Archiv für die Kategorie Auf Entdeckung … in Stockholm
Schwedenhappen – Teil 5: Skansen und Liebe auf den ersten Blick macht auch blind
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Artikel, Auf Entdeckung - Unterwegs im In- und Ausland (s. dazu auch weitere Spezialkategorien), Auf Entdeckung ... in Stockholm, Foto, Geschichten / Menschliches Verhalten am 07/09/2011
Gibt es die Liebe auf den ersten Blick?
Eindeutig!
Und macht sie – wie es ja generell von der Liebe behauptet wird – blind?
Definitiv!
Und weiche ich vom Thema Schweden ab? Überhaupt nicht!
Die Episoden der Schwedenhappen nähern sich hier im Blog langsam dem Ende (ein kleiner Teil 6 steht noch aus). Was bisher vielleicht fehlt, sind mehr Gefühl, Herzklopfen und Schmetterlinge im Bauch. Heute daher das Geständnis: ich habe mich in Schweden verliebt. Jawohl! Aber vielleicht fangen wir doch besser von vorne an…
Sonntag, der Tag, an dem wir vormittags das Vasa-Museum besucht hatten. Es war ziemlich beeindruckend gewesen, hatte mich allerdings auch ein wenig geschafft. Vielleicht bin ich kein Wesen der Dunkelheit und der Muffluft.
Als Ausgleich stand nun etwas besonderes auf dem Plan. Auf der Insel Djurgården befindet sich etwas, was die Schweden Skansen nennen. Ich erwähnte in einem vorangegangenen Teil dieser Blogserie, dass die Insel übersetzt ‚Tiergarten’ heißt. Nicht nur die Insel selbst, sondern ein Bezirk, der noch bis zum ‚Stockholmer Festland’ weiter nördlich reicht.
Die Insel ist nicht sehr groß. Sie misst ca. vier Kilometer in der Länge und an der breitesten Stelle so um einen Kilometer. Es ist – so empfand ich es – die grüne Lunge Stockholms, auch wesentlich ruhiger als die Bezirke Ostermalm oder Norrmalm. Selbst die Stockholmer wählen es als Ausflugsziel am Wochenende. Es sind dort zahlreiche Museen angesiedelt, wie z. B. das Nordiska Museet (Nordisches Museum), das Biologiska Museet (Biologisches Museum), das Aquaria Vattenmuseum („Wassermuseum“), das Vasa-Museum etc., und es gibt sogar einen Vergnügungspark Gröna Lund (von dem ich das Kreischen der Achterbahn fahrenden Menschen vernommen hatte…)
Für uns hieß es jedoch: Skansen. Artur Hazelius gründete bzw. erschuf 1891 auf der Insel eine Art Museumsdorf. Schweden in Miniatur mit traditionellen Gebäuden und Bauernhöfen, die einen Querschnitt durch die Geschichte und verschiedene Baustile zeigen – vom äußersten Norden bis zum Süden des Landes.
Freilichtmuseen gibt es bei uns auch, sie sind unterschiedlich interessant und gelegentlich thematisch und räumlich sehr eng gehalten. Hier ist es anders, freier. Der Unterschied ist, dass typische Bauerngärten um die Farmhäuser angelegt wurden, dass viel Platz für Natur pur dazwischen ist, dass alte Handwerke gezeigt werden, dass Seen angelegt wurden – wenn sie nicht schon natürlich dort an dieser Stelle waren, und – was ich als das Schönste empfinde: es integriert zudem noch etwas sehr Lebendiges!
Ein großer Teil des gut 30 ha großen Gebiets ist für in Skandinavien beheimatete Tiere reserviert. Sowohl Haustiere als auch wild lebende Tiere. Skansen ist im Grunde genommen gleichzeitig Stockholms Zoo. Die Tiere haben einen sehr natürlichen Lebensraum dort, oft – und gerade bei den scheuen oder nachtaktiven Lebewesen – mit der Möglichkeit, sich zurückzuziehen in versteckte Höhlen oder höher wachsendes Unterholz.
Ich finde es immer merkwürdig, wenn jemand auf sein Recht pocht, alle Tierarten zu sehen, weil er ja schließlich bezahlt hat. Es sind Lebewesen mit eigenen Rechten und Gewohnheiten, keine Roboter oder Marionetten! Ich würde mir oft mehr Respekt wünschen …
Dieses Gelände mit Luchsen, Bären, Seelöwen, Ottern, Wildschweinen, Füchsen, Eulen und Uhus, Rentieren, aber auch mit Ziegen, Pferden und kleinem Hausgetier, wollte ich gerne erleben. So standen wir vor dem Haupteingangsportal und sahen einen Übersichtsplan der Anlage im Schaukasten.
Meinem Mann entrutschte ein: „Oh, das ist aber ziemlich groß!“
Seine Art zu sagen: „Himmel, da muss ich aber wieder ganz schön durch die Gegend stiefeln! Größer geht’s wohl nicht.“
Ich frage vorsichtshalber nach.
„Hast du doch keine Lust dazu?“ Lieber vorher klären, als sich später ärgern.
„Doch, doch…“ Die Antwort kommt mäßig begeistert.
„Es gibt sicher auch Sitzbänke dort“, beruhige ich ihn, „und schau, hier gibt es auch mehrere Stellen, wo Besteck und Kaffeetasse eingezeichnet sind.“
Der Gatte schluckt tapfer. Ich sehe, weiteres Entgegenkommen ist ratsam.
„Ich muss nicht überall hin. Wenn es uns zu weit wird, können wir auch hier (ich zeige auf einen Weg auf der Karte) quer abkürzen. Nur die Tiere, die würde ich schon sehr gern alle besuchen.“ Die Gehege erstrecken sich ungünstigerweise ganz bis an das andere Ende von Skansen.
„Na, nun lass uns schon gehen…“, meint der Herr und strömt Richtung Eingang.
Wir lösen Tickets und starten. Einmal drinnen, geht es erstaunlich gut. Auch meinem Mann scheint es auf einmal zu behagen. Die Wanderei auf Wald- und Schotterwegen ist oft wesentlich angenehmer, als die auf Betonplattenwegen in der Stadt.
Die Zeit mit einer Entdeckung nach der anderen, verging wie im Flug. Inzwischen hatten wir fast den äußersten Zipfel der Anlage erreicht. Eine weitere Abzweigung war erreicht. Selbstverständlich war die Wegbiegung in der kleinen Mappe eingezeichnet.
„Rechts oder links?“ Mein Gatte hebt fragend den Blick von der Karte.
Nicht, weil er sich etwa verirrt hatte, oh nein, er ist hier mein Meister im Karten lesen und Orte finden. Ich bin mehr die, die nach der Nase geht – notgedrungen, denn ich sehe Pläne irgendwie immer anders als ihr Zeichner. Es bringt mir einfach nicht so viel. Ein Stadtplan ist mir durchaus eine Hilfe, denn dort kann ich nach den Straßennamen gehen und ggf. die Richtung korrigieren. Bei Wanderkarten oder dergleichen gibt es das nicht, und leider interpretiere ich vieles anders.
Ach, es soll von der anderen Seite aus gesehen werden? Auf dem Kopf? Das muss mir doch gesagt werden. Der Weg ist superschmal, und dann werden hier fast Hauptstraßen eingezeichnet. Das muss doch verwirren!
Es macht mir einfach keinen Spaß, wenn ich auf Entdeckungstour bin oder im Urlaub. In der Zeit, in der ich dauernd stehen bleibe und die Karte kontrolliere, könnte ich stattdessen schon so viel neues Tolles entdecken! Wie oft laufen die Menschen an etwas vorbei, weil sie nach unten gucken und sich stur an den öden Plan halten. Wenn der linke Weg gerade das schönere Licht hat oder ein Gingkobaum dort wächst, dann nehme ich den. So ist das eben.
Heute nun der Luxus des Services durch einen Kartenkundigen. Um nun wieder auf seine Frage rechts oder links zurückzukommen: Sie zielte mehr darauf hinaus zu erfahren, was ich nun erkunden wollte. Und das konnte ich genau sagen.
„Dorthin, wo die Elche sind“, lautete meine Antwort. Ich finde Elche klasse.
„Dann müssen wir nach links.“
Ein kleines Stück auf dem Sand-/Schotterboden war noch nötig, und auf einmal war sie da.
Es war Liebe auf den ersten Blick. In meiner Begeisterung habe ich zwei Tage lang gedacht, ich hätte einen neuen Freund, und da ich Freunde gerne namentlich anspreche, taufte ich ihn Arne Lindquist.
Die Liebe machte blind! Komplett! Und dusselig dazu …
Erst nach Tagen überlegte ich genauer, befragte das Internet und begutachtete Bilder. Tut mir leid, ich muss mich korrigieren. Ich Ignorant hatte im Kopf nur das Wort „der Elch“ und schon war „er“ Arne.
Meine neue Bekanntschaft hat jedoch kein Geweih und die Nachforschungen ergaben, dass Elchhirsche zwar im Januar/Februar ihre Schaufelgeweihe abwerfen, aber bis zur Brunft im Herbst wieder komplett neu „bestückt“ sind. Wir haben Herbst! Kein Geweih, nicht mal der Ansatz eines winzigen Stöpselchens, das nach oben herausschaut!
Demnach ist er eine Elchkuh!
Entschuldigung, ich schiebe es auf die Glücks-/Liebeshormorme. Sorry, Fräulein Smilla! Ja, nun ist sie Smilla Bergström. Es ist ja nicht so, dass uns der Name aus der Ruhe bringen könnte …
Smilla – sie ist eine beeindruckende Elchkuh, von angenehmem, bedächtigem Wesen, und sie hat einen zauberhaften Charakterkopf. Sie beobachtete mich, und ihre Bewegungen geschahen in Zeitlupe. Kaum vorstellbar, dass diese Tiere ein enormes Tempo entwickeln können und auch durchaus Menschen angreifen. Sie stand jetzt auf ihren hohen, dünnen Beinen am Gatter. Ihre dunklen Augen waren wunderhübsch. Sie sagte allerdings keinen Ton. (Was soll sie auch sagen …) Nachdem sie uns für harmlos erachtet hatte, legte sie sich hin. Neben ihr ließen sich noch zwei weitere Elche nieder. Ich lasse es neutral. Es waren jüngere Tiere, und ich habe keine Ahnung, ob es nun Bosse und Nils-Olof oder Björk und Dörte waren…
Ich blieb eine Weile dort, und sie ließ sich willig fotografieren. Als ich gerade gehen wollte, entrückte ihrer Kehle ein kleiner Laut. Eine Mischung aus eselähnlichem Geräusch und menschlichem Gestöhne. Vielleicht war es auf elchisch Auf Wiedersehen.
Ach, Smilla, du bist eine Superkuh!
Wenigstens habe ich dich als Bild, wenn mich die Sehnsucht packt.
Es gab noch viele tolle Bewohner. Eine Luchsmama mit ihren drei Jungen, die durch das Unterholz streiften.
Schlafende Bären, die zu fünft aneinandergekuschelt dalagen, und die nichts stören konnte. Otter, die sich einen Spaß daraus machten, an den unmöglichsten Stellen plötzlich wieder aufzutauchen.
Seelöwen, die gerade eine Fütterung bekamen und gierig nach den ins Wasser geworfenen Heringen jagten. Frischlinge, die sich um ihre Wildschweinmama drängelten, Pfaue und Fasane die beide majestätisch über die Wege schritten oder ihren Nachwuchs
- Beute gemacht
antrieben.
Wir kehrten schließlich noch zum Kaffeetrinken ein und schauten uns in einem nachgestellten alten Eisenwarenladen um. Eine schöne alte Registrierkasse mit Kurbel stand auf dem Tresen.
Schränke mit zahlreichen Schubladen, ordentlich an der Wand an Haken befestigte Geräte für den Verkauf.
Ein Herr, der alte Gewänder trug, mimte den Verkäufer. Wie es früher oft üblich war, hatten die Ladenbesitzer ihre Wohnräume direkt hinter dem Geschäft. Man konnte auch hier Einblick nehmen, sah das Mobiliar, staunte über die niedrigen Decken und über den gusseisernen Herd in der Küche. Eine junge Familie mit Kind war auch gerade da. Skansen verkleidet seine Angestellten, zumindest einige, und platziert sie mitten in die Szene. Hier hatte man eine junge Dame in alter Tracht im Wohnzimmer auf das Sofa gesetzt. Stickend.
Der kleine Junge hatte offensichtlich vorher von seinem Vater erklärt bekommen, dass hier alles ganz betagt und bejahrt ist. Eben von früher. Nun entdeckte er das lebendige Inventar der Wohnung und sein entrüsteter Kommentar Richtung Papa war: „Die sieht doch aber noch gar nicht so alt aus…!“
Es war höchst amüsant, den errötenden Papa und die grinsende Skansen-Bewohnerin zu beobachten.
Nach weiteren Besuchen in der alten Glasbläserei, im Kräutergarten, etc. hatten wir unseren Rundgang vollendet und sahen vom Hügel noch einmal Richtung Wasser und Stockholms Hafen. Eben kam ein Segelschiff hinein. Grün. Die Alexander von Humboldt, das Schiff, das fast jeder aus der Beck’s Bier Werbung kennt (das mit den ebenfalls grünen Segeln).
Krönender Abschluss für meinen Mann, der Skansen ziemlich gut und klaglos überstanden hat. Die Lauferei, meine ich. Sie bräuchten eigentlich nur alle 300 Meter eine Lokomotive bzw. Waggons oder ein Schiff hinzustellen, dann wäre für ihn die Welt in Ordnung. Allerdings glaube ich, nach dem fünften Schiff kämen mir die Wege urlang vor….
Für heute endet der Bericht. Im letzten Teil geht es um kleine Blamagen und einen Irrtum, der mich trotzdem mit Hinblick auf die Frage nach der Herkunft meines Großvaters auf seine Art etwas weiter brachte…
©September 2011 by Michèle Legrand
Schwedenhappen – Teil 4: Die Feschen mit den kleidsamen Pickelhauben
Liebe Blog-Leser, man könnte sagen, sie haben von Tuten und Blasen echt Ahnung. Sie persönlich, groß geschrieben sicher auch, aber ich meine sie klein geschrieben. Den Plural und keine Anredeform.
Also, sie (klein) sehen zudem schnieke aus, haben einen sehr zackigen Gang, sind mehrheitlich blau, ohne getrunken zu haben, und können ihn schon im Schlaf: den Wachwechsel!
Um ihn geht es hier gleich und hauptsächlich im vierten Teil der Schwedenhappen. Täglich ungefähr gegen 12 Uhr mittags (sonntags gegen 13 Uhr) findet diese Zeremonie im Innenhof des schwedischen Königsschlosses statt. Das Slott ist die offizielle Residenz des Königs, während die private sich auf Schloss Drottningholm befindet.
Ich habe heute zudem völlig gratis ein paar scheppernde Audio-Sequenzen für unempfindliche Ohren mit eingebaut … ^^
Ich erwähnte schon zu Beginn des Stockholmberichts, dass dies hier kein Reiseführer wird. Schon Bericht ist das falsche Wort, wirkt viel zu förmlich!
Ich gebe einfach meine Beobachtungen und Empfindungen wieder. Dabei geht es häufig um Dinge, die in keinem Stadtführer erwähnt werden. Wo steht schon, an welchem Fleckchen das beste Mischmasch aus interessanten Geräuschen entsteht, wo wird erklärt, warum auffällig viele Menschen immer ziemlich schnell über den Kirchhof der Klara Kyrka flitzen. Ich mag solche Plätze gerne entdecken und herausfinden, warum es dort wie ist. Vielleicht mögen das außer mir auch noch andere … Einen Geräuschevielfalt-Platz habe ich Ihnen u. a. in Teil 3 genannt (der an der Kaimauer beim Vasa-Museum).
Dieses Gedüse über einen eigentlich richtig idyllischen Kirchhof wiederum entsteht dadurch, dass dieser viele Ein- bzw. Ausgänge hat und sehr zentral in der Nähe des Hauptbahnhofes sowie einiger Buslinien liegt. Der Weg über den Innenhof wird aus allen Richtungen kommend als Abkürzung genommen, und wenn die Zeit bis zur Zug- oder Busabfahrt knapp wird (offenbar oft), fällt auch schon der ein oder andere in den Galopp.
Übrigens habe ich die Feststellung gemacht, dass ich irgendwie nicht dazu geschaffen bin, mit dem Touristenhandbuch oder auch nur dem Stadtplan stur durch die Gegend zu marschieren und Erledigtes abzuhaken. Nach einigen offiziellen Punkten, brauche ich immer ein bisschen Gegenprogramm. Nach Touristen-Magneten zieht es mich in Gegenden, in denen hauptsächlich die Anwohner zu finden sind. Parks, in die sich nur wenige Auswärtsbesucher verirren, und dann lausche ich statt spanischen, französischen, amerikanischen oder japanischen Stimmen, mehr dem für mich noch etwas ungewöhnlichen Klang der schwedischen Laute und speichere mir diesen besonderen „Singsang“ der Einheimischen in einem Eckchen des Gehirns ab.
Kommen wir jedoch zurück zum Wachwechsel.
Ist das nicht auch wieder so ein nettes Wort?
Natürlich sind die wach dabei!
Ist auch völlig logisch: die Wachen kommen, und die Müden werden ausgewechselt. Oder werden die Wachen auch müde? Das Gegenteil vom Wachwechsel ist der Schlafendwechsel. Hierbei werden die auszutauschenden Personen auf Bahren in den Innenhof getragen und …
Quatsch, glauben Sie mir kein Wort! ^^
Am Sonnabend hatte ich vorab einen Minieindruck erhalten, wie fesch die Herrschaften sein können. Die Hauptstraße war plötzlich von der Polizei abgesperrt worden, und kurz danach drang aus einer Nebenstraße die Musik einer Militärkapelle.
Die Wache des Palastes besteht hauptsächlich aus der Leibgarde, der Svea Livgarde. Sie ist ein aus Infanterie und Kavallerie bestehendes Regiment der schwedischen Armee und ist Teil der schwedischen Garde. Ihre Garnison liegt in Kungsängen bei Stockholm.
An diesem Mittag marschierte eine komplett schneeweiß gekleidete Kapelle vorweg. Ihr folgten die zur Ablösung marschierenden Wachen. Diese in weißen Hosen, dunklen Schuhen und schwarzen, sehr figurbetonten Uniformjacken mit in der Sonne leuchtenden Knöpfen und schwarzen Pickelhauben, deren silber- und goldfarbene Zierteile ebenfalls die Sonnenstrahlen reflektierten. Es kam unvermutet, und da zu diesem Zeitpunkt die Abfahrt unseres Sightseeing-Bootes schon sehr nahe gerückt war, konnte ich die Herren leider nicht mehr bis zum Schloss verfolgen und alles genauer betrachten. Schnell vergewisserte ich mich, dass auch am Montag eine Zeremonie stattfinden würde, und diese – ta-ta-tamm!- erlebte ich von vorne bis hinten. Bis ganz hinten, nämlich über das eigentliche Ende hinaus.
Vielleicht fragen Sie sich:„Das Gedöns ist doch sicher schon lang genug, warum hockt sie denn noch länger als nötig da?“
Ich verrate es Ihnen bald.
Am Montag sperrten etwa eine halbe Stunde vor der angekündigten Aktion Mitglieder der Garde einen Teil des Palastinnenhofes ab. Diesmal tragen sie eine schwedisch-blaue Uniform, die Jacken sind weiß abgesetzt und mit weißen Gürtel sowie weißen Knöpfen auf Figur gebracht. Sie tragen gold- und silberglänzende Pickelhauben. Diese Posten hatten mobile Ständer parat, durch die dicke Absperrbänder und –kordeln gezogen wurden. An den Seiten durften sich Touristen aufstellen, die kopfsteinpflasterne Zuwegung und der gesamte Innenhof bleiben frei.
Der Andrang an Zuschauern nahm zu, und wer bei dem Gewusel und Gewimmel die Ständer mit den Tauen verschob und vordrückte, bekam Besuch. Mit zackigem Schritt näherte sich eine Wache und wies kühl mit der Hand nach hinten. Alles schuffelte drei Schritte zurück, die Wache schlug die Hacken zusammen, machte eine kernige Drehung um 180° und marschierte wieder an den ursprünglichen Punkt zurück.
Ich war nun in Erwartung der bekannten Truppe vom Sonnabend.
Aber nein!
Es erklang zwar, wie erwartet, die Musik einer Militärkapelle, zusätzlich war jedoch noch etwas anderes zu hören – nämlich das Getrappel von Pferdehufen! Und dann kam sie.
Die Kavallerie!
Den ersten Block bildeten die Reiter mit ihren Instrumenten: Tuba, Trompeten, Pauken und Trommeln etc.
Mit kleinem Abstand folgte der zweite Block, die berittenen Wachposten, die ihre Kollegen ablösen sollten.
Im Innenhof standen sich alsbald wache und müde Kameraden gegenüber. Es wurde Unverständliches gebrüllt, es wurde von Zeit zu Zeit ordentlich auf die Pauke gehauen.
Alle wieder wach?
Danach ein flottes Liedchen von allen.
Trotzdem wieder einer müde?
Achtung! Gebrüll! Trommelwirbel! Augen auf und Fahne geschwenkt! Es folgte eine kleine Ansprache, die ich leider nicht verstand und erneut die Musik der Kapelle, deren Mitglieder immer auf dem Pferderücken musizierten, teilweise dabei noch kleine Formationen reitend. Die pralle Sonne (ja sie schien in Stockholm auch am Montag!) stach unerbittlich und unbarmherzig auf Ross und Reiter herab. Auf dem Metall der Pickelhauben hätte man sicher Spiegeleier braten können …Verstohlen wischte sich hin und wieder der ein oder andere Wachposten Schweißbäche von der Stirn, bevor diese herunterrannen und in Trompete oder Tuba verschwanden.
Und da war sie!
Die Frage, die mir durch den Kopf schoss und die der Grund dafür war, dass ich am Ende länger bleiben musste. Sie lautete:
Muss die Kapelle jetzt etwa so erschöpft und verschwitzt und mit all ihren riesigen, schweren Instrumenten gleich wieder zurück?
Ohne Pause, Erfrischung?
Müssen sie alles auch den ganzen Rückweg schleppen, obwohl sie gar nicht mehr musizieren?
Immerhin reitet es sich nicht sonderlich gut, wenn die Hände belegt sind. Man kann nicht davon ausgehen, dass die Wachposten alle eine Zusatz-Zirkusausbildung haben, und es ist ihnen bestimmt auch nicht gestattet, kurzerhand die Zügel zwischen die Zähne zu nehmen.
Sie merken, auch hier weichen meine Fragen und Überlegungen leicht von gängigen Stadtführern ab.
Die Zeremonie näherte sich seinem Ende. Die wartenden frischen Pferde, die außerhalb des Innenhofs standen und von identisch uniformierten Damen und Herren gehalten wurden, fingen allmählich an, ihren Unmut durch verdrießliches, lautes Schnauben kundzutun.
Letztendlich kamen ihre Reiter um aufzusitzen, ritten gesammelt in den Innenhof und bildeten diesmal die Vorhut. Angeführt durch einen einzelnen Reiter auf einem Schimmel, der offensichtlich einen hohen Rang bekleidete (der Mann, vielleicht aber auch das Pferd), nach ihm die abgelösten Wachen und zum Schluss die Kapelle. Diese noch ein paar kurze Takte blasend und trommelnd, bis sie den Hof vollständig verlassen hatte.
Ende. Aus.
Die Menge verteilt sich. So, und nun?
Sie sind noch nicht weit weg. Im Grunde stehen sie alle gerade einmal ums Eck. Dort herrscht ein wenig Schatten. Ich laufe unschuldig hinterher. Und nun wird auch meine Frage beantwortet:
Nein, sie müssen nicht darben und ja, ihnen naht Rettung!
Es werden Wasserflaschen an die Wachen verteilt, und auch die Pferde (zumindest bei einem Teil sehe ich es) bekommen zu trinken. Drei uniformierte junge Männer bewegen sich zwischen den Tieren hin und her, teilen aus und nehmen im Anschluss sämtliche Instrumente entgegen.
In einem Hauseingang entdecke ich säuberlich aufeinandergestapelte Musikkoffer, in die nun alles wieder ordentlich verstaut wird.
Dort kann es aber nicht stehenbleiben, oder? Im Koffer wieder aufs Pferd?
Das kann ich mir nun gar nicht vorstellen.
Die Lösung ist ganz einfach. Es nähert sich – ebenfalls in schwedischem Blau gehalten – ein moderner kleiner Transporter mit Heck- bzw. seitlichen Schiebetüren.
Die drei verstauen alle Koffer fachgerecht und geübt, springen dann selbst ins Fahrzeug und entschwinden unerkannt.
Von draußen wirkt es sehr lustig. Ein modernes Auto, aus dem drei mit Pickelhauben bekleidete junge Männer herausschauen.
Das hat mir jetzt wieder sehr gefallen! ^^
Und hier noch die:
Audiosequenzen für strapazierfähige Ohren ;)
https://www.sugarsync.com/pf/D6851760_7339928_012566
©September 2011 by Michèle Legrand
Schwedenhappen – Teil 3: Vasa, nicht Wasa! Schiff, nicht Knäckebröd!
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Artikel, Auf Entdeckung - Unterwegs im In- und Ausland (s. dazu auch weitere Spezialkategorien), Auf Entdeckung ... in Stockholm, Foto, Geschichten / Menschliches Verhalten am 03/09/2011
Ui, da gab’s doch gleich einen milden Rüffel, als ich im letzten Teil der Schwedenhappen schon einmal die Vasa erwähnte. Respektlos hatte ich sie ‚eine olle Kogge’ genannt. Ich versichere, es war nicht abwertend gemeint. Mein Mann schnappte nur leicht nach Luft.
„Kogge! Das ist doch keine KOGGE!“
Ach, nicht? Kannst mal sehen …
(Dafür kennt er nicht den Unterschied zwischen Klatschmohn und Taglilien ^^ )
Was ist es denn dann bitte?
Nun, offenbar ist die Antwort darauf auch nicht so aus dem Ärmel zu schütteln. Es läuft letztendlich auf ‚Linienschiff’ hinaus. Ich denke, es bedarf noch einer kleinen Recherche diesbezüglich, bevor ich Ihnen im Bericht vom Besuch des Vasa-Museums, welches sich auf der zu Stockholm gehörenden Insel Djurgården (Tiergarten) befindet, womöglich Blödsinn erzähle. Ich ziehe diesen Besuch heute bei den Schwedenhappen etwas vor, denn die „Kogge-Affäre“ muss natürlich richtiggestellt werden …
Sonntag. Das Wetter ist wesentlich besser, als vom Wetterdienst vorausgesagt. Ein wenig bewölkt, den Schirm nehmen wir mit, doch trotz allem erstaunlich mild. Sobald die Sonne durchlugt – und das passiert ständig – herrschen Temperaturen um 20° C. Wir entscheiden uns erneut für einen Fußmarsch.
Es geht Richtung Hafen, den Strandvägen entlang zur Djurgården-Brücke, hinüber auf die Insel gleichen Namens, und bald erscheint auf der rechten Seite, direkt beim Nordiska Museet, der Abbieger zum Vasa-Museum. Man kann es gar nicht verfehlen – immer dorthin, wo Reisebusse zu sehen sind.
Eingereiht in die Schlange der Menschen, die heute die gleiche Idee hatten, erhalten wir zügig ein Ticket und durchqueren insgesamt vier (!) Schleusen, sprich Glastüren, die eng hintereinander angeordnet sind. Und damit sind wir auch schon mitten beim Thema Vasa, die Sensible:
Im 17. Jahrhundert wurde für König Gustav Adolf von Schweden, den mächtigen König aus dem 30jährigen Krieg, ein neues Flaggschiff gebaut. Von 1626 bis 1628 arbeiteten insgesamt 400 Menschen an diesem Pracht(linien-)schiff. Aus schwerem Eichenholz (1625 wurden hierfür 1000 Bäume gefällt) wurde gezimmert, gedrechselt und geschnitzt, dass es eine Freude war.
Unzählige Figuren schmückten den Schiffsbauch am oberen Rand, der Heckspiegel war eine Pracht, der Bug erhielt als Zier einen geschnitzten Löwen. Es lässt sich gar nicht alles erwähnen, doch zu seiner Zeit muss es ein formidables Kunstwerk gewesen sein.
1628 nach Fertigstellung, lud man sich stolz hohe Gäste (ausländische Gesandte) zu Ehren der Jungfernfahrt der Vasa ein. Auch gemeines Volk verfolgte vom Ufer aus das Geschehen.
Das Schiff legte ab, setzte Segel und feuerte übermütig, aber geplant, ein paar Salutschüsse aus den Kanonen ab. Kaum ein Stückchen aus dem Hafen, wurde die prachtvolle Dame etwas überraschend von (nicht mal heftigen) Windböen erwischt. Sie krängte dramatisch, und durch die unteren, offenen Kanonenluken drangen nicht unerhebliche Wassermengen in den Schiffskörper. Man spricht auch von einem Konstruktionsfehler. Es lag einfach keine Erfahrung mit so großen und schwer bestückten Schiffen vor.
Offensichtlich ließ sich das Schiff so nicht mehr beherrschen und kenterte.
Gebaut, gekentert, gesunken.
Zu dieser Zeit war noch nicht die komplette Besatzung an Bord, sondern nur 150 Mann, von denen 30-50 dieses Unglück leider nicht überlebten.
Das war damals.
Danach lag die Vasa 333 Jahre auf dem Meeresgrund. Am 25. August 1956 entdeckte der schwedische Wrackforscher Anders Franzén die Überreste im Stockholmer Hafen. Man beschloss, das Wrack zu heben. Die Vorbereitungen zogen sich hin, die Hebung erfolgte am 24. April 1961, vor nunmehr 50 Jahren.
Nur damit war es ja nicht getan!
Das Schiff war schwer beschädigt. Hunderte von Teilen lagen einzeln verstreut auf dem Meeresboden und wurden geborgen. Das Schiff hatte im Schlamm gelegen, war erstaunlich gut konserviert, und da es im Brackwasser der Ostsee einen bestimmten Wurm, der unheimlich gern Holz frisst, nicht gibt, war es vor solchen Schäden bewahrt worden. Offensichtlich waren auch andere für ein Wrack bedrohliche Organismen durch die besonderen Bestandteile des Ostseewassers abgetötet worden. Nun war es vollgesogen mit salzigem Wasser, das Holz hatte sich schwarz verfärbt (auch durch vorhandenen Eisenrost), alles wirkte ein wenig traurig… dennoch hieß der Plan: Wir restaurieren und konservieren die Vasa!
Nach der Hebung wurden die Teile über Jahre mit PEG (Polyethylenglycol) besprüht, völlig fehlende Teile wurden anhand der Pläne rekonstruiert und alles wieder zusammengebaut. Insgesamt 17 Jahre dauerten diese Arbeiten. Immerhin gab es 13.500 Einzelteile und 700 Figuren!
Nun steht das Schiff im Vasa-Museum, einem Gebäude, das eigens hierfür errichtet wurde. Wer sich von außen dem mit dunklem Holz verkleideten Bau nähert, kann die Mastspitzen aus dem Dach herausragen sehen.
…Wir hatten also die vier nacheinander folgenden Glastüren passiert und standen nun im dunklen Innern des Museums. Das Holz ist so empfindlich, dass keine UV-Strahlen daran gelangen dürfen. Die Feuchtigkeit darf nur einen ganz bestimmten Level haben. Es müssen konstante Bedingungen herrschen. (Daher also auch die Schleusen am Eingang!) Strahler beleuchten den Schiffsrumpf, doch das dunkle Holz schluckt enorm viel Licht. Um die Vasa herum kann der Besucher mehrere Ebenen mit Ausstellungsflächen erreichen und von dort aus über eine Brüstung auf den Rumpf des Schiffes blicken. Es ist schon beeindruckend! Am Heck gibt es einige kleine ‚Erker’. Mein Mann verrät mir, dass hier die höheren Offiziere und der Kapitän ihre Klos hatten. Unten war eine Öffnung, so dass gleich alles hinaus und über Bord geleitet wurde. Recht praktisch. Hier erübrigt sich auch die Frage, ob damals eine Klobürste bekannt war …
Die normale Besatzung, d. h. die restlichen paar Hundert Mann mussten auf dem Vorderschiff mit einer Art ‚Blumenkübel’ vorlieb nehmen. Daran erinnerte mich jedenfalls der Behälter, auf den der Gatte hinwies.
Ich entdeckte noch ein 1:50 Modell, dass speziell für sehbehinderte und blinde Besucher dort ausgestellt ist und betastet werden kann.
Mit zunehmender Dauer der Anwesenheit im Museum, wurde mir kontinuierlich flauer. Die Dunkelheit, die verbrauchte Luft, vielleicht auch ausdünstendes PEG. Dazu das Gefühl, in einem Notfall bestimmt ewig zu brauchen, um durch die vier Schleusen wieder nach draußen zu gelangen…
Wir schauten uns noch ein paar Vitrinen und Schautafeln an, bis ich das Gefühl hatte, dass auch mein Mann den Besuch als vollständig erledigt betrachtete, und verließen dann die Dunkelheit.
LUFT! LICHT! GERÄUSCHE! WIND! ATMEN!
Man glaubt gar nicht, wie schön es sein kann, wieder draußen zu sein!
Ich habe einen neuen Lieblingsplatz entdeckt. Verlässt man das Museum zur Wasserseite hin und bleibt etwas links davon direkt an der Kaimauer stehen, empfehle ich, die Augen zu schließen. Es gibt auch einen Schiffsanleger dort und wie überall, wo die Boote rückwärts ablegen, müssen sie hupen.
Wer nur horcht, hört folgendes: der Wind rauscht um die Ohren, das Hupen der Schiffssirenen erklingt, enormes Möwengeschrei erfüllt die Luft, Wasser schlägt an die Kaimauer und läuft glucksend aus. Und etwa alle 30 Sekunden ertönt ein markerschütterndes Geschrei! Halb Panik, halb Entzücken. Dieses Kreischen dringt herüber von einem etwa 500 m entfernten Vergnügungspark (Gröna Lund) und wird ausgestoßen von Menschen, die gerade Achterbahn fahren, bzw. im Begriff sind, sich in den Abgrund stürzen!
Himmlisch. Einfach himmlisch …
Vielleicht können Sie es sich ein wenig vorstellen…
Das war der heutige Schwedenhappen. Beim nächsten Mal wird nachgeholt vom Vortag, und dann ist da auch noch Arne Lindquist, mein neuer Elchfreund…
©September 2011 by Michèle Legrand
Schwedenhappen – Teil 2: Lumpen, Lachse und auch ein paar Lügen
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Artikel, Auf Entdeckung - Unterwegs im In- und Ausland (s. dazu auch weitere Spezialkategorien), Auf Entdeckung ... in Stockholm, Foto, Geschichten / Menschliches Verhalten am 01/09/2011
Tag 2 des Stockholmbesuchs.
Die Wettervorhersage für diesen Sonnabend ist gut – noch! Ab Sonntag soll es merklich kühler und auch regnerisch werden.
Was macht man schlauerweise unter solchen Umständen?
Genau, der mitdenkende Tourist sieht zu, dass er die sommerlichen Temperaturen und den strahlenden Sonnenschein bestmöglich nutzt. Museumsbesuche können auch bei trübem Wetter stattfinden. Es sieht also leider so aus, als müsste der Gatte noch ein bisschen länger fiebern, bis er die „Vasa“ (die vermeintliche Kogge) zu sehen bekommt.
Als Alternative erwartet ihn heute sein zweitliebstes Vergnügen: eine Bootsfahrt. Ehrlicherweise füge ich hinzu, die Sightseeing-Tour per Schiff dauert ca. zwei Stunden, den Rest des Tages wird er doch mehr oder weniger laufend ertragen müssen.
Es soll Männer geben, die laufen … von Steckdose zu Steckdose – ihrer Smartphones wegen. Und es gibt welche, die laufen von Sitzbank zu Sitzbank.^^
Nach dem Frühstück führt der Weg Richtung Altstadt, der Gamla Stan, die auf einer separaten, kleinen Insel liegt. Ein wenig wollen wir sie heute entdecken, und erst gegen Mittag – zum Füße ausruhen – den Ausflug auf dem Wasser starten.
Aus der City kommend, überquert der Stockholm-Besucher zuerst die Brücke zur vorgelagerten kleinen Insel, auf der sich das Reichstagsgebäude befindet. Direkt davor wiederum, an der Ecke Drottningsgatan/Strömgatan, hockt etwas Seltsames an der Straßenecke. Eine Art tierischer Lumpensammler mit um die Schulter geschlungener Decke. Ein Fuchsgesicht schaut heraus. (Ich poste ein Bild dazu, beschreibe es jedoch zusätzlich für die blinden Blogbesucher)
Diese Bronzeskulptur stammt von der aus Großbritannien stammenden Künstlerin Laura Ford (Jahrgang 1961) und ihr Werk steht seit 2009 an dieser Ecke.
Im Laufe der Tage, in denen ich Stockholm ‚erwanderte’, fielen mir die zahlreichen Büsten und Skulpturen auf, die in der schwedischen Metropole zu finden sind. Die typischen alten Statuen, die einen der, ach so vielen, Könige mit dem immer wiederkehrenden Namen Gustav darstellten – mal zu Fuß, mal zu Pferd, aber auch völlig andere, modernere und vor allem unheimlich ausdrucksstarke Figuren, von denen ich Ihnen gern noch einige zeigen werde.
Entdeckt man eine Stadt nur per Bus oder hüpft mit dem Plan wirklich ausschließlich von Sightseeing-Attraktion zu Sightseeing-Attraktion, verpasst man häufig die vielen unerwähnten Dinge. Ich für mich habe festgestellt, dass sie mir oft mehr erzählen, als manch groß hervorgehobenes Denkmal. Bei diesen unvermutet auftauchenden Dingen, passiert gelegentlich Unerwartetes! Besucher, die begeistert loslachen, die erschrocken zurückfahren, die irritiert schauen, was denn die anderen davon halten, die plötzlich mit Wildfremden ins Gespräch kommen und untereinander ein bisschen ihr Wissen austauschen.
Oder ein alter Schwede tritt hinzu und verkündet abgeklärt schmunzelnd, was es mit allem auf sich hat.
Nach dieser Fuchsskulptur betritt man unmittelbar die Brücke, die hinüber zum Reichstag führt.
An dieser Stelle hänge ich über dem Geländer und versuche, etwas im Wasser ausfindig zu machen. Zuerst sehe ich wild prustende, weil gerade gekenterte Paddler. Eine Schule hat dort ihr „Strudel-Übungsgebiet“.
Nein, eigentlich schaue ich nach etwas anderem aus …
Ein Follower auf Twitter (@querged8) hatte mich am Vortag per Tweet gefragt, ob ich denn schon Lachse gesehen hätte und postete außerdem einen YouTube-Link. Ein Filmchen zeigte mir die putzmunteren Fische. Die Bildunterschrift gab lediglich die Auskunft:
Lachse unterhalb des Reichtags, Stockholm.
Jetzt erkläre mir doch bitte einmal jemand (ich habe in dieser Hinsicht keine so große Vorstellungsgabe), wo beim Reichstag unterhalb ist!
Eine kleine, fast runde Insel. Eine Brücke, die hinaufführt, eine die wieder herunterleitet Richtung Gamla Stan (Altstadt). Unterhalb gesehen, wenn man die Karte vor der Nase hat? Unterhalb, wo es vom Landschaftsniveau her etwas tiefer gelegen ausschaut?
Das Video hatte relativ bewegtes Wasser gezeigt, das ich ausschließlich an den Brücken vorfinde. Dort herrscht leichtes Gefälle. Ich umrunde (ein bisschen zum Leidwesen meines Gatten) die gesamte Insel, entdecke aber keinen einzigen Fisch. Es gibt an den Brückenpfeilern an zwei Stellen auffällig aufsteigende Luftblasen. Vielleicht sitzt da unten einer der Kollegen und blubbert. Am Wegrand finde ich ein in einen Glaskasten eingelegtes Info-Plakat, auf dem zwei verschiedene Arten von Lachsen abgebildet sind. Offensichtlich gibt es sie hier wirklich.
Ein junges, asiatisches Ehepaar lehnt mit Angeln über der Mauerbrüstung. Ich spreche die Frau an.
„Angeln Sie nach Lachsen? Gibt es die um diese Zeit hier?“
Natürlich hatte ich schon ein bisschen am Vorabend geforscht. Lachse der Ostsee kennen nicht diese Wanderungen, die die Lachse vor Kanada beispielsweise vornehmen. Dort wandern sie jedes Jahr im Herbst in die süßwasserhaltigen Flüsse zum Laichen. Bezüglich Skandinavien und Lachsen in Flüssen, hatte irgendwo etwas vom vermehrten Auftreten im Mai/Juni gestanden. Die offizielle Angelsaison für diese Fischart geht vom 01. Mai bis zum 30. September. Übrigens ist Angeln in Stockholm frei, und das Wasser ist so sauber, dass man die Fische auch essen kann. Und Baden ist erlaubt (für Menschen, die Lachse tun es ja ständig und würden sich eh nicht an ein Verbot halten ^^).
Die Asiatin lacht ein wenig auf meine Frage. Offensichtlich hält sie ihre Fangchancen auch nicht für wahnsinnig ausgeprägt.
„Wir versuchen’s halt, man kann ja nie wissen …!“
An Montag, als ich ein weiteres Mal dort vorbeikomme, steht ein einsamer Angler auf der Brücke. Er wirft unablässig seine Angelschnur ins Wasser, und seine Bewegungen wirken sehr eigenwillig. Ich wundere mich, dass er die Schnur offenbar nicht über eine Rolle abspult, sondern zusätzliche Länge in Schlaufen locker um die Hand gewickelt hat. Er lässt mehr nach, je weiter der Wurf gehen soll.
Ich habe Zeit an diesem Tag und schaue eine Weile zu. Natürlich wird es bemerkt. Ein Hej wird mir herübergeworfen. Für uns Deutsche gut zu wissen, dass es eben ein Hallo ist und kein He! (Was guckst du so!). An diesem Tag lerne ich, dass der Herr Fliegenfischen betreibt. Ich hatte aus der Entfernung den Köder nicht sehen können. Natürlich darf ich gucken kommen. Sieht schon toll aus, was dort zusammengebastelt wird, um Beutetiere der Fische zu imitieren. Sehr phantasievolle Insekten (Land- oder Wasserbewohner) entstehen und Material wie Federn, Fell oder auch Tierhaare und –flusen, wird mit (Kunststoff-)Fäden um einen Bindestock gewickelt. Eine Kunst für sich …
Viel erfahren, aber auch er hatte noch nichts gefangen.
Ich verlasse Stockholm an Ende, ohne einen lebenden Lachs gesehen zu haben.
Gehen wir zurück zum Mittag des Sonnabends. Wir bemühen uns inzwischen um die Tickets für die Bootsfahrt. Ein bisschen spät, wie sich herausstellt, denn die 12 Uhr Fahrt ist bereits ausverkauft. Wir lösen Biljetter für die Tour um 13 Uhr und stromern noch ein wenig herum. Kurzer Blick heute auf den Königspalast. Ein Teil der Front ist mit einem feinmaschigen Netz verhängt, offensichtlich aufgrund von Bauarbeiten an der Fassade. Reine Vorsicht, damit nicht einer der zahlreichen Touristen von oben beworfen wird.
Zahlreiche Besucher ist das Stichwort! Es sind Unmengen von Reisebussen, die eintreffen. Oft parken sie nur für ein paar Minuten, entleeren den Inhalt ihres Fahrzeugs und entlassen die Reisegruppen mit eben dem Hinweis: Come back in 15 minutes. Don’t be late! We can’t wait!“
Es ist gerammelt voll. Wochenende halt. Anfangs habe ich geduldig auf eine Lücke gewartet, doch als ich den gefühlt zwanzigsten Anlauf unternehme, ein Foto zu schießen und immer ein japanischer Tourist ins Bild springt, wird’s mir ein bisschen zu blöd; eine Art kleine Boshaftigkeit macht sich bemerkbar. Freunde, so geht das aber nicht!
Was tun, fragen Sie?
Ich bin nicht so der Mensch, der sich kloppt oder losbrüllt. Für mich gibt es jedoch diese drei Möglichkeiten, sich freie Bahn zu verschaffen:
1) Tippen Sie einen der Gruppe – in diesem Fall Japaner – an und weisne ihn darauf hin, dass der Busfahrer schon dreimal nach der Gruppe gerufen hat…. (Nein, stimmt natürlich nicht, aber muss er ja nicht wissen!) Sobald der Trupp losgeeilt ist, knipsen Sie in Ruhe Ihr Bild.
2) Führen Sie gut hörbar für alle ein fingiertes Handygespräch auf Englisch, und wiederholen dabei mehrfach: „Wow! Wirklich? Am Haupteingang? Und wann soll der König da erscheinen? Was? Jetzt gleich? Ich komme!“ Erstaunlich, wie viele sich plötzlich auch auf den Weg zum Haupteingang machen. Gehen Sie zurück an Ihren ursprünglichen Platz und knipsen Sie in aller Seelenruhe Ihr Foto.
3) Wenn Sie kein Handy zur Verfügung haben, stellen Sie sich alternativ in Hörweite. Weisen Sie völlig entrückt und verzückt auf ein weit entferntes Fenster des Palastes und rufen enthusiastisch: „Da! Das ist sie! Da ist Prinzessin Viktoria! VIC-TO-RI-A! VIC-TO-RI-A!“
Alles stiefelt los, und schon haben Sie freie Sicht.
Bei mir reichte heute die langweiligere Methode Nr. 1 aus, und bis die ersten mit dem Busfahrer gesprochen hatten, war ich natürlich schon wieder verschwunden …
Wie es weitergeht mit dem Boot und über die Eigentümlichkeiten eines Wachwechsels, erfahren Sie hier in einem der nächsten Schwedenhappen. Schauen Sie gern wieder herein! Bis bald!
©September 2011 by Michèle Legrand
Schwedenhappen – Teil 1: Stockholm – Ankunft und eine Leiche …
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Artikel, Auf Entdeckung - Unterwegs im In- und Ausland (s. dazu auch weitere Spezialkategorien), Auf Entdeckung ... in Stockholm, Foto am 30/08/2011
Schweden. Nun ist die Zeit im Land der Elche schon wieder herum, und der Arlanda-Express, die schnelle Zugverbindung zwischen Stockholms im Norden gelegenen Flughafen Arlanda und der City von Schwedens Hauptstadt, bringt mich dieses Mal am frühen Morgen zum Heimflug.
Vor vier Tagen ging es ab Arlanda die 41km südwärts, um die Metropole zu entdecken, Wasser zu sehen, Schweden zu studieren, Eindrücke zu sammeln und vielleicht sogar, um mich ein wenig auf die Spurensuche zu machen und an die Fersen meines aus Schweden stammenden und lang verstorbenen Großvaters (mütterlicherseits) zu heften.
Wer den Blog am 26.08.2011 – gerade noch vor der Abreise gelesen hat – weiß, dass ihn ein Mysterium umgibt. Er hat alles darangesetzt, seine Geschichte zu verheimlichen. Mir geht es jetzt letztendlich hauptsächlich darum zu ergründen, ob Schweden oder die Schweden als Volk, auch etwas so Vertrautes in mir auslösen, wie der Norden Frankreichs und die Franzosen es taten (aus dieser Region stammt ein weiterer Teil der Vorfahren, diesmal väterlicherseits).
Ach, was hatte ich für große Pläne bei der Abfahrt!
Den Laptop plus diverses Zubehör hatte ich eingepackt, denn das Hotel warb dick und fett damit, dass es WLAN bereitstellt. Nun, dann spräche sicher nichts dagegen, gleich jeden Tag – oder besser gesagt jeden Abend – ein bisschen über das am Tag Erlebte zu berichten.
Die Stammblogleser ein bisschen mit Fotos und kleinen Häppchen zu versorgen.
Selbst den Tag auf diese Weise zu verarbeiten und Revue passieren zu lassen.
Einfältig gedacht, meine Liebe! Wirklich nett geplant, Madame!
Pläne sind schon großartig … So nett konstruiert, im Kopf funktioniert es super, tadellos, sogar bis ins Detail – und vor Ort stellen Sie fest: Nichts wird so oft sabotiert wie Pläne! Das Wort sollte hier mit einem abfälligen „Pffft!“ gesprochen oder gedacht werden …
Es ging halt nicht so wie angenommen. Es hat jedoch für ein wenig Twitter und Facebook-Chat am Abend gereicht, und das war sehr schön. Interessant auch diverse Fragen oder Anregungen, die von Twitter-Followern bzw. FB-Freunden kamen: Hast du schon… gesehen? – Ist eigentlich … noch da? – Stimmt es, dass …?
Ein paar dieser Dinge habe ich aufgenommen und vor Ort geprüft. Darauf komme ich separat zurück. Um bis dahin nicht alles zu vergessen, habe ich versucht, mir wenigsten drei, vier Stichpunkte zu notieren und hoffe, dass die Bilder, die ich geknipst habe, mich zusätzlich wieder auf alles bringen, was ich erzählen wollte.
Wer die nächsten Tage hier den Blog besucht, wird immer wieder einmal ein paar „Schwedenhappen“ finden. Teils in Form von Fotos (die merkwürdigerweise hier unschärfer erscheinen als im Original), teils als Vor-Ort-Bericht z. B. vom Vasa-Museum.
Ich warne Sie allerdings vor: ich schreibe grundsätzlich keine Reiseführer! Ich habe absolute keine Lust, Passagen von Wikipedia hier zu wiederholen!
Ich schaue nach anderen Dingen, und wer erpicht darauf ist, diese auch zu sehen oder sich mit gelegentlich durchaus auch auf den ersten Blick absurden Ideen und Gedankenspielen zu befassen, der ist hier goldrichtig.
Heute vorerst ein paar Fotos zur Einstimmung auf die Stadt, die man auch das Venedig des Nordens nennt. Immerhin ist Stockholm auf insgesamt 14 Inseln verteilt, durch 53 Brücken miteinander verbunden, und die Oberfläche der Stadt besteht zu 30 % aus Wasser.
Das dürfte an Zahlen zur Vorstellung reichen.
Stockholm, oder besser gesagt Schweden, ist bei uns auch ein Begriff in Verbindung mit Kriminalromanen. Wem sind nicht die Autoren Stieg Larsson oder auch Håkan Nesser bekannt (neben vielen anderen guten Schreibern)…
Mein persönlicher Freitags-Schweden-Krimi: Am Tag der Ankunft, lief ich eine Hafenmole entlang. Kleines Kopfsteinpflaster, hin und wieder ein halbhoher, runder, weißer Betonpfosten, der meinen Weg blockierte. Ich umwanderte alle Hindernisse, schaute ansonsten gern auf das glitzernde und glucksende Wasser. So lange, bis ich abrupt stoppte …
Ich stand vor einer Leiche!
Die Möwen, Zwergstrandläufer und einige Krähen hatten den leblos herumliegenden Körper an der Hafenmole auch schon entdeckt und rückten ihm langsam, Zentimeter für Zentimeter, dichter auf den Leib. Die späte Nachmittagssonne war immer noch heiß an diesem Tag. Sie brannte erbarmungslos auf das dunkel gekleidete Etwas nieder. Nach dem ersten Schrecken kommt die nüchterne Feststellung, dass einem Toten dies nun wirklich nichts mehr ausmacht …
Die Seevögel verharrten, wo sie zuletzt gestoppt hatten. Geier gibt es hier zum Glück nicht.
Mein Blick wanderte in Richtung Landseite. Welch ein nobler Ort zu sterben! Im Hintergrund der Strandvägen mit teuren Bauten und Bewohnern, die dementsprechend hohe Mieten zu zahlen haben. Wer hier wohnt, zählt nicht zu den Armen.
Anscheinend beabsichtigte keiner, sich um das leblose Bündel Mensch dort an der Wasserkante zu kümmern. Reiche Banausen! Das männliche Wesen lag sehr dicht an der Kante. Ein kleiner Tritt von hinten würde genügen, und es würde ins Wasser gleiten. Wenn die recht korpulente Kanadagans, oder was sich jetzt gerade näherte, sich mit etwas Schwung gegen ihn drücken würde, reichte dies sicher auch aus … Die Strömung triebe ihn ab und würde ihn bestimmt in drei Tagen in Gamla Stan, der Altstadt von Stockholm, an Land spülen.
Eine weitere Möwe kamangesegelt und kreischte lautstark, bevor sie dicht bei den anderen Artgenossen landete. „Macht die Landebahn frei! Ich komme!“ So hörte es sich an. Das Geschrei aus zahlreichen Schnäbeln aller anwesenden Kumpels, erreichte lautstärkemäßig Dezibel, die bei uns- zumindest am Wochende- nicht gestattet wären, da sie über dem Wert lagen, den beispielsweise ein Rasenmäher mit Benzinmotor verursacht.
Nicht nur ich schreckte dabei zusammen.
Der Radau hatte ebenfalls die Leiche wiedererweckt!
Sie rollte sich auf die Seite, glücklicherweise Richtung Land. Schläfchen gehalten, braun geworden. Schnell noch die Augen gerieben, aufgestanden, Glieder geschüttelt. Der Mann wirkte erfrischt.
Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich ihn fotografierte und denke auch nicht, dass er jemals einen deutschen Blog-Beitrag lesen wird….
Aber Sie!
Bis demnächst, wenn es u. a. um die Frage geht, wie man im Pulk einer Gruppe Japaner einen freien Platz zum Fotografieren findet….
©August 2011 by Michèle Legrand