Beiträge getaggt mit Geschichten / Menschliches Verhalten
Wieder aufgetaucht …
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Allgemein, Artikel, Kurze Geschichten am 06/01/2021
Es geht weiter. Ein herzliches Hallo an alle Leser, und speziell an die Stammleser gerichtet der Hinweis, ich verzichte zum Einstieg auf großartige Erklärungen zur Auszeit. Die vergangenen Monate und die Umstände allgemein waren für mich und das Blog schreiben wenig geeignet. Belassen wir es bitte dabei.
Aber wie sieht es bei Ihnen aus? Ich hoffe, Sie haben sich bisher gut durch die Pandemie geschleust, konnten sich fürs Virus erfolgreich unsichtbar machen oder – wenn Ihnen dies nicht glückte – sind Sie inzwischen hoffentlich wieder gesundet.
Wieder aufgetaucht …
… heißt es hier heute nicht nur aufgrund der Rückkehr zum Blog. Sie werden es gleich merken. Doch bevor ich starte, noch eines vorweg:
In Zukunft werde ich Ankündigungen für besondere Themen oder Projekte tunlichst vermeiden. Man sieht ja sehr schön, dass es mit der Ausführung der Vorhaben – zumindest in Pandemie-Zeiten – nicht so weit her ist. Ehe ich jemanden durch die Beschreibung oder Bilder von empfehlenswerten, mich begeisternden Plätzen dazu anrege, während Corona-Zeiten genau dorthin aufzubrechen, verzichte ich lieber und widme mich momentan in eher kleinen Beiträgen den alltäglichen Dingen.
Obgleich sich als Konsequenz auf die quasi auf Null zurückgeschraubten Kontakte und das Verweilen daheim die erwähnenswerten Anlässe zum Schreiben wohl eher sporadisch ergeben. Erbauliche Anlässe, wohlgemerkt. Für die bin ich einfach mehr zu haben. Sobald sich fortan etwas in dieser Richtung bietet, werde ich es nutzen.
Verschwunden …
Es ist schon etwas her, als mir einer meiner Nachbarn beim Heimkommen auf der Straße begegnete. Es sah aus, als kehrte er von einer kleinen Radtour zurück. Ich winkte zum Gruß, da stieg überraschend ab und erzählte mir merklich erregt, er käme vom Polizeirevier. Man hätte nachts sein Auto gestohlen! Den Diebstahl hätte er gerade angezeigt, die Versicherung wüsste auch schon Bescheid.
Ich war sehr überrascht, wir hatten hier in all den Jahren kaum derlei Vorkommnisse. Ich erinnere mich nur an vier gestohlene Radkappen vor mindestens 20 Jahren. (Übrigens auch seine.) Doch er verriet mir, dass der Nebenanfamilie einst der Wagen geklaut wurde. Auch schon acht bis zehn Jahre her. Den hätte man Wochen später in Finnland wiederentdeckt!
Sich selbst machte er keine zu großen Hoffnungen, und was ihn ganz besonders ärgerte, war die Tatsache, dass er ausgerechnet dieses eine Mal bereits am Vorabend seine komplette Golfausrüstung in den Kofferraum gepackt hatte, um morgens möglichst schnell zu einer Veranstaltung aufbrechen zu können.
Auch alles weg. Schöner Mist!
Mich beschäftigte die Sache gedanklich noch etwas, weil die hier stehenden Mietgaragen abgerissen werden und sämtliche Mietverträge zum Oktoberende gekündigt wurden. Unser Auto befindet sich daher seitdem nicht mehr in der Garage, sondern auch an der Straße.
Wenn das jetzt hier mit Diebstahl losginge, na, dann gute Nacht.
Ein paar Tage später erspähte ich einen sich nähernden Kombi gleichen Modells und gleicher Farbe, mit dem besagter Nachbar vor dem Haus einparkte.
Oh, hatte er einen Leihwagen dieser Art ergattert? Leider ließ sich das Kennzeichen aus dem Blickwinkel nicht erkennen …
Wieder zwei Tage später spazierte ich am parkenden Auto vorbei. Tatsache, sogar das alte Kennzeichen!
PKW-Anmeldungen sind momentan nur mit viel Verzögerung möglich, daher konnte ich mir in der Kürze der Zeit keinen neu erstandenen Ersatzwagen samt Wunschkennzeichen vorstellen. Hatte man den gestohlenen so schnell aufgespürt? Dann hätte er aber wirklich Glück gehabt …
Zwei Wochen darauf liefen wir uns an der Einbiegung zur Sackgasse über den Weg. Nach dem „Guten Tag!“ sprach ich ihn kurzentschlossen an:
„Na, Herr X., sagen Sie bloß, die Polizei konnte Ihr gestohlenes Auto ausfindig machen!“
Er wand sich einen Moment. Zögernd, leicht errötend vertraute er mir an:
„Mir ist das so peinlich!“ (Stellen Sie sich das „so“ mit fünf „o“ vor.)
Fragender Blick meinerseits.
„Es war überhaupt nicht geklaut! Das ist mein altes Auto, es war überhaupt nicht weg!“
Es stellte sich heraus, er hatte einen dieser Abstellplätze gehabt, bei denen das Fahrzeug im 90-Grad-Winkel zum Gehweg bzw. zur Straße steht. Links davon hatte ein großer Transporter geparkt, rechts davon auch. Die hatten ihn dermaßen eingekeilt, dass sein um einiges kürzerer Wagen dazwischen komplett verschwunden war. Er hatte ihn jedenfalls am nächsten Morgen nicht gesehen. Von seinem Standpunkt aus hatte es den Eindruck vermittelt, als stünden die beiden Transporter unmittelbar nebeneinander.
„Herr Y. (sein direkter Nachbar) kam in dem Moment auch aus dem Haus“, erzählte er weiter, „merkte mir wohl meine Aufregung an, suchte sofort mit – doch er hat auch nichts gesehen! Was mich natürlich in meinem Irrglauben bestärkte, dass Ding wäre geklaut.“
Ich musste schmunzeln. Bemühte mich, es sehr diskret hinzubekommen und versuchte, etwas Mitgefühl mit einzubauen. Da er die schlimmste Beichte bereits hinter sich hat, sprudelte es nun nur so aus ihm heraus:
„Meine Güte, was habe ich für einen Aufstand gemacht und was für ein Heiopei bei der Versicherung! Und dann hinterher“, er musste selbst lachen, „als ich den Irrtum erkannte, was bin ich da hingeschlichen! Zur Polizei, zur Versicherung … So klein mit Hut!“
Er machte eine entsprechende Geste mit Daumen und Zeigefinger.
„Wann haben Sie Ihr Auto eigentlich wiederentdeckt?“, frage ich neugierig.
„Am übernächsten Morgen. Da waren die Transporter weg, und mein Auto dafür da. So peinlich!“ (So mit sechs „o“.)
„Ach, grämen Sie sich nicht“, tröstete ich ihn. „Seien Sie froh, dass Sie Ihr Auto wiederhaben. Inzwischen ist doch sicher alles geregelt. Haken Sie die Angelegenheit einfach ab und freuen sich! Auch über die Golfausrüstung, die nie weg war.“
Er sieht es mittlerweile ebenso, nur wird sicher bei zukünftigen Vorkommnissen ähnlicher Art wesentlich genauer nachschauen, ob sich sein Auto eventuell nur „kleingemacht“ hat.
Aber ist es nicht sympathisch, dass er sein temporäres Blindsein und seine Verlegenheit eingestand und sich nicht zur Ehrenrettung irgendwelche hanebüchenen Stories für die Mitmenschen ausdachte?
.
© by Michèle Legrand, Januar 2021

Sammelleidenschaft …
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Allgemein, Artikel, Foto, Geschichten / Menschliches Verhalten am 29/07/2016
Ich kam diese Woche in meinem Viertel an einer Apotheke vorbei. Die Auslage im Schaufenster war auf das Thema Urlaubszeit zugeschnitten. Was sollte man vor dem Aufbruch in die Ferien bedenken, was für alle Fälle in seiner mobilen Reiseapotheke mit dabei haben. Was tun im Fall von Reisekrankheit? Sie kennen bestimmt auch Leute, die im Flugzeug grün werden …
Gestatten Sie mir eine Frage, bevor ich fortfahre? In der Auslage Ausgestelltes bringt mich gerade darauf.
Sind Sie Sammler? Oder haben Sie früher einmal eifrig bestimmte Dinge zusammengetragen?
Vielleicht werden Sie jetzt fast unmerklich die Brauen heben und sich fragen, was genau gerade mit Sammeln gemeint ist. Aktiv sammeln? Intensiv und ernsthaft? Nur zum Betrachten oder auch zum Benutzen? Oder geht
es eher um das etwas gebremste, passivere Sammeln, d. h. ein unaufgeregtes Zugreifen, wenn es sich gerade
so ergibt und einem etwas über den Weg läuft? Keine Recherche vorab, kein Suchen nach neuen Quellen?
Ein gewisser Sammeltrieb, aber keine Sammelwut?
Schließlich die Frage, welche Sammelobjekte überhaupt zur Debatte stehen. Matchbox-Autos? Tote Fliegen? Hubschrauber? Alte Fliedersorten? Fahrradklingeln? Toaster? Der SPIEGEL?
Sie haben völlig recht, wir sollten es konkretisieren.
Ich meine zum einen nicht dieses sich von nutzlosem oder altem Plunder nicht trennen können oder gleichgül-
tiges und nahezu wahlloses Aufbewahren bis in alle Ewigkeit. Also kein Sammeln im Sinne von horten! Dabei entsteht höchstens eine Faulheits- und Raumzustellsammlung oder – sobald es krankhafte Züge annimmt (Stichwort Messie) – bei Zwangssammelitis mit Stapelmanie eine zunehmende Vermüllung.
Streichen Sie gedanklich also bitte sämtliche Zeitungsstapel, Kartonagen und Pfandflaschen im Keller oder sonstige „gesammelten“ Dinge, die einfach noch da sind, weil sich bisher keiner erbarmte, sie zu entsorgen.
Es muss schon etwas sein, was mit Kalkül zusammengesucht wurde und für den Erhalt gedacht ist.
Ich meine zum anderen hier und heute ebenfalls nicht das Sammeln von berühmten Gemälden, einmaligen Antiquitäten, Riesendiamanten, historischen Erstauflagen, extrem seltenen Oldtimern, Luxusyachten oder ähnlichen Objekten, für deren Erwerb jemand zunächst Milliardär sein müsste, um dann aus dieser Situation heraus, gewissermaßen unter Druck geraten, forsch und sammelwütig loszulegen, weil das Kapital ja irgendwie angelegt werden muss.
Mir schwebt noch nicht einmal das Sammeln überhaupt gekaufter Waren vor. Vergessen Sie daher ebenfalls Überraschungseier, Diddl-Maus-Schreibblöcke, CDs, Star-Wars-Fanartikel, Handys, Handtaschen/Schuhe bestimmter Hersteller, Hutnadeln, Zinnfiguren, Teddybären, Sonnenbrillen, Krimis, Fingerhüte, Kuhglocken etc.
Was dann noch bleibt?
Es geht um das Ansammeln von Gegenständen, die nahezu kostenfrei zu beziehen sind. Ich denke an eine lässig bis eifrige Kollektion von Gratisbeigaben, Proben, Werbeartikeln oder von nicht direkt Abfall, aber doch zumindest bestimmten Überbleibseln eines Produkts.
In diesen Bereich gehören ganz eindeutig ebenso die Dinge mit Erinnerungswert wie Ansichtspostkarten, erhalten von urlaubenden Familienangehörigen, Freunden und Bekannten. Genauso zählen dazu die Tickets besuchter Konzerte, entwertete Fahrkarten (Rom), Eintrittsbelege (Louvre), Fremdwährung in Münzform (Einzelstücke – als Reiseandenken und weil das Motiv schön ist) …
Mögliche weitere Sammelobjekte wären die unterwegs ergatterten Streichholzheftchen und -schachteln, Bierdeckel, Korken, alte Telefonkarten, zusammengetragene Rezepte, aber auch Banderolen von Zigarren. Ach ja, und es gelten sämtliche Sammelteile natürlichen Ursprungs, seien es nun Milchzähne, Haarlocken oder etwas aus der freien Natur wie Kiesel, Hühnergötter, Lavabrocken, Muscheln, Federn, Blüten und Blätter, bizarr geformte Wurzeln, Kastanien, Fossilien …
Wir haben es inzwischen ziemlich stark eingegrenzt. Somit müsste die eingangs gestellte Frage nun korrekt so lauten: Haben oder hatten Sie eine Schwäche für bestimmte Dinge, die zu sammeln für Sie absolut keine hohen Ausgaben nötig machte? War der Wunsch danach so ausgeprägt, dass Sie zumindest eine Zeitlang auf Beutezug gingen?
Lassen Sie mich raten …
Haben Sie Duploriegel geplündert und die Sticker gesammelt? Die Blumen von der Pril-Flasche gepult?
Kleine Figuren aus Cornflakes-Packungen gerettet? Nein? Dann haben Sie womöglich ganz bestimmte Briefe mit seidenen Bändern umwickelt und in liebevoll verzierten Kartons aufbewahrt. Auch nicht?
Ich hab’s! Sandproben! Haben Sie die archiviert? Eher Wolkenfotos? Eventuell haben Sie ja auch sämtliche Artikel zu Ihrem Leib- und Magenthema ausgeschnitten und in Ordner geklebt. Penibel gelistet. Ja?
Sie müssen nichts ausplaudern, wenn es ein Geheimnis bleiben soll, aber ich verrate Ihnen zwei, drei Beispiele der Kategorie „nahezu kostenfrei“, die ich als Kind und Jugendliche gesammelt habe bzw. in späteren Jahren eine Weile reizvoll fand, das Sammeln allerdings ab einem gewissen Zeitpunkt nicht weiter verfolgte. Sie werden das Warum mit Sicherheit gleich besser nachvollziehen können.
Es fing ganz bescheiden an. Ich hob als Kind irgendwann einige Briefmarken auf. Hatte sie zunächst in einer Art Schatzkästchen. Nach einer Weile gesellte sich ein kleines Album zum Aufbewahren hinzu. Als meine Oma auf meine Vorliebe aufmerksam wurde, erhielt ich von ihr die Marken aller Briefe, die ihre Schwester ihr regelmäßig aus der ehemaligen DDR schickte. Dort gab es neben den – wie bei uns damals fast ausschließlich üblichen – meist recht nichtssagenden Politikerköpfen (oft als Zeichnung) oder etwas hölzern wirkenden Bildchen mit geometrischen Mustern außerdem jede Menge wirklich schöner Pflanzen- und Tiermotive. Ganze Serien! Ich würde durchaus behaupten, dass ich Vogelarten anfangs hauptsächlich durch die Abbildungen auf ostdeutschen Briefmarken kennengelernt habe.
.
.
Als Anni, Omas Schwester, hörte, was mich erfreute, bekam ich noch einige Marken extra. Das waren die, die sie daraufhin in ihrer Familie sammeln ließ und zusätzlich in das Kuvert legte. Was den Brief natürlich schwerer und das Frankieren teurer machte und folglich automatisch die Anzahl der Marken darauf noch einmal erhöhte.
Ich habe nie profimäßig gesammelt. Nie einen festen Plan gehabt, als Kind zumindest nie eine Pinzette benutzt, keine druckfrischen Blöcke bevorzugt, nie den MICHEL-Katalog gefilzt, um Preise zu prüfen. Oh, ich war durchaus vorsichtig mit ihnen, aber der Zackenrand interessierte mich nicht so brennend. Ich schaute mir einfach gern die Motive nach Themen sortiert im Album an. Es formten sich spontan kleine Geschichten im Kopf …
Später war es meine Mutter, die lange Zeit aus dem Büro einer Schuhimportfirma Briefmarken mit nach Hause brachte. Von da an waren Marken aus Italien und ebenfalls bunte und phantasievolle Motive aus dem asiatischen Raum angesagt. Ich fand es immer wieder verblüffend, wie unterschiedlich die Motivauswahl der einzelnen Länder ausfiel.
Meine Oma hatte das Sammeln irgendwann so verstanden, dass sie meinte, sie würde mir mit zusätzlich im Fachhandel gekauften, zellophangeschützten Marken eine Freude zum Geburtstag machen, doch ich konnte sie gerade noch davon abbringen.
Das wollte ich gar nicht!
Ich hatte nie den Ehrgeiz, Serien komplett zu bekommen. Ich empfand auch keinesfalls den Drang, meine Sammlung unbedingt auf Philatelistentreffen zu erweitern oder dort zu tauschen. Ich verschenkte Duplikate unter Schulfreunden und das war’s. Wenn von ihnen jemand im Gegenzug eine für mich hatte, umso besser. Doch es war keine Bedingung. Es ging auch nie um „Wertausgleich“. Ich freute mich einfach riesig über ein besonderes Motiv, und es war mir herzlich egal, aus welchem Land die Marke kam, ob es sie häufig oder selten gab und ob ein richtiger Sammler diese belächelte oder nicht.
Wenn mir ein Bild extrem gut gefiel, dann hob ich die Marke selbst dann auf, wenn sie leicht eingerissen war. Ooooh! BANAUSE! Ja, ja, ich weiß … ^^ Nur jeder hat eben seine eigenen Prioritäten, und Sammeln hat schließlich stets mit Liebhaberei zu tun, aber nicht zwangsläufig immer mit Perfektionismus.
Sammeln hat für mich übrigens ebenso mit entspanntem Zeitvertreib zu tun. Mich hat es amüsiert, wenn ich beim Anschauen meiner Neuzugänge entdeckte, dass Boris Becker auf einer Marke aus Paraguay zu sehen war …
.
.
Und schauen Sie hier! So hat meine Oma das Kaufverbot für Marken geschickt umgangen: Mein Opa und sie haben mir aus ihrem Spanienurlaub einen Brief geschickt. Wenig Text innen, aber dafür außen „vollgetackert“…
.
Während ich in einer international tätigen Firma arbeitete, legte in den ersten Jahren zunächst der Seniorchef seine Hand auf sämtliche Marken der eingehenden Post. Doch der Begriff Senior verrät Ihnen bereits, der gute Mann war nicht mehr ganz so jung. Als der Ruhestand ihn und seine Hand entfernte, rückte ich quasi in der Hierarchie nach. Nun bekam ich die Marken. Viele! Die Folge war, dass bei mir schon nach wenigen Monaten eine Art Widerwillen gegen neue Haufen hochkam. Es artete alles in richtiger Arbeit aus. Wie sollte man bloß hinterherkommen mit all dem Sichten, Aussortieren (es wiederholte sich sehr viel), Abweichen, Trocknen und Einordnen in Alben … Und wollte ich das überhaupt? Da war gar keine Zeit mehr für das Entstehen und Vorbeiziehen der wunderbaren Geschichten!
Ich zeigte die weiße Flagge, was wiederum einen anderen Kollegen beglückte. Die Firma hatte einen neuen Markenabnehmer …
Und heute? Ich hebe zwar hin und wieder noch eine Marke mit ungewöhnlichem Motiv auf, doch das geschieht definitiv zu selten, um noch als vollwertiges Sammeln durchzugehen.
Eine andere kleine Schwäche entwickelte ich für bestimmte zierliche Glasflakons. Diese Parfumminiaturen zogen mich an! Die Miniexemplare, die den kunstvollen Originalflakons bis ins Detail glichen!
Es gab sie geraume Zeit als Beigabe in Parfümerien und Drogerien, zumindest, wenn man einen etwas umfangreicheren Einkauf getätigt hatte oder dort als Stammkunde bekannt war. Ich ging deshalb nicht extra öfter einkaufen, freute mich dafür allerdings umso mehr, wenn es wieder soweit war und mir mit einem Lächeln ein neuer kleiner Flakon über den Verkaufstresen gereicht wurde.
Das Ergänzen weiterer Miniaturen hörte für mich in dem Moment auf, als der Handel bemerkte, dass mittlerweile viele Kunden diese Beigaben liebten, das Sammeln der kleinen Flakons um sich gegriffen hatte und es sogar schon besondere Setzkästen dafür gab. Man war wohl plötzlich der Ansicht, mit den gläsernen Objekten der Begierde müsste sich – verdammt noch mal! – doch Geld machen lassen. Und siehe da, von heute auf morgen war es vorbei mit den Geschenkminiaturen.
Bitte? Gratis? Ja, wo kommen wir denn da hin!
Die Proben gab es fortan nur noch zu kaufen. Es geschah gleich auf die protzige Art und Weise; in recht teuren und überkandidelten Geschenkschachteln mit drei, sechs oder noch mehr Flakons. Es sollte sich ja lohnen.
Mir verging die Lust. Gar nicht so sehr deshalb, weil ich hätte zahlen müssen, sondern eher aus dem Grund, dass die Verpflichtung bestand, gleich mehrere Teile auf einmal zu kaufen und der betreffende Gegenstand dabei obendrein plötzlich zu einem Massengut wurde. Jeder Käufer hatte nun (Entschuldigung, ich muss kurz gähnen) die exakt gleichen, vom Handel bestimmten Minimodelle, und wenn etwas alle war, wurde eben nachgeordert. Doch wenn das Angebot in seiner Vielfalt eingeschränkt wird und zugleich die dann bestehende geringe Auswahl mit einem Mal im Überfluss vorhanden ist, wird vorher Attraktives unattraktiv, denn es verliert seine Besonderheit.
Sammelobjekt und -umstände hatten sich für mich damals massiv verändert. Natürlich waren die Flakons nicht plötzlich hässlich oder völlig reizlos, doch der Spaß an der Sache, die Vorfreude auf eventuell Kommendes, die Unkenntnis darüber, was es wohl diesmal sein würde, genauso wie einfach die pure, fast kindliche Freude, eine besondere Aufmerksamkeit, ein Geschenk zu erhalten – all diese Gefühle waren abhanden gekommen.
Sammeln ohne jegliche Gefühlsregung ist sinnlos. Sammeln ohne Leidenschaft ist wie Sammeln ohne Grund. Fast noch schlimmer! Man kann es sich gleich sparen. Es muss einen inneren Antrieb geben! Eine Faszination, Erfüllung, etwas, das zum Weitermachen verleitet.
Einige Sammler, die sich einem bestimmten Gegenstand verschrieben haben, verspüren einen besonderen Ehrgeiz. Sie sind hungrig danach, immer weiter die Sammlung ergänzende Teile aufzuspüren, etwas irgendwann einmal zu komplettieren. Oder träumen davon, zumindest derjenige zu sein, der in einem bestimmten Bereich die meisten Sammelstücke vorweisen kann. Andere wiederum sammeln, weil ihnen vor allem der Kontakt zu und Austausch mit Gleichgesinnten Spaß macht. In Internetzeiten ist dies so einfach wie nie zuvor. Wer früher einen Aushang beim Krämer anheftete und auf Resonanz aus der Region hoffte oder teuer eine Annonce in den Heimatspiegel setzte, um endlich Tauschpartner für seine Oblaten, Münzen oder Briefmarken zu finden, der surft heute weltweit und findet in Sekundenschnelle andere Sammler mit dem gleichen Hobby.
Sie erinnern sich an die am Anfang erwähnte Auslage im Schaufenster der Apotheke? Passend zum Thema Reisekrankheit wird dort im Moment als Leihgabe eine Sammlung ausgestellt. Sie dürfen dreimal tippen, um welchen Sammelgegenstand es geht …
Es ist eine Spucktüten-Sammlung!

Spucktütenausstellung in der Adler-Apotheke in Wandsbek – Juli 2016
Ja, genau, die berühmten Air-Sickness-Bags, die im Flieger stets in der Ihnen zugewandten Seite der Rückenlehne Ihres Vordermannes stecken und das Schlimmste verhindern sollen.
Mein allererster Gedanke beim Anblick der vielen Tüten in gleich mehreren Fenstern war: Mensch, ist der aber in der Welt herumgekommen! Mit wie vielen Fluglinien dieser Sammler schon unterwegs war! Enorm!
Doch dann meldeten sich schnell gehörige Zweifel, ich habe mich ein wenig umgehört und weiß inzwischen, dass man theoretisch tierisch unter Luftkrankheit leiden und das Fliegen kategorisch verweigern dürfte und dennoch Spucktütensammler sein könnte.
Wie man trotzdem an die Tüten kommt?
Vernetzung! Da wären zunächst die weltweiten Sammlerkontakte, darüber hinaus hat man überall seine Leute an den Flughäfen (oder kennt jemanden, der jemanden kennt …). Man schreibt die Fluglinien obendrein direkt an, und man tauscht intensiv untereinander. Wer tatsächlich selbst fliegt, sieht natürlich zu, dass er nicht nur die eine ihm zustehende Tüte am Platz unbenutzt(!) mit zurückbringt …

Spucktütenausstellung in der Adler-Apotheke in Wandsbek – Juli 2016
Der Wert einer Spucktüte steigt dramatisch, wenn es eine Fluglinie entweder nur kurz gab bzw. ebenfalls dann, wenn eine langjährig aktive Airline mittlerweile nicht mehr existiert, also kein Tütennachschub erhältlich ist. Es ist fast wie bei den Briefmarken. Je älter und seltener, desto gefragter, je unversehrter (druckfrisch, knickfrei, nicht vergilbt), desto wertvoller. Seine begehrten Trophäen stapelt man selbstverständlich nicht in lumpigen Schuhkartons, sondern heftet sie ordentlich und einzeln in Klarsichtfolien ab.
Sie machen sich keine Vorstellung, wie viele Fluglinien es gibt, wie international ausgerichtet gesammelt wird und wie das Tauschgeschäft floriert! Rainer Schwartz, einer der Herren, der Tüten für die Apothekenausstellung zur Verfügung stellte, listet auf seiner Internetseite seine Sammlung auf, nennt Tauschobjekte und Gesuche. Das sind alles urlange Listen! Seine Sammlung umfasst mittlerweile 2268 unterschiedliche Spucktüten von insgesamt 781 Fluglinien aus 153 Nationen!
Auf einer weiteren Homepage lässt sich ersehen, dass Sammler tatsächlich in jeder Ecke der Welt anzutreffen sind.
Vielleicht sind Spucktüten aber doch nicht Ihr Traumobjekt für die eigene Kollektion? Dann könnten Sie beispielsweise immer noch Nussschalen sammeln. Natürlich auch Einkaufchips. Apfelkerne! Eierkartons! Oder wie wäre es mit Autogrammen? Irgendwem laufen Sie doch sicher über den Weg. Wenn er bisher nicht prominent ist, wird er es vielleicht noch …
Können Sie erkennen, wer einmal für mich etwas unterzeichnet hat? Die vielen Unterschriften auf dem unteren Foto stammen von Mitgliedern einer (ehemaligen) Band …
.
Sie sehen, es gibt Möglichkeiten ohne Ende – inklusive vieler solcher Sammelideen, die relativ kostenneutral sind. Das Schöne an denen ist, man kann dabei das Sammeln bei anhaltender Begeisterung und Freude einerseits ewig weiterführen, man kann es aber, dadurch, dass kein hoher Einsatz notwendig war, auch ohne finanzielle Verluste leichten Herzens wieder sein lassen. Den Bestand verstauen und behalten oder einem aktiven Sammler schenken und damit eine Freude machen.
Oder aber, Sie werden mit dem Vorhandenen kreativ! Sie funktionieren den Bestand kurzerhand um, erstellen etwas Neues. Aus Ihren Nussschalen entstehen Rasseln, die Steinen arrangieren und verkleben Sie zu charakterstarken Figuren, mit den gepressten Blättern oder ihren ausgeschnitten Artikeln und Fotos erstellen Sie Collagen.
So etwas habe ich übrigens anlässlich der Verabschiedung meiner Glasflakon-Sammelzeit gemacht …
.
Heute sammle ich fast … Stopp! Für heute machen wir Feierabend!
Ich wünsche Ihnen einen schönen Wochenausklang! Gönnen Sie sich ein möglichst entspanntes Wochenende!
Wussten Sie schon, dass es fürs Relaxen die äußerst begehrten grünen Ruhesammelpunkte gibt …? ^^
.
© by Michèle Legrand, Juli 2016
Neues vom Bodensee (1) – Flughafen Friedrichhafen, Luftschiffe und eine Erstfliegerin
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Artikel, Auf Entdeckung ... am Bodensee (CH, A, D), Foto, Geschichten / Menschliches Verhalten am 12/10/2015
Ich war weg. Geben Sie es ruhig zu, Sie haben bisher gar nichts davon gemerkt. Die Lückenlänge beim Posten gilt noch als unauffällig.
Einige Tage verbrachte ich in der Bodenseeregion etwa zwischen Konstanz und Lindau, und es könnte gut sein, dass ich Ihnen davon im Laufe der Zeit wieder ein paar Eindrücke hinterlasse. Aus Friedrichshafen, Lindau, Meersburg, Konstanz …
Letztes Jahr waren Sie weiter westlich am See bei den Pfahlbauten mit von der Partie, bei der Storchenkolonie und den Berberaffen von Salem, der Insel Mainau, der Rheinfahrt nach Schaffhausen und vielem mehr. Diesmal nun ist das östliche deutsche Ufer Schwerpunkt.
Für mich ging es von Hamburg auf dem Luftweg nach Friedrichshafen und retour. Intersky, eine österreichische Regionalluftfahrtgesellschaft, bietet diese Direktverbindung an. Sie fliegt mit Turboprop-Maschinen (Typ Bombardier Dash 8 Q300 für 50 Personen). Alternativ im Einsatz ist bei dieser Linie noch das leiseste Turboprop-Flugzeug, das gebaut wurde – der Typ ATR 72-600, welcher sogar zwanzig Passagiere mehr aufnehmen kann.
Sind Sie schon einmal mit einer Propellermaschine geflogen? Nicht?
Ich vorher auch nicht. Selbst mein lang zurückliegender erster Flug im Jahre 1977 fand mit einer de Havilland Comet statt, einem Flugzeug mit Düsentriebwerk, und bei dieser Antriebsform blieb es. Im Laufe der Jahre sind lediglich die Maschinen immer größer geworden. Stehen Sie nun mit einem Mal vor einem Hüpfer von nur knapp 26 m Länge, ist das reichlich ungewohnt, und auch der Anblick von Propellern versetzt ein wenig zurück in vergangene Zeiten.
Diese kleinen Luftfahrtgesellschaften haben nicht das Riesenaufgebot an Personal, das Lufthansa, KLM oder Air France für die Abfertigung ihrer Flugzeuge besitzen. Sie brauchen es auch nicht. Während Sie bei den „Großen“ auf Ihrem Weg vom Einchecken bis zum Platznehmen in der Maschine diverse Angestellte kennenlernen, ist das bei den „Kleinen“ anders. Sie treffen beim Einchecken – nennen wir ihn – David Mantoff, und er erklärt Ihnen, dass Ihr Gepäck vorläufig auf „stand by“ bleibt.
Nicht, dass man sich sorgen müsste, womöglich nicht mitzukommen! Nein, nein. Es wäre ja alles gebucht und die Maschine sei von der Passagieranzahl her auch noch gar nicht ausgelastet. Es ginge vielmehr um die Trimmung.
Bei den kleinen Maschinen muss alles ordentlich gestaut, die Passagiere müssen korrekt verteilt werden. Wenn der Ballast nur auf einer Seite ist, entsteht womöglich Schlagseite. Nicht auszudenken, dass der Vogel bereits auf dem Rollfeld umkippt …
Sie bekommen deshalb zu diesem Zeitpunkt unter Umständen auch noch keinen Sitzplatz zugeteilt. Sie verstehen, man muss ja erst einmal schauen, wo Ihre persönlichen Körperkilos noch benötigt werden! Rechts hinten, links vorne … Vielleicht müssen Sie auch Ihr Bein während des gesamten Fluges in den Gang ragen lassen – wegen der Balance.
David sagt Ihnen also während der Gepäckaufgabe, dass Sie sich, sobald das Boarding beginnt, beim Personal melden sollen, damit Sie Ihre endgültige Sitzplatznummer erhalten. Gut, wird gemacht.
Wer kommt nach Schließung des Check-In-Schalters oben herbeigeeilt, um im Abflugbereich unten das Boarding zu erledigen? David Mantoff. Er regelt auch die Sache mit der Busanforderung. Der muss heute offenbar ausnahmsweise eingesetzt werden, da die Maschine wohl weiter weg parkt als gewöhnlich und nicht zu Fuß erreicht werden kann. Und wer taucht obendrein draußen am Bus auf, um noch etwas vor Abfahrt zu klären? David Mantoff. Soll ich Ihnen etwas verraten?
Es hätte mich überhaupt nicht gewundert, wenn in der Maschine folgende Durchsage über Lautsprecher erklungen wäre:
„Guten Morgen, verehrte Fluggäste, hier spricht Ihr Kapitän. Ich begrüße Sie recht herzlich an Bord zu unserem heutigen Flug von Hamburg nach Friedrichshafen. Mein Name ist David Mantoff, und ich …“
Der fliegt doch garantiert auch noch selbst!
Die Maschine ist nicht ganz voll. Einen Sitzplatz habe ich mittlerweile, einen neuen Nachbarn dazu. Beim engagierten Trimmen hat man mich kurzerhand vom Gemahl getrennt. Der sitzt nun zwei Reihen weiter vorne auf der anderen Seite und hat ebenfalls einen fremden Sitznachbarn. Gewogen hat man uns vorher nicht. Menschengewicht unbekannt, demnach irrelevant. Warum wir trotzdem anders zusammengewürfelt wurden, dürfen Sie mich nicht fragen. Ich habe keine Ahnung!
Ansonsten läuft alles reibungslos. Der Grundton, dieses beständige Brummen während des Fliegens, wirkt beruhigend. Jedenfalls solange es gleichmäßig bleibt. Sobald es irgendwie hakelt, schauen Sie automatisch hinaus zum Propeller … Nein, alles okay, und die Entfernung zum Schwäbischen Meer schrumpft schnell.
Praktisch – so eine Direktverbindung an den Bodensee.
Der Flughafen Friedrichshafen ist klein, aber fein. Er hat jetzt gerade am Sonnabend (10. Oktober 2015) sein 100-jähriges Bestehen gefeiert. Das Dornier Museum für Luft- und Raumfahrtgeschichte befindet sich gleich nebenan. Bei der Anfahrt zum Flughafen sehen Sie bereits zwischen dem eigentlichen Museumsgebäude und dem Rollfeld des Flughafens einige der dort ausgestellten Flugzeuge.
Nicht diese Flugzeuge, aber die unmittelbare Umgebung und das Geschehen am Flugplatz hat man im Blick, wenn man die Aussichtsterrasse des Airports besucht. Da vor dem Rückflug etwas Wartezeit entstand, nutzte ich diese Gelegenheit. Die Dachterrasse hat der Flughafengröße entsprechende Abmessungen und befindet sich in der schwindelerregenden Höhe eines ungefähr zweiten Geschosses. Ich frotzele etwas herum, aber in Wirklichkeit finde ich sie schön und Sie sind dort sehr nah dran am Geschehen!

Der enorme Andrang auf dem Rollfeld von Friedrichshafen … Blick von der Dachterrasse – und in der Ferne erklingt Eselgeschrei.
Sportflugzeuge und kleine Privatmaschinen nutzen einen Teil des Geländes, starten und landen dort. Die Zahl der sonstigen Abflüge ist verhältnismäßig überschaubar, doch neben einigen innerdeutschen Kurzstreckenverbindungen mit den erwähnten kleineren Propellermaschinen, gibt es durchaus auch große Maschinen, die Richtung Istanbul oder Las Palmas starten. Wenn Sie in Friedrichshafen in der Stadt oder an der Uferpromerande flanieren, fällt es richtig auf, wenn eines dieser Düsenflugzeuge startet oder landet. Der Lärm ist so selten und in geringer Höhe direkt über Ihnen so herausragend, dass Sie es wahrnehmen müssen! (Und froh sind, wenn der Flieger Höhe erreicht hat bzw. gelandet ist und das Röhren der Triebwerke nachlässt.)
Ein kleiner Flughafen wie dieser bietet den Vorteil, dass im Terminal keine langen Wege anfallen, Sie überall an den Schaltern schnell fertig sind, Ihr Gepäck bei Ankunft im Nu bereitsteht – und Sie ansonsten alles aus nächster Nähe mitbekommen. Kein kilometerlanges Rollfeld, dessen Ende Sie nicht mehr erblicken. Keine angrenzenden Areale mit interessanten Aktivitäten, die Sie nur bedauerlicherweise aus Entfernungsgründen kaum erkennen.
Und das mit der Nähe trifft sich gut!
Sie wissen, dass Friedrichshafen die Zeppelinstadt ist. Ferdinand Graf von Zeppelin gründete hier 1908 seine Luftschiffbau Zeppelin GmbH.
In heutigen Zeiten fliegen über dem See Zeppeline vom Typ Zeppelin NT, die in den 1990er Jahren entwickelt wurden. Es sind halbstarre Luftschiffe, die Passagierflüge unternehmen. In ihren Gondeln bzw. der Kabine ist Platz für zwei Piloten und bis zu 14 Mitreisende. (Falls Sie keine zahlenmäßig zu große Verwandtschaft haben, die unbedingt mit dabei sein und in der Gondel Platz finden muss, können Sie mit Ihrer Gesellschaft sogar während eines Zeppelinflugs heiraten!)
Diese modernen Luftschiffe starten und landen am Flughafen, was Sie durch Ihren Logenplatz auf der Dachterrasse prima mitverfolgen können!
Mein Rückflug verlief technisch gesehen genauso ruhig und unspektakulär wie der Hinflug. Nur hatte ich auf der Heimreise hinter mir eine siebenjährige Erstfliegerin. Eine Stunde und vierzig Minuten Action pur mit Dauerton! Anstrengend, doch ich mochte nichts dagegen unternehmen, denn die Lütte war einfach nur extrem aufgeregt und wohl generell ein Kind der recht lebhaften Sorte. Start und Landung wurden jedenfalls von panikfreiem Kreischen begleitet, einem Kreischjuchzen. Dauergeplapper im Wechsel mit Gesängen folgte während des Flugs.
Anfangs – sie war halt in froher Erwartung – ging es ihr nicht schnell genug mit dem Start.
„Mama, wann hebt das Flugzeug ab?“
„Gleich. Wir rollen erst einmal zur Startbahn.“
Diskussion über die Funktion einer Startbahn. Die Maschine setzt sich in Bewegung.
„Mama, fliegt der jetzt los?“
„Nein, noch nicht. Wir sind noch zu langsam. Der muss erst noch viel schneller werden.“
Drei Sekunden später:
„Jetzt?“
„Nein, noch nicht.“
Das Flugzeug verliert stattdessen an Geschwindigkeit und biegt in eine Kurve.
„Mama, der wird aber langsamer!“
„Ja, der muss jetzt diese Kurve nehmen. Dann steht er am Anfang der Startbahn und kann durchstarten.“
Die Kurve ist geschafft, das Kind fiebert. Stillstand. Nichts passiert.
„Der steht aber immer noch!“
„Der Pilot muss warten, bis er starten darf.“
„Warum?“
„Weil die Bahn frei sein muss, sonst stößt er noch mit einer anderen Maschine zusammen.“
Kreisch.
Beruhigung. Sekundenstille. Kritischer Blick hinaus.
„Mama, aber da ist doch keine andere Maschine!“
Glücklicherweise rollt das Flugzeug an. Der Pilot gibt Gas …
Kreisch.
„Mama“, brüllt sie gegen den Startlärm an, „fliegen wir schon?“
„Noch nicht, aber gleich. Du merkst das, wenn das Flugzeug vorne hochgeht.“
„Nur vorne? Hinten nicht?“
„Doch, auch!“
Das Flugzeug ist in der Luft.
„Wie hoch fliegt das denn noch?“
„Bis über die Wolken.“
Pause. Gesang.
„Mama, der ist aber schon hoch. Kommt der auch wirklich wieder runter?“
„Ja, kommt er.“
„Guck mal, wie klein alles ist!“
„Ja, wie Spielzeug, nicht wahr?“
„Mama, haben wir was zum Spielen mit?“
Assoziationen.
Wir haben die ersten Wolkenpakete erreicht, und es wird etwas ruppig beim Durchfliegen. Ein kleiner Zwischenkreischer, der aber nach einer Erklärung der Mutter sofort stoppt.
Und dann startet mit unverminderter Wucht ein kaum endender Begeisterungsausbruch, als wir aus der Wolkendecke auftauchen, die Sonne strahlt und sich eine weiße Pracht unter uns wie ein flauschiger Teppich ausbreitet. (Ich möchte den sehen, der dann einem kleinen Mädchen sagt, es solle jetzt bitte schön leiser sein und seine Begeisterung bremsen …)
Wir sitzen in Tragflächennähe und haben Blick auf einen der Propeller. Das Mädchen hat ihn zuletzt im Stillstand auf dem Rollfeld beachtet.
„Mama! Wir haben keine Propeller mehr!“
Kreisch.
„Joana, die drehen sich nur zu schnell. Du kannst sie nicht sehen.“
„Nein, die sind weg!!“
„Nein, sind sie nicht!“
Es geht über in Gesänge. Englischsprachig. Jedenfalls hört sich ein Teil danach an. Ich würde auf Slang eigener Kreation tippen. Die Flugbegleiterin hat eben Kekse und einen Apfel verteilt. Für eine kurze Zeit ist es stiller. Dafür rüttelt die junge Dame leidenschaftlich an meiner Rückenlehne. Übt wohl auf ihrer Seite, das Tischchen auf- und zuzuklappen. Jetzt wird es mir und vor allem meinem Rücken doch etwas zu anstrengend. Doch als ich mich umdrehe und mich mit ihr darüber verständigen will, hat die Mutter gerade selbst eingegriffen.
„Mama, kann man auf den Wolken laufen?“
„Nein, da fällst du durch.“
„Ich bin doch leicht!“
„Trotzdem.“
„Das ist aber doof …“
Ich habe den Spätflug nach Hamburg gewählt und genieße den Sonnenuntergang. Ich kreische zwar nie so los wie Joana hinter mir, aber jedes Mal bin ich innerlich, still begeistert von dem, was ich sehe. Sind Sie auch so hin und weg beim Hinausblicken aus dem Flugzeugfenster? Für Aufnahmen müsste man natürlich kurz das Bullauge öffnen können … Ach, leben wir einfach mit dem leichten Schleier auf dem Foto, oder?
Mit Gesang von hinten erreichen wir Hamburg, das schon in tiefer Dunkelheit liegt. Noch einmal ertönen Juchzer und zahlreiche Begeisterungsrufe von meiner Mitfliegerin, die die vielen Lichter der Stadt unter sich voll cool findet. Und vor allem gefällt ihr ein grün leuchtendes, hell angestrahltes Fußballfeld. Sie hat tausend Fragen zu dem, was sie entdeckt.
„Wir kommen vom Land …“, erklärt die Mutter anderen Passagieren, als die Aufregung nicht abebben will.
Die Piste ist erreicht, das Flugzeug fliegt dicht über dem Boden. Die Erregung hinter mir steigert sich erneut spürbar. Sie verschluckt sich, ein Hustenanfall behindert leicht ihre folgende Frage:
„Mama, stürzen wir jetzt ab?“
„Nein, wir landen.“
Das Aufsetzen fällt recht hart aus und wird dementsprechend von einem hohen weiblichen Quietschen begleitet. Die nachfolgende Vollbremsung löst das bereits bekannte Kreischen aus. Die Bremsen kreischen auch.
„Sind wir jetzt da?“
„Ja, wir sind da.“
Die Mutter klingt erleichtert, doch ihre letzte Antwort war nicht mehr durchdacht. Sie löst bei Joana augenblicklich Hektik aus. Sie will sich viel zu früh abschnallen, hat Sorge, nicht rechtzeitig aus dem Flieger zu kommen. Gedanklich erfolgte bereits eine Umschaltung. Der Flug ist abgehakt. Es beschäftigt sie nun Onkel Horst, der sie abholen wird. Alles ist eilig, eilig, eilig …
Ich lasse sie vor mir hinaus, hole tief Luft und genieße die Ruhe. Wundere mich über den Hamburger Großflughafen, der mir plötzlich still vorkommt.
Hamburg. Daheim! Das eigene Bett wird es heute auch wieder sein.
So schön es unterwegs ist, ich freue mich immer wieder enorm auf Zuhause.
(Denken Sie sich hier bitte ein leises Begeisterungskreischen.)
Wenn es nichts wird … wird’s etwas anderes
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Allgemein, Foto, Geschichten / Menschliches Verhalten am 24/03/2015
Letzte Woche wollte ich … Nein, lassen Sie mich anders anfangen!
Es gibt relativ unwichtige Ideen, die einem gelegentlich durch den Kopf geistern. Spezielle Vorhaben, die in Erwägung gezogen, jedoch letztendlich nicht ausgeführt werden. Was glücklicherweise aufgrund der Unwichtigkeit der Sache nicht weiter tragisch ist und daher keine sonderlich nachteiligen Folgen hat oder unliebsame Konsequenzen nach sich zieht. Der feste Ausdruck, dass man mit einem Gedanken schließlich lediglich spielt, spiegelt die Situation recht gut wider.
Bei meiner heutigen Variante handelt es sich allerdings um eine besondere Form. Es geht um Pläne, ganz eventuelle Vorhaben, deren Durchführung von anderen Gegebenheiten abhängig ist. Es sind – wie ich sie nenne – die Vielleicht-mach-ich-das-wenn-Sachen.
Wenn …, dann …
Kennen Sie von Excel.
Wenn du am Dienstag in der Innenstadt vorbeikommen solltest, schaust du nach den Schwänen. Sagst Hallo und machst ein Foto. Für den Blog.
So dachte ich zu Beginn der vergangenen Woche.
Sie wissen vielleicht, dass die berühmten Alsterschwäne in Hamburg jeden Winter für vier Monate die Binnenalster verlassen und ein gesondertes Winterquartier im Stadtteil Eppendorf beziehen. Dort wird der Mühlenteich bewusst eisfrei gehalten, und für Futter ist auch gesorgt. Nennen wir es kurz: UfSmV.
Unterkunft für Schwäne mit Vollpension.
In der Zeit von November bis März fehlen sie einem ganz gehörig! Ihr Anblick gehört einfach zur Innenstadt und zur Alster dazu. Außerdem gilt ja bis heute die Legende, dass Hamburg seinen Status als Freie und Hansestadt nur so lange hält, wie es die Alsterschwäne gibt … Am letzten Dienstag sind sie zurückgekehrt.
Und wer war nicht dort? Ich.
Zur Wochenmitte sollten wiederum königliche Gäste aus den Niederlanden eintreffen. Besuch des Rathauses, des Bürgermeisters, Wahrnehmung weiterer Termine. Schon spielte ich mit neuen Gedanken:
Wenn du am Donnerstag in der Innenstadt vorbeikommen solltest, schaust du nach Máxima und Willem-Alexander. Sagst Hallo und machst ein Foto. Für den Blog.
Nur dann erinnerte ich mich, dass ich die beiden beim Besuch der Stadt Leer im letzten Mai bereits knapp verpasst hatte. Weil ich gar nicht gewusst hatte, wann sie genau wo erwartet wurden. Ohne exakte Terminkenntnisse hätte mir das hier wieder geblüht. Zudem kam ich am Donnerstag gar nicht Richtung Innenstadt.
Wer war also nicht dort? Ich.
Bis zum Wochenende geisterten noch zwei oder drei andere Ideen in meinem Kopf herum. Alle angedachten Vorhaben entpuppten sich leider eher als Kandidaten der Sorte: Wenn nicht …, dann nicht …
Wenn du weiter nur etwas ausbaldowerst, was als Es-wäre-nur-gegangen-wenn-Sache endet, sieht es übel aus mit einem Foto. Im Blog.
Gestern am Abend fiel mir schließlich auf der Suche nach einem aufbewahrten Kassenbeleg etwas in die Hände. Garantieunterlagen, Bons und andere derartige Sachen befinden sich nämlich im gleichen Schrankteil wie zwei recht unscheinbare kleine Alben mit einigen Fotos.
Da ich Ihnen weder Aufnahmen von Máxima und Willem-Alexander noch ein ganz aktuelles Foto eines Alsterschwans anbieten kann, gibt es etwas anderes …
Erinnern Sie sich noch an diesen Herrn und seine Sendung?
Ihr heutiger (quasi) Ersatzkönig Ilja, der Erste. Die Ausstrahlung seiner Sendung Disco endete 1982 nach zwölf Jahren, doch Ilja Richter ist bis heute in Theater und Fernsehen präsent, immer noch höchst schlagfertig, unverändert schlank und mit 62 Jahren unverschämt gutaussehend.
(Schauen Sie einmal auf das Datum: ein fast auf den Tag genau 40 Jahre alter Gruß …)
Zu Beginn sprach ich gezielt die relativ unwichtigen Vorhaben an. Lockere Pläne, banale Wünsche, deren Nichtzustandekommen oder deren Nichterfüllung kein wirklich großes Herzeleid verursachen. Bloße Gedankenspielerei. Nicht so wichtig …
Es gibt jedoch genauso die anderen Vorhaben und Träume. Die, die einem viel bedeuten, auf deren Zustandekommen man intensiv hofft. Wenn diese Träume platzen …
Schade. Niederschmetternd! Zum Verzweifeln?
Irgendwie natürlich schon. Nur – was bringt es? Soll ich Ihnen etwas verraten? Sie leben wesentlich entspannter, wenn auch dort die Devise gilt:
Wenn es nichts wird, wenn es dies nicht wird … wird’s etwas anderes!
Wer weiß denn schon heute so genau, ob es dadurch nicht – im Endeffekt – viel besser wird?
Um Ilja Richters Disco noch einmal heranzuziehen:
Das Licht ging zwar irgendwo aus. Doch stets ging kurz darauf anderswo ein heller Spot an!
Vielleicht sollten wir bei unerwarteter Dunkelheit einfach ein bisschen abwarten. Womöglich stellen wir später verdutzt fest, dass uns der darauf folgende gezielte Spot viel besser steht, als die einstmals geplante Rundumillumination!
Warum Silvester kein Knaller war …
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Allgemein, Artikel, Foto, Geschichten / Menschliches Verhalten am 31/12/2014
Ich fand Silvester nicht von Anfang an blöd. Warum auch! Aus der Ferne wirkte er sogar eine Weile recht nett.
Selbst als ich ihn persönlich kennenlernte, entstand nicht augenblicklich eindeutige Antipathie.
Mit Abstand gesehen endete alles nicht einmal in einem kompletten Desaster. Aber ein Vierteldrama – nein, doch eher ein Semifiasko – war es schon …
Damals nach seiner Ankunft fielen schnell ein paar Dinge auf, die nicht passten. Nicht zu dem, was vorher in seinen Briefen gestanden hatte. Vieles hatte dort auch gar keine Erwähnung gefunden. Er hatte einige Charakterzüge geschickt unterschlagen, u. a. ausgelassen, dass er etwas – nennen wir es – launenhaft war.
Als sein Deutschlandaufenthalt später endete, er nach Südfrankreich zurückkehrte und einzig und allein überhebliches Genörgel abließ, kam ich zu der Feststellung, dass Silvester ein selbstgefälliger Heini war, der gar nicht merkte, wie ätzend anmaßend er sich verhielt. Sein letzter Brief war ausschlaggebend für meinen Entschluss, den Kontakt einschlafen zu lassen. Er schien ähnliche Absichten zu hegen, jedenfalls meldete er sich ebenfalls nicht mehr. Auf diese Weise ging es ziemlich flott. Kein sanftes Wegschlummern, eher ein Blitzschlaf/-koma. Eine Bekanntschaft, die eilends zu Grabe getragen wurde.
Falls ich es vergessen habe zu erwähnen, bei Silvester handelt es sich um einen französischen Brieffreund, den ich in jungen Jahren hatte. Silvester ist nicht sein kompletter Name, doch der Rest ist unwichtig. Die Abneigung hat absolut nichts damit zu tun, dass er Franzose ist! Ich mag Franzosen, habe ja sogar selbst französische Vorfahren! Es ist einfach so, dass es solche merkwürdigen Fälle wie diesen überall gibt.
Wir hatten uns schon einige Monate locker geschrieben. Durch La Ratatouille hatte ich seine Adresse vermittelt bekommen. Hinter diesem Namen verbarg sich ein monatlicher Treff, eine Art privater Stammtisch, der damals für frankophile sowie französischstämmige Menschen in Hamburg existierte und dem ich eine geraume Weile angehörte. Silvester war zu dieser Zeit Koch in einem recht angesehenen Hotel mit gehobener Küche direkt an der französischen Mittelmeerküste und sollte in absehbarer Zeit für knapp drei Monate nach Hamburg in das Strandhotel nach Blankenese versetzt werden. Ein Austauschprogramm. Für ihn ging ein deutscher Kollege nach Frankreich.
Ich hatte zu Beginn angenommen, er wollte eine Brieffreundschaft, um bereits im Vorfeld seine Deutschkenntnisse zu verbessern. Mit diesem Hinweis hatte ich zumindest den Adresszettel zugesteckt bekommen. Aber nein, der Herr schrieb ausschließlich Französisch.
Gut, war der Lerneffekt halt mehr auf meiner Seite. Dachte ich!
Er hatte eine Schrift, die kaum zu entziffern war. Unter uns, eine Sauklaue, die ihresgleichen suchte! Dagegen schreiben Ärzte bildschön. Und ich fand, ihm unterliefen im Brief viele Fehler. Doch wer war ich, ihn darauf anzusprechen! Es war seine Muttersprache, wahrscheinlich irrte eher ich mich. Ich versuchte, daraus zu lernen – wenn ich an den Konstruktionen oder Schreibweisen nicht zu sehr zweifelte. Eigentlich wunderte ich mich ständig. Doch solange ich zumindest den Sinn verstand … Wenn mir etwas total unmöglich vorkam, schob ich es auf die Schrift und nahm an, wahrscheinlich würde ich die Buchstaben falsch erkennen.
Schließlich war es soweit. Silvester reiste an. Er hatte anfangs keine Zeit, was natürlich ist, wenn man gerade den neuen Job antritt.
Irgendwann stand das erste Treffen an. Sich zu verabreden gestaltete sich schwierig. Ich wohnte außerhalb Hamburgs und konnte nicht zu spät zurück. In der Region stellte der Bus seine Fahrten spätestens gegen 20 Uhr ein. Meine Briefbekanntschaft zog weiterhin hartnäckig einen seiner freien Abende vor. Irgendwie ließ es sich arrangieren, doch als nächstes stellte er sich bei der Wahl der Ziele quer. Es wurde kompliziert. Für ihn schien eigentlich alles schwierig. Irgendwo selbst hinzukommen, irgendeinen Termin einzuhalten, irgendetwas überhaupt akzeptabel zu finden. Nach mehreren Änderungen in letzter Minute, war ich fast so weit, entnervt aufzugeben. Auch meine Geduld ist nicht unerschöpflich. Als hätte er es gemerkt, kam es plötzlich zur Einigung.
Einfach so. (Hätte man nicht gleich …?)
Silvester sah anders aus als beschrieben. Nun, das machte nichts. Er war vom Wesen her anders, als es in den Briefen geklungen hatte. Vielleicht eine Fehleinschätzung meinerseits. Für alles konnte man Erklärungen finden. Merkwürdig war es dennoch. Was stimmte denn überhaupt? Oder hatte ich so viel missverstanden, missgedeutet?
Das Treffen war erwartungsgemäß nicht so der Kracher. Er tendierte zum Muffeln, und mir gingen nach und nach Gesprächsstoff und Vokabular aus, denn natürlich weigerte er sich weiterhin, Deutsch zu sprechen. Warum auch, ich verstand ihn ja …
Wenn er nicht gerade griesgrämig war, verhielt er sich selbstverliebt. Pries sich selbst an und wartete auf entzückte Bestätigung. Lob schien seine Laune sehr zu heben – doch dauerhaft hatte ich keine Lust zu diesen Elogen. Jedenfalls nicht zu den unangebrachten. Außerdem schlafe ich bei solchen den tollen Hecht mimenden Selbstdarstellern leicht ein. Alles in allem war ich daher vermutlich eine herbe Enttäuschung für ihn. Aber warum sollte es ihm besser ergehen als mir, gell?
Wir trafen uns dennoch ein weiteres Mal kurz vor seiner Heimreise nach Frankreich. Es verlief unspektakulär. Wohlweislich war ich mehr auf gestaltetes Programm ausgewesen, und wir besichtigten Sehenswertes in Hamburg, was er bis dahin noch gar nicht groß getan hatte. Er schlurfte etwas unmotiviert durch die Gegend, behauptete am Ende jedoch allen Ernstes, es hätte Spaß gemacht. Zu meiner grenzenlosen Verblüffung jammerte er obendrein, wie schade es wäre, dass wir uns nun nicht mehr würden sehen können.
Hatte ich etwas nicht mitbekommen?
Silvester kündigte Post an. Sobald er wieder am Mittelmeer eingetroffen wäre, würde er sich melden. Es kam nichts. Also schrieb ich nach einiger Zeit, um zu hören, ob bei ihm alles gut verlaufen war. Heimreise, Wiedereinstieg in seinem Hotel etc.
Einige Wochen später erhielt ich einen Brief von ihm. Auf diesem recht kurz gehaltenen Schmierzettel beschwerte er sich hauptsächlich über Französischfehler, die ich in meinem letzten Schreiben gemacht hätte und erklärte, nach der Zeit, die ich mit ihm verbracht hätte, müsste ich doch eigentlich endlich fit in seiner Sprache sein. Da blieb mir die Spucke weg! Ausgerechnet er musste an Fehlern herummäkeln!
So ein blöder Armleuchter!
Tja, so schlief es ein. Ich holte mir aus Rache einen seiner alten Briefe und begann pedantisch – wie ein Lehrer bei der Diktat- und Aufsatzkorrektur – seine Fehler jetzt dick mit einem roten Stift anzustreichen. Rechtschreibung, Grammatik, Ausdruck. Jeden seiner dämlichen Fehler!
Noch einer! Und da! Schon wieder, meine Güte! Der lernt’s auch nicht …
Das tat irgendwie verdammt gut.
Danach war dieses Kapitel für mich abgehakt.
Nur einmal im Jahr … Können Sie verstehen, dass ich jedes Jahr am Silvestertag nicht unbedingt vorrangig an Jahresrückblicke, Alkohol, Böller, gute Vorsätze, Bleigießen etc., sondern meist zuerst an ihn, jenen Silvester, der absolut kein Knaller war, denke und in Erinnerung an die äußerst befriedigende Rotstiftaktion leise vor mich hin grinse?
Vielleicht löst Silvester auch bei Ihnen vom Üblichen leicht abweichende Assoziationen aus. Ruft die Melodie des alten Songs Zucker im Kaffee wach, lässt Sie an Rambo oder den Tweety jagenden Kater denken.
Egal welcher kleine Film in Ihrem Kopf abläuft, verbringen Sie auf jeden Fall einen schönen letzten Tag des Jahres 2014 und gleiten Sie sicher und frohen Mutes hinüber in das Jahr 2015.
Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute für das Neue Jahr! Möge viel Positives passieren, aber bleiben Sie vor allem gesund und munter!
Danke für Ihre Treue und für die vielen Kommentare!
„Willi wird’s überleben …“
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Allgemein, Foto, Geschichten / Menschliches Verhalten am 10/09/2014
„Du fährst doch auch mit ins Altmühltal, Liesel?“ Die kleine, weißhaarige Dame, die diese Frage stellte, hatte soeben mit einer Freundin das Café betreten. Beide schälten sich aus ihren Jacken.
„Ist das warm hier!“ stöhnte Edith. Sie nestelte am Halstuch. Der dekorative, kunstvoll geknüpfte Knoten war widerspenstig und ließ sich nicht gleich öffnen. Ihre Bewegungen wurden zunehmend hektisch.
Liesel hatte damit keine Probleme. Sie war ohne separaten Halswindschutz, und ihr dunkler Filzhut mit Bernsteinbrosche blieb selbstverständlich dort, wo er hingehörte: auf ihrem Kopf!
Es gibt eine Generation von Damen, die hat das so gelernt. Hat es förmlich eingebläut bekommen! Sie würde sich eher den Finger abhacken, als den Hut abzunehmen. Weder draußen noch im Lokal. Tut man einfach nicht. Der Hut bleibt auf dem Haupt bis zur Heimkehr. Basta!
Edith hatte inzwischen den Knoten überlistet, bekam nun sichtlich besser Luft. Kaum hatten beide Platz genommen, näherte sich auch schon der Kellner ihrem Tisch. Das Gespräch über eine eventuelle Mitfahrt ins Altmühltal musste noch einen kleinen Moment warten.
„Haben Sie schon gewählt? Was darf ich Ihnen denn bringen?“
„Wir hätten gern Kaffee“, antwortet Liesel.
„Café Crema oder Latte Macchiato, Cappuccino …?“
„Nee, nee, normalen Kaffee! Nichts mit diesem Schaum. Richtigen Kaffee! BOHNENKAFFEE, junger Mann! Den haben Sie doch, oder?“
„Selbstverständlich! Zweimal Kaffee … Sehr gern. Große oder kleine Tassen?“
„Gibt es auch Kännchen?“, hakt Edith nach.
„Leider nicht.“ Der Angestellte zieht bedauernd die Schultern hoch.
Kännchen sind am aussterben. So wie die Generation Dame-mit-Hut-plus-Bohnenkaffee-pur selten geworden ist. Heute sind besondere Kaffeekreationen angesagt, gern mit Schaum, wenn es mehr sein soll notfalls in XL-Tassen oder -Gläsern serviert. Ohne Hut getrunken.
Der junge Mann vom Service entfernt sich, die Unterhaltung wendet sich erneut dem Thema Reise zu.
„Ich glaube, ich kann da leider nicht mit“, seufzt Liesel. „Ich habe gerade wieder eine hohe Rechnung bekommen, da ist wohl erst einmal keine Fahrt drin.“
„Ach, nein, sag nicht so etwas!“ Edith reagiert enttäuscht. „Was ist es denn? Strom, Heizung? Musst du nachzahlen?“
„Nein, die Rechnung vom Friedhof ist da. Willis Grabpflege.“
„Wie viel ist es denn?“, möchte Edith wissen.
„Die wollen jedes Jahr 350 €! Dabei tun sie gar nicht viel!“ Liesel klingt leicht verbittert. „Wenn ich nicht hingehen und kontrollieren würde, würden die wohl auch das Vereinbarte nicht immer erledigen. Ich habe sie bereits einmal erwischt.“
„Und warum machst du es nicht lieber selbst?“, fragt Edith.
„Ich schaffe es nicht mehr, alles selbst heranzuschleppen und auf den Knien herumzurutschen! Aber es wurmt mich, wie wenig und was gemacht wird. Weißt du, auf dem Grab sind Bodendecker, und lediglich in der Mitte vor dem Stein ist ein kleines Stück freigelassen für andere Sachen, Blühendes. Momentan pflanzen die dort im Frühjahr einmal fünf Stiefmütterchen, im Sommer fünf Eisbegonien und im Winter decken sie ein bisschen Tanne drauf. Dafür 350 €! Unkraut wächst trotzdem, das mache ich zwischendurch weg. Und gießen tu ich auch! Da kommt selbst bei Dauerhitze kein Mensch!“
„Und wegen der Rechnung kannst du jetzt nicht mit ins Altmühltal? Geht es wirklich nicht? Kommst du denn im nächsten Sommer mit nach Büsum?“ Edith lässt nicht locker.
„Du, so weit im Voraus plane ich nicht mehr. Wer weiß, ob ich dann noch lebe! Die Veranstalter wollen ja sofort bei der Buchung eine Anzahlung! Die zahlt doch keiner zurück, falls … In meinem Alter schaue ich höchstens noch drei Monate voraus.“
„Liesel!“
„Doch, Edith!“ Liesel sieht das ganz nüchtern und hat sich angewöhnt, pragmatisch zu handeln.
„Nun, wenn du nur noch so kurzfristige Sachen planst, musst du jetzt aber doch im Oktober mit ins Altmühltal kommen!“ Edith zwinkert verschworen.
„Kommt eigentlich Marianne auch mit?“ Die zu Überzeugende ist am schwanken und sucht weitere Entscheidungshilfen.
„Nur wenn es dort Diät gibt. Marianne darf ja nicht alles essen.“
„Und was ist mit Gerd?“
„Gerd will nur, wenn die Krögers nicht mitbekommen. Die findet er fürchterlich.“ Edith ist über alles bestens informiert. „Jetzt müssen wir irgendwie die Krögers vom Buchen abbringen …“
Inzwischen ist der Kaffee eingetroffen und für gut befunden worden.
„Liesel, kündige das mit der Grabpflege. Das ist es doch nicht wert! Wie oft gehst du auf den Friedhof?“
„Wie oft? Wieso? Einmal die Woche etwa …“
„Dann lass das mit der Bepflanzung in der Mitte, steck da eine dieser grünen Vasen hin. Bring jede Woche eine einzelne frische Blume oder einen Zweig mit. Dann blüht immer etwas. Notfalls setzt du zwei weitere Bodendecker in die Lücke, wenn dir noch zu viel Erde rausschaut. Die kann ich dir hinbringen und einpflanzen. Tanne brauchst du im Winter nicht unbedingt. Danach macht das Grab kaum Arbeit, und du hast jedes Jahr eine hohe Rechnung weniger.“
Liesel denkt über diese Alternative nach.
„Und du meinst nicht, dass Willi … dass er das komisch fände?“
„Ach, komm, der wird’s überleben!“, kontert Edith.
Liesel reagiert mit leichter Verzögerung. Sie stutzt plötzlich und ruft mehr gespielt als tatsächlich empört:
„Du bist unmöglich!“
„Wieso das denn?“, fragt Edith verdutzt. Sie ist sich ihres Schnitzers überhaupt nicht bewusst.
„Na, hör mal! Willi wird’s überleben! Wird etwas schwierig …!“
Edith errötet. Erleichtert registriert sie, dass die Freundin es nicht wirklich übelgenommen hat, im Gegenteil, der kleine Fauxpas hebt die Stimmung gewaltig. Liesel fällt prompt ein weiteres wichtiges Argument dafür ein, den Grabpflegeservice fortan nicht mehr zu nutzen:
„Du, Edith, wusstest du, dass Willi Eisbegonien immer gehasst hat …?“
Die Freundin lacht laut los und verkündet kurz entschlossen:
„Du kommst mit in den Urlaub! Kündige den Kram – und wenn du grad im Moment etwas Geld brauchst, um mitfahren zu können, dann leihe ich dir einen Teil. Nur komm mit!“
Freundinnen. Schön, dass sie sich haben …
Ein Gespräch, dass inhaltlich (vielleicht nicht immer wortwörtlich) so am vergangenen Sonnabend stattfand. Ich schrieb es auf, weil es einerseits nicht einer gewissen Komik entbehrt und andererseits etwas offenbart, was in unseren Tagen häufig geworden ist: Die traurige Tatsache, wie wenig oft einem Menschen im Alter bleibt. Finanziell gesehen. Den Frauen ganz besonders. Und wenn die Knappheit der Mittel schließlich verhindert, dass soziale Kontakte aufrecht erhalten werden können und an gemeinsamen Unternehmungen teilgenommen werden kann (nichts Luxuriöses, nicht Häufiges, manchmal nur der Kaffee auswärts oder die Kosten für den Busfahrschein), ist das sogar mehr als traurig.
Auf ein Wort …
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Allgemein, Artikel, Foto, Geschichten / Menschliches Verhalten am 09/08/2014
Wissen Sie, was Stroggen ist? Das ist in etwa das, was ich getan habe. Ich bin verschwunden und habe – neben einigen anderen Sachen – den Blog links liegen lassen. Im Urlaub sitze ich nämlich nicht ewig vor dem Laptop. Blogge somit auch nicht. Ich benötige die Zeit zum Erkunden und Genießen, bevorzuge zu schauen und Eindrücke aufzunehmen. Gut, gelegentlich ist auch das Ziel so abgelegen, dass gar kein Internet vorhanden ist. Wie auch immer. Es läuft so oder so hinaus auf eine Art von sehr bewusster Blogbestreikung ohne jegliches Bedauern.
Streiken beim Bloggen, diese (Nicht-)Tätigkeit ist – verkürzt gesagt – das Stroggen bzw. der Strog. Es ginge natürlich auch Bleiken respektive der Bleik. Suchen Sie es sich aus. Ich empfinde Bleiken als harmlos klingender. Das ist gefühlt so wie Blog vernachlässigen für maximal eine Woche und dazu eine nur halbherzige Abstinenz. Mit Luschern zwischendurch.
Stroggen ist konsequent, ernst und gefühlt alles, was zeitlich darüber liegt.
Es waren lediglich acht Tage, die ich zum Monatswechsel am Bodensee auf deutscher sowie Schweizer Seite verbrachte, theoretisch hätte ich eigentlich schon Anfang der gerade ausklingenden Woche wieder hier auftauchen können. Nur – Sie kennen es bestimmt aus eigener Erfahrung – wenn Sie heimkommen, geht es meist gleich wieder rund. Die Wäsche wartet, der Kühlschrank ist leer, die Post stapelt sich, und der Garten präsentiert sich als Urwald. Nach nur einer Woche!
Vor der Abreise hatte es im Norden ordentlich geschüttet, danach war Tropenklima. Die Folge: Wilder Wein, Blauregen und Efeu lieferten sich ein Wettrennen, wer als erstes erfolgreich die Fenster zuwuchern würde oder Rolllädenkästen derart umschlänge und eroberte, dass in absehbarer Zeit nichts mehr hoch- oder herunterfahren würde. Wenn Sie heimkehren möchte außerdem die Verwandtschaft Lebenszeichen, möchte wissen, wie der Urlaub war, ob die Reise frei von Dramen verlief. (Sie erinnern die Geschichte neulich mit der Bombendrohung während eines Flugs?)
Termine stehen schnell wieder an. Das verliehene Auto sollte ebenfalls irgendwie wieder zurückkommen. Bei der Gelegenheit bleibt man gleich noch ein Minütchen beim charmanten Sohn hängen. Und als Mama einer hinreißenden Tochter möchte man natürlich gern noch Zeit mit ihr verbringen, bevor sie demnächst mal wieder ins Ausland, diesmal zu den Franzosen, entschwindet. Ein rein weiblicher, sehr interessanter und vergnüglicher Tagesausflug nach Lübeck stand somit Mittwoch auf dem Plan.
Und glauben Sie mir, just in dem Moment, als ich mich das erste Mal zwecks Bloggen hinsetzte, hielt mich ein kleines Malheur auf.
Nein, zwei!
Anfang der Woche klappe ich den Laptop auf, um Ihnen zu schreiben und wundere mich, dass die Lesebrille schief auf der Nase sitzt. Schiebe sie zurecht, doch kaum losgelassen, kippt das Gestell prompt wieder in diese neue Position. Das rechte Glas rutscht leicht Richtung Wange, auf dem Nasenrücken piekt es neuerdings. Ein kleines, dunkles Metalldrahtstück fällt vor mir hinab und landet auf der Tastatur zwischen der Leertaste und den Buchstaben V-B-N-M. Es versinkt glücklicherweise nicht komplett im Spalt, sondern bleibt hängen, da etwas Gummiartiges an einem Ende etwas zu breit für diesen Schlitz ist und die Stopperfunktion übernimmt.
Um es kurz zu machen: Die Inspektion der Brille und das Ergebnis der Begutachtung des abgefallenen Gegenstands ergaben, dass die eine Seite des Nasenbügels (ein hauchdünner Draht mit einem Silikonplättchen dran) abgebrochen war.
Einfach so!
Lesen ohne Brille ist äußerst mühsam und anstrengend! Es dauert zudem gefühlt ewig. Mein Weg führte folglich ziemlich schnell zum Optiker. Die Brille könnte theoretisch an eine Sonderwerkstatt eingeschickt werden, doch würde das dünne Teil nach erfolgter Reparatur (Kaltlötung) höchstwahrscheinlich in Kürze wieder abbrechen. Ich erfuhr, dass ich eine neue Brücke, so nennt sich das Bindeglied zwischen den beiden Gläsern meiner randlosen Brille, benötigte. Diesen Quersteg, an dem sich zugleich die Nasenklemmer befinden.
Man zeigte sich leicht schockiert angesichts der Tatsache, dass ein Ersatzteil für „diese“ Brille notwendig wurde. Nicht, weil sie als unkaputtbar galt. Nein! Nur Sie müssen wissen, ich habe meine Lesehilfe tatsächlich schon sage und schreibe etwas über drei Jahre!
Drei!
Offenbar ist es jedoch – als Brillenalter betrachtet – nahezu antik. Wahrscheinlich zählen Brillenjahre so ähnlich wie Hundejahre. Oder noch mehr! Optiker multiplizieren bestimmt mit elf. Ich erfuhr, dass Modelle spätestens alle zwei Jahre gewechselt werden. Das Alter meines vorsintflutlichen Gestells liegt bereits mindestens 50 % darüber. Da wird es schwierig mit Ersatzteilen. Doch ich hatte Glück! Es ließ sich doch noch bestellen, und seine voraussichtliche Ankunftszeit wurde mit in vier Tagen angegeben.
Nun musste ich gestehen, dass ich nur eine Brille besitze. Mich traf ein ungläubiger Blick.
„Das ist aber gefährlich!“, sagte die Angestellte des Optikergeschäfts.
„Gefährlich?“
„Ja, Sie sehen ja selbst … Wollen Sie sich nicht heute lieber eine neue zweite …?“
Kaufen? Als würde ich die gleich fertig mitbekommen! Und überhaupt! Ich muss etwas abgeneigt gewirkt haben, denn sie beeilte sich, mir zu versichern, dass man mir selbstverständlich auch anders zu helfen wisse. Meine Hoffnung, dass Optiker eine billige 0815-Brille (Typ Kaufhaus-Zweitbrille) für derartige Notfälle verleihen würden, erfüllte sich nicht. So etwas gab es nicht. Es wäre wohl für das Geschäft kontraproduktiv. Stattdessen schlug die Angestellte vor:
„Wir könnten das kaputte Teil ausbauen und Ihnen eine Leihbrücke einbauen. Ich weiß aber nicht, was wir da auf Lager haben. Kann die auch anders aussehen?“
„Egal wie, Hauptsache, ich kann in den nächsten Tagen damit lesen und arbeiten.“
Sie gab per Hausfunk Anweisungen in die Werkstatt weiter.
„Ich schicke dir gleich eine Brille rüber. Schau mal, was du als Ersatzbrücke hast. Kann pink oder kariert sein, völlig egal. Die Kundin braucht sie unbedingt, hat nämlich nur diese eine …“
Jaja, die absonderliche Kundin mit der Solobrille. Das hatten wir schon.
Wissen Sie, ich war jetzt sehr neugierig, was mich farblich und formmäßig für die Übergangszeit erwartete. Zu randlosen Brillen passt im Grunde alles, doch meine Bügel sind bräunlich-bronzefarben. Und ich bin hell im Gesicht. Und Pink finde ich bei mir doof, würde es aber trotzdem akzeptieren.
Beinahe leicht enttäuscht und gleichzeitig irgendwie erleichtert nahm ich kurz darauf mein gutes Stück mit einem lediglich relativ geraden, strengen, silbrig aussehenden Querbalken als Notbrücke entgegen.
Die Zeit verging, die Brille drückte, denn sie verfügte über härtere Gummipolster als sonst und hatte einen leicht veränderten Bügelsitz. Doch am Freitag konnte die endgültige Reparatur erfolgen und das Feintuning vorgenommen werden.
Der Ansicht, inzwischen alle Pflichten abgearbeitet zu haben, wieder sehen zu können, ohne dass die Brille kneift, wollte ich endlich, endlich losbloggen und posten. Da passierte Malheur Numero zwei.
Das Internet fiel aus. Länger.
Alles wäre leichter und stressärmer, wenn man gleich wüsste, woran es liegt. An dem Anbieter und deren Netzproblemen und –ausfällen oder an defekten Geräten im eigenen Haus. Man wüsste, ob man wartet oder etwas tut. Somit ging prophylaktisch das große Probieren und Tricksen los, welches bei anderen Gelegenheiten schon geholfen hatte, die Sache wieder in Schwung zu bringen. Vergeblich.
Letztendlich fiel mir ein, dass ich einem Hilfeaccount meines Anbieters bei Twitter folge, und so fragte ich freundlich an (mobil via Handy mit anderem Netz lief alles), ob sie von Problemen in meiner Region wüssten. Man reagierte sofort, erkundigte sich nach Postleitzahl und weiteren Details und eine halbe Stunde später erhielt ich die Nachricht, dass der Fehler nicht auf meiner Seite lag. Und offenbar wurde etwas weitergeleitet, denn eine weitere halbe Stunde später erwachte mein Internet zu neuem Leben. Also an dieser Stelle ein Dankeschön an „^aa“ von „@Telekom_hilft“.
Sind Sie noch dabei? Ja?
Wir sind auch so gut wie am Ende. Ich wollte Ihnen nur noch schnell mitteilen, dass ich ab jetzt zu meiner (und vielleicht auch Ihrer) Freude wieder andere/Ihre Blogs zwecks Lesegenuss besuchen sowie hier ausstehende Antworten auf Kommentare schreiben werde und Ihnen bei mir im Blog demnächst einige Besonderheiten vorstellen möchte, die mir im Bodenseeraum aufgefallen sind.
Schöne Plätze, spezielle Geschöpfe in unerwartet großer Anzahl, Dinge aus anderer Zeit …
Ich freue mich, nun wieder mitzumischen zu können. Sie sehen, so ein Strog dauert bei mir trotz widriger Umstände nie lang …
Ihnen ein schönes Wochenende und bis demnächst!
©August 2014 by Michèle Legrand
Lianen vorm Fenster …
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Allgemein, Foto, Garten (und Natur allgemein), Geschichten / Menschliches Verhalten am 12/01/2014
Ich möchte Ihnen heute eindringlich empfehlen, überlegen Sie sich gut, was Sie bei eventuellen Anfällen von Frühjahrsputzfimmel, Aufräumekstase und Ordnungswut in Angriff nehmen. Mein Einsatz verlief eher mittelprächtig …
Als am Donnerstag extrem mildes Wetter herrschte, nahm ich mir heldenhaft und pflichtbewusst vor, Efeu (Hedera helix) um einige Fenster herum zurückzuschneiden. Das Rankgewächs, das bei mir – neben Wein – einen Teil der Hauswände bekleidet, wächst flink, bedrängt gern recht stürmisch Rollladenkästen sowie Führungsschienen und wandert langsam aber sicher von den Seiten her ins Fenster. Ins Sichtfeld hinein.
In den oberen Geschossen schneidet man das meist praktischerweise von innen und räumt notgedrungen die Fensterbänke frei. Anders lassen sich Fenster wohl nicht öffnen. Und wenn man schon dabei ist, bietet sich Fensterputzen gleich mit an. Leider! Es ist etwas, was ich gerne vor mir herschiebe.
Ich habe mich überwunden. Habe dynamisch und klaglos begonnen.
Stellen Sie sich die Aktion bei mehreren Fenstern vor und stellen Sie sich ebenfalls als Resultat zwei große, prall gefüllte Säcke Schnittgut vor.
Was war ich froh und auch ein bisschen stolz, als ich den Kram fertig hatte! Perfekt mit dem Wetter abgepasst, danach setzte nämlich Regen ein und ebenso perfekt für die Biomüllabfuhr, die einen Tag später den Abfall gleich mitnehmen würde.
Ein weiterer, netter Nebeneffekt der Aktion: In der Küche im Erdgeschoss, einem der betroffenen Räume, war es nach dem Rückschnitt merklich heller.
Am Abend gingen die Temperaturen von während des Tages 12 ° C relativ schnell um einige Grade zurück, was zur Folge hatte, dass sich in luftigen Höhen wieder unterschiedliche Luftmassen trafen und stürmische Böen aufkamen, die bis in die Nacht ziemlich wüteten. Der nächste Morgen brachte eine Überraschung …
Es bleibt recht dunkel in der Küche, obwohl der Rollladen hochgefahren wurde. Ein Blick Richtung Fenster und hinaus offenbart einen Urwald. Lianen scheinen kaskadenartig vor der Scheibe herabzuwuchern, lange beblätterte Triebe wiegen sich sanft von links nach rechts.
Efeugestrüpp!

Morgendlicher Blick hinaus: Urwald vor dem Fenster – Efeu (Hedera Helix) hat sich selbstständig gemacht
Der Wind der Nacht hat an der Wetterseite die Ranken von der Wand gelöst. Von drinnen sieht es nach einem recht überschaubaren Schaden aus, doch beim Herauskommen stellt sich heraus, dass über die gesamte Breite der Wand vier bis fünf Meter lange Triebe einfach nach unten geklappt sind. Die Wand darüber ist kahl bis auf Restspuren, die die Haftwurzeln des Efeus hinterlassen haben. Die sind natürlich zu einem großen Teil drangeblieben!
So schön das immergrüne Efeu an der Wand aussieht, so nett es ist, dass seine etwas unscheinbaren Blüten viele Insekten anziehen, so sehr ich es liebe, dass regelmäßig Vögel hier nisten und auf die Früchte im Winter scharf sind – ich liebe es nicht, dass das Zeug nicht flach an der Wand wächst. Gleichmäßig!
Stattdessen verzweigt es sich sporadisch wild und bildet weit vorstehende Büschel. Einige Triebe, die sich bei früheren starken Winden vereinzelt lösten, haben sich in luftiger Höhe einfach mit darunterwachsenden Ranken vertüdelt und so entsteht beträchtliches Volumen. Es hängt wie ein Erker vornüber, und speziell im Winter, wenn die Früchte reifen, entsteht durch sie zusätzlich beachtliches Gewicht an den Triebenden, das natürlich herunterzieht.
All das allein kann aber nicht der Grund für das (kleinere) Desaster sein, denn dieser Zustand herrschte bereits beim letzten starken Wind.
Nein, meine Aktion vom Vortag war vermutlich der letzte Auslöser. Ich habe einige dicke, fast schon stammartige Triebe entfernt und um die Fenster herum das Efeu entfitzt. Wahrscheinlich einen wichtigen Halt entfernt.
Das hat man nun davon!
Einen halben Tag stolz gewesen, einen halben Tag Helligkeit – und am nächsten Tag die Bescherung …

Aus kleinen, zarten Ranken, sind veritable Stämme geworden. Die stark ausgeprägten Haftwurzeln in unterschiedlichen Altersstadien …

Efeu (Hedera helix) – Hier bei einem Querschnitt gut zuerkennen: Das Verhältnis von Durchmesser des Triebs zur Länge der Haftwurzeln
Inzwischen ist alles gekappt. Mit einer Schere an einem langen Teleskopstiel (mit Zugmechanismus), ließen sich auch Zweige in luftiger Höhe erreichen. Und wieder einmal bildeten sich Abfallberge …
Also, liebe Bloggäste, Vorsicht bei den Dingen, mit denen Sie durchzustarten planen! Manchmal zieht Ihr Aktionismus plötzlich unvermutet mehr Arbeit nach sich, als Ihnen lieb ist.
Spontane Schoßgäste, Jagd auf Aliens, gekappte Daumen und Glitzerziegen: Bahnfahrterkenntnisse (2)
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Allgemein, Artikel, Foto, Geschichten / Menschliches Verhalten am 07/01/2014
Neulich habe ich mich richtiggehend erschrocken!
Karlsruhe Hauptbahnhof. Ich wartete auf den Zug, der mich heimbringen sollte. Der Bahnsteig füllte sich und eine knackende, rauschende Lautsprecherstimme verkündete, dass ICE 74 in Kürze einlaufen würde.
In Kürze!
Das ist relativ. Oft dient diese Ansage gefühlt nur der Besänftigung der Wartenden. Doch ich wollte zuversichtlich sein.
Nun, immerhin sagt sie ihn schon an, dachte ich.
Ich hatte den Gedanken noch nicht einmal zu Ende gedacht, da fuhr der Zug auch schon ein!
Vor der Fahrplanzeit!
Haben Sie das schon einmal erlebt?
Vorher?
Und der Schock war noch nicht vorbei!
Der Zug hatte auch alle Waggons dabei! Sogar meinen, in dem ich reserviert hatte!
In der letzten Zeit hatte ich anderes erlebt. Nicht immer die Schuld der Bahn, möchte ich betonen, denn häufig waren die Verspätungen und Ausfälle eine Folge von Unfällen an der Strecke, entstanden durch mutwillige Beschädigungen an Gleisen und Weichen sowie durch Vandalismus im Zug in einer Form, dass Waggons nicht mehr benutzbar waren und Ersatzzüge fuhren (die, bei denen dann die ursprünglich genannten Waggons nicht immer alle dabei sind).
Bei mir kam jedoch das Original. Superpünktlich! Ein gutes Zeichen?
Es fing zumindest vielversprechend an. Dementsprechend war ich nun überaus neugierig auf meine Sitznachbarn. Sie wissen aus Teil (1), man kann auch neben verdrießlichen Steinen landen, die man erst neutralisieren muss, um angenehm zu reisen. (Neutralisieren sagte ich, nicht eliminieren.)
An diesem Tag stellte ich fest, dass ich wieder einmal unerhörtes Glück mit den Reisegefährten hatte. Es begann so:
Der Großraumwagen ist schon dicht belegt, der Nachweihnachtsreiseverkehr ungebrochen. Gedrängel im Zug, Staus im Gang, und es dauert ein Weilchen, bis ich am Zielort ankomme. Meinen Platz am Vierertisch kann ich anfangs nicht einnehmen, denn mein Sitznachbar hat sich ein bisschen ausgebreitet, solange keiner neben ihm saß. Bücher liegen kreuz und quer auf dem Tisch, ein MP3-Player auf seinen Beinen, die Winterjacke auf dem freien Platz. Die Zwischenarmlehne ist hochgeklappt, er hängt bequem leicht quer und ist gerade beschäftigt. Hört auch nichts, weil die Ohrhörer drin sind. Sein Gegenüber macht ihn darauf aufmerksam, dass ich da bin, noch ehe ich dazu komme, mich selbst direkt an ihn zu werden.
Mein zukünftiger Nachbar wird etwas hektisch, springt hoch, schiebt alles wild zusammen, bleibt im Kabel hängen, das vom Ohr zum MP3-Player führt und sucht nebenher seinen rechten Schuh.
Wir einigen uns darauf, dass er den Tisch vorerst belegt lassen kann und nur sich sortiert.
(Das war der Anfang einer Freundschaft, die bis Hannover andauerte und nur endete, weil er mich dort verließ.)
Ich habe in ihm einen sehr intelligenten und freundlichen Schweizer als Sitznachbarn, der aus der Nähe von Luzern kommt, thailändischer Herkunft ist und mit Schweizer Dialekt spricht. Das ist ein wenig so, wie wenn Yared Dibaba auftaucht und plattdeutsch lossnackt.
Bald hockt er recht dicht neben mir, und ich werde regelrecht gelöchert, woher ich komme, wohin ich will, ob ich seine Stadt kenne etc. Ich stehe Rede und Antwort, was ich bei mir noch fremden männlichen Wesen sonst nicht sofort mache, doch sein Vater ist dabei. Der Herr gegenüber. Der wird den Sohn schon im Auge behalten …
Mein Nachbar Simon verrät mir nach der ersten Kennenlernphase vertraulich, dass er „schon“ zehn Jahre alt sei. Die Bücher auf dem Tisch sind u. a. einige Drei-Fragezeichen-Bände. Über Justus, Peter und Bob kann man sehr gut Unterhaltungen führen. Und über Luzern. Denn ich kenne das Verkehrshaus dort, was ihn freut, weil er es mag. Und über Thailand. Und Hannover. Dahin ist er unterwegs und will die Oma besuchen.
Sie sind schon eine Weile auf Reisen. Sein Vater hatte es sich so schön gedacht: Ganz viele Bücher und Musik im Ohr sollten den Filius leicht ein paar Stunden beschäftigen, doch er verrät, dass der Kerl schon kurz hinter Basel Hummeln im Hintern hatte und sich nicht auf Bücher konzentrieren konnte. Es gab zu viel im Zug, was ablenkte. Leider immer nur kurzzeitig. Danach kamen jedes Mal die obligatorischen Fragen: Wann sind wir da? bzw. Was kann ich jetzt machen? Es ist ganz offensichtlich, dass er über die lockeren Unterhaltungen zwischen seinem Sohn und mir sehr erfreut ist, kommt er doch nun selbst zum Lesen und Verschnaufen.
Nach zehn Minuten plagen ihn jedoch offenbar genau deshalb Skrupel, denn er sagt dem Sohn:
„Nun lass die Dame mal wieder ein bisschen in Ruhe.“
„Okay … Was kann ich machen?“
Der Vater erinnert sich an Käsekästchen. Kennen Sie dieses Striche zeichnen – auf möglichst kariertem Papier – und dabei Kästchen bilden? Immer wenn ein Kästchen alle vier Seiten hat, darf der, der es mit dem letzten Strich geschlossen hat, es als seins betrachten und sein Zeichen (Kreis oder Kreuz) hineinmalen. Wer am Ende die meisten hat … Sie kennen das.
Ich habe es ewig nicht gemacht.
Der Vater findet den mitgenommenen Stift nicht.
„Ich weiß genau, ich habe einen in deinen Rucksack getan“, verkündet er und wälzt den Inhalt des Gepäckstücks um.
„Du musst das immer ordentlich einsortieren, Papa, dann findet man das auch“, vermeldet Simon weise.
„Wir wär’s, wenn du es das nächste Mal selbst machst?“ Touché. Der Vater lässt die leichte Kritik nicht so auf sich sitzen.
„Ja, mal schauen …“, meint Simon.
Immer vage halten, gell? Fast wäre der Schuss nach hinten losgegangen. Ich helfe mit einem meiner Stifte aus, woraufhin der Knabe das Spiel nicht mit dem Herrn Papa sondern mit mir spielen möchte.
„Ja, Simon, aber …!“ Die Skrupel kommen wieder durch.
„Ist ja ihr Stift, Papa!“
Überzeugt?
Es hält uns solange beschäftigt, bis es immer schwieriger wird, keine weiteren Kästchen zu bilden bzw. es schwerfällt, nicht Vorlagen für den Gegner zu produzieren. Ihm unterlaufen Fehler, und er befürchtet, ich könnte am Ende besser abschneiden. Gewinnen …
„Du, wir machen später weiter …“, informiert er mich ganz nebenbei.
Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Später war dann nie. Ein schlaues Bürschchen, wie gesagt …
„Ja, klar“, antworte ich.
So verging die Zeit. Der Abstand bis zur erneuten Frage nach der Restdauer der Reise hatte sich verlängert. Ganz einfach wäre die Beantwortung auch nicht gewesen, denn der Zug fuhr seit einiger Zeit etwas langsamer …
In Frankfurt treffen wir bereits mit Verspätung ein. Im Zug wird informiert, dass es einen Notarzteinsatz bzw. einen Unfall an der Strecke gab und wir daher nun ab Frankfurt eine Umgehungsstrecke fahren würden. Ankunft in Kassel mit vermutlich 40 Minuten Verspätung. Mein junger Freund zeigt Anzeichen von Verzweiflung, daher hoffe ich auf Verstärkung bei der Unterhaltung in Form von in Frankfurt neu zusteigenden, freundlichen Lebewesen.
Wir betrachten gemeinsam, wer sich durch die Gänge schiebt. Eine Frau trägt ein Bärenjunges vor dem Bauch mit sich herum.
Wie? Bärenjunges?
Der zweite Blick klärt auf, es ist ein Baby im Bärenoutfit. Es steckt in einem Overall mit angenähten Fäustlingen/Füßlingen, inkl. Kapuze mit sehr markanten Bärenohren. Alles aus braunem Teddyplüsch. Und die Mutter hat ihr Baby darüber hinaus nicht „hochkant“ vor sich sondern quer, Arme und Beine schlaff herabhängend lassend. Täuschend ähnlich, dieser Bär.
Simon findet das sehr lustig. Aber er selbst möchte nicht so einen Anzug tragen. Die Ablehnung als Antwort auf meine Frage kommt schnell und klingt absolut sicher.
Mittlerweile findet ein Platzgetausche statt. Am Vierertisch nebenan wird umarrangiert. Das vorhin fast eingeschlafene junge Mädchen, das bisher am Gang saß, wechselt auf einen freien Einzelplatz einige Reihen weiter, während zwei junge Herren dadurch nun zusammen sitzen können und fortan sich gegenübersitzend die beiden Gangplätze neben uns belegen. Anfangs schätze ich die zwei auf 16-18, doch später stellt sich heraus, dass der Ältere der beiden schon 21 ist, der andere und nur unwesentlich jünger.
Der Zug befindet sich nun auf einer kurvenreichen, nicht für die Geschwindigkeit eines ICEs ausgelegten Strecke. Da man seitens der DB jedoch offenbar gern Zeit einholen möchte, wird ziemlich gebrettert. Bei Weichenpassierung mit Gleiswechsel werden Zuggäste und auch Personal stark durchgerüttelt. Ich drücke den armen Simon einmal fast ein bisschen platt. Als Konsequenz hält er mich danach mannhaft eine Weile fest und stützt mich ritterlich. Vielleicht ist es auch ein Selbsterhaltungstrieb.
Für ihn ist die Strecke wesentlich interessanter als die ursprünglich geplante. Man lernt auf dieser Tour nämlich das Hessische kennen. Es geht über Land. Friedberg, Wetterau, Marburg, Borken … und nebenher huscht der Zug durch haufenweise kleine Bahnhöfe, deren Namen an Leutheusser-Schnarrenberger erinnern. Nicht an die Dame direkt, doch diese Namenskonstruktionen klingen genauso und sind vermutlich auch auf die gleiche Art entstanden: durch Heirat. In dem Fall von Gemeinden.
Eine junge Frau torkelt durch den Zug. Stocknüchtern, alles Gewanke ist nur eine Auswirkung der Kurvenstrecke. Wieder eine Weiche. Und – schwups – hat es sie auf den nächsten Schoß geschmissen. Er gehört einem Herrn, der sich zunächst verschrickt, Anstalten macht aufzubegehren, danach sieht, was auf ihm gelandet ist, es sich anders überlegt und stattdessen freundlich zum Verweilen einlädt.
„Ach, bleiben Sie doch …!“
Es klingt gar nicht nach billiger Anmache, einfach nur humorvoll. Sie verzichtet, lehnt dankend ab und rappelt sich auf. Sie steht noch gar nicht wieder ganz senkrecht, da schießt der Zug rasant in eine engere Kurve. Sie fällt zur anderen Seite – auf Schoß Numero 2.
„Von mir aus können Sie auch hier bleiben“, grinst der Schoßbesitzer und äfft hinüber zu dem vorherigen Auffänger: „Ich gebe Sie Ihnen nicht zurück!“
In einem Ton, bei dem Sie sich das Ätschibätsch dazudenken dürfen. Ihr wird es langsam peinlich.
„Ich wollte mir einen Kaffee aus dem Bistrowagen holen, aber ich glaube, den werde ich zurück nicht mit an den Platz nehmen, sondern lieber dort trinken. Heißer Kaffee im Schoß wird von Ihnen sicher nicht so freundlich begrüßt.“
„Nun, das stimmt!“
Es beruhigt sich wieder und Simon fragt, wann wir denn nun ankommen. Es ist höchste Zeit für neue Attraktionen.
Die beiden jungen Herren, die neben uns sitzen, sind Brüder. Sie vertreiben sich die Zeit mit lesen und einem Spiel auf dem Handy. Der jüngere liest anspruchsvolle Lektüre, der ältere hat irgendein Fachheft zugunsten des Spiels weggelegt. Simon steht auf, stoppt bei dem Spieler und stellt sich vor.
„Ich bin Simon. Ich bin aus der Schweiz. Komme aber aus Thailand. Und wie heißt du?“
„Ich?“ Sein Gegenüber wirkt noch leicht überrumpelt. „Julius.“
„Wie Cäsar?“
„Hey, den kennst du?“ Julius ist überrascht, denn Simon wirkt jünger als zehn.
„Ja, kenne ich. Einer von den Römern. Ist aber schon lange tot.“
Julius’ Bruder grient über den Rand seines Buches.
„Was spielst du denn da?“ Simon hat die Förmlichkeiten erledigt. Ihm brennen nun Fragen unter den Nägeln.
Julius erklärt ihm das Spiel bereitwillig, Simon steht weiter im Gang, schaut ein Weilchen über die Schulter zu, bis der junge Mann innehält und ihm das Handy reicht.
„Hast du gesehen, wie es geht? Willst du selber mal? Nimm’s doch mit auf deinen Platz. Hier wollen ja dauernd welche durch. Kannst es mir später wiedergeben – wenn der Akku leer ist.“
Das ist sehr generös. Doch Julius hat natürlich ein weiteres Handy, das für die wirkliche Kommunikation gedacht ist. Das andere ist lediglich sein Zweithandy, fungiert als reines Spielegerät.
Der Schweizer ist begeistert. Sein Vater auch. Es bedeutet für ihn, die nächste Viertelstunde ist zumindest gerettet.
Von meinem Nebenplatz kommen jetzt komische Geräusche. Das Spiel hat er auf lautlos gestellt, doch er selbst kann nicht völlig still bleiben. Er schwenkt das Handy, mit beiden Händen quer haltend, wild durch die Gegend, macht merkwürdige Verrenkungen, zischt genervt, hält die Luft an und wird stocksteif, jubelt zwischendurch und verkündet nach einer Weile:
„Ich habe ein Alien gefangen!“ Und mit Blick hinüber zu Julius: „Und was jetzt?“
„Ein Alien?“ Julius wirkt irritiert.
„Ja!“
„Zeig mal!“
Simon stellt sich mit dem Handy neben Julius und zeigt auf das Display.
„Das ist kein Alien, das ist eine Schildkröte.“
„Aha. Sieht aber aus wie ein Alien. Ist ja auch egal. Was kommt jetzt?“
Ihm wird geholfen, doch offenbar war das Schildkröte einfangen der Höhepunkt in diesem Level. Simon beschließt daher, eine Pause einzulegen.
„Papa, wann sind wir da?“
Wir erreichen Kassel. Am Vierertisch nebenan ändert sich die Fensterbesetzung. Eine Mutter mit einer achtjährigen Tochter gesellt sich dazu. Die Kleine ist anfangs enorm schüchtern angesichts der großen Jungs. Auch sie hat u. a. elektronisches Spielzeug dabei, eine Art Konsole speziell für jüngere Kinder. Bunt mit großen Knöpfen. Die großen Jungs und auch Simon sind fasziniert von der Einfachheit des Spiels und den gar reizenden, lieblichen Figuren, die darin vorkommen. Auch sie wollen nun Prinzessinnen retten.
„Die müsst ihr nicht retten, die sollt ihr ankleiden!“, erklärt die Jüngste der Runde. Sichtlich stolz, dass sie mehr weiß.
Julius fällt etwas ein. Er stößt seinen Bruder leicht mit dem Fuß am Schienbein an.
„Gib mal bitte die Sachen von Oma raus.“
Die beiden haben ihrer Großmutter nach Weihnachten einen Besuch abgestattet und haben dort etwas abgesahnt. Sie haben eine besondere Oma, denn ihre holt regelmäßig beim Einkaufen Sticker für ihre Enkel. Immer noch! Julius erzählt, dass sie damit vor vielen Jahren angefangen hat und nun nicht mehr damit aufhört.
Und was sagen die jungen Männer dazu?
„Wir finden das cool, wir sind noch nicht zu alt für Sticker!“, beteuert Julius und zeigt auf seinen Bruder. „Er hier, er war sogar noch auf einer Tauschbörse vorhin!“
Auf dem Tisch landet eine große Tüte. Darin befinden sich Unmengen von teilweise noch ungeöffneten Stickersammeltüten. Es muss sich um mehrere Serien handeln, denn die Verpackung ist höchst unterschiedlich.
Die Kleine bekommt Stielaugen. Sticker! Und eine Serie scheint sie zu erkennen. Die Tiersticker. Aber es erscheinen auch Motive aus Deutschland, Bilder zu Sportthemen, Sticker zu Filmen und vieles mehr.
In der nächsten Stunde sitzen Alt und Jung einträchtig beieinander und sortieren Sticker, kleben sie sogar in Sammelalben ein.
Ja! Die großen Jungs haben auch bunte Alben!
Und überzählige Exemplare landen bei dem Mädchen, das sein Glück gar nicht fassen kann. Julius hält ihr einen Sticker hin.
„Kennst du das, was da drauf ist?“
„Nein …“ Sie schaut verlegen.
„Das ist die Frauenkirche in Dresden.“
„Aha …“
„Sieht doch schön aus, oder …?“
„Ja, schon … und was ist das?“
Die Frauenkirche konnte sie nicht ganz so fesseln, sie hat daher ein weiteres Motiv aus dem Stapel gepickt. Julius schaut es sich an, dreht es, runzelt die Stirn und hält es dem Bruder hin.
„Was ist denn das für ein Tier?“
Der Angesprochene schaut es sich an und lacht:
„Das Tier gibt es doch gar nicht!“
Julius hat den Sticker umgedreht und entziffert ein Wort.
„Da steht, das ist ein Wolpertinger. Siehst du, das Tier gibt es doch!“
„Mann, das ist ein Fantasietier, ein Wolpertinger ist ein Fabelwesen! Das gibt es nicht! Habe ich dir doch gesagt.“
Julius grübelt und tippt auf das Bild.
„Sag mal, stammt der von Werner? Der hat doch mal so was gemacht, oder nicht?“
„Der hat zwar so etwas entworfen, aber aus anderen und auch noch mehr Tieren zusammengesetzt. Der Wolpertinger auf dem Sticker ist der aus Bayern, dieses alte, bayerische Fabelwesen.“
„Mensch, du bist echt ein wandelndes Lexikon“, staunt Julius anerkennend.
Er nimmt den nächsten Sticker.
„Und wer ist bitteschön Aurora?“ Es klingt ein wenig herausfordernd.
Sein Er-erspart-mir-das-Nachschlagewerk-Bruder zieht nur leicht die Augenbraue nach oben.
„So nennt Disney sein Dornröschen …!“
Spricht’s, fischt nach einem anderen Album und klebt Aurora auf die entsprechend dafür vorgesehene Seite.
„Blättere noch einmal eine Seite zurück!“, bittet Julius.
Die Vorseite ist für Arielle und ihre Freunde reserviert. Einige Sticker fehlen noch.
„Was wolltest du denn gucken?“
„Schade, die Riesenmuschel fehlt immer noch“, bedauert Julius.
Alle filzen die restlichen Tüten und suchen im Stickerberg auf dem Tisch nach der Muschel. Vergebens. Dafür tauchen andere Schätze auf.
„Oh, die Glitzerziege!“ Die Brüder jubeln und sind außer sich vor Begeisterung.
Sie erklären dem Mädchen, dass sie diese Ziege leider unbedingt behalten müssten, die sei derbe cool. Als Alternative schnappt sich der Allwissende ein anderes funkelndes Motiv.
„Hier, du kannst aber Beethoven in Glitzer haben.“
Ah, wir haben jetzt offenbar die Musiker/Komponisten-Serie erwischt. Oder ist das eine einzige, thematisch breit gefächerte Glitzerserie? Ziegen und Beethoven …
Simon sortiert und macht Häufchen. Die Konzentration bei der Kleinen lässt langsam nach. Um ihren Hals baumelt ein Gurtband, an dessen Ende sich ein silberner Karabinerhaken befindet. Sie spielt mit den Fingern daran herum und steckt irgendwann den Haken in den Mund. Auf einmal fließen Tränen. Die Lütte hat sich mit dem Karabinerhaken die Lippe verklemmt! Während ihre verschreckte Mama sie befreit, entpuppt sich Julius als Retter der Situation und sorgt für Ablenkung.
Er kennt einen Trick mit seinen Händen, bzw. mit den Fingern. Er schafft es, es so aussehen zu lassen, als würde er mit der einen Hand die Daumenkuppe des einen Daumens abtrennen und beiseite schieben. Dazu knickt er den Daumen der einen Hand nach hinten, so dass nur noch das Stück bis zum Gelenk zu sehen ist, und setzt die Kuppe vom Daumen der anderen Hand daneben. Dazwischen verdeckt sein Zeigefinger den Ansatz. Er „fährt“ die Finger auseinander, was auf eine Art kolossale Heiterkeit hervorruft, aber im selben Moment ein beachtliches Schaudern sowie Gänsehaut hinterlässt. Das Mädchen hat jedenfalls ihre Lippenblessur völlig vergessen.
Das stürmische Gelächter veranlasst weitere Mitreisende hinüber- und dabei zuzusehen. Im Endeffekt lernen in den nächsten Minuten zehn Leute diesen neuen Trick und verbreiten ihn vermutlich in nächster Zeit weiter. Es wird Kreise ziehen, und es wäre interessant zu wissen, welche Reichweite Julius’ Demonstration erzielt.
Wenn Ihnen in nächster Zeit jemand damit kommt, dann reiste er vielleicht kürzlich im ICE Richtung Hamburg …
Moment, ich muss kurz einmal auf die Uhr schauen…. Oh, schon so spät!
Nun, Sie kennen das inzwischen, ich muss weg. Und wenn unser Treff hier länger ausfiel, dann kennen Sie das mittlerweile auch. Ich bin halt kein Freund davon, ein für mich durchgehendes Erlebnis in tausend Einzelposts aufzusplitten. Gönnen Sie sich gegebenenfalls doch einfach ein Päuschen beim Lesen. Es läuft Ihnen ja nicht weg.
Die Reise endete mit am Ende 47 Minuten Verspätung. Für Simon und seinen Vater in Hannover, wobei Simon jetzt auf einmal gern weitergefahren wäre.
„Sind wir schon da?“, fragte er erstaunt, und es klang ein wenig enttäuscht.
Der Rest der Gesellschaft fuhr bis Hamburg. Dort war dann das kleine Mädchen untröstlich, die neuen, großen Ersatzbrüder zu verlieren. Immerhin versüßten all die geschenkten Sticker den Abschied.
„Mama, darf ich die bei mir an die Wand kleben …!“
„An die Wand?? Oh, Liebes, die gehen da gar nicht wieder ab!“
„Die sollen ja auch nicht abgehen!“
„Ja, aber irgendwann willst du sie vielleicht nicht mehr haben, wenn sie dir nicht mehr gefallen …“
„Ich finde die immer schön!“
„Ja, ich meine doch, wenn du dann älter bist!“
„Dann mag ich die immer noch ganz doll. Die großen Jungens fanden die ja auch immer noch schön!“
Dagegen soll erstmal einer etwas sagen …
Schluss.
Endgültig.
Bis zum nächsten Mal!
PS Denken Sie auch manchmal, dass Freundlichkeit ansteckt?