Beiträge getaggt mit Kunst im öffentlichen Raum

„Das liegt an den Pferden …“

Kürzlich kullerten mir ein paar weiße Zuchtpilze vor die Füße. Sie und ein Verteilerkasten sind die Auslöser für den Beitrag, der heute auf Sie zukommt.
Verwundert? Nun, dieser Blog trägt nicht grundlos die Bezeichnung Gedankensprünge als Teil seines Namens. Die gibt es hier halt. Ein Erlebnis, die vor einem ablaufenden Bilder, ein auftauchendes Geräusch, ein Duft … So etwas ruft sehr häufig Assoziationen hervor und lenkt Gedanken im Nu um. In eine gänzlich neue Richtung. Bei mir ist es jedenfalls so. Sie führt ein solcher Gedankensprung heute in meine Wohngegend und nebenbei zeitlich zurück.

Wieso mir die Pilze überhaupt …? Das auslösende Moment gehört gar nicht zum Endthema, doch wenn Sie wollen, erzähle ich Ihnen gern davon gleich mit.
Ich fuhr eine Rolltreppe hinauf. Direkt vor mir stand eine Frau mit einem proppevollen Einkaufsbeutel. Oben angekommen, erfolgte der obligatorische Schritt auf festen Boden – und da blieb sie stehen. Mitten im Auslauf! Dort, wo es noch zu eng ist, um auszuweichen und seitlich an ihr vorbeizuhuschen. Hinter mir folgten weitere Leute, eine Rolltreppe stoppt prinzipiell nicht, und so stieß ich von hinten an sie an. Es ließ sich absolut nicht verhindern.

Sie reagierte entrüstet. Verblüfft hielt ich mich zunächst zurück, denn – wäre ich an ihrer Stelle gewesen – ich hätte mich wohl eher entschuldigt. Sie begann erstaunlicherweise, sich lautstark zu beschweren und erklärte, dass alle Auflaufenden (ich, aber auch die danach Kommenden) besser hätten aufpassen müssen. Das wäre
so wie beim Autofahren: der, der auffährt, hätte Schuld.

Dem Herrn, der auf der Treppe direkt hinter mir gestanden hatte und der genauso in die Bredouille geraten war (er klebte nun noch halb an mir), platzte fast der Kragen, als er das vernahm. „Wir hätten alle stürzen können!“, war noch das Mildeste, was er von sich gab. Danach wurde es inhaltlich etwas ausfallend, was natürlich in keiner Form zu einem gütlichen oder halbwegs einvernehmlichen Ende führte.
Ich stand dazwischen und kam nicht weg. Natürlich ärgerte es mich auch! Was hatte das mit Aufpassen zu tun! Es gab doch keinerlei Anzeichen für einen kommenden Blitzstopp! Und wohin hätte man ausweichen sollen?
Überhaupt dieser Vergleich mit dem Straßenverkehr … Was wäre denn eine in etwa vergleichbare Situation? Vielleicht ein in einem engen, einspurigen Tunnel unvermittelt bremsender Autofahrer, der den Motor von jetzt auf gleich abschaltet und sein Fahrzeug grundlos stehen lässt? Wobei sich dort wenigstens nicht noch die Fahrbahn hinter ihm wie ein Transportband weiterbewegen würde.
Ich wandte mich ihr zu:
„Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen? Wir werden die Fahrt wiederholen. Es scheint, Sie können sich nicht vorstellen, dass Ihr Hintermann keine Chance hat, einen solchen Aufprall zu vermeiden. Also probieren wir es aus. Diesmal fahre ich vor Ihnen, Sie stellen sich hinter mich. Oben werde ich mich genauso verhalten wie Sie vorhin. Und Sie haben jetzt sogar noch den Riesenvorteil, dass Sie wissen, was kommt. Wir werden sehen, wie Sie die Lage meistern.“
Oooh! Das war gar nicht ihr Ding. Sie bezeichnete es als „bekloppte“ Idee und weigerte sich vehement. Vor lauter Empörung geriet der Einkaufsbeutel ins Schwanken, die obenauf liegende Papiertüte vom Gemüse-
händler fiel heraus, riss, und eine Ladung weißer Kullerpilze verteilte sich auf dem Boden. Vor meinen Füßen …

Ansonsten hat sich der kleine Menschenauflauf danach auseinanderdividiert. Es hatte keiner mehr Lust auf den Zirkus. Einsammeln musste sie ihre Pilze alleine.

Direkt nach diesem Theater stieß ich auf dem Heimweg auf besagten Verteilerkasten, der seit Kurzem über-
haupt nicht mehr grau und trostlos aussieht, sondern sehr positiv auffällt, nachdem er farblich gestaltet wurde. Es ist nicht der erste Stromkasten, der in meinem Bezirk (Wandsbek) durch das kunstvolle Bemalen und Aufsprühen von farbigen Motiven eine solche Schönheitskur erfährt – und wieder ist es ein Werk von Vincent Schulze!
Können Sie sich noch dunkel entsinnen? Bereits vor fünf Jahren (2012) habe ich den Hamburger Künstler
ein erstes Mal im Blog erwähnt. Inzwischen hat er in vielen Stadtteilen seine Spuren hinterlassen. Außer in Wandsbek wird man u. a. in Eimsbüttel, Curslack, Neugraben, Lohbrügge sowie Niendorf oder auch an der Alster fündig. Seine Werke entstehen jedoch nicht nur draußen, als Kunst im öffentlichen Raum (Fassaden, Verteilerkästen etc.) für alle sichtbar, sondern natürlich vermehrt auch als Innengestaltung in Wohn- und
Nutzräumen (z. B. Badgestaltung) oder nicht allgemein zugänglich als Wandmalerei auf Privatgrund (Innenhöfe). Auftraggeber sind sowohl Privatpersonen als auch Vereine sowie Firmen unterschiedlichster Branchen, die ihren Traum vom geschäftsbezogenen Motiv oder von Skylines, Dünenlandschaften, Tieren, Gebäuden etc. verwirklicht haben möchten.
Was mir – abgesehen von seiner Arbeit ganz generell – besonders gefällt, ist, dass die Außenmotive in der Mehrheit der Fälle einen unmittelbaren, meist geschichtlichen, Bezug zur Umgebung haben.

Der recht breite Verteilerkasten, um den es zunächst geht, steht auf dem Wandsbeker Marktplatz. Er besitzt auf Vorder- und Rückseite unterschiedliche Motive.
Die der Straße abgewandte Ansicht verschafft einen Eindruck davon, wie der Marktplatz im Jahre 1866 ausgesehen hat. Zu der Zeit gab es dort tatsächlich noch eine Art Wald.
Erkennen Sie die Freifläche rechts neben der Kirche? 22 Jahre später (1888) startete dort der Bau des Matthias-Claudius-Gymnasiums, das es heute noch gibt, wenngleich auch die Schäden am ursprünglichen Gebäude im Krieg enorm waren und es inzwischen einige Neu- und Erweiterungsbauten gibt.
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Hamburg - Wandsbeker Marktplatz - Verteilerkasten mit alter Ansicht (Blick stadtauswärts) - Gestaltung: Vincent Schulze,, HH

Hamburg – Wandsbeker Marktplatz – Verteilerkasten mit alter Ansicht (Blick stadtauswärts) – Gestaltung: Vincent Schulze,, HH

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Auf dem zur Straßenseite ausgerichteten Bild, ist als größter Bau das Karstadt-Haus zu erkennen und zwar um das Jahr 1900 herum. (Für Nichthamburger zur Information. Karstadt gibt es bis heute dort, eines der wenigen Gebäude, die sogar den Krieg überstanden haben.) Wer ein bisschen in diese Zeit zurückgeht, findet heraus, dass es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht Rudolph Karstadt, dem bekannten Begründer der Dynastie, gehörte, sondern seinem Bruder Ernst, der es ihm jedoch nicht lange danach verkaufte.
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Hamburg - Wandsbeker Marktplatz - Alte Ansicht der Wandbeker Marktstraße mit Karstadt-Haus - Gestaltung: Vincent Schulze, HH

Hamburg – Wandsbeker Marktplatz – Alte Ansicht der Wandbeker Marktstraße mit Karstadt-Haus – Gestaltung: Vincent Schulze, HH

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Auf zwei weiteren, nebeneinander stehenden, kleineren Kästen, die ebenfalls durch Vincent Schulze ein neues Gesicht erhielten, sind Matthias Claudius, der hier in Wandsbek lebte, sowie seine Frau Rebecca (Rebekka) porträtiert (Ecke Claudiusstraße/Schloßstraße).
Und noch ein sehr schöner und vom selben Künstler enorm aufgewerteter Verteilerkasten mit Wandsbek-Bezug hat seinen Platz Ecke Neumann-Reichardt-Straße/Schädlerstraße. Auf ihm ist das ehemalige Wandsbeker Schloss zu sehen, das einst nah des Wandsbeker Marktes stand. Leider existiert es nicht mehr. Dabei würde es sich sehr gut machen …

An seinem Platz entstand zunächst die Wandesburg, eine Wasserburg, die Heinrich Rantzau ab 1564 er-
bauen ließ. Nach diversen Eigentümerwechseln gelangte 200 Jahre später Heinrich Carl von Schimmelmann in ihren Besitz. Wir Wandsbeker (und noch ein paar andere, z. B. die Altonaer) gehörten früher lange zum Königreich von Dänemark. So erklärt sich die zunächst erstaunlich klingende Aussage, dass der neue Eigen-
türmer 1764 gleichzeitig Finanzminister von Dänemark war. So wie übrigens auch schon zuvor Rantzau die Funktion eines dänischen Statthalters ausübte.
Von Schimmelmann ließ die Burg bald danach abreißen, um auf ihr sein Wandsbeker Schloss (1772 bis 1778) zu errichten – inklusive eines Barockparks und eines Landschaftsgartens. Und natürlich entstanden Gebäude für die Bediensteten sowie Stallungen. Große Teile des heutigen Stadtteils Marienthal zählten früher zum Gebiet des ausgedehnten Guts.
Ungünstig war nur, dass bereits die Nachfahren Schimmelmanns im 19. Jahrhundert Geldprobleme hatten und das Anwesen verkaufen mussten. Ein Herr von Carstenn (tatsächlich mit Doppel-n) übernahm es, teilte flink das Land in Parzellen auf, verkaufte diese und ließ das schöne Schloss 1861 abreißen.
Achtzig oder knapp neunzig Jahre sind in meinen Augen keine sonderlich lange „Lebenszeit“ für ein Barockschloss.
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Hamburg - Wandsbek - Verteilerkasten mit Wandsbeker Schloss (Vorderseite) - Gestaltung: Vincent Schulze

Hamburg – Wandsbek – Verteilerkasten mit Wandsbeker Schloss – Gestaltung: Vincent Schulze

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Vor zehn Jahren – bevor ein Neubauvorhaben mit umfangreichen Bodenbewegungen gestartet wurde – führte man vor Ort Ausgrabungen durch. Dabei wurden Ziegelmauerreste entdeckt, die auf Felssteinfundamenten errichtet waren. Außerdem kamen  hölzerne Zu- und Abwasserleitungen zum Vorschein.

Auf alten Ansichten ist zu erkennen, dass einst zwei steinerne Löwen links und rechts der Auffahrt zum Schloss Wache hielten. Die Originale gibt es noch, sie stehen heute im WBZ (Zentrum für Wirtschaftsförderung, Bauen und Umwelt, Schlossgarten 9), also fast an ihrem ursprünglichen Platz, nur drinnen, damit der Sandstein nicht der Witterung ausgesetzt sind. Es sind Abgüsse der beiden Skulpturen, die seit 2004 den Wandsbeker Marktplatz bewachen.
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Hamburg - Wandsbek - Einer der Löwen (Abguss) des ehemaligen Wandsbeker Schlosses

Hamburg – Wandsbek – Einer der Löwen (Abguss) des ehemaligen Wandsbeker Schlosses

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Und bis heute existieren zwei Exemplare der Sandsteinvasen, die ebenfalls die Außenanlage des Schlosses zierten …
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Hamburg - Wandsbek - Eine der existierenden Sandsteinvasen, die einst am alten Wandsbeker Schloss standen

Sandsteinvase, die einst am alten Wandsbeker Schloss stand …

Dass mich die Malereien auf dem Verteilerkasten zu Vincent Schulze und dessen Wandsbek-Motive wiederum zum Thema Schloss führten, können Sie leicht nachvollziehen. Doch warum auch die Pilze?

Als ich vor recht langer Zeit hierher in eine Parallelstraße zum „Schloßgarten“, eben jener Straße zog, in der sich in früheren Zeiten das Schloss befand, hatte ich nur eine sehr vage Idee davon gehabt. Und die eher vom Bauwerk als von den Ausmaßen der Ländereien!
Während ich südwestlich vom ehemaligen Standort des Schlosses lebe, zogen sich die angelegten Gärten
mehr in östlicher Richtung, dort, wo heute die Überreste des alten Baumbestandes das Gehölz bilden.
Gab es auch eine Ausdehnung in die andere Richtung, mehr zu meiner Seite hin?

Als ich in den Anfangsjahren einmal im Garten werkelte, spazierte eines Spätsommernachmittags eine betagte Dame vorbei, die in der Nachbarschaft, nur ein paar Häuser weiter, wohnte. Wir kamen ins Gespräch, und ich verriet ihr, dass ich erstaunt darüber sei, schon das dritte Jahr in Folge haufenweise Champignons auf meinem Rasen zu entdecken. Echte Wiesenchampignons!
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Wiesenchampignon im Garten ...

Wiesenchampignon im Garten …

Sie schaute verschwörerisch drein und verkündete mir dann:
„Das liegt an den Pferden.“
„Ich habe keine Pferde.“
„Nein, die von früher …“
Ich verstand immer noch nicht, worauf sie hinaus wollte. So erklärte sie die Umstände etwas genauer:
„Schauen Sie, ich spreche von dem alten Schloss. Hier waren früher Pferdekoppeln, die Weiden der herrschaftlichen Pferde. Die haben damals natürlich überall ihre Pferdeäppel abgelegt. Den Mist aus den Ställen verteilte man in den Nutzgartenbereichen. Beste Voraussetzung dafür, dass auf dem Boden Champignons gedeihen. Selbst heute hat das Erdreich immer noch etwas davon in sich. Von diesem Pferdedung, meine ich. Ich habe auch Champignons im Garten!“

Ich weiß bis heute nicht, ob ich dem Glauben schenken soll oder nicht … Was meinen Sie?
Als nach dem Abriss des Wandsbeker Schlosses die Grundstücke verkauft wurden, also auch die Weide- und Anbauflächen, errichtete man dort nach und nach Villen und zog neue Straßen durch das Gebiet. Später, im Krieg, war diese Gegend u.  a. während der Operation Gomorrha Ziel zahlreicher Bombenabwürfe. Ein ganz erheblicher Teil der Villen lag danach in Trümmern oder hatte den Feuersturm nicht überstanden.
Man ließ damals den Schutt an Ort und Stelle, verteilte ihn großflächig, planierte alles und baute so bald es ging direkt darauf neue Häuser. Aus eigener Erfahrung weiß ich, nur eine dünne Lage Erde bedeckt die Ziegelgeröllschicht von damals.
Schauen Sie einmal, was ich vor Jahren bei jedem Stück Garten, das ich neu anlegen und gestalten wollte, zuvor alles auszugraben hatte …
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Hamburg - Wandsbek/Marienthal - Schuttreste aus Kriegszeiten sind immer noch im Boden ...

Hamburg – Wandsbek/Marienthal – Schuttreste aus Kriegszeiten sind immer noch im Boden …

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Selbst wenn einige Stellen im Umkreis des Schlosses tatsächlich noch „original“ sein sollten, d. h. der Boden ohne Schuttschicht … Kann es sein, dass sich der damals reichlich ausgebrachte Pferdedung in Form von Weideäpfeln und Stallmist noch nach 100 bis 150 Jahren auf die Erdbeschaffenheit auswirkt? Sie eine champignontaugliche Zusammensetzung besitzt? Zumindest, wenn weitere Gegebenheiten ebenfalls passen, wie beispielsweise ein Stück vorhandene, natürliche Rasenfläche/Wiese, möglicherweise Gehölze als Anrainer, neutraler bis leicht basischer Untergrund, keine mineralischen Dünger, überhaupt wenig Nährstoffe bei gleichzeitig genügend hohem Stickstoffanteil. Ideal dazu wäre eindeutig halb verrottetes, fermentiertes Material (wie eben Pferdemist).

Vielleicht ist das, was mir die alte Dame erzählte, lediglich ein schönes Märchen. Allerdings mag ich solche Geschichten!
Wann immer bei mir Champignons vorwitzig aus der Erde oder zwischen Gräsern des Rasens hervorlugen,
sich strecken und ihre erstaunlich großen Hüte ausbreiten, denke ich automatisch an die Rösser des Herrn Schimmelmann, die womöglich ausgerechnet in meinem Garten den Drang verspürten, Äppeldung mit Langzeitwirkung zu hinterlassen.
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Schluss machen für heute? Ja, es ist schon wieder dunkel draußen. Nur noch ein kleiner Schlenker und gedanklicher Sprung zurück zur Wandmalerei und Verteilerkastengestaltung.
Wenn Sie neugierig geworden sind und Lust auf weitere Motive bekommen haben, dann finden Sie auf der Website des Künstlers Vincent Schulze im Blogbereich vielfältige und wirklich sehenswerte Fotobeispiele.

Hier geht’s zur Homepage, hier direkt zum Blog.
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Und nun ist endgültig Feierabend!  Denn, um es mit den Worten von Matthias Claudius zu sagen, „Der Mond ist aufgegangen“.

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Hamburg - Wandsbek/Christuskirche - Zur Erinnerung an Matthias Claudius die Bronze "Der Mond ist aufgegangen" von Waldemar Otto.

Hamburg – Wandsbek/Christuskirche – Zur Erinnerung an Matthias Claudius die Bronze „Der Mond ist aufgegangen“ von Waldemar Otto.

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Vielleicht schauen Sie gelegentlich wieder vorbei, es würde mich freuen.  Bis demnächst!

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© by Michèle Legrand, Januar 2017
Michèle Legrand

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HafenCity / Hamburg: Wo ein Teppich kein Teppich und ein Pilz kein Pilz ist …

Falls Sie gerade Lust auf Elbluft verspüren und mitkommen möchten, würde ich Sie heute gern Richtung HafenCity Hamburg ziehen und Ihnen dort nebenbei etwas ganz speziell Herausgepicktes vorstellen.
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Hamburg - Hafen - Blick vom Baumwall Richtung Elbphilharmonie und Kehrwiederspitze

Hamburg – Hafen – Blick vom Baumwall Richtung Elbphilharmonie und Kehrwiederspitze

 

Lassen Sie sich nicht dazu verleiten, bei HafenCity allein an den sich neu entwickelnden Hamburger Stadtteil
zu denken, der an vielen Stellen nicht nur modern wirkt, sondern einen überaus futuristischen Charakter hat. Die alten Speichergebäude an den Fleeten zählen verwaltungstechnisch ebenfalls zur HafenCity! Vielleicht erinnern Sie sich noch an einen früheren Beitrag, in dem es um die Kontraste ging, die dort besonders zutage treten, wo die markanten roten Backsteinbauten Hamburgs denkmalgeschützter Speicherstadt direkt an die modernen Häuser der neuen HafenCity angrenzen. Auf der einen Seite die alten Bauten, die alte Zeit – gegenüber die gläserne, die neue Welt.

Hamburg - HafenCity - Wilhelminenbrücke und Kehrwiederspitze

Hamburg – HafenCity – Wilhelminenbrücke und Kehrwiederspitze

 

Könnten Sie sich etwas vorstellen, was – diese besondere Situation berücksichtigend – einen Anknüpfungs-
punkt darstellen würde? Was einen Übergang oder ein optisches Bindeglied bildete, eine Art Brücke von Alt zu Neu? Bedenken Sie dabei, dass Hamburg ein überaus bedeutender Handelsumschlagsplatz für Orientteppiche ist. Nun?
Eine Brücke bilden … Teppichbrücke? Läufer? Etwas Begehbares? Ein begehbares Bindeglied?
Aus einer solchen Grundidee entstand ein Kunstwerk im öffentlichen Raum. Die Körber-Stiftung, die ihren Sitz
in der Hafencity am Kehrwiederfleet hat, beauftragte den Steinmetz und Bildhauer Frank Raendchen, einen Orientteppich mehr oder weniger vor ihrer Haustür zu erstellen. Er schmückt seit 2005 auf der einen Seite der Wilhelminenbrücke deren Fußgängerweg, und passenderweise verbindet genau diese Brücke das Alte (City) mit dem Neuen (HafenCity).
Wenn Ihr Läufer zu Hause aus Wolle geknüpft ist und respektable zwei oder gar drei Meter Länge vorweisen kann, so ist das Grundmaterial des Brückenteppichs Stein, und er besitzt „unwesentlich“ größere Ausmaße: Diese Brücke misst 27,5 m in der Länge, ist 2,45 m breit und ca. 5 cm hoch.

Hamburg - HafenCity - Steinerner Orientteppich auf der Wilhelminenbrücke

Hamburg – HafenCity – Steinerner Orientteppich auf der Wilhelminenbrücke

Seine typisch orientalischen Ornamente wurden mit Hilfe eines farbigen Natursteingranulats (Quarz, Granit
und Marmor) geformt, das von Frank Raendchen und zwölf Helfern in wochenlanger Arbeit „krümelgenau“ ausgebracht und zum Schluss mit einem Kunstharz versiegelt wurde. Selbst Teppichfransen wurden nicht vergessen!

Hamburg - HafenCity - ... auch Fransen besitzt der Steinerne Orientteppich

Hamburg – HafenCity – … auch Fransen besitzt der Steinerne Orientteppich

Diese besondere Herstellungsweise sollte Langlebigkeit und Resistenz gegen die üblichen Einflüsse von außen garantieren. Hitze, Kälte, raue Sohlen, spitze Absätze … Nur stand dem Teppich gleich nach dem „Auslegen“ eine besonders harte Belastungsprobe bevor, als während der Umzugsarbeiten des Hanseatic Trade Centres (2005/2006) reichlich Betrieb und Rangiererei auch auf der Brücke herrschte und dort sogar mit Genehmigung eine Entladezone eingerichtet wurde.
Infolgedessen bröselte es bereits ein halbes Jahr nach Fertigstellung und Teile des Teppichs platzten ab. Die ersten Notausbesserungen standen an. So blieb es, und die Jahre vergingen. Wenn Sie daheim ihren Teppich nie ausklopfen, säubern oder auf sonstige Art pflegen, wissen Sie, wie er nach einigen Jahren aussieht. Der Flor ist platt, ein paar Fransen hat es erwischt, die Farben verblassen.
Dem steinernen Teppich erging es nicht anders. Man nahm ihn dadurch zuletzt relativ spät wahr, nämlich erst, wenn man unmittelbar vor der Brücke und somit direkt vor seinem Anfang oder Ende stand. Ich hatte seine Existenz dadurch fast vergessen, zumal bei Besuchsanlässen wie z. B. dem Hafengeburtstag, exakt dort häufig Buden und Stände aufgebaut wurden, die die Sicht auf ihn versperrten.
Im letzten August (2016), also zehn Jahre nach den Ausbesserungen, wurde er komplett restauriert. Nun sieht er wieder sehr präsentabel aus, und das Muster tritt kräftig hervor.
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Steinerner Orientteppich nach der Restaurierung

Hamburg – HafenCity – Steinerner Orientteppich nach der Restaurierung

 

Wenn Sie bitte einmal Ihren Blick auf das folgende Foto richten, so bemerken Sie ein Gebäude aus dem Jahre 1910. Neoromanischer Stil. Ein wenig burgähnlich, oder?
Das ist die historische Polizeiwache, in der heute das Revier 22 der Wasserschutzpolizei seinen Sitz hat und in dem auch die Mannschaft des Feuerlöschboots „Brandmeister Repsold“ anzutreffen ist. Wenn Ihnen selbst als Auswärtiger das Gebäude irgendwie bekannt vorkommt, dann vielleicht durch eine Vorabendserie im Fernsehen. Für den „Notruf Hafenkante“ und sein Filmpolizeikommissariat 21 werden die Außenaufnahmen hier gedreht.
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Hamburg - HafenCity - Kehrwiederspitze mit der Historischen Polizeiwache ...

Hamburg – HafenCity – Kehrwiederspitze mit der Historischen Polizeiwache

 

Seitdem der westliche Teil der neuen HafenCity fertiggestellt ist, dort keine Baukräne mehr stehen, Bauzäune verschwanden, etwas Grün aufblitzt und vor allem Leben eingezogen ist, macht es Vergnügen, am Dalmannkai direkt entlang des Grasbrookhafens
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Hamburg - HafenCity - Dalmannkai am Grasbrookhafen, im Hintergrund das Unilever-Haus

Hamburg – HafenCity – Dalmannkai am Grasbrookhafen, im Hintergrund das Unilever-Haus

 

… vorbei am Vasco-da-Gama-Platz  Richtung Marco-Polo-Terrassen am Unilever-Haus und weiter zum Überseequartier oder zum Kreuzfahrtterminal zu spazieren.
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Hamburg - HafenCity - Vasco-da-Gama-Platz

Hamburg – HafenCity – Vasco-da-Gama-Platz

 

Inzwischen gibt es viele Möglichkeiten, direkt am Wasser einzukehren und dabei draußen zu sitzen oder aber, man lässt sich am Unilever Haus einfach auf den flach auslaufenden Marco-Polo-Terrassen neben einer Sumpfzypresse nieder und schaut über das Wasser.
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Hamburg - HafenCity - Blick von den Marco-Polo-Terrassen am Unilever-Haus zurück Richtung Elbphilharmonie

Hamburg – HafenCity – Blick von den Marco-Polo-Terrassen am Unilever-Haus zurück Richtung Elbphilharmonie

 

Hamburg - HafenCity - Gesundes Elbwasser? Auf jeden Fall treibt hier frisches Grün aus ....

Hamburg – HafenCity – Gesundes Elbwasser? Auf jeden Fall treibt hier frisches Grün aus ….

 

Hamburg - HafenCity - Zentrum "Überseeboulevard"

Hamburg – HafenCity – Zentrum „Überseeboulevard“

 

Dringen Sie östlicher vor, landen Sie unweigerlich irgendwann im Baustellenbereich. Für sich gesehen durchaus interessant, allerdings nicht unbedingt als hübsch zu bezeichnen. Ich habe jedoch etwas durch einen Metallgitterzaun hindurch in der Entfernung an der Spitze des Baakenhöfts erspäht, und das möchte ich Ihnen nicht vorenthalten.
Sehen Sie das weiße, pilzähnliche Bauwerk etwas von der Mitte aus rechts?
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Hamburg - HafenCity - Das östliche Gebiet ist Baustellenbereich - Rechts zu erkennen der Wohnleuchtturm "Lighthouse Zero"

Hamburg – HafenCity – Das östliche Gebiet ist Baustellenbereich – Rechts zu erkennen der Wohnleuchtturm „Lighthouse Zero“

 

Das ist der Prototyp eines Wohnleuchtturms. Bauherr Arne Weber (vom Bauunternehmen HC HAGEMANN) entwickelte in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro BIWERMAU Architekten BDA sein „Lighthouse Zero“. Mitte letzten Jahres erfolgte der Baubeginn, für Dezember 2015 war die Einweihung avisiert.
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Hamburg - HafenCity - Baakenhöft - "Lighthouse Zero"

Hamburg – HafenCity – Baakenhöft – „Lighthouse Zero“

Was aus der Distanz etwas niedriger und eher verhalten imposant wirkt, ist in Wirklichkeit ein 20 m hoher Betonschaft, auf dem sich eine Plattform mit beachtlichen 230 qm Wohnfläche sowie darüber ein 150 qm
großer Dachgarten befinden.

Seit der Fertigstellung können Interessenten diesen ungewöhnlichen Wohnturm nun real begutachten, das Wohngefühl testen, und was die Suche nach geeigneten weiteren Standorten angeht, so kümmert man sich bereits von Unternehmerseite aus darum. Falls Sie sich fragen, wie Sie hinauf in Ihre Wohnung gelangen, so gibt es entweder die Möglichkeit, dass ein gläserner Aufzug Sie hochfährt oder – eher für den Typ sport-
licher Hausbesitzer, der auch keine ultraschweren Möbellieferungen oder Konzertflügel erwartet – die Treppenvariante, die sich dann in der Spannbetonröhre befindet.

Der Vorteil des Ganzen:
Sie benötigen extrem wenig Grundfläche, können Ihren robusten Pilzstiel unterpflanzen, haben oben ungestörten Ausblick in alle Himmelsrichtungen und ein lichtdurchflutetes Zuhause.
Der Nachteil:
Es wird teuer. Der Focus sprach in einem Artikel seinerzeit davon, dass die Errichtung eines Lighthouses
etwa zwei Millionen Euro kostet …

Sie können es sich ja noch ein bisschen überlegen. Sie sollten nur ein paar Euro Reserve einplanen, denn
a) ist das Grundstück wahrscheinlich noch nicht mit dabei und
b) wissen Sie, weißer Beton bleibt nicht weiß.
Der Witterung ausgesetzt, wirkt er bald schmuddelig – was dem Ganzen etwas Trostloses verleiht. Ich würde
mir also ebenfalls darüber Gedanken machen, wie Sie ihr neues Heim, speziell die Betonröhre, von außen persönlich gestalten und diesen „Used-Look“ vermeiden. Gönnen Sie Ihrem Leuchtturm doch die typischen, lebhaften rot-weißen Ringe, im Sockelbereich ergänzt durch einige Felsbrockenmotive und Wellengangszenen.

Was halten Sie denn von der Idee, die Sache mit dem optischen Bindeglied von vorhin auch hier aufzugreifen? Da Ihr zukünftiges Heim so überaus futuristisch daherkommt und massiv an Raumfahrt und Weltall erinnert, gäbe es einerseits die Möglichkeit, die Betonröhre vollkommen schwarz zu streichen. Schalteten Sie in diesem Fall abends oben rundherum in all den Räumen mit ihren Glasfronten großzügig Licht an, hätten Sie optisch anstelle einer Plattform plötzlich ein schwebendes Ufo. Das tragende Element schiene verschwunden …

Alternativ könnte der Schaft im ersten Drittel eine Startrampenillusion für Ihre fliegende Untertasse erhalten, während es nach oben hin überginge in eine Art Milchstraße. Sterne und leichte Andromedanebel auf dunklem Grund …
Als Trompelœil ließen sich natürlich genauso unechte Fenster und angebliche Durchblicke realisieren …
Oder etwas komplett anderes!
Eine aufgemalte Strickleiter! Ein sich öffnender Reißverschluss, ein Kettenkarussell! Wenn Sie sich spendabel zeigen, ließe sich sicher die Plattform gleich von vornherein als Drehbühne anlegen …

Wir sind ein wenig vom Thema HafenCity abgekommen, oder?  Der Part der Blogbezeichnung, der von Gedanken(sprüngen) handelt, macht seinem Namen heute wieder alle Ehre. Ein Gedankengehopse, als
wären Sprungfedern unter den Füßen … Lassen Sie uns zurückgehen. Es soll für heute auch reichen.

Ich verabschiede mich von Ihnen diesmal an der U-Bahn-Station Baumwall und lasse Sie mit Ihren ureigensten Assoziationen zu Steinteppichen, pilzähnlichen Leuchttürmen o. a. allein. Hecken Sie ruhig aus, wonach Ihnen der Sinn steht, und für gute Vorschläge habe ich natürlich ein weit geöffnetes Ohr!

Hamburg - U-Bahn-Station Baumwall am Hafen

Hamburg – U-Bahn-Station Baumwall am Hafen

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Machen Sie es gut und bis demnächst!

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© by Michèle Legrand, Oktober 2016
Michèle Legrand

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