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Am Bodensee: Der Affenberg von Salem … (2)

Es kann gut sein, dass Sie jemanden ziemlich aufs Glatteis führen, wenn Sie ihm zum Erraten eines Ortes hilfreich folgende Stichworte nennen: Wasser / Meer, südlich gelegen, Felsen / Berg, viele Berberaffen.
„Gibraltar!“
Messerscharf geschlossen, die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen – und ist dennoch verkehrt! Ich spreche heute nämlich vom Süden Deutschlands. Der tatsächlich gemeinte Ort liegt nicht an der Bucht von Algeciras, sondern am Schwäbischen Meer, genauer an einem Ausläufer des Bodensees, dem Überlinger See. Zwischen Überlingen und Meersburg, ein Stückchen ins Landesinnere hinein gelegen, befinden sich Salem und sein Affenberg, auf dem jede Menge Berberaffen (Macaca sylvanus) leben.
Salem? Gibt es dort nicht ein Schloss? Und ein Internat?
Richtig. Das ist auch Salem, außerhalb jedoch, mitten im Grünen, befindet sich ein 20 ha großes Waldgebiet. Ein besonderes! Wenn Sie sich auf einer schmalen Straße, die sich anfangs zwischen Feldern hindurchschlängelt, diesem Waldbereich nähern, fällt Ihnen an einigen Stellen ein durch die Bäume blitzender, recht hoher Zaun auf, der oben mit einem schräg gestellten, glatten Metallblech endet. Ein Zeichen, dass sich hinter dieser Absperrung etwas befindet, was nicht ausbüxen soll.
Es ist keine Strafanstalt! Beileibe nicht!
Im Gegenteil! Nirgendwo sonst können über 200 Berberaffen derart frei leben wie gerade hier. Das riesige Affenbergareal ist ihr Reich. Großzügig, abwechslungsreich, artgerecht, klimatisch günstig. Umstände beinahe wie in freier Wildbahn. Sie leben hier auf drei Gruppen mit jeweils zwischen 50 und 80 Tieren verteilt. Die ursprüngliche Heimat dieser Makakenart ist Marokko und Algerien, dort fühlen sie sich in bergigen Regionen sogar bis hinauf in Höhen um die 2.000 Meter wohl!
Wer bei Nordafrika nur an Wüste und Hitze denkt, sollte sich schnell erinnern, dass es in den Bergen und generell nachts recht kühl werden kann. Für die Affen ist das Bodenseeklima also gerade richtig. Mild genug, dass sie sogar im Winter draußen bleiben können. Eine natürliche Umgebung und eine natürliche Haltung erlauben ein recht naturgemäßes Leben, welches wiederum von den Menschen in Salem recht genau studiert wird. Die Erkenntnisse daraus können für eine optimale Haltung berücksichtigt werden.  Das Beobachten lässt häufig Rückschlüsse auf ganz artspezifisches Verhalten zu und deckt Besonderheiten auf.
In den einzelnen Gruppen leben Tiere aller Altersstufen zusammen. Jedes Jahr ab Mai gibt es Nachwuchs bei den Berberaffen.
Und das ist gut!
Denn sie stehen auf der Roten Liste gefährdeter Tierarten und gelten somit als stark gefährdet. Ein Reservebestand, der unter diesen natürlichen Bedingungen heranwuchs, konnte im Jahr 1986 sogar wieder ausgesiedelt werden. Damals kehrte eine komplette Gruppe ins nordafrikanische Freiland zurück.

Heute können Sie sich am Affenberg von Salem auf eine sehr schöne Art und Weise vom Wohlbefinden der Primaten überzeugen. Sie haben nämlich die Möglichkeit, direkt das große umzäunte (was Sie schnell völlig vergessen) Areal zu betreten und auf Tuchfühlung mit den Berberaffen zu gehen. Ein Erlebnis für Groß und Klein, denn Sie dürfen die Affenbergbewohner sogar mit speziellem, Ihnen extra zur Verfügung gestelltem Futter, füttern!
Es gibt allerdings für beide Seite Regeln.
Sie – als Besucher – fassen die Affen nicht an und bleiben ausschließlich auf den Wegen, das andere Gebiet ist für Sie tabu. Entlang dieser Wege führt ein halbhoher hölzerner Geländerlauf. Sitzen auf ihm Affen, so dürfen Sie sich ihnen bis auf einen Meter nähern, die Hand ausstrecken und auf Ihrer Handfläche Futter anbieten. Der Affe nimmt es sich selbst.

Salem - Affenberg - Berberaffen füttern ...

Salem – Affenberg – Berberaffen füttern …

Salem - Affenberg  - Die kleine Hand des Berberaffen nähert sich vorsichtig

Salem – Affenberg – Die kleine Hand des Berberaffen nähert sich vorsichtig …

Für die Affen und Sie gleichermaßen gilt die Regel, dass sie ausschließlich auf diesem Geländer Futter erhalten. Auf diese Art wird verhindert, dass die felligen Gesellen hinter Ihnen herhechten und Sie quasi wegen des Futters überfallen. Sie erhalten beim Betreten des Geländes sowieso nur eine kleine Menge, die in eine Hand gerade hineinpasst – und die halten Sie tunlichst geschlossen.
Treffen Sie auf Muttertiere mit Jungen, bleiben Sie auf zwei Meter Abstand.

Salem, Affenberg - Auch dieser Berberaffe wartet bereits auf Futter ...

Salem, Affenberg – Auch dieser Berberaffe wartet bereits auf Futter …

Klare Verhältnisse. Vom Weg aus lässt sich jedoch viel beobachten. Zusätzlich erklären von Zeit zu Zeit Mitarbeiter weitere interessante Details.  Sie entdecken kleine Gruppen von Affen, die gelegentlich auch mit ihrem Nachwuchs unterwegs sind. Die zarten, noch sehr dunklen Affen, sind übrigens die Babys dieses Jahres.

Salem, Affenberg - Berberaffen

Salem, Affenberg – Berberaffen

Salem - Im Wald der Affen ...

Salem – Im Wald der Affen …

Salem, Affenberg - Berberaffe

Salem, Affenberg – Berberaffe

Salem, Affenberg - Leben in der Gruppe, mit Jungtieren ...

Salem, Affenberg – Leben in der Gruppe, mit Jungtieren …

Salem, Affenberg - ... und sogar Babys!

Salem, Affenberg – … und sogar Babys!

 

Eine wirklich besondere Gelegenheit, diesen Tieren näherzukommen. Wesentlich schöner, als sie hinter einem engmaschigen Zaun in einem kleinen Zoogehege oder -käfig vorzufinden. Gelangweilt, ohne viel Auslauf oder Beschäftigung und meist mit nur wenigen Artgenossen.

An diesem Tag habe ich weitere Lebewesen entdeckt, die sich noch freier bewegen konnten. Da der Ausflug zum Affenberg recht spontan beim Anblick eines Hinweisschildes an der Straße erfolgte, fiel die Gelegenheit fort, sich vorab darüber zu informieren – was manchmal das Beste ist, denn so kommt es zu grandiosen Überraschungen.
Wenn Sie von dem auf der gegenüberliegenden Straßenseite gelegenen Parkplatz zum Gelände des Affenbergs hinüberwandern, kann es Ihnen gehen wie mir: Sie vernehmen mit einem Mal mächtiges Klappern, ohne dass sich vorerst der Auslöser entdecken ließe. Sie haben eine Vermutung.
Ein Storch? Hier?
Dem Klappern nach zu urteilen mehr als einer … Sie spazieren weiter, haben nur wenige Meter später zu Ihrer Linken freie Sicht auf mehrere ältere Häuser und trauen Ihren Augen kaum! Auf allen Dächern befinden sich Storchennester! Unzählige!  Und überall, in jedem Horst, auf jedem Dachfirst stehen Störche! Wie auf Kommando entscheiden sich plötzlich mehrere von ihnen zu starten und kreisen hoch über Ihrem Kopf.
Der Rest veranstaltet Wettklappern. Das, was Sie kurz zuvor schon vernommen haben.

Storchenkolonie in Salem am Affenberg

Storchenkolonie in Salem am Affenberg

Storchenkolonie in Salem am Affenberg - Nest auf dem Dach, gelandet wird aber auch im Baum ...

Storchenkolonie in Salem am Affenberg – Nest auf dem Dach, gelandet wird aber auch im Baum …

Storchenkolonie in Salem am Affenberg - Steht ein Storch auf dem Baum ...

Storchenkolonie in Salem am Affenberg – Steht ein Storch auf dem Baum …

Storchenkolonie in Salem am Affenberg - Action auf dem Dach ...

Storchenkolonie in Salem am Affenberg – Action auf dem Dach …

Ich habe Störche in dieser Anzahl und Nester in dieser Vielzahl auf solch recht begrenztem Raum noch nie gesehen! Hier am  Affenberg in Salem gibt es eine große, freilebende Storchenkolonie mit etwa 20 Brutpaaren. Gerade im Juli und August, wenn die Jungstörche flügge sind, rauschen unter Umständen bis zu 100 Störche durch die Gegend!
Jetzt erschloss sich mir auch der Sinn eines Schildes am Straßenrand, das ich –  lediglich aus den Augenwinkeln heraus – während der Anfahrt gesehen und angenommen hatte, es zeige einen fliegenden Reiher. Diese Vögel hatte ich bisher schon einige Male  am Bodensee erblickt.
Von wegen Reiher! Es war ein Hinweis auf all die Störche!
Speziell den Jungstörchen fehlt es anfangs bei ihren Flugversuchen an Erfahrung und dem korrekten Einschätzungsvermögen der tatsächlichen Geschwindigkeit eines herannahenden Fahrzeugs. Wenn Sie nicht mit aufpassen und notfalls rechtzeitig reagieren, kommt es womöglich zur Kollision mit einem der jungen Tiefflieger!

Warum gibt es in Salem so viele Störche? Was zieht sie gerade hierher bzw. hält sie hier?
Vielleicht sollte man eher andersherum fragen: Woran scheitert es oft, dass sich Störche in einer Gegend niederlassen, wiederkehren, sich vermehren, dass eine Brut Chancen hat, komplett, ohne Ausfall, aufgezogen zu werden etc.
Es fehlt oft die passende Umgebung, der geeignete Lebensraum – sowohl für die Nahrungssuche als auch für Nistzwecke. Oder vorhandener Lebensraum wird vernichtet. Wiesen, die beackert, Feuchtgebiete, die trockengelegt werden.
Manch Storch käme vielleicht auch wieder, wäre ihm nicht zuvor ein ungesicherter Strommast oder ein Wasserturm zum Verhängnis geworden.
Und am Bodensee, hier in Salem?
In dieser Region wird verstärkt renaturiert („Biotopverbund Bodensee“). Es geht um die Schaffung und die Vernetzung von Biotopen, die Erhaltung von Feuchtgebieten, um zusätzliches Grünland für das Nahrungsangebot. Es geht ebenfalls um die Reduzierung des Pestizideinsatzes, um die Vermeidung von Gefahren, um Aufklärung schlechthin.
Direkt am Affenberg kümmert man sich zudem um Nistgelegenheiten, montiert Plattformen. Nicht nur auf den Häusern! Es existieren zusätzlich diverse weitere Einzelnester auf Pfählen.
Damit ist es allerdings nicht getan, denn ein Horst muss auch gepflegt werden, um sicherzustellen, dass möglichst viele, wenn nicht sogar alle Jungtiere einer Brut, überleben. Störche haben die (leider dumme) Angewohnheit, beim Nestbau Plastikmaterial mitzuverwenden. Was im ersten Moment nicht so dramatisch klingt (Hauptsache, er verschlingt es nicht!), hat jedoch ernste Auswirkungen. Plastik dichtet den Horst ab, Regen und Feuchtigkeit können nicht abziehen, Wasser staut sich. Der Jungvogel sitzt – besonders bei länger andauernden Regenwettertagen – lange im nassen Kalten und kühlt folglich aus. Verendet häufig!
Also werden jedes Jahr die Horste gereinigt und ihre oberste Schicht abgetragen.

Salem - Zu fünft im Nest ...

Salem – Zu fünft im Nest …

Storchenkolonie in Salem am Affenberg - Offenbar gibt es im Nest etwas Interessantes zu begucken ...

Storchenkolonie in Salem am Affenberg – Offenbar gibt es im Nest etwas Interessantes zu begucken …

Wir sprachen vorhin bereits das Nahrungsangebot an. In freier Natur  – und speziell bei widrigen Wetterverhältnissen – ist es häufig viel zu wenig, was ein Elternpaar für seinen Nachwuchs findet und heranschaffen kann.
Was schätzen Sie, wie viel Futter für vier halbwüchsige Störche notwendig ist?
Es sind vier bis fünf Kilo, die ein Storchenelternpaar heranträgt! Ein gutes Kilo pro Jungtier. Pro Tag! Wenn Sie jetzt noch überlegen, wie viel bzw. wenig Insekten, Frösche, Fische und anderes Getier wiegen, dann können Sie sich vorstellen, welche Unmengen nötig sind und wie oft die Eltern unterwegs sind. In der freien Natur bedeutet es, dass ein Storchenpaar im Endeffekt im Schnitt nur ein oder zwei Junge durchbringen kann. Der Rest des Nachwuchses schafft es nicht.
Bleibt rein rechnerisch immer noch ein Zuwachs, doch der Bestand an Störchen erhöht sich so trotzdem nicht automatisch, denn beim Flug in den Süden verenden noch einmal überdurchschnittlich viele Jungtiere.
Zufütterung
In Salem wird daher zugefüttert. Das erfreuliche Resultat: Im Durchschnitt fliegen hier drei Jungstörche pro Nest aus! Zusätzlich nimmt man verwaiste Jungstörche auf, die meist von den anderen ohne Probleme mit aufgezogen werden. Ebenso wird sich um verletzte Tiere gekümmert.
Schon eine beeindruckende Sache!

Wenn Sie ihr Weg einmal in diese Region führt, dann schauen Sie vorbei! Es lohnt sich! Zusätzlich befindet sich auf dem Gelände ein großer Teich mit vielen Wasservögeln und ein Bereich mit Damwild. Zu diesen Tieren haben Sie genauso freien Zugang wie zu den Berberaffen. Das Gelände ist  barrierefrei, hat allerdings einige Steigungen.

Dass auch manch anderer Besucher nicht unbedingt vorab von der Existenz der Storchenkolonie wusste, zeigte sich später am Parkplatz. Dort entdeckten Neuankömmlinge einen einzelnen Storch und waren hellauf entzückt. Knipsten sofort Fotos und stießen laute Aaahs! und Ooooohs! der Begeisterung aus.
Ein Storch! Betonung auf ein
Ich hätte sie gern beobachtet, wenn sie Minuten später all die anderen entdeckten …

Liebe Leser, das war’s mal wieder. Feierabend für heute.
Beim nächsten Mal geht es zu den Pfahlbauten. Vielleicht sind Sie wieder mit dabei, es würde mich freuen.

Anmerkung zu den heutigen Fotos:
Eine vermeintlich besonders günstige Einstellung an der Kamera entpuppte sich als die falsche Wahl. An einem recht trüben Tag wurde dadurch die Belichtungszeit extrem verlängert – zulasten der Schärfe.
Ich wollte Ihnen jedoch unheimlich gern vom Affenberg berichten und hatte leider nur die Wahl zwischen unscharfen oder gar keinen Fotos. Sie wissen nun, wie die Entscheidung ausfiel …

©August 2014 by Michèle Legrand
Michèle Legrand  ©Foto Andreas Grav (Ausschnitt)

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