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Stilvolle Treppenhäuser, schöne Fassaden, eigenwilliges Interieur – der Charme Hamburger Kontorhäuser / Teil V – Das Haus Pinçon am Neuen Wall
Veröffentlicht von ladyfromhamburg in Artikel, Auf Entdeckung - Unterwegs im In- und Ausland (s. dazu auch weitere Spezialkategorien), Foto, Hamburgs Kontorhäuser am 16/01/2013
Der mittlerweile fünfte Part dieser Blogserie erscheint heute und mit ihm lernen Sie ein neues „altes“ Kontorhaus kennen:
Das Haus Pinçon.

Hamburg – Kontorhäuser – Das Haus Pinçon im Neuen Wall 26-28, Fassade (ab 1. OG) mit Keramikfliesen verziert. Unten rechts das Tradtionsunternehmen Waßmann (Drei Goldschmiede in der Familie! Sie erinnern sich vielleicht an Thorsten Waßmann, den ich Ihnen in einem Bericht mit seinen besonderen Silberschmuckkreationen vorstellte). Links vom Eingang seit Anbeginn 1904 die Fa. Weitz (Porzellan)
Es ist in Hamburgs Innenstadt unter der Adresse Neuer Wall 26-28 zu finden, und der Name geht zurück auf den bekannten Hutmacher P. M. Pinçon & Co., der dort – als der Neubau fertiggestellt war – seine Geschäftsräume bezog.
„Alt“ in Anführungsstrichen gesetzt, denn obgleich sein Baujahr mit 1904/1905 angegeben wird (Architekten: Leon Frejtag & Hermann Wurzbach), erscheint es Ihnen heute beim Betrachten wahrscheinlich sehr frisch und irgendwie jung – nur ohne dabei modern zu sein.
Sie ahnen ganz richtig: das Haus wurde aufwendig restauriert!
Wir kommen gleich dazu und widmen uns der besonderen Fassade.
Vorweg eine Frage an Sie bzw. die Bitte, folgende Überlegung anzustellen:
Angenommen Sie wohnten in einer Wohnung oder einem Haus, das schon ein bisschen in die Jahre gekommen ist. Kleine optische Verbesserungen und Möbelveränderungen gab es, der bauliche Zustand – beispielsweise der sanitären Einrichtungen – blieb jedoch unverändert.
Neulich hat es einen Wasserschaden im Bad durch ein Leck im Wasserzulaufrohr gegeben. Die Wand wurde aufgeklopft, die undichte Stelle freigelegt, das eigentliche Leck gefunden.
Nun, das Gröbste ist wieder gerichtet. Das neue Rohr wurde installiert, die Mauer trocknete, die Löcher wurden verschlossen – nur es sieht grauslig aus! Ein Bereich der Fliesen musste leider herausgestemmt werden, und die jetzt vorerst verputzten Stellen sind absolut keine Schönheit.
Jetzt sind Sie an der Reihe!
Was ist Ihr Plan?
Aha, ausbessern. Schöner Plan.
Haben Sie noch Fliesen nach all den Jahren?
Nicht? Schon stirbt der Plan.
Bitte?
Im Keller? Wie viele denn? Werden sie reichen?
Ach – nicht?
Fliesen dazu kaufen?
Die gibt es nicht mehr!
Ähnliche meinen Sie?
Stil und Farbe sind komplett out. Keine Chance.
Es bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie reißen alles raus und kacheln komplett neu (anders) oder – wenn Sie sehr an dem alten Kacheldesign gehangen haben, weil es etwas ganz Einmaliges war (Ihre Fliesen trugen handgemalte indianische Stammeszeichen o. ä.) – nehmen Sie Ihre Musterfliese aus dem Keller, marschieren damit zu einem Fachbetrieb und lassen sich neue Kacheln dieser Art anfertigen. Auch diese werden nicht haargenau zu den restlichen Unversehrten passen, die sich noch neben dem arg geschundenen Stück Ihrer Badwand befinden.
Sie lassen sich daher seufzend eine Charge in der Größenordnung anfertigen, dass sie zur Runderneuerung reicht …
Sie kennen jetzt das Problem.
Wann immer Sie etwas Existierendes wieder herrichten wollen, mit erheblicher zeitlicher Verzögerung etwas „nur“ausbessern möchten, irgendwie Vorgaben haben, an die Sie sich halten möchten oder müssen – immer dann wird es schwierig. Und teuer!
Nun kommen wir zum Haus Pinçon.
Hier geht es nicht um einen kleinen Wasserrohrbruch, sondern dieses im sogenannten konstruktiven Jugendstil errichtete Bauwerk hat leider – wie viele andere Häuser auch – während des Zweiten Weltkriegs ziemlichen Schaden genommen.
Hamburg (und insbesondere auch die Innenstadt) wurde – wie Sie wissen – ausgiebig bombardiert. Gerade zentrale Lagen, wirtschaftlich empfindliche Punkte, verkehrstechnisch wichtige Orte (Hauptbahnhof, etc.) wurden bevorzugt anvisiert.
Manche Gebäude waren danach nur noch Schutt und Asche. Bei den Kontorhäusern gab es welche, die ihre oberen Geschosse verloren. Nicht alle wurden nach dem Krieg in der alten Form wieder aufgestockt.
Viele erlitten erhebliche Brandschäden, manchmal auch beides.
Nachdem in Hamburg im 19. Jahrhundert (1842) der Große Brand gewütet hatte, wurden als Konsequenz daraus die ersten Bauregelungen eingeführt, und aus der noch tief sitzenden Furcht vor Bränden eine gewisse Sensibilität hinsichtlich des Brandschutzes entwickelt.
Es erfolgten Änderungen der Bauweise, und der Blick richtete sich ebenfalls auf die Ausstattung.
Für die Kontorhäuser speziell hieß dies, dass sich Anfang des 20. Jahrhunderts die Stahlbetonbauten in Kombination mit Sandstein, Backstein oder Klinkern durchzusetzen begannen. Die Gebäude erhielten großzügige Treppenhäuser mit Kachelwänden und gefliestem Boden. Eine Vielzahl der Geländer war nun aus Metall/Schmiedeeisen, ein Teil weiterhin aus Holz, jedoch in einer eher massiven Form. Es wurde auf leicht entzündbare Gegenstände in den Foyers und Hallen gänzlich verzichtet. Die Fluchtwege blieben frei.
Die Gefahren für den Ausbruch eines Brandes wurden somit reduziert, die Ausbreitung erschwert – nur gegen (Brand-)bomben waren kein Haus immun.
Das Haus Pinçon trug im Krieg erhebliche Brandschäden davon, und in der folgenden Zeit reichten die knappen Mittel vorerst nur für eine Neuverblendung der Fassade mit hellen, grauen Klinkern. Abgesehen von dem anfangs nicht tragbaren finanziellen Aufwand, gab es natürlich einen weiteren Grund: das nötige Material war lange gar nicht vorhanden!
Wer in den Jahren bis etwa Beginn 2006 den Neuen Wall in Höhe des Hauses 26-28 entlangspazierte, passierte das Gebäude höchstwahrscheinlich schnelles Schrittes und ohne große Beachtung oder steuerte es lediglich an, um ein dort ansässiges Geschäft zu betreten.
Die damalige Eigentümerin, Frau Lotte Zscherpe, hingegen, hatte immer den Traum gehabt, es wieder so herzurichten, wie es am Anfang ausgesehen hatte. Ihr, die einst eine Zeit als Verkäuferin im Hutgeschäft P. M. Pinçon & Co. tätig war, schwebte der Urzustand vor:
Ein markantes Haus, rot verklinkert, mit einer sehr klar unterteilten Fassade im oben erwähnten konstruktiven Jugendstil.

Hamburg – Kontorhäuser – Haus Pinçon – Neuer Wall 26-28 – Gemäß altem Vorbild: Kacheln mit blauer Glasur nach Machart „craquelée“
Als zusätzlichen Anziehungspunkt für das Auge und zur besonders gearteten Querunterteilung ab dem ersten Obergeschoss, herrliche, intensiv blaue Kacheln, dazu Kupfer. In luftiger Höhe – quasi als Abschluss vor dem Dachbeginn – vier besondere Keramik- Reliefs, die jeweils einen Frauenkopf zeigen – jeder mit einem anderen Gesichtsausdruck.
Irgendwann war der Traum von Frau Zscherpe nicht mehr nur eine vage Wunschvorstellung, sondern das Unternehmen „Restaurierung“ nahm Formen an. Das Büro Pflügelbauer wurde beauftragt und deren Architektin Nathalie Göttling leitete die zwei Jahre dauernden Arbeiten. Als Vorbilder dienten alte Fotografien und Originalfliesen, die sich auf dem Dachboden des Hauses fanden.
Jetzt fragen Sie sich vielleicht, wie man mit einer Fliese aus dem Jahr 1904 heute weiterkommt. Der Baumarktleiter wird sicher nur traurig dreinschauen und bedauernd den Kopf schütteln, wenn Sie ihm hoffnungsfroh ein Musterexemplar vor die Füße legen und dabei vorsichtig mit Ihrem Plan herausrücken. Auch der oben erwähnte Fachbetrieb dürfte überfordert sein, denn sein heutiges Produktionsverfahren weicht doch erheblich von dem von vor über 100 Jahren ab.
Doch es gibt Spezialisten. Es gibt einen Herrn, der auch schon Fliesen für den Alten Elbtunnel in Hamburg, für das Holthusenbad oder für diverse Bahnhöfe der Hamburger U-Bahn (St. Pauli, Hallerstraße, Uhlandstraße etc.) herstellte. Sein neuestes Werk, die siebte Station mittlerweile, war 2012 die Mitgestaltung der U-Bahn-Station Sierichstraße.
Sein Name ist Hans Kuretzky. Herr Kuretzky ist Baukeramiker (Dipl.-Ing. nach einem Keramikdesign-Studium in Krefeld) und hat einen Werkstatthof in Borstorf – zwischen Trittau und Mölln gelegen. Er betreibt seine Werkstatt seit 1985. Anhand des Musters hat der Baukeramiker aus insgesamt sieben Tonnen (!) Ton die benötigten Fliesen und Ornamente nachgearbeitet.
Jede einzelne Fliese Handarbeit – insgesamt eine Fläche von 62 Quadratmetern!
Handkunstwerke – so nennt Herr Kuretzky sie selbst.
Die Fliesen wirken geflammt, an manchen Stellen in der Literatur stößt man auf den Begriff Majolika-Verkleidung, liest an anderer Stelle aber von „carreau flammé“ und von der Machart „façon craquelée“. Das wiederum leitet sich ab vom Verb craqueler = etwas rissig machen.
Bezogen auf die Glasur bedeutet es, dass bei dieser Machart beim Brennen feine Risse auftauchen. Und letztendlich war es genau diese Herstellungsweise, die hier angewandt wurde.
Außer der Anfertigung der blauen Kacheln, fielen Arbeiten am Rotstein für die Fassade an und natürlich mussten außerdem die 60-70 kg schweren, menschlichen Köpfe modelliert werden.
Diesen Auftrag führte der Restaurator und Kunstmaler Peter Lund aus. Obwohl er sie als eher androgyn beschreibt, wirken sie mehr weiblich – was auch einen gewissen Sinn ergibt, denn das Kontorhaus wurde (zumindest bis zu diesem Zeitpunkt) immer nur an Frauen vererbt!

Hamburg – Kontorhäuser – Haus Pinçon – Neuer Wall 26-28 – Frauenköpfe mit – wenn man genau hinschaut – unterschiedlichem Gesichtsausdruck
Was Sie auf dem nächsten Foto vielleicht erkennen können, ist ein Schriftzug, der in etwa 15 Metern Höhe eingearbeitet ist. Er wurde von Frau Zscherpe persönlich – als christliches Element – ausgewählt und von Heidrun Kuretzky gestaltet. Es handelt sich um den Konfirmationsspruch der Eigentümerin nach Jesaja, 43,1: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“

Hamburg – Kontorhäuser – Haus Pinçon – Neuer Wall 26-28 – Eingearbeitet der Konfirmationsspruch …(hier ist ein Teil zu sehen)
Für die Montage der neu modellierten und gebrannten Elemente, wurden die alten Behelfsklinker nicht entfernt. Auf die vorhandene Fassade kam eine Edelstahlmatte (wurde einfach vorgeschraubt), auf welcher sowohl Fliesen als auch Rotsteine aufgesetzt und verankert wurden.
Ein ziemlich beeindruckendes Ergebnis nach der Fertigstellung! Frau Zscherpe hat das Haus wunderschön wieder herrichten lassen, und zum Glück hat sie das Haus Pinçon in seiner neuen Pracht im Jahr Herbst 2007 auch noch miterlebt. Sie starb 2008 im Alter von 88 Jahren.
Nachdem Sie durch obige Bilder bereits die neue Fassade kennen, können Sie sich nun zusätzlich einen kleinen Eindruck davon verschaffen, wie der Eingangsbereich und der Zugang zum Treppenhaus gestaltet wurden.
Keine Mosaiken wie im Fall des Hübner– oder Hildebrandt-Hauses, zurückhaltender insgesamt, doch überaus stilvoll – besonders die Treppenaufgänge/Geländer. Völlig anders auch als beispielsweise die Geländer im Laeiszhof (verspielte, eher floral wirkende Formen/Ranken).
Wie gefällt es Ihnen?
Beim nächsten Kontorhaus-Gang (Teil VI), werde ich Ihnen – so sieht die derzeitige Planung aus – einige Gebäude in der Poststraße bzw. der Gerhofstraße in Bildform näherbringen. Vielleicht mögen Sie sich wieder anschließen ….
Quellen:
Einige der Informationen über die Arbeiten am Haus stammen aus folgenden Artikeln des Hamburger Abendblatts:
– Ein Haus wie anno 1904 (Matthias Rebaschus) – 20.10.2007
– Der Meister der glänzenden Fassaden (Karin Lubowski) – 01.07.2006
Vorhergehende Folgen der Kontorhaus-Serie sind über nachstehende Links für Sie aufrufbar:
https://michelelegrand.wordpress.com/2012/08/17/demnachst-im-blog-hamburgs-kontorhauser-eine-kleine-einfuhrung-fur-sie/
Teil I:
https://michelelegrand.wordpress.com/2012/08/20/stilvolle-treppenhauser-schone-fassaden-eigenwilliges-interieur-der-charme-hamburger-kontorhauser-teil-i-darf-es-etwas-basiswissen-sein/
Teil II:
https://michelelegrand.wordpress.com/2012/08/25/stilvolle-treppenhauser-schone-fassaden-eigenwilliges-interieur-der-charme-hamburger-kontorhauser-teil-ii-der-laeiszhof-samt-paternoster-und-watt/
Teil III:
http://wp.me/p1zeK1-1iW / Das Hildebrand-Haus
Teil IV:
https://michelelegrand.wordpress.com/2013/01/11/stilvolle-treppenhauser-schone-fassaden-eigenwilliges-interieur-der-charme-hamburger-kontorhauser-teil-iv-das-hubner-haus-und-eine-kleine-zeitreise/
©Januar 2013 by Michèle Legrand