Beiträge getaggt mit Brachflächen im Hafen

Hamburgs Hafengelände: Gut für kleine Überraschungen …

Im letzten Beitrag ging es um das Hafenmuseum Hamburg. Heute würde ich gern noch etwas zum Thema Hafengelände hinzufügen. Insgesamt gesehen, nicht nur auf den Bereich bezogen, der zum Museum gehört.
Das Hafengelände birgt nämlich Potenzial für kleine Überraschungen!

Es geht nicht nur Ihnen als auswärtigem Leser so, dass Sie die Struktur des Hamburger Hafens, seine räumliche Aufteilung, die Anordnung der diversen Hafenbecken oder lediglich seine Ausdehnung bestenfalls vage beschreiben könnten. Trotzdem haben Sie wahrscheinlich einen im Vergleich dazu klareren, persönlichen Eindruck, der durch Filme und Dokumentationen oder Zeitungsberichte entstand. Irgendeine Wirkung wird es auf Sie gehabt haben, auf ihre Vorstellung vom Terrain.
Was generell jedem mit Sicherheit auf Anhieb dazu in den Sinn kommt: Der Hafen ist beachtlich groß, und täglich steuern ihn viele Schiffe an. Und vielleicht fällt dazu noch ein, dass es einmal diese Planungen für gewisse Olympische Spiele gab …

Machen Sie sich aber bitte gleichzeitig klar, dass Sie mit Ihrer sonstigen Hafenahnungslosigkeit nicht alleine dastehen und dass selbst für so manchen Hamburger die Stadt irgendwie stets am Elbufer aufhört. Und zwar am nördlichen. Auf dieser Seite des Flusses ist für ihn Hamburg, und auf die andere Seite der Elbe … nun, da kommt man nicht so oft hin.
In die Wohngebiete oder Einkaufszentren (z. B. in Harburg) schon, das ist klar! Durchaus auch noch ein Stückchen weiter hinaus ins Grüne, aber doch nicht irgendwo in den Hafen an irgendeinen zugigen Kai!
Nein, die andere Elbseite – und dort ganz speziell das Hafengebiet – bleibt häufig zeitlebens ein reichlich verschwommener Fleck auf der Landkarte. Wird so ein Hamburger mit dieser „Grenzflusseinstellung“ einmal am anderen Ufer mitten im Hafen ausgesetzt, braucht er Jahre, um sich zu orientieren und wieder herauszufinden.

Immerhin ist spätestens seitdem im Jahr 2013 sowohl die Internationale Gartenausstellung als auch die Internationale Bauausstellung auf der Elbinsel Wilhelmsburg stattfanden, vielen dieses Areal mehr als ein bloßer Begriff. Die seinerzeit entstandenen Bauten und der Wilhelmsburger Inselpark, jenes mittlerweile umgestaltete ehemalige Gartenschaugelände, ziehen weiter an. Man weiß jetzt, wo das ist.
Weiterhin kennt jeder all das, was sich am südlichen Flussufer direkt gegenüber von Landungsbrücken, Baumwall oder auch der HafenCity und somit in Sichtweite befindet. Man weiß, in welcher Richtung die Werft liegt  (Blohm + Voss Shipyards, Blohm + Voss Repair, TKMS und nach Umstrukturierung und Verkauf einzelner Geschäftsbereiche weitere Nachfolgefirmen) und hat genauso eine Vorstellung vom Standort der Musicaltheater. Die hat man schließlich vor Augen …
Nur wenn es darum geht zu verraten, wie der Landstrich dort heißt und was sich daneben oder weiter landeinwärts anschließt und präsentiert, werden die Auskünfte schnell dünn. Im Zweifelsfall lautet die Ortsbezeichnung schlicht und einfach „drüben“. Auf der anderen Elbseite eben.

Sie merken, wer hier nicht gerade im Hafen arbeitet oder sich aus anderem Grund regelmäßig dort hinbegibt, für den ist der gesamte Hafenbereich absolutes Neuland, fast schon Terra incognita. Wo welcher Kai ist oder bestimmte Schuppen zu finden sind – ein Rätsel. Welche Hafenzufahrten und Übergänge es gibt, wo sich die einstigen Zollstellen im früheren Freihafengebiet befanden – nicht geläufig.
Ortsangaben wie Kleiner und Großer Grasbrook oder Steinwerder genauso wie Namen von Hafenbecken geben nur einen groben Anhaltspunkt, bestenfalls eine Idee, ob vielleicht eher flussabwärts oder flussaufwärts gemeint sein könnte.
Es ist wie mit den reinen Gewerbegebieten am Stadtrand. Die kennen auch nur die ansässigen Firmen und die Spediteure. Dort wohnt keiner, folglich fährt man aus privatem Anlass nie hin. Und wer einen Ausflug plant, der wählt nicht gerade dieses Ziel. Es ist einfach keine wirklich reizvolle Spaziergegend. Daran ändern auch phantasie- und klangvolle Namen nichts.
Um wieder zum Hafen zurückzukommen: Wer sich für die großen Pötte interessiert und Shipspotting machen möchte, postiert sich viel eher entlang der Elbe und beobachtet dort das Ein- oder Auslaufen. Oder geht für die Cruise Liner direkt zum Kreuzfahrtterminal nach Altona bzw. zum Cruise Center HafenCity, beide nördlich der Elbe. Das allerneueste Terminal direkt im Hafengebiet (auf Steinwerder) wird etwas ignoriert. Das Hinkommen ist umständlich, fast eine Weltreise.

Was aktuell wo und wie im Hafen genutzt wird, wie der Hafen von heute aussieht  – das entzieht sich einfach der Kenntnis. Glauben Sie mir, das stört einige Hamburger selbst gewaltig! Und so haben nicht wenige Einheimische inzwischen wie Touristen eine der Barkassenfahrten durch Hamburgs Hafen unternommen und nun endlich zumindest eine grobe Idee von den Ausmaßen oder der Lage der einzelnen (Halb-)Inseln und bestimmter Kais.

Welche Eindrücke entstehen, ist abhängig davon, mit welcher Ecke des Hafens jemand in Berührung kommt. Aus dem Anblick eines sehr begrenzten Geländes, der im Grunde genommen nur für einen „Zipfeleindruck“ sorgt, ergibt sich allerdings meist die Vorstellung, dies sei der Charakter und Zustand des gesamten Hafens.

Hafen Hamburg mit alten Fahrzeugen und Anlagen

Hafen Hamburg mit alten Fahrzeugen und Anlagen

Die eine Überzeugung ist dann die, dass es überall rostig ist. Ausnahmslos. Wo Eisen und besonders Eisen und viel Feuchtigkeit aufeinandertreffen, ist tatsächlich der Rost nicht weit.  Traditionsreiche Werftunternehmen, seit fast 140 Jahren auf ihrem Gelände, alteingesessene Zulieferfirmen und Hafenbetriebe, der Schwerpunkt Metallbranche, die Kräne und überhaupt all die Anlagen im Freien, dazu Hallen, Nutzfahrzeuge, Stahlteile und -konstruktionen, Schiffsrümpfe, die nicht alle vorgestern einen neuen Anstrich erhalten haben, die Schienen der Hafenbahn … Rost, Rost, Rost …

Hamburg - Hafen - Rostige Teile an alten Bahnschwellen
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Hafen Hamburg - Am Hafenmuseum (Blick von der Straße auf Außenanlagen mit Van Carrier und Kran)

Hafen Hamburg – Am Hafenmuseum

Nur der Eindruck, dass es überall so sei, täuscht gewaltig. Es kommt entschieden darauf an, wo man ist!

Die völlig andere Wahrnehmung ist deshalb auch die von einem sehr modernen Hafen mit riesigen (und rostfreien) technischen Anlagen für die Containerabfertigung (Containerterminal Altenwerder u. a.), mit großen, oftmals frisch in Dienst gestellten Frachtern, die an den Kais mit Hilfe von Hightech entladen oder für die nächste Reise beladen werden.

Zwei sehr unterschiedliche Hafeneindrücke also von den Bereichen direkt am Wasser.

Hafen Hamburg - Containerverladung ... (Frachter von Maersk)

Hafen Hamburg – Containerverladung …

Speziell am Abend mit Beleuchtung wirken hoch aufragende Anlagen besonders futuristisch.

Hamburg - Hafen - Containerterminal Altenwerder (Krananlagen im Abendlicht)

Hamburg – Hafen – Containerterminal Altenwerder

 

Die dritte Wahrnehmung betrifft die Wirkung, die der Landanteil auf einen Betrachter hat. Das große Gebiet mit langen Gleisstrecken, vor allem aber mit seinen sowohl zahl- als auch verkehrsreichen Straßen, die sämtliche Teile des Hamburger Hafens durchziehen, alle Anlagen und Kais zugänglich machen und miteinander verbinden.
Kein inspirierender Anblick. Bis auf kleine Ausnahmen trostlos, öde, hervorgerufen auch durch schnurgeraden Straßenverlauf (Veddeler Damm) und verstärkt durch den Anblick unzähliger LKW. Stets Staus, Lärm und schlechte Luft an den neuralgischen Punkten. Ständig wechselnde Baustellen. Immer wieder Sperrungen, Umleitungen. Oft über lange Strecken ein sehr eintöniges Bild zur Linken und zur Rechten.
Hier wächst ja kaum irgendwo ein Baum! Weder zur optischen Abwechslung noch zur Luftverbesserung. Eine Gegend, in die es einen nicht unbedingt zieht. Es fehlen Grün, sichtbare Menschen und Farbe.
Hafen ist fast ein wenig wie Reeperbahn. Das gleiche Phänomen, meine ich. Beides wirkt erst bei Dunkelheit mit Beleuchtung richtig schön.

Und bisher nahm ich angesichts dieser Eintönigkeit beispielsweise konsequent an, mit der Natur (Fauna und Flora) im Hafen könnte es nicht soweit her sein. Ich wurde eines Besseren belehrt!
Ich hatte zuletzt einige Zeit im Hafen zu tun und war dabei jedes Mal auch draußen unterwegs. In Bereichen, in denen ehemals der Stückgutumschlag stattfand – solange, bis mit dem Aufkommen der Containerverladung an anderer Stelle im Hafen die neuen Terminals entstanden.
Ich stieß auf Gelände, das nicht mehr ständig betreten oder aktiv genutzt wird. Heute sind das aus der Distanz völlig unscheinbar wirkende Hafenfleckchen, in denen nun im Laufe der Zeit und räumlich begrenzt brachlie-
gende Flächen entstehen. Boden, der so auf einmal für bestimmte Pflanzen und einige Tierarten als Lebensraum interessant wird.

Wo mehr Licht hinfällt, wachsen die Pflanzen auch höher ... (zwischen gestapelten Schwellen und Gleisen)

Eroberung des freien Raums. Wo mehr Licht hinfällt, geht es in die Höhe …

 

Überall dort, wo eine gewisse Ruhe eingekehrt ist und obendrein Gegenstände abgestellt bzw. Materialien deponiert sind, die Schutz vor Wind und Kälte bieten, stattdessen womöglich sogar Wärme speichern, entsteht ein neues Kleinklima. Zusätzlich erholt sich der Boden, und schon siedelt sich etwas an.

An den ablegten, alten Bahnschwellen siedeln sich Pflanzen an ....

An den ablegten, alten Bahnschwellen siedeln sich Pflanzen an ….

 

Platz zum Ansiedeln gefunden ... (Keimling in den Ritzen alter Bahnschwellen)

Platz zum Ansiedeln gefunden …

Überall dort, wo nicht ständig aufgeräumt wird oder permanent Betrieb durch Mensch und Maschine herrscht, wird zudem Abgestelltes und Ungenutztes von Vertretern der Tierwelt umfunktioniert und als Nistplatz oder Unterschlupf verwendet.

Im Aufbau eines außer Betrieb genommenen Krans haben in luftiger Höhe Schwalben ihr Nest gebaut. Und dann begegnete mir noch etwas, was ich überhaupt nicht zu sehen erwartet hatte: Bachstelzen!  Natürlich ist mit der Elbe ein Gewässer in der Nähe, doch rein gefühlsmäßig hört sich allein das Wort Bachstelze doch mehr danach an, dass sich der betreffende Vogel statt auf einer relativ kargen Grasfläche viel eher in einer mehr idyllischen und etwas fruchtbareren Umgebung und wahrscheinlich nahe eines leise glucksenden Rinnsals bewegt.
Stattdessen ist diese Bachstelze nun Anwohner eines großen Stroms und kommt offensichtlich mit ziemlich wenig Baum- und Grünangebot in ihrem Umfeld aus.

Bachstelze auf Hamburger Hafengebiet

Bachstelze auf Hamburger Hafengebiet

Es wird verständlicher, wenn Sie einmal einen genaueren Blick auf die Umgebung werfen. Diese Vögel nisten gern in Steinhaufen oder Holzstapeln, was beides hier in Form von abgelegten Bahnschwellen oder angehäuftem Granitgestein vorhanden ist. Nester polstern sie mit Vorliebe mit Moos aus. Auch das ist zu finden. Würmer und Spinnen gibt es mit Sicherheit ebenso. Und die Wasserqualität der Elbe hat sich gebessert! Sehr viel mehr Vogelarten als früher nutzen inzwischen den Hafen auch als Durchzugsgebiet. Legen hier Zwischenstopps ein.

Hamburg - Hafen - Bahnschwellen gestapelt

Hafen Hamburg – Bahnschwellen gestapelt – Oder platzsparende Gleisverlegung ..?

Silbermöwen gibt es reichlich. An der Elbe nicht weiter verwunderlich, nur was mich verblüfft, ist, dass sie hier im Hafenbereich auf den Dächern der Gebäude brüten. Sie sind wirklich schlau; reagieren mit Anpassung auf die veränderten Umstände und Gefahren in der Stadt. So weit oben ist ihr Gelege sicher vor Feinden, deren Zahl rasant zugenommen hat. Füchse, Ratten etc. kommen dort nicht heran …

Wissen Sie, was unvorteilhaft ist?
Wenn Sie im Hafengebiet als Handyklingelton für eingehende Anrufe – so wie ich –  Möwengeschrei ausgewählt haben! Ursprünglich hatte ich mir diese Variante ausgesucht, weil ich auf Musiktitel schwer reagiere, es nicht als Telefonalarm interpretiere. Bei Möwengeschrei und Wellenrauschen wusste ich bisher immer sofort, ich muss ran.
Im Hafen hatte ich nun alle zwei Minuten das Problem herauszufinden, wer diesmal das Geschrei fabrizierte. Meist war es O-Ton Möwe, die direkt über mir Flugmanöver ausführte. Zweimal bedeute der Lärm allerdings auch tatsächlich eingehende Anrufe. Ich bin ja mittlerweile überzeugt, nicht nur mich hat das alles irritiert. Auch die Möwen wirkten verdutzt über dieses Konkurrenzgebrüll aus meiner Tasche.

Sollten Sie einmal im Hafen landen und dort auf besagtes ruhigeres Gelände treffen, gehen Sie ab und zu in die Hocke und betrachten Sie so die Landschaft. Vieles sieht aus dieser Perspektive gleich ganz anders aus! Ihr Blick geht dann nicht in die mäßig attraktive Ferne, sondern richtet sich auf die Nähe. In dieser tiefen Position wirken Größen anders und Sie nehmen so viel besser die zarten Gewächse wahr, die etwas scheu aus dem Boden hervorschauen.

Pflanzenvielfalt auf Brachflächen im Hamburger Hafen - In Bodennähe ...

Pflanzenvielfalt auf Brachflächen im Hamburger Hafen – In Bodennähe …

 

Hamburg - Hafengelände - Das Holz alter Bahnschwellen wächst langsam ein ...

Hamburg – Hafengelände – Das Holz alter Bahnschwellen wächst langsam ein …

Im Hafengebiet lebt übrigens eindeutig eine nicht unerhebliche Anzahl von Kaninchen! In der Dämmerung finden wahrscheinlich große Treffen und Partys statt, jedenfalls nach der Anzahl der vorhandenen Ködel zu urteilen. Ich würde sagen, eine Quote von 40-50 Stück pro Quadratmeter. Ködel, nicht Kaninchen.
Schauen Sie vorsorglich ein bisschen genauer, wenn Sie nicht nur in die Hocke gehen, sondern im Begriff sind, ganz auf dem Boden Platz zu nehmen.

Sie sehen, es gibt Überraschendes im Hafen. Natürlich auch viel Geschichtliches! Besondere Gebäude, Abstraktes, was eher zufällig entstand und so blieb. Technik! Aber dazu muss man halt einmal hin, um es zu entdecken.
Sollten Sie auf Entdeckung gehen, erzählen Sie doch bitte hinterher, worüber Sie gestolpert sind.
Es interessiert mich sehr!

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© by Michèle Legrand, April 2016
Michèle Legrand ©Foto Andreas Grav (Ausschnitt)

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