutsche der Botanische Sondergarten Wandsbek erneut oben auf der Liste. Weit ist es nicht mehr. Sie waren übrigens auch schon dort! Erinnern Sie sich noch an prachtvolle Staudenbeete oder z. B. auch an den Taschentuchbaum? Der steht in diesem besonderen Park.
Beim Blick in den eigenen Garten Anfang April könnte man auf die Idee kommen, dass wahrscheinlich noch nicht sonderlich viel zu sehen ist im „Bosowan“. Weit gefehlt! Sicher, die großen Flächen, die üblicherweise von den Stauden belegt sind, wirken noch etwas kahl. Es sprießt jedoch an vielen Stellen. Die Belaubung der Gehölze startet langsam. Jedoch gibt es auch schon zu dieser frühen Jahreszeit ganz eigene Höhepunkte.
Schauen Sie einmal!
Da wären die Narzissen auf der Wiese und die Frühlingsblüher Lerchensporn (Corydalis cava), Beinwell (Symphytum) sowie Christrosen (Orientalische Nieswurz, Helleborus orientalis)
Die Sonne geht mitten im Beet auf: ein Adonisröschen …
… oder hier Scheinhasel (Corylopsis pauciflora), Beales Mahonie (Mahonia bealei) und Blut- oder Zierjohannisbeere (Ribes sanguineum), Zierquitte (Chaenomeles) sowie Duftender Winterschneeball (Viburnum x botnantense „Dawn“).

Botanischer Sondergarten Wandsbek – Farbenfroh der Blattaustrieb und dazu gelbe Blüten: die Beales Mahonie (Mahonia bealei)

Botanischer Sondergarten Wandsbek – Noch bevor die Blätter so richtig da sind, blüht sie bereits: Die Zierquitte (Chaenomeles)
Meine besonderen Lieblinge in diesen bisher noch so unwirtlichen Monaten März und April sind vom Anblick her einige übermannshohe, dunkelgrün belaubte Pflanzen aus Asien. Ist es nicht erstaunlich, welche Blütenpracht Kamelien (Camellia japonica) bereits ab März auch im Freiland (nicht nur in den Gewächshäusern) zu produzieren vermögen? Die Form der zarten, gefüllten Blüten erinnert an die von Rosen oder auch Päeonien. Ein derartiges Farb- und Blühspektakel zu diesem Zeitpunkt wirkt daher fast unwirklich, da eine für das Auge in vergleichbarer Form vorkommende Blütenpracht sonst erst in den warmen und sonnigen Monaten zwischen Mai und Hochsommer startet.

Botanischer Sondergarten Wandsbek – Anfang April – Blütenhochzeit bei der Camellia japonica (Kamelie)
Wir sind fast am Ende des kleinen Rundgangs. Nur noch dieser Baum voraus! Liebe Blogbesucher, erkennen Sie ihn im Gegenlicht?

Botanischer Sondergarten Wandsbek – Was sich hier langsam entfaltet, sind die Blüten an einem Prachtexemplar von Magnolie
Es ist eine Magnolie, an der sich im Moment gerade die ersten von gefühlt tausenden weißen Blüten öffnen. Ein phantastisches Gefühl, genau darunter zu stehen, zu den aufspringenden Knospen heraufzuschauen und diese Leichtigkeit, die von den zarten Blütenblättern ausgeht, plötzlich am eigenen Körper spüren. Spontan blitzt der Gedanke auf, es würden in luftiger Höh’ unzählige weiße Schmetterlinge abheben …

Botanischer Sondergarten Wandsbek – … ein Stück dichter heran und dann zu den Magnolienblüten hinaufgeschaut
Wir haben das Ausgangstor erreicht. Tja, denn … Oder warten Sie kurz! Ich möchte Ihnen den folgenden Dialog eines jüngeren Pärchens auf einer Parkbank, direkt dort, wo mein Fahrrad angeschlossen ist, nicht vorenthalten!
„Ich habe vorhin schon mal wegen neuer Ohrringe geschaut.“
Ich horche etwas auf, denn dieser Satz kommt nicht von ihr, sondern von ihm. (Meint er jetzt welche für sie oder für sich?) Während ich das Zahlenschloss öffne, spähe ich hinüber. Seine Sitzposition ist günstig, und da seine Haartracht nicht besonders üppig ausfällt, sieht man obendrein bestens die Ohren. Er trägt silberne Ohrstecker in Ankerform.
„Ach ja, du wolltest ja noch andere. Was für welche denn?“, fragt sie interessiert.
(Also für ihn.)
„Ich dachte, ich nehme mal welche mit einem Stein. Da gibt es zwei verschiedene Stecker in dieser Art. Der eine hat was, das sieht aus wie ein Brilli, bei dem anderen ist die Farbe dunkelgrün. Also so wie Glas. Wie Flaschen. Ich fand beide ganz gut. Konnt‘ mich nicht entscheiden. Was findest du denn besser? Welche soll ich nehmen?“
Er sitzt aufrecht. Sie liegt auf der Bank auf dem Rücken, seinen Schoß als Kopfpolster. Sie schweigt einen Moment, grient ihn dann an und sagt:
„Die, mit denen du besser hören kannst ….“
Sie handelt sich damit einen Klaps ein, richtet sich laut protestierend auf und geht über zur Gegenwehr …
Kommen Sie, ehe es in eine wüste Klopperei ausartet, verziehen wir uns lieber! ^^
Wir gehen gelegentlich wieder hin.
Ein schönes Wochenende für Sie mit hoffentlich noch viel Sonnenschein!
© by Michèle Legrand, April 2015
Hamburg-Premiere: Halbmarathon in Wandsbek!
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Artikel, Foto, Hamburg, Wandsbek (Lokales) am 21/09/2014
Halbmarathon in Hamburg an sich ist nicht neu. In der City, an der Alster, entlang der Elbe, Richtung Flughafen oder Hafencity – dort entlang führten die Strecken bereits. Zum allerersten Mal allerdings ging der 21,0975 Kilometer lange Kurs durch den Bezirk Wandsbek im östlichen Teil der Hansestadt.
Die Rede war am 20. September 2014 von über 1.300 durchtrainierten, bestens vorbereiteten Leichtathleten, die an diesem Sonnabend um 18 Uhr zum 1. HEK-Halbmarathon antraten.
Die festgelegte Route führte von Wandsbek über Farmsen nach Berne und schließlich über Tonndorf zurück zum Ausgangspunkt. Startpunkt und Einlaufziel lagen in der Wandsbeker Marktstraße am EKZ Quarree, und die Vorbereitungen zur Abgrenzung dieser Zone sowie der Laufstrecke starteten bereits am frühen Nachmittag.
Um kurz nach 15 Uhr stellten einige Autofahrer trotz zahlreicher Ankündigungen in Presse und Radio verblüfft fest, dass am Wandbek Markt Sperrungen eingerichtet worden waren, sämtlicher Verkehr von der Wandsbeker Markstraße (B75) in die Schlossstraße umgeleitet wurde und dies sehr schnell zu einigen Verkehrsstauungen führte.
Mancher reagierte mit einem erstaunten: „Jetzt schon? Ich dachte, die laufen erst abends!“ Dies war grundsätzlich richtig und andere Streckenabschnitte wurden mit Sicherheit länger für den Verkehr offengehalten; die Einrichtung des Start- und Ankunftsbereichs benötigte hingegen eine längere Vorbereitungsphase.
Buslinien wurden ab 15.30 h umgelenkt oder Touren verkürzt, Taxis suchten Schleichwege und fuhren notgedrungen Umwege. Die betroffenen Anwohner hatten vorab Informationsflyer erhalten, um sich rechtzeitig auf die ungewohnte Situation einstellen zu können.
Attraktionen, die den Startbereich zusätzlich zu einem äußerst gut besuchten Ort werden ließen, sind das auf dem Wandsbeker Marktplatz am Tag zuvor eröffnete Oktoberfest mit Festzelt, Biergarten und Kinderkarussell („Wandsbeker Wiesn“), die begehrten Außenplätze des Lokals „Bar Celona“ sowie das anhaltend warme und sonnige Spätsommerwetter.
Die prophezeiten Gewitter blieben glücklicherweise aus, der Lauf am Abend startete bei angenehmen 21-22° C, und diese Temperatur hielt sich sogar bis zum Ende der Veranstaltung. Für die vielen Zuschauer ideal, für die Läufer fast ein wenig zu warm.
Außer Einzelläufern waren an diesem HEK-Halbmarathon auch Dreierstaffeln zugelassen. Antreten konnten gemischte oder reine Frauen- bzw. Männerteams, deren Läufer jeweils 8, 4 und 9,2 km zu bewältigen hatten. Die Wechselzonen lagen in Farmsen und Berne nahe der U-Bahn Station.
Während beim (Voll-)Marathon der Anteil der Profis recht hoch ausfällt, haben sich die mittlerweile häufiger ausgerichteten Halbmarathon-Veranstaltungen zu regelrechten Stadtläufen entwickelt, an denen viele Freizeitläufer teilnehmen.
Die international üblichen Spitzenzeiten von 1:00 bis 1:05 Stunden vor Augen, ist es natürlich hochinteressant zu beobachten, wie die Lauf- und Bestzeiten bei dieser Veranstaltung aussehen.
Der ursprünglich für 19 Uhr vorgesehene Starttermin war kürzlich auf 18 Uhr vorverlegt worden. Pünktlich sammelten sich die Athleten. Der Startschuss fiel zunächst für die etwas über 1.000 Einzelläufer; die ca. 300 Staffelteilnehmer sollten ihren Lauf zeitlich leicht versetzt beginnen. Vorgesehene Startzeit hier: 18:04 Uhr.

1. HEK-Halbmarathon in Wandsbek – Unmittelbar vor dem Start – Der Blick zum Zeitmesser am Handgelenk: Typischer Blick vieler Läufer beim Start und auch beim Einlauf …

1. HEK-Halbmarathon in Wandsbek – Rennbeginn – Während einige Teilnehmer (s. Foto am Artikelbeginn) recht entspannt und lachend starten, sind andere in sich gekehrt, konzentriert oder haben für Laufrhythmus und -geschwindigkeit bzw. zur Ablenkung und Unterhaltung auf der langen Strecke Musik eingestöpselt

1. HEK-Halbmarathon in Wandsbek – … allmählich leert sich der Startbereich. Fast alle Läufer sind unterwegs.

1. HEK-Halbmarathon in Wandsbek – … und weg sind sie. Starten Richtung langsam untergehender Abendsonne.
Erstauntes Raunen, als sich nach dem Aufruf an die Staffelläufer, sich doch bitte nun auch im Startbereich einzufinden, kein einziger Läufer zeigte! Es brach recht schnell Heiterkeit aus, als klar wurde, dass die Vermissten es alle offenbar ziemlich eilig gehabt hatten und recht eigenmächtig bereits gleichzeitig mit den Einzelläufern aufgebrochen waren.
Alle? Nein, ein einzelner Staffelteilnehmer tauchte doch noch auf. Er startete seinen Lauf als einziger ganz regulär und erhielt dafür tosendem Beifall sowie ermunternde Anfeuerungsrufe von Seiten der restlichen Zuschauer (ein Teil hatte sich schon entfernt bis zur Zeit des Zieleinlaufs). Hinterhergeschickt wurden ihm aus den Lautsprecherboxen außerdem die futuristischen Klänge einer sehr bekannten Weltraumfilmmusik …

1. HEK-Halbmarathon in Wandsbek – Der einsame, einzelne Läufer, der als einziger korrekt auf den Start der Staffeln gewartet hatte …
(PS: Der indirekte Frühstart der anderen Staffelteilnehmer wurde so hingenommen und zog keinerlei Konsequenzen nach sich. Vielleicht konnten sie auch selbst gar nichts dafür, sondern wurden irrtümlich falsch eingewiesen.)

1. HEK-Halbmarathon in Wandsbek – Während die Läufer in anderen Stadteilen unterwegs sind, ist das Publikum auf dem Oktoberfest oder im EKZ Quarree.

1. HEK-Halbmarathon in Wandsbek – Die Blumensträuße für die spätere Siegerehrung stehen schon bereit …
Nach einer Stunde wurde es Zeit sich dem Zieleinlauf zu nähern, da unter den Teilnehmern auch starke Läufer angekündigt waren, die mit ihren Leistungen an die internationalen Spitzenzeiten durchaus herankommen.
Als die Uhr 1:01:58 anzeigt, informiert der Sprecher, dass das Führungsduo der Männer sich bei Kilometer 19 befindet. Das Duell liefern sich Julian Flügel (LG Telis Finanz Regensburg) und Manuel Stöckert (SC Ostheim/Rhön). Letzterer kann bei Kilometer 20 seinen Vorsprung ausbauen und läuft kurz darauf als erster ins Ziel. Knapp hinter ihm Julian Flügel auf Platz 2. Platz 3 geht an Hendrik Pfeiffer (TV Wattenscheid). Ihm folgt Jens Nerkamp (PSV GB Kassel).

1. HEK-Halbmarathon in Wandsbek – Nach 1:04 Stunden nähert sich das Begleitfahrzeug. Der Siegerläufer kann nicht mehr weit sein …
Bei den Damen gewinnt Mona Stockhecke (LT Haspa Marathon Hamburg), die ihre Bestzeit von 1:16:37 bei diesem Lauf sogar unterbieten kann. Sie bleibt unter 1:16 Stunden.
Zweite wird Silke Optekamp, die amtierende deutsche Marathonmeisterin.
Den dritten Platz erläuft sich Maria Heinrich.

1. HEK-Halbmarathon in Wandsbek – Die Gewinnerin bei den Damen heißt Mona Stockhecke (LT Haspa Marathon Hamburg).

1. HEK-Halbmarathon in Wandsbek – Die beiden Ersten ihrer Kategorie gemeinsam: Mona Stockhecke und Manuel Stöckert

1. HEK-Halbmarathon in Wandsbek – Interview mit dem Erst- und Zweitplatzierten Manuel Stöckert und Julian Flügel
Die erste Staffelläuferin trifft nach ca. 1:22 h am Ziel ein. Nach knapp eineinhalb Stunden werden die Abstände zwischen den Ankommenden geringer, schnell folgt ein Läufer dem anderen.
Während einige wirken, als könnten sie locker noch ein paar Kilometer weiterlaufen, sind andere völlig erschöpft und haben Krämpfe in den Oberschenkeln oder Waden.
Die anschließende Siegerehrung für die Gewinner der jeweils ersten drei Plätze jeder Kategorie findet im Dunkeln statt, was Fotografieren auch durch zusätzliches Gedränge aussichtslos macht.

1. HEK-Halbmarathon in Wandsbek – Siegerehrung der Damen – Nur wie man sieht, sieht man nichts … Zu groß der Abstand, zu viele Menschen, zu gering die Lichtausbeute …

1. HEK-Halbmarathon in Wandsbek – Es ist 20.20 Uhr, immer noch treffen vereinzelt Läufer ein. Die Ehrungen sind schon vorbei, es kehrt allmählich Ruhe ein …
Fazit:
Der 1. HEK-Halbmarathon – und gleichzeitig die erste derartige Veranstaltung in Hamburgs Osten – war eine gelungenes Sportevent mit einem gut gemischten Feld an regionalen, nationalen und internationalen Teilnehmern, zahlreich erschienenem Publikum aller Altersgruppen und sehr entspannter Atmosphäre. Nicht unerheblich dazu beigetragen hat sicher auch das gute Wetter.
Die Zeit zwischen Start und Zieleinlauf überbrückten die Zuschauer mit einem Besuch auf dem Oktoberfest oder einem Bummel durch das Einkaufszentrum Quarree, so dass während des Laufs ebenfalls für die Nichtstartenden gesorgt war und keine Langeweile aufkam.
Wer mit dem Auto oder anderen Verkehrsmitteln in Wandsbek von A nach B kommen wollte, hatte es an diesem Nachmittag und Abend durch die vielen Straßensperrungen etwas schwer und brauchte Geduld – doch wann liegt so ein Anlass schon einmal vor.
Ein weiterer Lauf zu einem späteren Zeitpunkt ist jedenfalls sehr gut denkbar. Um Verkehrsbeschwerden auf ein Minimum zu reduzieren, wäre vielleicht die Austragung des Wettbewerbs an einem Sonntag empfehlenswerter.
Glückwunsch an alle, die (evtl. erstmalig) teilgenommen haben und den Lauf nicht nur erfolgreich zu Ende bringen konnten, sondern vielleicht sogar mit neuer persönlicher Bestzeit absolvierten! Jede hier erbrachte Einzelleistung ist ein besonderes Lob wert.
Es war übrigens nicht überall Feierabend nach diesem sportlichen Ereignis. Auf der „Wandsbeker Wiesn“ ging es zu diesem Zeitpunkt erst richtig los!
Der Umkipp-Punkt
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Allgemein, Foto, Garten (und Natur allgemein), Geschichten / Menschliches Verhalten, Wandsbek (Lokales) am 12/07/2014
Es gibt einen Punkt, an dem beginnt es umzukippen. Milch wird sauer oder der eben noch standfeste Turm aus Holzstäbchen gerät massiv ins Schwanken. Dabei wollte jemand nur ein einziges weiteres Stäbchen auflegen.
Manchmal bringt eine erneute dumme Bemerkung bringt das Fass zum Überlaufen, und gelegentlich sind einfach Treiben und Radau um einen herum zu intensiv. Zu viel.
Dieses Treiben ähnelt einem aufbrisenden Wind, der anfangs durchaus angenehm scheint. So lange, bis er an Intensität zulegt. Irgendwann rüttelt und klappert es ununterbrochen, zerrt an den Nerven – und mit einem Mal knallt das auf Kipp stehende Fenster mit Wucht zu!
Schluss. Ende. Ruhe.
Sie stehen drinnen, um von dort aus das Tohuwabohu draußen zu betrachten und in Ihnen herrscht Schweigen. Urplötzlich ist der berüchtigte Umkipp-Punkt erreicht.
(Sie haben natürlich verstanden, dass ich nicht allein vom Wind rede. Doch bleiben wir bei dem Vergleich.)
Es hat dauergebrist. Gar nicht dramatisch. Eine Brise ist schließlich kein Orkan. Allerdings schafft es auch die Stetigkeit – allein oder gepaart mit einem Anstieg der Intensität.
(Lassen Sie uns nun doch zum klaren Wort übergehen).
Dauerhaft solchen Umständen ausgesetzt zu sein schafft mental und ermüdet eigenartigerweise auch körperlich.
Jeder Mensch hat andere Faktoren als Auslöser, welche bei ihm auf längere Sicht zur Folge haben, dass er sich – vielleicht vom Gefühl her noch gar nicht besonders gefordert oder überfordert – jedoch derart belagert, bedrängt, berieselt, beschallt vorkommt, dass er die Schotten dichtmacht und sich einfach nur noch zurückzieht, bis der Lärm wieder abgeklungen ist. Bis er den Wunsch verspürt, die Jalousien wieder hochzufahren und erneut am Leben draußen teilzunehmen.
Nicht endender, aufgezwungener Lärm von außen ist gar nicht so selten Auslöser für eine solche Reaktion. Das Komische ist, dass Außenlärm spielend leicht und nahezu unaufhaltbar in einen einzudringen scheint und gleichzeitig selbstgemachter Lärm – sprich Stimme – es nicht mehr hinausschafft! Je lauter und umtriebiger das Außen, je stiller das Innen.
Ausnahmen bestätigen die Regel, Krawall kann durchaus auch kurzzeitig Gegenkrawall erzeugen. Wenn noch genügend Kraft dafür da ist. Für Protest.
Wir halten fest: Menschen und Reaktionen sind sehr verschieden und damit variiert ebenfalls der persönliche Umkipp-Punkt. Wie bei der Temperatur des Badewassers. Nicht jedem wird es erst bei 45°C zu heiß. Manch einer macht vorher schlapp. Ab welcher Lautstärke ein Lebewesen ein Geräusch als Lärm empfindet, ab welchem Zeitpunkt der Lärm förmlich lähmt, hängt vom Gehör, aber auch vom ureigensten Empfinden ab.
Henriette …, nein. Ich könnte eine imaginäre Person nehmen und von ihr erzählen, doch ich will heute offen sein und sage deshalb, ich stelle fest, dass mich Lärm auf Dauer in die Knie zwingt. Es ist für sich genommen bereits anstrengend, wenn ständig etwas im Hintergrund läuft, wenn überlaut gesprochen wird, wenn Stimmen unangenehm, schrill, durchdringend sind, wenn ohne Punkt und Komma auf einen eingehämmert wird, wenn simple Unachtsamkeit zusätzliche Lärmquellen aktiviert. Doch das ist alles noch recht harmlos. Damit komme ich zurecht. Übung macht den Meister.
Nur in den letzten Wochen gesellten sich weitere Folterlärmereien hinzu. Ich würde sie gern noch als normale Stadtgeräusche bezeichnen, würden Sie nicht so massiv und andauernd auftreten. Aus einzelnen Geräuschen mit Erholungspause wurde und wird penetrante und kontinuierliche Lärmbelästigung.
„Dann darfst du eben nicht in der Stadt wohnen!“
Sicher. Das ist generell wohl richtig. Doch manches in einer Stadt unterzieht sich einer Entwicklung, die vor zehn oder 20 Jahren kaum einer weder angenommen noch vorausgesehen hätte. Lärm ist mittlerweile ein diskutiertes Thema . Lärmschutzverordnungen wurden strenger, der Lärmausstoß einzelner Geräte darf bestimmte Dezibel-Zahlen nicht mehr überschreiten, Zeiten des Einsatzes müssten beachtet und Ruhezeiten eingehalten werden etc. Und doch!
Wie ist das bei Ihnen? Wohnen Sie in der Stadt? Hat sich etwas verändert? Negativ oder positiv?
Ich hadere mit den Zuständen hier ein bisschen. Seit einiger Zeit befindet sich eine große Dauerbaustelle (bis 2018!) ganz in der Nähe. Straßenbauarbeiten im Zuge der geplanten Aufhebung weiterer beschrankter Bahnübergänge auf der Zugstrecke Richtung Lübeck. Die Untertunnelung von insgesamt drei Gleisen, damit die Autos trotz gestiegenen Schienenverkehrs zügig vorankommen und nicht ständig stundenlang vor verschlossenen Schranken stehen. Durch diese Baustelle entsteht einerseits Baulärm, zusätzlich zieht es Sperrungen nach sich, was zur Folge hat, dass der Verkehr – auch wenn anders geplant – im Endeffekt verstärkt durch die Straßen des Wohnviertels geht. Tag und Nacht.
Personen- und Güterverkehr haben im Laufe der Jahre enorm zugenommen. Mit den schweren Güterzügen auch das Rumpeln. Das Vibrieren des Bodens bei der Vorbeifahrt der Züge, das einen im Bett noch beben lässt, Risse in Wänden verursacht und Gläser im Schrank zum Klirren bringt. An den Bahngleisen selbst wird häufig, begleitet von lärmintensiven Maschinen – aus praktischen Gründen gern auch mal nachts – gearbeitet. Lautes Tröten zur Warnung der Arbeiter begleitet die Aktion genauso wie das vorgeschriebene Hupen der Zugführer vor Bahnübergängen, wenn dessen Schranke nicht geschlossen wurde. Die Unterhaltung der Arbeiter wird brüllend geführt, um laufende Apparate zu übertönen.
Wenn in der Stadt seit Wochen an jedem Wochenende Aktionen wie Motorradgottesdienst, Harley-Davidson-Treffen, Schlager-Move oder Sportveranstaltungen (Derby, Marathon, Triathlon, Halbmarathon) bzw. Public Viewing anlässlich der WM stattfinden, hat das (so schön das einzelne Event für sich betrachtet sein mag) gehörige Auswirkungen was die Geräuschkulisse angeht und ist noch kilometerweit entfernt vom eigentlichen Ort des Geschehens zu hören.
Die Start- und Landebahnen des Flughafens werden regelmäßig überholt. Als Konsequenz ist dann jeweils eine der Rollbahnen gesperrt. So starten die Flugzeuge mehrere Wochen über meine Region oder überfliegen sie bei ihrem Landeanflug.
Vor zwei Tagen waren Gärtner bei einem Nachbarn, um dessen Buchenhecke zu schneiden. Sie hatten zwei Motorheckenscheren dabei. So laut, das können Sie sich kaum vorstellen! Da nützt es wenig, wenn lediglich die Gärtner Ohrenschützer tragen.
Eine Straße weiter wird an drei verschiedenen Häusern seit Wochen drinnen und draußen renoviert – also auch auf dem Grundstück gearbeitet. Hammerschläge, Fliesen schneiden, Fräsen, Langzeitbohren. Jetzt wurde bei einem der Grundstücke der Vorgarten komplett (zu)gepflastert. Eine Ramme war über Stunden am wummern, dann folgten nicht enden wollende dumpfe Schläge des Gummihammers.
Und genau das war der Umkipp-Punkt bei mir. Schotten dicht. Kopf betäubt. Stimme weg.
Am Abend bin ich einfach abgehauen und mit dem Fahrrad bei spätem Sonnenschein in den Botanischen Sondergarten Wandsbek (Sie erinnern vielleicht den Taschentuchbaum oder auch die blühenden Fächerpalmen aus früheren Blogposts) gefahren.
Das tat ziemlich gut …
Der Garten liegt fernab der Straße, Bäume umgrenzen das Terrain. Keine Baustelle, keine Züge, keine motorbetriebenen Geräte. Die Menschen, die ich dort antraf, unterhielten sich normallaut. In Zimmerlautstärke. Unaufgeregt. Nur miteinander. Nicht als Megaphon für andere am anderen Ende der Gartenanlage. Kein Public Hearing. Sie schienen auch die Ruhe zu genießen.
Vielleicht waren sie ebenso auf der Flucht vor Lärm …
Haben Sie zufällig gerade irgendwie Bedarf an Ruhe, Abendsonne und dem Anblick schöner Blumen? Mal kurz auf skurrile Samenstände schauen? Oder Seerosen vor dem Einschlafen erwischen?
Kommen Sie doch mit!

Botanischer Sondergarten Wandsbek – Zebra-Chinaschilf, Phlox, Storchschnabel und Rosen in der Abendsonne

Botanischer Sondergarten Wandsbek – Juli 2014 – Was von Weitem ein wenig an Lupinen erinnert, sind die Blütenstände des Ungarischen Akanthus (Acanthus hungarius)

Botanischer Sondergarten Wandsbek – Vorne Kerzen-Knöterich (Bistorta amplexicaulis), hinten Rittersporne, Phlox u. a.

Botanischer Sondergarten Wandsbek – Juli 2014 – Zierlauch (Allium), auch im verblühten Zustand mit Samenkapseln interessant anzuschauen

Botanischer Sondergarten Wandsbek – Juli 2014 – … ebenso die bis 200 cm hohen verblühten Steppenkerzen (Eremurus robustus und stenophyllus )

Botanischer Sondergarten Wandsbek – Juli 2014 … die Samenkapseln der Steppenkerze aus der Nähe betrachtet.

Botanischer Sondergarten Wandsbek – Mädesüß (Filipendula purpurea elegans) und Stockrosen (Alcea rosea) im Abendlicht

Botanischer Sondergarten Wandsbek – Juli 2014 – Phlox, Frauenmantel, Storchschnabel, Schilf dazwischen …

Botanischer Sondergarten Wandsbek – Juli 2014 – Kerzen-Goldkolben oder auch Kerzen-Greiskraut (Ligularia przewalskii)

Botanischer Sondergarten Wandsbek – Juli 2014 – Die Seerosen schließen am Abend ihre Blüten … Auch hier ist jetzt Feierabend.
Entspannt? Bei mir reicht heute sogar schon der Anblick der Fotos nebst Erinnerung, um den beruhigenden Effekt zu fühlen.
Ich bin recht gespannt, wie es am späten Sonntag, nächtens, böllertechnisch aussieht und ob hupend per Autokorso durch die Gegend gezogen wird. Den Grund würde ich natürlich ausnahmsweise noch einmal akzeptieren. ^^
Aber danach ist Schluss, Leute! Ruhe im Karton!
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende! Viel Spaß beim Fußball – falls Sie schauen! Sobald es insgesamt wieder ruhiger geworden ist, werde ich mich weiter hinauswagen und Ihnen auch wieder Neues von unterwegs mitbringen. Ich habe so das Gefühl, die Jalousie wird bald wieder hochgezogen.