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Stilvolle Treppenhäuser, schöne Fassaden, eigenwilliges Interieur – der Charme Hamburger Kontorhäuser / Teil II – Der Laeiszhof samt Paternoster und „Watt“
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Allgemein, Artikel, Auf Entdeckung - Unterwegs im In- und Ausland (s. dazu auch weitere Spezialkategorien), Foto, Hamburgs Kontorhäuser am 25/08/2012
Wochenende! Wie sieht es aus? Hätten Sie nicht gerade wieder ein bisschen Zeit übrig und vor allem Lust mitzukommen?
Sie erinnern sich? Wir wollten beim nächsten, nämlich diesem Treffen, Paternoster fahren!
Heute geht es zum Laeiszhof, einem an der Straße Trostbrücke gelegenem Kontorhaus nahe dem Mahnmal der Nikolaikirche.
Ein Backsteingebäude am Nikolaifleet aus den Jahren 1897/1898, dessen Auftraggeber die Firma Ferdinand Laeisz war.
Genau die, die es auch heute noch im Reederei-Geschäft gibt und deren Name Ihnen vielleicht zusätzlich im Zusammenhang mit einem weiteren Gebäude im Ohr ist: der Laeiszhalle (früher Musikhalle).
Ich wollte Sie zuerst etwas verwirren, Ihnen ein „Wattfoto“ zeigen, das Ihnen vorgaukelt, der Laeiszhof sei an der Nordsee. Und Hamburg selbstverständlich auch …
Dann dachte ich mir, lass es. Deine Blogbesucher sind eh viel zu schlau, um den Braten nicht zu riechen.
Allerdings kennen Sie mittlerweile meine Unberechenbarkeit. Ich erwähne das „Hamburger Watt“ nun doch, ganz ohne Irritationsabsichten, denn vielleicht interessiert Sie Folgendes:
Hamburgs Fleete kennt eigentlich jeder mit Wasser gefüllt.
Genau. Ständig trocken würde Sie auch keiner mehr Fleete nennen.
Es besteht allerdings die Möglichkeit, den Pegel dieser Wasserwege zu beeinflussen und zu regeln. Hamburg, als Stadt an der Elbe, die wiederum ein Zufluss zur Nordsee ist, merkt natürlich die Gezeiten. Um eine Überflutung der Stadt zu verhindern, gibt es ein Sperrwerk unter der Hohen Brücke, das geschlossen werden kann, wenn eine zu hohe Flut mit reißenden Wasserströmen in den Nikolaifleet einzubrechen droht. Ein weiteres Wehr zwischen diesem und dem Mönkedammfleet sorgt für die Abriegelung zu den übrigen Fleeten in der City.
Der (auch das) Nikolaifleet, ist dem Tidenhub ausgesetzt und bei diesem am Laeiszhof gelegenen Wasserweg ist es so, dass bei Ebbe das Wasser gelegentlich komplett abfließen kann.
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Hamburgs Kontorhäuser – Laeiszhof – Bei Ebbe wird häufiger auch das Nikolaifleet trockengelegt. Die Linie zeigt, wo normalerweise das Wasser steht.
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Wenn dies passiert, bildet sich eine Art „Stadtwatt“. Wenn Sie die Bilder betrachten, werden Sie merken, wie eigenartig und „unelegant“ es wirkt, sobald alles trockengelegt ist und die glitzernde, manchmal spiegelnde Wasseroberfläche fehlt. Und vielleicht erstaunt es Sie zu erkennen, dass Fleete nicht besonders tief sind.
Ich habe Ihnen auf dem Vergleichsfoto eine blaue Linie eingezeichnet, um es besser sichtbar zu machen. An der Brücke ist ebenfalls gut zu sehen, in welchem Bereich sich normalerweise der Wasserstand bewegt und wie schnell Grund erreicht ist. Daher sind auch nicht alle Fleete befahrbar und wenn, dann nur mit speziellen Flachbooten, die extrem wenig Tiefgang haben.
Eine kurze Frage: Darf ich davon ausgehen, dass ich Sie sich jetzt neben mir befinden und sich mit mir umsehen? Ja?
Das ist prima, denn ich möchte etwas von Ihnen wissen:
Haben Sie vor lauter Heruntergucken zum Fleetgrund bisher überhaupt daran gedacht, am Kontorhaus hinaufzuschauen? Und haben Sie dort oben schon die Skulptur zwischen den Türmchen entdeckt?
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Was denken Sie, was das ist?
Ein Löwe?
Kalt!
Eine Sphinx?
Brr! Noch kälter …
Nein, Sie dürfen sich nicht fragen, was Sie auf Ihr Dach setzen würden. So kommen Sie in dem Fall nicht weiter …
Wann waren Sie denn zuletzt beim Friseur?
Nein, ich lenke nicht ab! Das ist ein Tipp!
Gut, machen wir es kurz: dort oben ist ein Pudel! PUDEL.
Der Reeder Carl Laeisz mochte seine Gattin offenbar sehr, denn dass die Wahl auf dieses Dachtier fiel, hängt mit ihr zusammen. Ihre Haare – wobei man darüber uneins ist, ob es die Krause der Haare war oder das Erscheinungsbild der Frisur – verliehen ihr offenbar eine gewisse Ähnlichkeit mit dieser Hunderasse. Es brachte ihr den Spitznamen Pudel ein – und dem Kontorhaus vereitelte es letztendlich die Zurschaustellung eines imposanten Dachlöwen oder eine Erkersphinx. Carl Laeisz war zudem fixiert auf den Buchstaben P und gab allen Schiffen seiner Flotte Namen, die diesen Anfangsbuchstaben trugen. Die namentlich bekanntesten unter ihnen sind wahrscheinlich die Schiffe Pamir und Passat (Großsegler; die Flotte wurde auch Flying-P-Linie genannt).
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Obwohl das ganze Gebäude aus Backstein besteht, wirkt es doch enorm abwechslungsreich, was sowohl durch unterschiedliche Farbgebung, als auch durch Vorsprünge, Erker, Verzierungen, Fensterformen und -anordnung, Sprossen etc. erreicht wird.
Doch wir wollen nicht nur draußen stehen. Kontorhäuser bergen besonders häufig in ihrem Innern Geheimnisse und zeigen Schönheit, die ein Besucher in dieser Form gar nicht erwartet. Wir überqueren nur noch den Nikolaifleet an der Trostbrücke mit ihren beiden Statuen und befinden uns gleich vor der Eingangstür. Über der Tür eingearbeitet – das Zeichen der Reederei Ferdinand Laeisz.
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Hamburgs Kontorhäuser – Trostbrücke – …ihm gegenüber der Heilige Ansgar als Begründer des Doms und erster Erzbischof der Stadt
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Mich machen solche massiven, für den Blick undurchdringlichen Türen, neugierig.
Was befindet sich dahinter?
Ist sie nur geschlossen oder eventuell fest verschlossen?
Probieren wir es aus.
Die Tür öffnet sich trotz ihrer Schwere leicht. Es sind weder Dunkelheit noch das Licht von grellen Neonröhren, das Sie erwartet. Dies ist der Anblick, der ihnen beim Eintreten geboten wird:
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Wenn Sie die Treppenstufen hinaufsteigen, erreichen Sie die Eingangshalle, mit einer Bronzeskulptur zur Linken, die – so weit es herauszufinden war – vermutlich von Caesar Scharff geschaffen wurde.
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Ihr gegenüber an der Wand nehmen wir einen Moment auf einer langen blankpolierten Holzbank mit Sitzlehne Platz.
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Möchten Sie einmal etwas ausprobieren?
Wenn Sie sich unter Australien setzen (ich spreche von der Weltkarte, die darüber an der Wand hängt) und zur Skulptur herübersehen, wird Ihnen die erste der Figuren, die Frau links besonders vorkommen. Sie streckt den Arm und will Sie förmlich auf etwas hinweisen. Wenn Sie annehmen, sie zeige auf den Mann in der Mitte, rutschen sie mittig auf die Bank. Schon wirkt es völlig anders! Sie zeigt auf etwas in der Ferne. Aus ihrer Position (unter Südafrika) beobachten Sie jetzt intensiv den stehenden Herrn, der einen Schiffsrumpf trägt und wenn Sie an die andere Außenseite der Bank rutschen (unter Südamerika), vergessen Sie das imposante Wesen und sehen plötzlich nur noch den rechts sitzenden, versunken wirkenden Mann, der seine Schiffsschraube betrachtet. Die einzelnen Gliedmaßen jeder Person scheinen aus neuen Blickwinkeln jeweils anders hervorzutreten.
Oder ist es die Beleuchtung im Foyer …?
Ich habe keine Ahnung, ob die Bank je für das „Skulptur-Angucken“ gedacht war oder lediglich dort ihren Platz fand, um Wartenden die Möglichkeit zu geben, sich niederzulassen. Ich jedenfalls bin zum Schauen mehrfach hin- und hergeglitten.
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Hamburgs Kontorhäuser – Laeiszhof – Die Kabinen des Paternosters … Haltegriffe in den Kabinen und fest im Mauerwerk verankert
Auf der Stirnseite der Halle rumpelt leise und gemächlich der Paternoster. In den zwei Schächten befinden sich ca. zehn Kabinen im Umlauf.
Ich sagte Ihnen, ich würde Sie mitnehmen – steigen Sie also gerne ein, wir fahren hinauf bis zur vierten Galerie.
Hinweis zum Abspielen des Videos:
Zum Schutz Ihrer Privatsphäre verlinke ich nicht direkt zu meinem YouTube-Video. Kopieren Sie bei Interesse die folgende Zeile bitte in Ihren Browser und ersetzen dabei das „dot“ durch den Punkt. .
http://www.youtube dot com/watch?v=BRX9qCr4VQo
Schön, oder? Ich habe die Kamera bei unserer Fahrt einfach mitlaufen lassen, das stetige Geräusch der auf- und abfahrenden Kabinen hat die Tonqualität beeinträchtigt. Wenn Ihnen aufgefallen sein sollte, dass ich von drei Paternostern in Hamburg sprach, dann muss ich dies hier im Text korrigieren. Es gibt offenbar noch ungefähr 40! Doch sind nicht alle in Betrieb und nur sehr wenige öffentlich zugänglich. Vielleicht stammt daher die Auskunft (drei), die ich vorher erhielt.
Wissen Sie, wie man die Paternoster noch nannte?
Offiziell gab es das schöne deutsche Wort Personenumlaufaufzüge, doch die Menschen seinerzeit bezeichneten ihn häufig als Proletenbagger, der die Menschen zu Hauf ihre Runden in seinen Kabinen drehen ließ. Für den Chef gab es etwas Feineres, einen geschlossenen Aufzug, Bonzenheber genannt.
Aktenwägelchen oder ähnliches hat man nicht per Paternoster transportiert. Die hätte man wohl eher mit Schwung hineinwerfen müssen, als dass ein sittsames Einschieben während der Fahrt geglückt wäre. Für diese Fälle gab es fast überall extra einen Lastenaufzug.
Sie haben sich eben übrigens sehr geschickt angestellt beim Ein- und Aussteigen. Damals, zwischen 1890 und 1898 erlitten Büromenschen bei 29 Gelegenheiten einen Unfall, davon verliefen fünf tödlich.
Gut, dass Sie das nicht vorher wussten , oder? ^^
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Liebe Blogleser, werte Mitbesichtiger und Mitentdecker! Sie haben es im Video gesehen, die einzelnen Geschosse besitzen Galerien, die von schmiedeeisernen Gittern eingefasst sind. Gitter, die nicht wie ein Zaun wirken, sondern wie dahingemalt. Nicht wuchtig, sondern zart und leicht geschwungen, manchmal verspielt. Rundungen und ein Hauch von Floralem hier, eine Herzform dort. Kleine eingearbeitete Anzeigetäfelchen geben Auskunft über das geweilige Geschoss.
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Dazwischen wunderschöne, dunkle, farblich gut kontrastierende Säulen mit herrlicher Kapitellverzierung (am oberen Abschluss).

10_Hamburgs Kontorhäuser – Laeiszhof – Schön der Blick aus dem Foyer hinauf zu den einzelnen Galerien (Geländer, Beleuchtung, Säulen)
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Es gibt viel Tageslicht, da im Laeiszhof – wie in den meisten Kontorhäusern üblich – ein Lichthof geschaffen wurde. Zusätzlich die wunderschöne, warme Ausleuchtung durch Wand- sowie Deckenleuchten in jedem Geschoss.
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Im Treppenhaus, das gleich im Eingangsbereich beginnt, wiederholen sich die Muster des Galeriegeländers beim Treppengeländer. Auch hier ein interessantes Farbenspiel. Stufen, seitlich weiß, aber mit dunkler Trittfläche, helle Stoßkanten und silbrig glänzende Geländerläufe, weiße Wände kontrastieren mit dunklen Decken, deren Flächen wiederum aufgelockert werden durch abgesetztes Weiß.
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Schon beeindruckend – oder wie empfinden Sie es?
Wir werden den Laeiszhof jetzt wieder verlassen. Das, was es zu sehen gab, ohne die darin arbeitenden Menschen zu stören, haben wir entdeckt. Wir nehmen dieselbe Tür, durch die wir das Haus anfangs betreten haben. Schauen Sie bitte einmal, wie wunderschön sie im Licht kupfern glänzt.
Hätten Sie gedacht, dass dies die Innenseite jener Tür ist, die von außen relativ schlicht, matt, kühl und etwas dunkel wirkt?
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Lassen Sie sich nie von Türen narren! Und denken Sie nie, sie wären garantiert verschlossen und alles wäre zwecklos!
Kontorhäuser sind wesentlich öfter offen und damit zugänglich als Kirchen!
Mein unverbindlicher Tipp: Nehmen Sie sich ein Herz und versuchen Sie einfach beherzt, ob die Klinke sich herunterdrücken lässt …
Jetzt überlasse ich Sie wieder Ihren eigenen Vorhaben und verrate Ihnen nur noch, dass ich Ihnen beim nächsten Mal ein recht interessant ausgestattetes Foyer und Treppenhaus in einem Kontorgebäude am Neuen Wall zeigen möchte. Es wird weiterhin um die Frage gehen, warum der Mensch gelegentlich ganze Häuser(-fassaden) komplett übersieht.
Mehr dazu demnächst im Blog (Teil III der Serie)
PS: Meine Ankündigung, es gäbe ab Teil II keine langen Texte mehr … Es ist nicht ganz machbar. Das Thema erfordert ein wenig Text, und meine blinden Blogbesucher sollen schließlich auch eine Vorstellung haben.
Ich hoffe auf Ihr Verständnis.
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©August 2012 by Michèle Legrand
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Wer den Anfang der Serie verpasste, findet hier den Weg zu vorangegangenen Posts:
-> https://michelelegrand.wordpress.com/2012/08/17/demnachst-im-blog-hamburgs-kontorhauser-eine-kleine-einfuhrung-fur-sie/
-> https://michelelegrand.wordpress.com/2012/08/20/stilvolle-treppenhauser-schone-fassaden-eigenwilliges-interieur-der-charme-hamburger-kontorhauser-teil-i-darf-es-etwas-basiswissen-sein/
Stilvolle Treppenhäuser, schöne Fassaden, eigenwilliges Interieur – der Charme Hamburger Kontorhäuser / Teil I – Darf es etwas Basiswissen sein …?
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Allgemein, Artikel, Auf Entdeckung - Unterwegs im In- und Ausland (s. dazu auch weitere Spezialkategorien), Foto, Hamburgs Kontorhäuser am 20/08/2012
Heute wird es ernst! Seit wann, wie und wozu gibt es überhaupt diese Kontorhäuser? Wir befassen uns näher mit dem Thema und aus der Einleitung zur neuen Blogserie vom 17.08.2012 wissen Sie … es gibt Text!
Uff …
Ach, kommen Sie!
Es hat doch keiner etwas gesagt von Lexikonstil, Einbläuen, Frontalunterricht etc. Das heißt, verschieben Sie das Gähnen noch ein wenig. Doch, doch! Ich erwarte, dass Sie hier fit sind und mitdenken!
Nein, nur Spaß! Entspannen Sie sich wieder.
Wie aktiv oder passiv Sie dabei sind, ist allein Ihre Sache, nur ich weise gern darauf hin, dass ein gewisses Hineinversetzen und Miterleben alles viel interessanter macht und Sie vieles mit anderen Augen sehen lässt. Völlig anders, als wenn Sie Ihre Schotten dichtmachen, Arme verschränken, Lippen zur Flunsch verziehen und denken:
So, soll die mal machen …!
Vielleicht war das jetzt psychologisch unklug. Sie zu verschrecken, meine ich. Aber andererseits stellen Sie möglicherweise gerade fest:
Mensch, ich bin noch wach!
Und somit können wir starten.
Kontorhäuser
Kontorhäuser sind besonders. Sie bergen oft Geheimnisse, und keins ist wie das andere. Sie weisen Unerwartetes auf, sie enthalten sehr persönliche Elemente, sie vermögen es zu überraschen, zu verblüffen und zu begeistern!
Man sagt, es gibt in Hamburg ungefähr noch 200 dieser Gebäude. Der alten. Es hat natürlich auch eine Art Renaissance stattgefunden, und neue Häuser mit dieser Bezeichnung kamen in den 1990er Jahren hinzu. Die ursprünglichen Bauten sind nicht alle im Originalzustand erhalten, doch die Tatsache, dass viele, vom Krieg erheblich getroffene, wieder hergestellt wurden, zeigt, dass sie etwas haben müssen, was die Mühe lohnt.
Was denken Sie?
Lohnt es auch die Mühe, ein wenig mehr zurückzuschauen, um zu verstehen, was ihr Sinn und Zweck war und ist? Zu forschen, warum es sie gibt, und warum sie so sind wie sie sind?
Glauben Sie, es könnte Ihnen gelingen, sich gedanklich in eine Zeit zurückzuversetzen, die etwa 130 Jahre zurückliegt? Genaugenommen müssen wir noch weiter zurückgehen …
Versuchen Sie es bitte.
Blenden Sie Modernes aus, überhören Sie typische Geräusche von heute. Setzen Sie Ihren Zylinder auf, knöpfen Sie den Gehrock zu bzw. richten Sie die Rüschen Ihres Kleides, schlüpfen in die seidenen Handschuhe und spannen Sie das Sonnenschirmchen auf. Wir promenieren und schauen.
Vorsicht, dort liegen Pferdeäpfel!
Städte, dicht besiedelte Räume. Sie sahen nicht immer so aus, wie wir sie heute kennen.
Natürlich, werden Sie denken, das ist mir schon klar …
Wo, an welchem Punkt jedoch ein Umschwung stattfand, ein Umdenken begann, sich etwas Neues seinen Weg bahnte, wird in dem Moment, in dem Sie ein Haus – im Grunde genommen jegliches Bauwerk – betrachten, häufig außer Acht gelassen. Dabei ist dieser Punkt (z. B. ein bestimmtes Ereignis) die Ursache für seine Existenz und ursprünglich oft sogar alleiniger Grund für sein Dasein in genau dieser und keiner anderen Form!
Städte haben sich entwickelt. Sie haben sich angepasst an die äußeren Umstände und Gegebenheiten, an wirtschaftliche Erfordernisse, an veränderte Bevölkerungszahlen, an technische Entwicklungen. Gelegentlich gab es erforderliche Veränderungen erst als Reaktion auf vorausgegangene, schmerzliche Erfahrungen. Sie wissen schon, dieses „aus Schaden wird man klug“ Ding.
Um bei dem konkreten Beispiel Hamburg zu bleiben:
Im Südosten der Stadt herrschte bereits seit dem 17. Jahrhundert eine sehr enge Bebauung. Dem ein oder anderen ist vielleicht der Begriff „Gängeviertel“ vertraut. Lauter schmale Gassen, Twieten und natürlich die Fleete. Die Fläche der ursprünglichen Altstadt war naturgemäß begrenzt, doch zu dieser Zeit erfolgte genau dort der Zuwachs, und im Alltag der Menschen spielte sich das weitaus meiste genau dort ab. Hier wurde nicht nur gelebt, hier wurde gleichzeitig gewerkt, gehandelt und gelagert. Ein Großteil der Warentransporte erfolgte über die Fleete direkt bis ans Haus.
Sie können sich vorstellen, dass dies nicht nur ein Idyll war …
Hören Sie das Klappern von Hufen auf dem Kopfsteinpflaster? Das Quietschen von Rädern eines Leiterwagens?
Ja, stimmt, es riecht sehr muffig hier. Es kommt vom Fleet. Hier werden noch die Abwässer hineingeleitet, und es ist warm im Moment. Nehmen wir lieber den Weg auf der anderen Seite, weg vom Wasser …
Moment, lassen Sie eben den Herrn mit dem Kohlensack durch! Er hat ziemlich schwer zu schleppen!
Kommen Sie, wir gehen hier entlang …
Achtung! – Ja, ich meine Sie! – Ihr Saum schleift im Dreck!
Man hockte aufeinander wie die Sardinen in der Büchse und hatte seine erheblichen Probleme mit der Hygiene allgemein und der Wasserreinheit im Speziellen.
Warum sollte es seinerzeit anders gewesen sein als heute in Bezug auf Entscheidungen; man konnte sich damals zwischen Senat und Bürgerschaft lange nicht auf eine Filteranlage einigen und entnahm daher das Wasser weiterhin ungereinigt aus der Elbe – todesmutig, samt aller Bakterien!
Nein, nicht trinken! Schütten Sie das weg! Wir sind noch nicht wieder in der heutigen Zeit!
Der Große Brand in Hamburg von 1842, der nur unheimlich schwer unter Kontrolle zu bringen war – erst nach vier Tagen und erheblichen Zerstörungen – war die Ursache für weitere Wohnungsnot und führte zu einer zusätzlichen Konzentration der Bebauung.
In diesem Jahrhundert hatte man bereits mehrmals unter Cholera-Ausbrüchen gelitten, doch erst die Epidemie von 1892 führte dazu, dass man sich mehr als nur schöne Gedanken über eine Sanierung des Gebietes machte.
Die Speicherstadt mit ihren vielen Lagermöglichkeiten entstand bereits ab 1883. Das Freihafengebiet wurde geschaffen. Dadurch gewann man ein wenig Übung mit der Umsiedlung größerer Teile der Bevölkerung. Es wurde danach vielerorts nötig.
Kommen Sie ein Stück in diese kleine Nebengasse. Es ist gerade sehr laut durch den Baulärm, der hier herrscht.
Stellen Sie sich vor, wie die Entwicklung voranschreitet, das Eisenbahnwesen neu geordnet wird, der U-Bahn-Bau beginnt – neue Straßen notwendig werden. Der Handel floriert, die Hygiene wird besser, die Stadt wächst weiter. Man beschließt einerseits eine hafennahe Wohnbebauung, anderseits beginnt parallel das kontinuierliche Erobern neuer Flächen im nördlichen bis dato noch unbebauten Raum für Wohnzwecke. Die Außenalster hat ihren Namen übrigens daher, dass sie damals tatsächlich noch außerhalb der Stadt lag und die Bürger erst nach und nach die heutigen nördlichen Stadtteile Rotherbaum oder Uhlenhorst etc. besiedelten.
War zuvor schon der Bereich Lagerung im Wohnbereich nicht mehr üblich, so fand jetzt auch eine Trennung zwischen Wohnen und Arbeiten statt.
Die Kaufmannschaft in Hamburg können Sie sich zu diesem Zeitpunkt als aufstrebend vorstellen, denn mittlerweile hatte es den Zollanschluss gegeben. Ihr Einfluss auf sowie ihr Wirken für die Stadt war nicht unerheblich, so war es logisch und folgerichtig, dass die seinerzeit Zuständigen sich Gedanken machten, wie sie dem Raumbedarf der Kaufleute Rechnung trugen.
Ihre Lösung lautete: Kontorhäuser.
Wir haben zwei Bereiche in Hamburg, in denen sehr konzentriert Kontorhäuser anzufinden sind.
Im eigens geschaffenen Kontorhausviertel im Südosten den Stadt sowie im Westen der Stadt im Bereich der Straßen Neuer Wall, Große Bleichen, Poststraße, Hohe Bleichen etc.

Hamburgs Kontorhäuser – Anschauungs- und Tastmodell der Stadt von Egbert Broerken mit hinzugefügter Beschriftung
Dies schließt nicht aus, dass sie weitere einzelne Bauten überall in der City verstreut antreffen.
Im Endeffekt mussten auch dafür Bewohner weichen und umsiedeln. Irgendwie schien es eine Zeit lang praktischer, die Innenstadt mehr und mehr für das Arbeiten, Kaufen, Handeln zu nutzen und das Wohnen weiter zu verdrängen. Die Folge kennen Sie: Innenstädte, die mit Laden- bzw. Büroschluss absolut tot sind. Hochgeklappte Bürgersteige …
Viel, viel später erst folgten hier eine Kehrtwendung und die Bemühungen zur Wiederbelebung der ausgestorbenen Innenstädte …
Lassen Sie uns ein Stück den Jungfernstieg entlanggehen. Der typischen Flaniermeile. Gesehen werden auf der Promenade …
Wussten Sie, dass es unheimlich fein war, wenn man g a n z … l a n g s a m … g i n g? Es geht ein Gerücht, dass Sie sich dem Tempo einer Schildkröte anzupassen hatten.
Bitte? Ihre Schildkröte rennt grundsätzlich?
Nun, ich bin nicht sicher, ob Sie mit dieser Ausrede durchgekommen wären.
Und noch etwas, was Sie vielleicht sehr entrüstet, wenn Sie es hören, ist folgende Legende:
Wenn die Damen der Gesellschaft in eben jenem Tempo graziös auf dem Jungfernstieg entlangpromenierten, gesellten sich häufig die Herren dazu und parlierten, was das Zeug hält. Manchmal kamen Sie dadurch zu spät zur Börse, die ihren festen Termin hatte.
Ein Ärgernis, ein Problem, das es zu beheben galt.
Was meinen Sie, wie die Lösung aussah? Hm?
Nein, die Herren wurden nicht ermahnt! Niemand raunte ungeduldig:
Herr Bankier Schröder, jetzt beenden Sie sofort Ihr Gesäusel und kommen gefälligst in die Puschen!
Oh nein! Stattdessen wurde den Damen für die bewusste halbe Stunde vor Börsentermin sehr nahegelegt, das Promenieren zu unterlassen, da sie mit diesem unerhörten und absolut inakzeptablen Tun die selbstredend völlig unschuldigen Herren ablenkten!
Wir werden eine kurze Pause einlegen. Solange, bis sich die leichte Empörung einzelner, offenbar weiblicher Leser, wieder etwas gelegt hat. Ich höre hier jemanden grummeln …
Und werte männliche Bloggäste: Es gibt keinen Grund zu grinsen!
Himmel, wir sind von den Kontorhäusern abgekommen! Konzentration!
Unter Kontorhäusern versteht man reine Bürogebäude, die zwischen 1886 und 1938, meist in den norddeutschen Hafenstädten gebaut wurden. So auch in Hamburg. Charakteristisch für sie ist, dass sie als Stahl- und Betonbauten (ganz am Anfang noch Eisen- und Betonbauten) erbaut sind, die im Kontorhausviertel Klinkerfassaden haben. Dort sind die Häuser recht dominant, groß (oft mehrflügelig) und jedes Bauwerk hat seinen doch sehr individuellen Charakter.

Hamburgs Kontorhäuser – Das Chilehaus (Backsteinexpressionismus) mit seiner markanten Form …Das Motiv wurde sogar für eine 40-Pf-Briefmarke der Post verwendet
Die Kontorhäuser, die ab ca. 1896 bis zum Ersten Weltkrieg im Westen der City entstanden, haben hingegen vorne sehr häufig eine Sandsteinfassade, die Rückwand wurde aus einfachem Backstein errichtet.
Ihnen allen gemein ist ein regelmäßiger Grundriss und meist ca. fünf bis sieben Etagen. Für damalige Verhältnisse schon relativ hohe Bauten. Daher finden Sie oftmals Staffelgeschosse, d. h. die oberen Geschosse sind treppenförmig zurückversetzt, was eine optische Aufweitung erwirkt (dazu noch eine Anmerkung in einem späteren Teil der Serie).
Gut, dass wir gerade am Jungfernstieg stehen, so kann ich Ihnen anhand eines Bildes des Gutruf-Hauses (in dem jetzt auf der Jungfernstiegseite die Fa. Apple ihren Store eingerichtet hat) etwas über die vielfach gewählte Konstruktionsart erzählen.
Sie finden bei Kontorhäusern ein Pfeilersystem vor, was bedeutet, dass aufgrund des Stahl- und Betonbaus die Möglichkeit gegeben ist, mit diesem System die Außenwände als tragend zu konstruieren und auf tragende Wände im Innern zu verzichten. Bei gleichmäßiger Verteilung der Fensterflächen, gewährt man somit die größtmögliche Flexibilität bei der Bestimmung von Raumgrößen und –formen. Das ist überaus wichtig gewesen, da es sich fast immer um Zusammenschlüsse von Kaufleuten handelte, die mit ihren verschiedenen Unternehmen unterschiedlicher Größe dort einzogen.
Das Merkmal eines Kontorhauses ist, dass es nie von einer Firma allein bezogen wurde – sonst war es kein Kontorhaus!
Heute gibt es diese strenge Regel für die restaurierten bzw. sanierten Kontorhäuser nicht mehr – die Bezeichnung hingegen ist geblieben.
Das Wort Kontorhaus geht übrigens zurück auf das franz. „comptoir“ (Zahltisch) bzw. das engl. „counting (room)“ (Zählraum). Kontor selbst hat etwas differierende Bedeutungen, doch wir wenden es hier auf die Häuser bezogen im Sinne von Bürogebäude an.
Auch wenn es sich oft lediglich um die Außenwände und das Treppenhaus handelte, die nach dem Krieg stehengeblieben waren, so hat man dennoch in den letzten Jahrzehnten alles darangesetzt, stilgetreu zu rekonstruieren und neu aufzubauen. Damals hatten die Erbauer je nach Zeitgeschmack die Fassaden und die beeindruckenden Foyers und Treppenhäuser in der Art der Neo-Renaissance, des Expressionismus, der Reformarchitektur oder auch des Jugendstils gestaltet. Die Neugestaltung erfolgte nach diesem Vorbild und durch die besondere Vielfalt der Stile ist jedes Haus heute wieder eine Entdeckung für sich.
Denkmalschutz besteht darüber hinaus für die weitaus meisten Bauten seit 1999.
Ich habe Ihnen im Blog bereits im letzten Jahr das Levante-Haus ein wenig näher gezeigt, welches durch seinen Umbau allerdings viele neue Elemente bekommen hat und heutzutage eine andere Funktion als ursprünglich ausübt. Es beherbergt z. B. ein Hotel sowie eine Ladenpassage.
Die Kontorhäuser, die hier im Blog in der nächsten Zeit ihr Herz erobern könnten, sind auch heute noch Gebäude, in denen Firmen aller Branchen, Arzt-, Notar- und Rechtsanwaltspraxen oder auch Honorarkonsulate, honorige Clubs etc. ihren Sitz haben. Im Westen der Stadt, den heutigen „besseren“ Einkaufsvierteln, sehr häufig mit Geschäften und großflächigen Schaufensterfronten auf Straßenhöhe oder bis in den zweiten Stock.
Sie werden sicher überrascht sein, was es alles gibt, wenn sich die schweren Eingangstüren dieser Häuser für Sie öffnen. Kontorhäuser dienten nämlich nicht einzig und allein als Tagesherberge für arbeitswütige Kaufleute, sondern sie hatten Repräsentationscharakter. Man zeigte, was man hatte, zeigte, wie gut es einem ging, dass die Geschäfte florierten.
Vermutlich erahnen Sie jetzt auch, warum die Rückwände nur aus Backstein waren. Was scherte schon die rückwärtige Ansicht? Der Besucher kam von vorne …
Wir hingegen kommen zum Ende. Was ist nun also der Nutzen dieser Häuser? Warum haben Sie sich in gewisser Weise durchsetzen können?
Sagen wir einfach: Die Zeit war reif, und es war enorm praktisch. Der technische Fortschritt war noch nicht so weit gediehen, dass Verständigung über größere und selbst kleinere Entfernungen schnell und unkompliziert möglich war. Das Telefon hielt erst sehr viel später Einzug in die Kontore.
Im einem Zeitalter, in dem elektrische Telegrafenlinien genutzt wurden, gemorst wurde, sich erst ab 1894 langsam die Schreibmaschine in den Büros verbreitete, war es von unschätzbarem Wert, wenn Kaufleute ihre Handelsgeschäfte durch günstige Lage zueinander, schnelle Erreichbarkeit und bestmögliche Kommunikation untereinander erleichtern und beschleunigen konnten. Wenn sie Erfahrungen austauschen, Absprachen treffen, Informationen weitergeben, Papiere schnell weiterleiten konnten.
Bitte? Post?
Sicher, natürlich wurde schon Post auf den Weg gebracht. Nur Schriftstücke konnten, mussten aber nicht notgedrungen schnell eintreffen. Auch das ist heute nicht anders als damals …
Es machte vieles einfacher, wenn es im Erdgeschossbüro eines Kontorhauses nach dem Diktat nur eines kleinen Auftrags seitens des Chefs bedurfte:
Fräulein Stahmer, gehen Sie damit nachher gleich in den 2. Stock zum Sloman und lassen das von ihm gegenzeichnen!
Den Namen Stahmer mit einem hamburgisch-hanseatisch spitzen St gesprochen.
Fräulein S-tahmer.
Sie oder der Commis Hansen sprangen kurze Zeit später pflichtgemäß mit den Unterlagen in den Paternoster und rumpelten nach oben.
Wissen Sie was?
Genau das werde ich im nächsten Teil der Blogserie über Kontorhäuser mit Ihnen machen!
Ein sehr schönes Haus besuchen und Paternoster fahren!
Und atmen Sie durch, die Zeit der langen Texte ist vorbei …
Sie waren übrigens sehr tapfer heute. Schön, dass Sie durchgehalten haben! ^^
PS: JETZT dürfen sie gähnen.
Zum Abschluss noch ein Appetizer-Foto:

Hamburgs Kontorhäuser – Das Treppenhaus im Ludwigshof – Hohe Bleichen 19 (Dieses Haus wird noch separat im Blog vorgestellt)
Anmerkung/Quelle:
Als Quelle für Jahresdaten und Konstruktionsdetails habe ich größtenteils Wikipedia zu Rate gezogen. Der Rest ist meiner Feder (Tastatur) entsprungen.
©August 2012 by Michèle Legrand