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Am Wochenende nach … Wo ist das denn?
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Artikel, Auf Entdeckung - Unterwegs im In- und Ausland (s. dazu auch weitere Spezialkategorien), Foto am 24/06/2013
Manche reisen am Wochenende. Ein Kurztrip. Tapetenwechsel. Mal raus aus dem Trott.
Was sehen!
Vielleicht auch lediglich am Sonnabend. Etwas unternehmen, gemeinsam.
Steigen in den Flieger nach Rom. Mit etwas Glück trifft man Franziskus, winkt ihm zumindest zu. Wenn nicht, bleibt noch die Via Condotti mit Armani, Versace und Konsorten. Für die Shopping-Resistenten mit komplett anderen Wünschen wartet das Münzwerfen am berühmten Brunnen und das Aufsuchen alter Steinbrocken.
Oder es geht nach Paris. Auf dem Eiffelturm dinieren, im Louvre Gemälde bewundern, die Seine unsicher machen.
London wäre auch eine Möglichkeit. Oder Amsterdam!
Es wird heißer. Wir nähern uns meinem Ziel vom letzten Wochenende!
Neugierig?
Passen Sie auf, jetzt kommt’s! Ich war am Sonnabend in … Bruchhausen-Vilsen.
Kennen Sie nicht?
Nun, das lässt sich ändern. Der Ort liegt ca. 35 km südlich von Bremen und hat um die 7.000 Einwohner.
Für Sie zum Vergleich: Erst wenn Sie die Einwohnerzahl von Bruchhausen-Vilsen mit 1.170 multiplizieren, ergibt sich daraus einmal die Bevölkerungsdichte von London. Ungefähr. Egal.
Wir schauen uns das jetzt an!
Fragen Sie nicht, warum ich dort gut fünf Stunden (netto, das Mittagessen ist schon abgezogen) herumspaziert bin. Wirklich überall! Sagen wir einfach, ich hatte auf einmal unvorhergesehen viel Zeit, war zu Fuß, durfte mich nicht zu weit vom Ort entfernen und habe dabei entdeckt, dass es ein richtig hübscher Flecken ist.
Hätte ich mein eigenes Auto dabeigehabt, hätte ich sicher rasch beschlossen, Mühlen in der Umgebung anzusteuern, hätte an Kornblumenfeldern gestoppt oder das plakatierte Rosenfest im ein paar Kilometer entfernten Heiligenberg besucht.
Ging aber nicht. So blieb es bei diesem Ort und seiner unmittelbaren Umgebung.
Bruchhausen-Vilsen liegt an einer Museumseisenbahnstrecke, deren Weg von dort über Heiligenberg nach Asendorf führt. Am seinem Bahnhof befindet sich das Niedersächsische Kleinbahnmuseum und die Eisenbahnbetriebwerkstätte des Deutschen Eisenbahnvereins (seit 1966). Wer ein richtiger Eisenbahnfan ist, kommt allein deshalb hierher, denn in der Werkstätte werden alte Wagen und Loks „gerettet“ und der Fuhrpark liebevoll in mühsamer und zeitaufwändiger Kleinarbeit restauriert, überholt, neu lackiert, in Schuss gehalten sowie fahrtauglich gemacht. So eine Fahrt möchten viele mitmachen.
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Die Dampfzüge verkehren auf der Schmalspurstrecke (1.000 mm Spurweite) von Mai bis Anfang Oktober und speziell an den Wochenenden herrscht reger Betrieb. Ein Buffetwagen fährt mit, und manchmal buchen auch Brautpaare mit ihrer Gesellschaft Plätze, dann wird der Hochzeitswagen festlich mit Girlanden geschmückt.
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Bruchhausen-Vilsen – Museumseisenbahn – Bahnhofsgelände mit der Eisenbahnbetriebswerkstätte des Deutschen Eisenbahnvereins …
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Bruchhausen-Vilsen – Museumseisenbahn – Bahnhofsgelände mit Drehscheibe, Personen- und Frachtwaggons
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Bruchhausen-Vilsen – Museumseisenbahn – Eisenbahnbetriebswerkstätte – Der Dieselmotor aus den 40er Jahren wurde ausgebaut, anderenorts überholt, wieder eingebaut und wird heute das erste Mal gestartet …
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Bruchhausen-Vilsen – Museumseisenbahn – Eisenbahnbetriebswerkstätte – … mal schauen, wo der Hammer hängt
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Bruchhausen-Vilsen – Museumseisenbahn – Eisenbahnbetriebswerkstätte – … und welche Größe hat Ihr größter Schraubenschlüssel so? 16? 20?
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Mehr Information gibt es hier:
http://www.museumseisenbahn.de/index.php/de/
Da die Kessel einer Dampflok jedoch stets recht lang vorgeheizt werden müssen, starten die Touren meist gegen Mittag. Erst gegen 14 Uhr sollte am Sonnabend daher der erste Museumszug fahren. Da ich schon gegen halb zehn dort war, musste ich mir zu Beginn folglich etwas anderes vornehmen und steuerte den Ortskern des Ortsteils Vilsen an, der sehr gemütlich gestaltet ist mit einer schönen Kirche, Fachwerkbauten, einigen Geschäften, Gastronomie, erstaunlich viel ausgestellten Bildern in den Schaufenstern (mal mehr mal weniger Galerie) und einem Brunnen.
Moment … Brunnen? Alte Bauwerke? Kirche?
Könnte fast als Ersatz für Rom durchgehen, oder?
Hier stoßen Sie auf die Kirche St. Cyriakus, die schon ein veritables Alter auf dem Buckel hat. Turm und Schiff wurden um 1200 erbaut, in späteren Jahrhunderten erfolgten diverse Anbauten.
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Bruchhausen-Vilsen – St. Cyriakus-Kirche in Vilsen – Aus Feld- und Bruchsteinen im romanischen Stil erbaut. Die zugemauerten Rundbogenfenster bestehen aus Portasandstein
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Bruchhausen-Vilsen – St. Cyriakus-Kirche in Vilsen – Zum Gedenken an die in den Weltkriegen Gefallenen …
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Während ich die Kirche umrundete, hörte ich von Zeit zu Zeit etwas, was sich als leicht eintöniges Handyklingeln einordnen ließe. Es erklang immer dann, wenn das Gebrumm des Staubsaugers, das aus der Kirche herausscholl, einmal schwieg. Nachdem ich allerdings merkte, dass es sich gar nicht um Handyklingeln, sondern um das talentierte Geflöte einer Amsel handelte, war ich mir bezüglich der Ursache des Gebrumms plötzlich auch nicht mehr sicher. Entweder wird in Bruchhausen-Vilsen zwischen zehn und elf Uhr am Sonnabend die Kirche gestaubsaugt und daher während des Putzens für Besucher geschlossen, oder das Gebäude ist an dem Tag generell zu – und ein (weiterer) Amselkollege liebt es, dieses spezielle Geräusch zu imitieren.
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Ich hatte jedoch das Glück, dass ein Gärtner, der gerade draußen arbeitete, zwischendurch kurz in der Kirche verschwand und dabei die Tür hinter sich geöffnet ließ. So ließ sich immerhin ein kurzer Blick ins Innere werfen.
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Lautstarkes Geläut um elf Uhr veranlasste mich, den Abstand zu vergrößern, und so wanderte ich durch den Ort zurück zum vereinbarten Treffpunkt.
Richtig schöne, alte Fachwerkbauten hat dieser Ort! Manchmal krumm und schief und etwas verkommen. Doch in den weitaus meisten Fällen sachkundig renoviert und modernisiert. Außen das alte Bild, jedoch saniert, innen nach heutigem Geschmack eingerichtet und mit moderner Technik ausgestattet. Hin und wieder sind sogar einige Solarzellen auf dem Dach.
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Bruchhausen-Vilsen – Zielscheiben an der Fassade? Oder stellen sie Labyrinthe dar? Vermutlich erst nach 1725 angebracht …
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Bruchhausen-Vilsen – Vorne „Die Wringerin“ (Robert Enders, 1991) zeigt das Auswringen bei der Leinenherstellung, die im 19. Jh. typich für den Ort war. (Weiter hinten wieder die ausgestellen Bilder einer Galerie)
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Beim Treffpunkt ergab eine kurze Nachfrage, dass ich weiter ausharren musste. Die nächste Tour konnte starten …
Diesmal ging es zur anderen Seite hinaus aus dem Ort, Felder beidseits der Straße, Wiesenblumen vom Feinsten an den Weges- und Feldrändern!
Zottelwicken (Vicia villosa), Wiesen-Wucherblumen, Kamille, Disteln, blühender roter und weißer Klee und vieles mehr.
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Nach einer knappen Stunde bin ich zurück, es gab erfreulicherweise ein Mittagessen, doch ansonsten hieß es unverändert: es dauert noch …
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Ich startete eine weitere Runde in wieder anderer Richtung, die mich durch ein Wohngebiet mit schönen Gärten führte, und dabei stellte ich fest, dass die Menschen in kleinen Orten ihren Garten sehr viel individueller und wagemutiger gestalten, als das beispielsweise in meiner Stadt, in Hamburg, üblich ist. Die Gartendekoration ist ausgefallener.
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Und was es ebenfalls vermehrt gibt: mit den verschiedensten Motiven bemalte Garagentore!
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Wie sah es zwischenzeitlich für mich aus?
Nichts Neues?
Nun, die nächste Tour stand schon …
Der erste Zug war gerade aufgebrochen. Ich lief einfach hinterher, spazierte entlang der Eisenbahnstrecke, direkt neben den Gleisen.
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Bruchhausen-Vilsen – Museumseisenbahn – Inzwischen ist es Nachmittag. Der erste Zug des Tages fährt …
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Haben Sie bei solchen Szenen auch manchmal Mundharmonika-Musik im Kopf? Diese eine bestimmte Melodie? Aus Spiel mir das Lied vom Tod? Dann schauen Sie bei seltsamen Geräuschen sicher genauso verschämt um sich, ob Geier in der Nähe sind …
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Entwarnung. Es haben nur Singvögel gezwitschert, und von irgendwoher dröhnte ein Rasenmäher, der sich später als dieses moderne Ding entpuppt.
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Wissen Sie, was sonst noch bei diesem Spaziergang herauskam?
Kartoffelbovisten leben in Symbiose mit Eisenbahnschienen und -schwellen! Ich habe sage und schreibe 28 Pilze im Zustand frisch bis halb vergammelt gezählt.
Alle an den Gleisen, sonst nirgends!
(Unerkannte Symbiose entdeckt … Häkchen dran)
Und was lernen wir noch?
Der Boden muss dort relativ sandig, trocken und versauert sein.
(Alte Bovisten-Weisheit)
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Hinter einigen Büschen und etwas Gestrüpp am Gehweg blitzte plötzlich Wasser auf und zu meiner großen Freude gibt es einen Zugang zu einem richtigen Biotop. Der einfriedende Jägerzaun ist an einer Stelle unterbrochen.
Die Sonne kam gerade wieder hervor. Das Wasser schimmerte leicht grünlich, es wuchsen gut einen Meter hohe, kräftig rosa blühende Blumenbinsen (Butomus umbellatus) im Flachwasser der einen Uferseite.
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Bruchhausen-Vilsen – Etwas versteckter Teich u. a. mit wunderschönen Blumenbinsen (Butomus umbellatus)
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Libellen tauchten auf. Farblich relativ unscheinbare bräunliche, die kreuz und quer schossen und nie irgendwo zu landen schienen. Daneben kleinere, leuchtend blaue Libellen, die Azurjungfern, sehr zierlich und ebenso quirlig. Zischten heran, standen den Bruchteil einer Sekunde in der Luft und drehten dann zackig im rechten Winkel ab.
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Als ich Wasserrand am vorbeischlich, passierte es. Neben mir ertönten Plumpsgeräusche!
Plopp! Plopp! … Und noch einmal. In recht kurzem Abstand. Gefolgt von leichten Wasserspritzern.
Irgendwer fühlte sich durch mich bei seinem Sonnenbad gestört und flüchtete in die grünen Tiefen des Teichs. Ich wartete. Auf ein Auftauchen. Doch nichts geschah.
So setzte ich meinen Weg langsam fort. Trat sehr vorsichtig auf …
Plopp! Plopp!
Und neue Wasserspritzer.
Wieder nichts zu sehen außer ein paar Wasserringen, die sich an der Stelle bilden, an der der Ploppauslöser untergegangen sein muss.
Ich blieb stehen und wartete ab. Nach fünf Minuten ging ich langsam in die Hocke, ließ meinen Blick Stück für Stück über das Wasser im Uferbereich gleiten …
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… dann wurde ich belohnt. Ich entdeckte einen dieser hochgeschreckten Hereinplumpser. Ein Teichfrosch, der die Sonne genoss.
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Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass ich mich langsam von diesem Plätzchen trennen musste.
Das letzte Stück des Rückwegs führte entlang der Durchgangssstraße. Auf dem Parkplatz eines Lebensmittelmarktes stand ein Auto mit diesem Hinweis:
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„Engel sind selten.“ Stimmt, oder? Teufel aber zum Glück auch …
Und das wollte ich Ihnen zum Abschluss ebenfalls nicht vorenthalten: Sehen Sie sich das eigentümlich lackierte Auto samt seines Stoßstangenbewohners einmal an!
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Bruchhausen-Vilsen hat schon interessante Ecken und ideenreiche Einwohner!
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Den Treffpunkt hatte ich mittlerweile zum sechsten Mal erreicht und war wirklich gespannt, wie es für mich aussah.
Kaum zu glauben, diesmal war es soweit! Das Warten hatte ein Ende gefunden, es konnte wieder heimwärts gehen.
(Die Füße hätten auch langsam gestreikt.)
Nachdem Sie einen umfassenden Eindruck von Bruchhausen-Vilsen gewonnen haben, darf die Frage gestellt werden:
Taugt diese Gemeinde als Wochenendziel? Wie schneidet der Ausflugsort im Vergleich zu den Metropolen dieser Welt ab?
Gut, der Louvre ist nicht da. Aber es gibt dafür Galerien!
Franziskus … Nennen Sie doch den Frosch so! Winken können Sie dem auch!
Münzen in den Brunnen? Ließen sich alternativ bei der Wringerin ins Wasser werfen!
Die Sache mit dem stilvollen Diner … Ja, Herrschaftszeiten! Wer will denn schon unbedingt auf einem Stahlturm essen!
Halten wir lieber fest:
Neben dem Vorteil einer kurzen Anreise, haben Sie stilvolle Häuser, es ist abwechslungsreich, Sie sind in der Natur und gute Luft ist garantiert. Meistens. Unterbrechen Sie halt kurz das Einatmen, wenn die Dampflok vorbeikommt!
Und ansonsten?
Es kommt doch sowieso viel mehr darauf an, mit wem Sie unterwegs sind und was Sie unternehmen. Entweder Ihnen gefällt es dann überall oder selbst die Metropolen können es nicht richten.
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