Archiv für die Kategorie Auf Entdeckung … in Amsterdam

Een beetje van Amsterdam (2) – Psst! Geheim …!

Amsterdam!

Amsterdam!

Laut Beschluss (meinem) nehmen wir das Thema Amsterdam (inklusive einiger Gedankensprünge, Sie wissen Bescheid) einfach gleich wieder auf. Kommt jenes in Teil (1) etwas nebulös angekündigte „später einmal, irgendwann“ eben „früher einmal, jetzt“.
Een beetje eher.
Sie haben sich unseren vielseitigen Begriff hoffentlich gemerkt.
Möchten Sie eventuell in Geheimnisse eingeweiht werden?
Etwas über einst sehr verschwiegene, versteckte Orte erfahren?

Falls ja, wäre es gar nicht schlecht, wenn Sie und ich uns een beetje auf das heutige Thema einstimmen. Wie ist das bei Ihnen:
Angenommen, Sie hätten etwas, woran Ihnen liegt, und eine Tätigkeit, die Sie in diesem Zusammenhang regelmäßig ausüben, liegt Ihnen enorm am Herzen.
Sie brauchen das einfach!
Sie fühlen sich unvollständig ohne diese – sagen wir – Zeremonie. Ihr Seelenheil hängt nämlich davon ab.
Nehmen wir weiter an, aus heiterem Himmel tauchte plötzlich jemand auf, stellte sich vor Sie hin und würde Ihnen das verbieten, was Ihnen doch so viel bedeutet.
Halt! Nein, ab heute gibt es das hier nicht mehr! Strengstens untersagt!
Jedenfalls in der Öffentlichkeit. Und dieser jemand drohte Ihnen im Fall der Fälle mit Strafe, nähme Ihnen Ihr was auch immer sogar weg!
Gehört jetzt mir! Basta. Meins! Schluck es!
Worum könnte es gehen?
Kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit so profanen Dingen wie Zigarettenritual im Freien, stundenlangen Freibad- oder Wellness-Orgien, auch nicht mit öffentlichen Tête-à-têtes resp. Dates oder der Jogagruppe im Park! Es geht um etwas anderes.
Doch ganz gleich, worum es sich handelt, wie würden Sie generell reagieren?
Würden Sie ein Verbot hinnehmen? Seufzend auf alles verzichten?
Oh, ich darf nicht! Die haben es ja verboten! Ist halt so … Ach, geht’s mir jetzt schlecht!
Oder würden Sie versuchen, einen Ausweg zu finden? Eine Kompromisslösung? Für sich? Oder gar mit dem anderen?
Wer weiß, vielleicht ist es ja sowieso alles nur vorübergehender Natur.
Wie könnte die Alternative aussehen?
Spinnen Sie den Gedanken ein wenig weiter: Wenn Sie es nun auch gar nicht alleine wären, der betroffen wäre. Wenn es um viele ginge. Familie, Freunde, Bekannte, Unbekannte …
Um eins der Beispiele von vorhin zu benutzen: Wären Sie der einzige, der nicht mehr öffentlich baden dürfte, dann würden Sie wahrscheinlich fortan in Ihre Badewanne hüpfen. Etwas beleidigt zwar, doch Sie würden vorerst damit vorliebnehmen. Wenn Sie sich hingegen bisher mit hundert gleichgesinnten Personen immer zu einer Badezeremonie trafen, was machen Sie dann? Ihre Badewanne schafft das nicht …
Sie müssen folglich größer denken.
Aber halt! Vergessen Sie es nicht! Es ist streng verboten. Es darf nicht auffallen!
Bitte?
Richtig, Sie müssen einen grandiosen Plan entwickeln, wie Sie es versteckt und heimlich tun könnten. Einen Ersatz schaffen, den keiner erahnt. Einen Ort finden, an dem Sie ab jetzt ihre Treffen abhalten. Der ist natürlich nicht fertig ausgestattet vorhanden! Sie müssten – um beim Baden zu bleiben – heimlich einen großen Pool anlegen. Unauffällige Zugänge schaffen. Per Mundpropaganda Informationen weitertragen.
Psst! Dienstag ist Badeorgientag …

Amsterdam - Geradezu die Oude Kerk

Amsterdam – Geradezu die Oude Kerk

Und jetzt kommen wir zu Amsterdam. Nichts anderes ist dort geschehen. Nein, keine Geheimpools! Es gibt in dieser Stadt jedoch geheime Kirchen. An Orten, an denen sie absolut kein Mensch vermutet! Quasi unsichtbar.
Warum?
Erinnern Sie sich noch dunkel an den Geschichtsunterricht in der Schule?
Gehen Sie zurück zum Beginn des 16. Jahrhunderts. Martin Luther. Das Zeitalter der Reformation war durch ihn angebrochen. Die Niederlande und somit auch Amsterdam, waren bis zu diesem Zeitpunkt katholisch, Karl V. und auch sein Sohn und Nachfolger Philipp II. von Spanien beide strenggläubige Katholiken.
Plötzlich konvertierten in den „Niederen Landen“ Teile des Volks zum Protestantismus!
Entrüstung, Verfolgung der Andersgläubigen!
Die Calvinisten bildeten seinerzeit eine dominierende protestantische Kraft, und obwohl ihre Zahl überschaubar war, verfolgte die Regierung (das katholische Besatzungsregime der Spanier) sie recht unnachgiebig.
Der Adel lehnte das ab, und auch viele Städte waren nicht bereit, Ketzer aufzuspüren, sie zu jagen, zu bestrafen. Kurzzeitig schien sich die Lage zu entspannen, es sah aus, als signalisierte die andere Seite Entgegenkommen. Doch bereits unmittelbar darauf kam neuer, noch massiverer Druck aus Spanien, es gab blutige Verfolgungen.
Trotz allem nahm der Einfluss der Protestanten weiterhin zu!
Unruhen, kriegerische Auseinandersetzungen, Rebellion waren lange Jahre an der Tagesordnung. Im Januar 1579 schlossen die wallonischen Provinzen einen Sonderfrieden mit dem spanischen König. Etwa zur selben Zeit vereinigten sich die sieben niederländischen Provinzen zur Utrechter Union. Wenige Jahre später gründeten sie die Republik der Sieben Vereinigten Provinzen. Der (katholische) spanische König wurde abgesetzt, und das Land war von da an gespalten.
Nun waren es auf einmal die Katholiken, die zwar nicht auf die gleiche Weise verfolgt wurden, denen jedoch zwischen 1578 und 1795 untersagt war, ihrer Religion öffentlich nachzugehen. Die Protestanten konfiszierten ihre Kirchen.

Einige dieser betroffenen, gläubigen Katholiken, ersannen im Laufe der langen Zeit an mehreren Stellen in Amsterdam Notlösungen in Form von Versteckkirchen, sogenannten Schuilkerken. Die im Land verbliebenen Katholiken hatten es aufgrund der noch folgenden Kriege zwischen Niederländern und Spanien immer schwerer, und es ist nicht so, dass ihre Geheimkirchen im Laufe der Jahrzehnte tatsächlich alle völlig unentdeckt blieben, nur sobald sie als Händler eine bedeutende Rolle spielten (wie z. B. in Amsterdam oder auch in Utrecht), sah man manchmal darüber hinweg, dass sie im Versteckten ihren Glauben lebten.
Auch nicht ganz konsequent, oder? Doch wo der Profit winkt …

Das ist alles lange her, dennoch können SIe vier dieser geheimen Orte heute noch finden. Um zwei dieser Plätze geht es nun hier.
Ihnen gemein ist, dass Sie – wenn Sie durch Amsterdams Straßen gehen und an den nahtlos aneinandergesetzten Häusern vorbeistreifen – nie ahnen würden, was sich vielleicht dahinter oder in diesen Gebäuden befindet. Es sieht alles ganz normal aus. Unverdächtige, schöne Wohnhäuser.

msterdam -Häuserfassade zur Straße hin - Durchgang zum Begjin-Hof.

msterdam – Häuserfassade zur Straße hin – Durchgang zum Begjin-Hof.

Gut, zugegeben, bei dieser Tür haben Sie einen dezenten Hinweis …

Amsterdam - Durchgangstür zum Begijn-Hof

Amsterdam – Durchgangstür zum Begijn-Hof

Es könnte etwas mit Kirche zu tun haben. Sie öffnen die Tür, befinden sich in einem Durchgang, der Sie zu einem Innenhof leitet.

Durchgang zum Innenhof - Begijn-Hof, Amsterdam

Durchgang zum Innenhof – Begijn-Hof, Amsterdam

Im Innenhof selbst sind Fotoaufnahmen leider nicht gestattet. Deshalb beschreibe ich es Ihnen:
Sie treten hinaus auf einen ruhigen Platz, um dessen sorgsam eingefasste Rasenfläche sich im Oval viele Häuser anordnen. Schmale Bauten aus roten Steinen, weiße Sprossenfenster, viele der typischen holländischen Giebel (glockenförmig oder wie ein A geformt, dessen Spitze gekappt wurde). Gepflegte Vorgärten, die länglichen Steine des Weges sind sorgfältig im Fischgrätmuster verlegt. Es herrscht Stille, eine Ruhe, die Sie aufgrund der naheliegenden Hauptstraßen und Straßenbahnen mit ihrem Geläut überhaupt nicht erwarten. In diesem Hof steht eine Kirche.
Wenn Sie vermuten, dass es sich hierbei schon um die geheime Kirche handelt, komplett den Blicken entzogen, von der Straße aus überhaupt nicht zu sehen – dann haben Sie sich getäuscht.
Die Engelsekerk war den Protestanten durchaus bekannt. Sie wussten, dass sie von einer katholischen Frauengemeinschaft, den Begijn-Frauen, genutzt wurde, die alle in den Anrainerhäusern ihre Wohnungen hatten.
Und zwar ausschließlich diese Frauen lebten dort!
Was eine Zeitlang wirklich geheim blieb, und später zumindest als nicht öffentlich zählte, war hingegen eine Hauskapelle, die sich in zwei verbundenen Häusern (Nr. 31) befand. In dieser Kapelle sieht man Szenen, die die Geschichte des Wunders von Amsterdam darstellen.

Ein wenig verblichen in all den Jahren ...

Ein wenig verblichen in all den Jahren …

Kapelle mit Altar

Kapelle mit Altar

Blick in die Kapelle

Blick in die Kapelle

Altar

Altar

Wenn Sie von dort weiter ein wenig durch Amsterdam spazieren und dabei irgendwann die Straße Oudezijds Voorburgwal durchqueren, dann wird Ihnen wieder nichts Ungewöhnliches auffallen. Abgesehen vielleicht von etwas merkwürdigen Fensterherausblickern …

Amsterdam - Am Oudezijds Voorburgwal - Blick hinüber ...

Amsterdam – Am Oudezijds Voorburgwal – Blick hinüber …

Amsterdam ... wer schaut denn dort aus dem Fenster?

Amsterdam … wer schaut denn dort aus dem Fenster?

Doch wenn Sie – in Richtung Hauptbahnhof laufend – diese Bank erreicht haben … ja, dann sind Sie leider schon ein Stückchen vorbeigelaufen!

Amsterdam - Oudezijds Voorburgwal 14

Amsterdam – Oudezijds Voorburgwal 14

Entlang dieser Straße, die an einem Kanal verläuft, befinden sich Grachtenhäuser. Die typischen, hohen, schmalen Bauwerke, die hier auch gar nicht anders möglich sind, da es in Amsterdam eine Regel bezüglich der maximal erlaubten Gebäudebreite gibt. Reiche Amsterdamer Bürger haben diese Vorschrift manchmal umgangen, indem sie zwei oder drei nebeneinander liegende Häuser bauten, sie im hinteren Bereich miteinander mittels Durchbruch verbanden, Ihnen vorne jedoch völlig unterschiedliche Fassaden gaben, so dass sie wie regelkonforme Einzelhäuser wirkten.

Gehen Sie nun bitte gedanklich wieder zurück. Diesmal ins 17. Jahrhundert.
Im Jahr 1663 baute der katholische Kaufmann Jan Hartmann im Oudezijds Voorburgwal das Haus mit der Nr. 40.

Amsterdam - Oudezijds Voorburgwal 40

Amsterdam – Oudezijds Voorburgwal 40

Wenn Sie das Haus unten über einige Eingangsstufen betreten und im Flur bzw. Wohnbereich landen, würden Sie nie denken, was Sie einige Geschosse darüber erwartet!
Jan Hartman erschuf über den gesamten Dachgeschossbereich hinweg eine geheime Kirche! Ons‘ Lieve Heer op Solder – soviel wie Unser lieber Herr vom Dachboden wurde sie genannt.
Und da auch dort im Haus das Aufnehmen von Fotos leider nicht gestattet war, verweise ich auf nachfolgenden Link, der zur entsprechenden op-Solder-Website führt. Allerdings ist man auch hier, was Bilder angeht, sehr zurückhaltend.
http://www.opsolder.nl/eng/home.php

Die Kirche wirkt prunkvoll, besitzt viele vergoldete Elemente. Momentan haben Wände und Galerie/Geländer einen Anstrich in Altrosa, was einer Rekonstruktion eines älteren Farbanstrichs entspricht. (Man hatte bei Restaurierungsarbeiten mehrere Schichten Farbe unterschiedlicher Tönung entdeckt.) Sie hat einen Altar im barocken Stil, der erst ein wenig später, im Jahre 1715 eingefügt wurde. Die Dachgeschosskirche verfügt über eine Empore, eine Orgel, Statuen, Heiligbilder und natürlich ausreichend Gestühl sowie hölzerne Sitzbänke entlang der Seitenwände bzw. auf der Galerie!

Beim Blick aus dem Dachfenster, konnten die Gläubigen die echten Kirchen zumindest sehen ...

Beim Blick aus dem Dachfenster, konnten die Gläubigen die echten Kirchen zumindest sehen …

Aus der Bürgerwohnung in den unteren Etagen führen an einer Seite des Hauses extrem enge Wendelholzstiegen von Stockwerk zu Stockwerk. Unwahrscheinlich für Sie anzunehmen, dass hier je Menschenmassen hinaufstiegen, um an der Messe teilzunehmen.
Doch genauso fand es statt!
Ich versuche mir vorzustellen, wie es damals ablief und kann ich mir kaum denken, dass in Zeiten, in denen diese Messe in aller Heimlichkeit abgehalten werden musste, sich draußen auf der Straße vor der Tür katholische Gläubige in Massen versammelten und herumstanden, bis unmittelbar vor Messebeginn die Tür geöffnet wurde.
Das wäre viel zu auffällig gewesen!
Sie müssen versetzt über einen längeren Zeitraum angekommen und auch wieder gegangen sein. Es heißt, im Notfall (bei Gefahr) konnten die Messeteilnehmer durch Dachluken entschwinden.
Doch wohin?
Hinüber zum Dach des Nachbarhauses und von dort wieder hinunter und hinaus?
Es muss schwierig gewesen sein in dieser Zeit, und unwillkürlich taucht die Frage auf, ob all diese Risiken und Aufwendungen überhaupt gerechtfertigt und notwendig waren.
Mit Gott kann doch jeder allein und an jedem Ort der Welt Kontakt aufnehmen …
Es waren jedoch die Gemeinschaft, die Messen, das Beichten – alle gemeinsamen Rituale, die mit der Glaubensausübung zusammenhingen – die zählten und die vermisst bzw. ersehnt wurden.
Und vielleicht war es auch Protest. Ein Protest gegen ein nicht einzusehendes Verbot.

Seit 1988 ist Ons‘ Lieve Heer op Solder ein Museum. Die Holzverstrebungen, die Sie auf dem Bild weiter oben (auf der rechten Seite im oberen Bereich des Fotos) gerade noch sehen können, dienen zurzeit als Abstützung zwischen den Häusern Nr. 40 und Nr. 38. Man plant einen Tunnel und gräbt momentan an dieser unterirdischen Verbindung. Es ist beabsichtigt, das Museum zu erweitern und den Empfangsbereich in Haus 38 einzurichten.

Nach einem solchen Besuch und der Kenntnisnahme der damaligen Zustände und Reaktionen, gehen mir natürlich einige Gedanken durch den Kopf. Über Anmaßung. Über das Verhängen von unsinnigen Verboten, auch über das Hinnehmen von willkürlichen Verboten …
Beschäftigt Sie das auch?
Wenn Sie es bitte einmal nicht allein auf Glaubensfragen (Religion) beziehen, sondern eher ganz generell sehen. Was zeigt es, lehrt es? Wie könnte ein ganz persönliches Résumé aussehen?
Vielleicht sagt es hauptsächlich, dass sinnlose Verbote eben sinnlos sind. Nicht nur ihr Inhalt, sondern auch ihr Aussprechen!
Sinnlos verhängt.
Es stellt sich die Frage nach der Pflicht zur Einhaltung.
Müssen wir immer alles stillschweigend hinnehmen?
Verbote einzuhalten, Regeln zu achten ist wichtig, aber macht nur dann Sinn, wenn sie dazu dienen, allen zu nutzen. Wenn ohne die Einhaltung jemand im Nachteil wäre. Wenn die Nichteinhaltung die Freiheit eines anderen einschränken oder ihn gefährden würde. Regeln dürfen nicht zu einer bloßen Machtdemonstration werden. Verbote sollten nicht ausgesprochen werden, um lediglich zu bestrafen oder es mit gleicher Münze heimzuzahlen, sich zu rächen.
Ein miteinander umgehen auf gleicher Augenhöhe, Respekt, auch Gleichberechtigung … wie soll es das dann je geben?

Nun, wir sind aber auch nicht dazu verdammt, in jedem Fall untätig danebenzustehen und abzuwarten oder zu leiden. Vielleicht sollten wir uns stattdessen lieber öfter für etwas einsetzen, sollten sinnlose Verbote publik machen, ihren Irrsinn verdeutlichen.
Sie ein wenig der Lächerlichkeit preisgeben …
Und wenn das aus gewichtigem Grund zu Beginn nicht immer in aller Öffentlichkeit möglich ist, dann eben anfangs im Stillen. In kleinem, begrenztem Ausmaß. Überschaubar. Den Möglichkeiten entsprechend.
Steter Tropfen höhlt den Stein. Kleinvieh macht auch Mist …
Vielleicht stellt sich dabei heraus, dass wir gar nicht immer alleine dastehen. Es gibt mehr Gleichgesinnte, als man denkt!
Es muss nur einmal einer anfangen.
Mit was auch immer.

Das war der zweite Teil aus der holländischen Hauptstadt. Vielleicht lesen wir uns irgendwann wieder, wenn es heißt: Een beetje van Amsterdam – Teil (3)

©Oktober 2013 by Michèle Legrand
Michèle Legrand - WordPress.com - ©Foto Andreas Grav

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Een beetje van Amsterdam (1) – Klappbrücken …!

Amsterdam liegt bereits wieder hinter mir. Schon ein bisschen schade …
Soll ich Ihnen etwas verraten?
Amsterdam ist eine wunderschöne Stadt! Waren Sie auch schon einmal dort?
Die Niederländer – alle, mit denen ich bisher in meinem Leben beruflich oder privat zu tun hatte – sind obendrein ein äußerst freundliches, lockeres, irgendwie entspanntes Völkchen. Generell. Ausnahmen mag es geben. Die gibt es immer und überall.
Leider nutze ich meine Holländisch-Kenntnisse seit Jahren kaum noch. Es ergibt sich einfach nicht mehr, und dadurch ist alles etwas verkümmert. Vokabular im Nebel, Grammatik verbuddelt. Nur umso genauer hört man hin, versteht immerhin weiterhin relativ gut und reagiert zumindest gelegentlich – vor allem mit den Höflichkeitsbegriffen (Floskeln hört sich negativ an).
Man grüßt, sagte danke, und wenn jemand wissen will, ob man „wat eten“ (essen) möchte, dann lichtet sich der Vokabelnebel und immerhin zwei Worte schauen hervor. Es reicht für „een beetje“ als Antwort. Ein bisschen. Das passt praktischerweise für viele Sachen.
Ist Ihnen kalt? Een beetje. Haben Sie noch Durst? Een beetje. Warten Sie schon lange? Een beetje.  Ganz schön laut hier, oder? Een beetje. Sprechen Sie holländisch? Een beetje.
Wenn Ihnen die Tür aufgehalten wird, heißt es natürlich nicht „een beetje“. In dem Fall kommen Sie mit „Ik dank U zeer“ gut weiter. Bei tausend anderen Gelegenheiten hilft das ebenfalls.
Und grüßen Sie immer in Landessprache! Lächeln Sie dabei!
Dann haben Sie den ersten Schritt gemacht. Man sieht Ihre Bemühungen, das Entgegenkommen und hilft wiederum Ihnen, wenn etwas für Sie „niet zo eenvoudig“ (nicht so einfach) ist.

So gut diese Tipps sein mögen, die Sache hat einen Haken. Bei mir jedenfalls. Ich bin nach ein paar Tagen so in die neue, die andere Sprachwelt eingetaucht, dass ich bei der Rückkehr nie sofort ab- bzw. umschalten kann. Bei Dialekten behalte ich den Singsang bei, bei Fremdsprachen … nun, vorgestern zum Beispiel, am Sonntag.
Vorgestern bin ich zu meinem Wahllokal ein paar Straßen weiter marschiert. So weit, so gut. Kaum drinnen, habe ich fröhlich „Goedenmiddag“ gewünscht, und als ich den Wahlzettel ausgehändigt bekam, schickte ich auch noch ein „bedankt“ hinterher. Amsterdamsche Nachwirkungen. Daraufhin wurde natürlich noch einmal ganz genau kontrolliert, ob ich überhaupt bei der Bundestagswahl mitmachen darf …

Doch zurück zu Amsterdam.
Ich möchte Ihnen im Laufe der Zeit immer wieder einmal etwas von dieser Stadt zeigen. Eben hin und wieder – um Sie nicht mit allem zu überfrachten.
Heute geht es um Brücken. Um eine Brücke.
Sie wissen, Amsterdam hat unendlich viele Grachten, diese Wasserkanäle, die sich wie ein Netz durch die gesamte Stadt ziehen. Es sind mehr als in Venedig und die Zahl der Brücken, die diese Wasserwege überspannen, überschreitet die von Paris. Man spricht von 1.281!
Dieses Wasserwegenetz wird nicht nur für den Ausflugsverkehr von äußerst flachen Booten (auf denTiefgang, aber auch die Aufbauten bezogen) genutzt, dort liegen nicht nur zusätzlich noch zahllose, äußerst unterschiedliche Hausboote fest vertäut, sondern diese Fleete dienen genauso dem Warentransport. Zum Beispiel per DHL.

Amsterdam -  DHL nutzt die Grachten zum Transport  - "Hollands Glorie" fährt aus

Amsterdam – DHL nutzt die Grachten zum Transport – „Hollands Glorie“ fährt aus

Die Beförderung der Güter erfolgt aber durchaus auch in Schuten und anderen Gefährten. Manche ragen weit nach oben hinaus – haben z. B. einen eigenen Kran an Bord –  so dass eine feste Brücke mit einer bestenfalls mittelmäßig hohen Durchlassöffnung hier das Ende der Tour bedeuten würde.
Auf einigen wichtigen Strecken ist es daher möglich, Brücken zu öffnen. Entweder funktioniert es so, dass bei einem mittleren Brückensegment per Zugmechanismus jeweils ein Part dieses Abschnitts nach links, der andere Teil nach rechts in die Höhe gezogen wird. Das Schiff passiert, die Brückenteile werden wieder heruntergelassen

Amsterdam - Blick von der Blauen Brücke - rechts eine der "Zugbrücken"

Amsterdam – Blick von der Blauen Brücke – rechts eine der „Zugbrücken“

Oder es gibt die Variante, dass eine Brücke samt Straße mit allen Spuren, Schienen, Radwegen und dem Brückengeländer komplett einseitig hochgeschwenkt werden kann. Wie eine liegende Tür, die weit geöffnet wird. Ein Scharnier, das klappt.
Auf dem Weg zum Hortus Botanicus, dem Botanischen Garten, liegt direkt vor dessen Zugang die Hortusbrug, die genau nach diesem Prinzip des Klappens funktioniert. Ein Stück zuvor kommen Sie am Gebäude der Filmakademie vorbei. Vielleicht ist dies der Grund weshalb Sie, wenn Sie nun Zeuge des folgenden Geschehens werden, sofort an wildeste Verfolgungsjagden denken. Man hat schließlich entsprechende Filme gesehen.
Das ist fast wie dieser Pawlowsche Reflex!
Sobald das Bimmeln erklingt, welches die Schließung der Schranken ankündigt, spielen bzw. spulen sich vor Ihrem inneren Auge rasante Szenen ab! Bei Ihnen ist plötzlich Nacht, Lichter blitzen auf regennasser Fahrbahn. Sie sehen eine sich öffnende Brücke, das Aufklaffen der Fahrbahn und den immer größer werdenden, nun schon dramatisch breiten Spalt! Sie fühlen Spannung aufkommen! Sie vernehmen das Geräusch aufdrehender Motoren! Sie riechen Benzin!
Der Bösewicht (Auftragskiller oder so) jagt mit quietschenden Reifen dem Guten hinterher. Ohne Zweifel ein Rennen auf Leben und Tod! Er (der Böse) würde aus ihm (dem Guten) Hackfleisch machen, falls er ihn erwischte.
Doch Sie wissen natürlich, wie es ausgeht.
Der Gute (Weltretter oder so und selbstverständlich ein begnadeter Fahrer) nimmt bei seiner Flucht die Klappbrücke als Rampe, rast innerorts mit 140 km/h heran, hebt ab, fliegt … und landet – selbstredend ohne Achsenbruch – auf der gegenüberliegenden Uferseite. Sein Verfolger (nicht halb so talentiert am Steuer), kann in seriöseren, gehaltvolleren Filmen (dort ist er immerhin vorausschauend und halbwegs vernünftig) meist gerade noch rechtzeitig bremsen und blickt dem Flüchtenden lediglich extrem frustriert hinterher, während er bei der seichteren Filmvariante mit leicht überhöhtem Action-Anteil auf Kosten der sonstigen Handlung (hier ist er ein hitziger, unüberlegt handelnder, fieser Möpp) mit Karacho in die Lücke rauscht und kläglich versinkt.
Eventuell explodiert der Wagen noch. Über Wasser. Unter Wasser. Ach, egal. Jedenfalls Action und Totalschaden. Des Fahrzeugs. Und der Fahrer ist auch meist hin.

Wo waren wir?
Amsterdam. Hortusbrug. Hellichter Tag.
Oh, es ist wohl doch nicht so dramatisch …
Doch was passiert tatsächlich?
Die kleine Anzahl Fußgänger, die in diesem Augenblick vorbeikommt, bleibt stehen und schaut gemeinsam recht gebannt zu. Autos sammeln sich in den drei Minuten fast gar keine an. Amsterdam ist nämlich nicht unbedingt die Stadt der Autos, sondern eher die der Straßenbahnen (Trams) und Fahrräder. Bei Letzterem munkelt man etwas von 600.000 Exemplaren!
Infolgedessen entwickelt sich auch innerhalb kürzester Zeit eine beachtliche Warteschlange von fietsers (Fahrradfahrern) an der Schranke.

Amsterdam - Hortusbrug  am Botanischen Garten

Amsterdam – Hortusbrug am Botanischen Garten

Amsterdam - Hortusbrug - .... im geschlossenen Zustand. Autos, Straßenbahn, Motorräder, Fahrräder und Fußgänger queren hier die Gracht.

Amsterdam – Hortusbrug – …. im geschlossenen Zustand. Autos, Straßenbahn, Motorräder, Fahrräder und Fußgänger queren hier die Gracht.

Amsterdam - Hortusbrug  - ... es geht los!  Achten Sie auch auf die Leitungsmasten der Tram!

Amsterdam – Hortusbrug – … es geht los! Achten Sie auch auf die Leitungsmasten der Tram!

Amsterdam - Hortusbrug  - ... fast senkrecht. Der Durchlass ist frei für das nahende Boot.

Amsterdam – Hortusbrug – … fast senkrecht. Der Durchlass ist frei für das nahende Boot.

Amsterdam - Hortusbrug - Stimmt, es hätte nicht durchgepasst ...

Amsterdam – Hortusbrug – Stimmt, es hätte nicht durchgepasst …

Und es gibt doch weitere Zuschauer! Mehrere sogar. Eine Klasse mit noch sehr jungen Schülern, die auf dem Weg zum Zoo sind, sieht dem Schauspiel ebenfalls erwartungsvoll entgegen. Sie haben sich nur nicht an die Straße, sondern am Ufer entlang der Gracht aufgestellt, schweigen beeindruckt während des Hochklappens, reden danach aufgekratzt durcheinander und winken dem passierenden Boot enthusiastisch zu.

Amsterdam - Zuschauer an der Gracht - Klappbrücke in Aktion ansehen ...

Amsterdam – Zuschauer an der Gracht – Klappbrücke in Aktion ansehen …

Amsterdam - Hortusbrug - Das Boot ist durch. Links der Arbeitsplatz des Brückenwärters, der nun die Hortusbrug wieder herunterklappt.

Amsterdam – Hortusbrug – Das Boot ist durch. Links der Arbeitsplatz des Brückenwärters, der nun die Hortusbrug wieder herunterklappt.

Amsterdam - Hortusbrug - Langsam senkt sie sich wieder ...

Amsterdam – Hortusbrug – Langsam senkt sie sich wieder …

Amsterdam - Hortusbrug - Es fehlt nicht mehr viel ...

Amsterdam – Hortusbrug – Es fehlt nicht mehr viel …

Es ist schon ein besonderes Spektakel!
Es wirkt mächtig, dieses massive Teil, das sich plötzlich wie von Geisterhand bewegt aufrichtet, etwas drohend eine Riesenwand bildet und unter sich ein gewaltiges Loch hinterlässt. Es ist ein bisschen gespenstisch, weil fast kein Geräusch dabei entsteht.
Kaum hat ein durchgelassenes Boot die andere Seite erreicht, schließt sich die Brücke ebenso leise wieder, und so erscheint es Minuten später, als wäre nie etwas geschehen – als sei es überhaupt nicht möglich, dass diese massive Betonbrücke sich auch nur einen Millimeter bewegt hat!

Amsterdam - Hortusbrug - Als sei nichts geschehen ...

Amsterdam – Hortusbrug – Als sei nichts geschehen …

 

Amsterdam - Hortusbrug - Die Schranken öffnen sich wieder - und wie man sieht, haben es die Fahrradfahrer hinten sehr eilig.

Amsterdam – Hortusbrug – Die Schranken öffnen sich wieder – und wie man sieht, haben es die Fahrradfahrer hinten sehr eilig.

Geträumt?
Nein, die Fotos liefern den Beweis.
Klappbrücken …
Faszinierend. Wie vieles in Amsterdam!

Von dort herzliche Grüße und später einmal een beetje mehr.
Schön, dass Sie vorbeigeschaut haben! Ik dank U zeer!

Amsterdam - Michèle Legrand - WordPress - Michèle. Gedanken(sprünge)

Grüße aus Amsterdam!

©September 2013 by Michèle Legrand

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