Beiträge getaggt mit Blauregen
Du machst mir Rost …!
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Artikel, Audio (Hördatei), Foto, Garten (und Natur allgemein), Garten: spezielle Pflanzen näher betrachtet (z. B. Aralia elata, Wisteria ...) am 27/06/2011
(Folgender Link führt Sie zur Hörversion ->
https://www.sugarsync.com/pf/D6851760_7339928_788562 )
Sie war erhitzt. Ihr Haar wirkte leicht verstruwelt, der Atem ging ein wenig schwerer. Ein leichtes Rinnsal, welches sich aus Schweißtropfen gebildet hatte, floss zwischen ihren Brüsten hinab. Es erreichte quälend langsam den Bauchnabel. Ein Teil versickerte, der Rest tastete sich unbeirrt seinen Weg weiter abwärts…
Er war direkt vor ihr und streckte seine langen Arme gierig nach ihr aus. Sie stöhnte, griff dann jedoch kurzentschlossen nach hinten, bis sie Metall fühlte.
Die Schere! Damit konnte sie ihn in Schach halten.
Es war einfach zu oft. Das sechste Mal …!
Warum beginnen Gartenartikel nicht einfach einmal so?
Ein bisschen Erotik, ein bisschen Thriller.
Treibt sie es jetzt mit ihm? Bringt sie ihn um? Wer ist dieser Wüstling? Findet sie ihn toll, wenn sie bei ihm so ins Schwitzen gerät und stöhnt? Himmel, wer ist er?
Nun, er ist eine Pflanze, und das ist diesmal der Anfang meines Blogartikels, der somit durchaus zum Thema Garten gehört!
(Das andere könnte eventuell irgendwann eine neue, eigenständige Geschichte in einer anderen Rubrik werden …^^)
Heute geht es ‚nur’ um ihn, den Blauregen. Er ist es, der mich zum Schwitzen und Stöhnen bringt. Der Blauregen – auch Glyzinie oder Wisteria genannt. Es existieren mehrere Schreibweisen, und wer sich generell für die Pflanze interessiert oder nach diesem Artikel zu interessieren beginnt, der findet hier mehr:
http://de.wikipedia.org/wiki/Wisteria
Ganz kurz nur zum allgemeinen Verständnis: Es ist eine sehr schnell und stark wachsende Kletterpflanze (Lianengewächse), die zudem auch stark verholzt. Wer ein wenig unbedarft ein Pflanzencenter betritt und die kleinen zierlichen Pflänzchen mit dünnen Trieben und hellgrünem, zart geteiltem Laub entdeckt, der kann sich oft nur schwer vorstellen, was ihn erwartet, sobald der kleine Gartenzuwachs sich daheim erst einmal eingewachsen hat und loslegt.
„Oh, guck’ mal! DAS sieht doch hübsch aus! Stell dir vor, wenn das bei uns an der Pergola rankt! Kann man ja ein bisschen zurückschneiden, wenn es zu lang wird …“
Ein bisschen. Darauf komme ich gleich zurück.
Ja, Blauregen sieht superschön aus. Besonders, wenn er – meist im April – blüht. Dann riecht es zudem noch angenehm, leicht süßlich. Später im Jahr gibt es sogar eine kleine Nachblüte, die aber aufgrund der dann vorhandenen Laubmassen gar nicht mehr richtig auffällt. Das Gewächs gehört ebenfalls zur Unterfamilie der Schmetterlingsblütler, hat also sehr hübsch geformte Blüten (ähneln Löwenmäulchen-Blüten), die in langen Trauben herunterhängen. Je nach Sorte in kräftigem oder hellem Violett oder auch in Weiß.
Die Pflanzenbeschreibung weist schon darauf hin, dass eine Wuchshöhe bzw. –länge von 30 m nicht ungewöhnlich ist. Und diese Angabe ist wirklich nicht übertrieben! Es wird auch erwähnt, dass ein sehr stabiles Rankgerüst notwendig ist. Aber, seien wir ehrlich, was steht nicht immer alles in Büchern, und woran hält man sich im Endeffekt?
Ach, erst mal schauen, wie sie anwächst …
Nun, sie ist angewachsen und verspürte diesen kolossalen Ausbreitungsdrang. Ihr Vorteil: in meinem Fall hatte sie vor Jahren mich als noch relativ unkundigen Gartenbesitzer und ein Balkongeländer, das sehr stabil wirkte. Stabil ist.
Die zarten dünnen Ausläufer suchten sich ihren Weg automatisch. Wo etwas zum Halten war, wurde sich auch herumgewunden. Manchmal wickelten sich erst drei Triebe um sich selbst, bevor sie sich dann gemeinschaftlich ‚weiterschlingerten’.
Anfangs war ich schwer begeistert. Prima, das Balkongitter sollte über die volle Länge berankt werden. Dadurch hätte die darunterliegende Terrasse eine lauschige Begrünung und der Sitzplatz bekäme etwas Idyllisches. An heißen Tagen würde die Belaubung zudem das grelle Sonnenlicht filtern und ein wenig Schatten spenden.
Der Mensch denkt, die Natur hat ihre ureigenen Regeln. Nichts steht still oder stoppt auf einmal. Wenn ich als Betroffene irgendwann beschließe: So, jetzt brauchst du nicht mehr weiter zu wachsen! – dann lacht sich die Pflanze einen Ast und scheint spitzbübisch grinsend zu sagen: Hindere mich doch!
Was bleibt auch anderes übrig. Diesen Stand habe ich jetzt seit ca. 18 Jahren. Die fünf Jahre davor konnte sie noch halbwegs wie sie wollte.
Die Glyzinie treibt in der Zeit von April bis September dermaßen stark aus, dass teilweise alle zwei bis drei Wochen – abhängig von der Witterung – ein Rückschnitt erforderlich ist. Anderenfalls käme niemand mehr ins Haus oder könnte noch aus den Fenstern schauen. Rolllädenkästen wären eingewachsen, Dachantennen überzogen und jeder Spalt in Besitz genommen.
Im Laufe der Jahre verholzen die Triebe und werden dicker. Wie Baumstämme trotzen sie jedem Sturm und schaffen es – wenn man nicht sehr gut aufpasst – Balkongeländer fast zu zerquetschen. Es ist unmöglich, diese verholzten Teile noch mit einer Gartenschere abzuschneiden, da einfach keine Lücke vorhanden ist, um richtig anzusetzen. Es bleibt wirklich nur die Säge. Mit viel Geduld und in kleinen Teilstückchen, lassen sich Geländer oder Rankgerüst damit wieder freilegen.
Nachdem mir das einmal passiert ist, verspürte ich wenig Lust auf Wiederholung. Ich zog zusätzlich zum Balkongeländer eine davorliegende Querverstrebung, an der ich von da an den Blauregen entlangleitete. So blieb das Geländer untenherum relativ frei, um auch gelegentlich mal Ausbesserungsarbeiten wie Entrosten oder Streichen vornehmen zu können. Das horizontale Leiten ist auch wichtig, damit die Pflanze richtig zum Blühen kommt. Beim Schneiden und Einkürzen gibt es natürlich noch einige wichtige Tricks, um den Blütenansatz zu fördern. Sie stehen aber auch in der einschlägigen Literatur, genauso wie Boden- und Lichtbedürfnisse.
Was dort nicht steht ist Folgendes:
Wenn Sie Ihren Blauregen schneiden, rate ich Ihnen, dunkle, am besten schwarze Kleidung zu tragen!
Ich habe es anfangs natürlich nicht getan, sondern bin – gerade, weil es so häufig ist – einfach so, wie ich gerade war, mit einer Schere ans Werk gegangen. Ich habe mich nur relativ häufig gewundert, auf welche Art ich wieder einmal mein Oberteil oder auch meine Hose mit kleinen, braunen und nicht zu entfernenden Flecken verunstaltet hatte.
Schokolade? Teespritzer?
Ich bin nicht der typische Essenskleckerer. Zumindest bemerke ich es ….
Irgendwann kam es heraus: der Blauregen ist der Verursacher! Die frischen, knackigen Triebe, die gestutzt werden, haben viel Saft, der fast durchsichtig ist. Er wirkt absolut harmlos, und es fällt überhaupt nicht auf, wenn etwas auf die Kleidung spritzt. Sobald er jedoch angetrocknet ist, ist alles zu spät. Im Laufe von zwei Tagen verfärbt sich alles dunkel, und es sieht aus wie Rostflecken.
Ein weiterer Hinweis bezüglich ‚idyllisch am Sitzplatz’:
Wenn im April oder Mai die ersten warmen Tage sind, an denen gerne ein Teil des Lebens auf die Terrasse verlegt wird, dann sind zeitgleich die Blütentrauben des Blauregens am Welken. Ganze Wolken von vertrockneten Blüten fallen kontinuierlich auf Ihren Tisch, und Sie dürfen dann ganz getrost wirklich von ‚Blütentee’ sprechen.
Um ein Fazit zu ziehen:
Die Pflanze ist hübsch anzuschauen, ich möchte sie gar nicht missen. Sie ist recht robust, kälteresistent, hitzevertragend und ausdauernd. Ihr Laubdach ist ein sehr angenehmer Schattenspender, und durch das recht locker aufgebaute, hellgrüne Laub wirkt nichts erdrückend oder duster.
Kleines Manko:
Wuchsbeobachtung und –lenkung tut wirklich Not! Sehr stabile Rankgerüste oder Rankgitter sind dringend erforderlich, sonst nimmt sie sich selbst ungeeignete ‚Haltegriffe’ (und reißt alles mit sich).
Häufiges Rückschneiden ist zwingend erforderlich!
Vorsicht beim Kontakt mit dem Saft und basteln Sie sich besser eine Abdeckvorrichtung für Ihre Teetasse (Rieseltendenz der Blüten).
… das sechste Mal. In diesem Jahr! Der Kerl war unersättlich. Sie nahm kurzentschlossen einen Trieb in die Hand und schnitt ihn mit der Schere weit zurück. Und dann den nächsten. Seine sie umschlingenden Arme verschwanden nach und nach. Was blieb, war ein Blauregen, der sie in zwei Wochen erneut zum Stöhnen bringen würde. Vielleicht würden dann Tropfen über ihre Wange gleiten …
Denn sie schnitt auch bei Regen.
©Juni 2011 by Michèle Legrand